Black-Hat-Methoden bei Amazon: Dieser Selfpublisher will mit E-Books 250.000 Euro verdient haben

Torben Lux6.7.2016

„Sam Feuerstein“ über Sprungmarken- und andere Methoden

Sam Feuerstein provoziert gerne.
So zeigt sich Sam Feuerstein gerne im Netz.

Der E-Book-Markt wächst – und die steigenden Umsätze ziehen windige Geschäftemacher an. Vor allem auf Amazons Selfpublishing-Plattform stellen sie billige, schnell zusammengestümperte Bücher ein, schlagen mit bauernschlauen Tricks Amazons Abrechnungssystem immer wieder ein Schnippchen und haben damit offenbar zumindest eine Zeit lang enormes Geld gemacht. Einer von ihnen hat Online Marketing Rockstars exklusiv seine Geschichte erzählt.

Über 4,6 Millionen E-Books sind laut Amazon aktuell im Kindle-Shop verfügbar, rund 330.000 kommen aus Deutschland. In den letzten 30 Tagen wurden fast 100.000 neue digitale Bücher auf der Plattform veröffentlicht und 2016 wird ein Umsatz von 446,4 Millionen Eurox durch alle E-Book-Verkäufe in Deutschland erwartet. Das ist ein großer Kuchen, von dem natürlich auch bauernschlaue Geldmacher ein Stück abhaben und so richtig abkassieren wollen. Einer von ihnen ist „Sam Feuerstein“ – unter diesem Pseudonym tritt er im Netz auf. Der 27-Jährige will es vor allem mit Black-Hat-Methoden geschafft haben, alleine im Jahr 2015 eine Viertelmillion Euro einzunehmen.

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Inhalte von Wikipedia, Marketing aus der Grauzone

„Ich habe 2013 angefangen, E-Books bei Amazon zu veröffentlichen. Insgesamt waren es etwa sieben Stück, alles Sachbücher zu Themen wie Dating und Manipulation“. Schon ab dem zweiten Buch habe Sam Feuerstein nur noch ein bis zwei Tage zum Schreiben von im Schnitt 15.000 Wörtern gebraucht und monatlich etwa Einnahmen in Höhe von 200 Euro pro Buch erzielen können. Besonders viel Mühe und Zeit in Recherchen investiert er allem Anschein nach nicht. Er sagt: „Da habe ich gemerkt, dass da noch viel mehr gehen muss, wenn man das Ganze professionalisiert.“

Ab Sommer 2014 veröffentlicht Feuerstein mit einem Freund vor allem E-Books zu esoterischen Themen. „Die Faktenebene kam eigentlich immer komplett von Wikipedia. Wir haben dann wieder geschaut, welche Bedürfnisse die Leute in der Nische haben. Die meisten wollen sowieso nur hören, was sie schon glauben und werden Gelesenes nie umsetzen.“ Im Bekanntenkreis bauen sich die Zwei ein Netzwerk aus Autoren auf und fangen an, Texte einzukaufen. „Ich erstelle dann nur noch eine Tabelle mit einer groben Gliederung der Geschichte und den relevanten Emotionen, die ausgelöst werden sollen. Der Autor schreibt dann für sehr wenig Geld das eigentliche Buch“, erklärt Sam Feuerstein.

Ebenfalls im Sommer 2014 kündigt Amazon an, mit „Kindle Unlimited“ eine E-Book-Flatrate anbieten zu wollen. Seit Oktober desselben Jahres können auch Nutzer in Deutschland für zehn Euro im Monat unbegrenzt viele Bücher lesen – vorausgesetzt, der Autor gibt sein E-Book für Kindle Unlimited frei. „Schon damals war das Abrechnungssystem aber nicht komplett durchdacht“, erinnert sich Sam Feuerstein. Autoren werden pro ausgeliehenem Buch bezahlt, ab zehn Prozent durchgeblätterter Seiten gilt ein E-Book als gelesen.

Sam Feuersteins bei Amazon eingenommene Tantiemen im November 2015.

Bis heute zahlt Amazon alle Tantiemen aus einem monatlichen Fond, der unter anderem aus einem Teil der Kindle-Unlimited-Einnahmen besteht und auf alle Autoren verteilt wird. „Die Rechnung war ziemlich einfach: Statt eine lange Geschichte in einem einzelnen E-Book zu veröffentlichen, stückelte man das Buch in viele kleine Teile auf und veröffentlich mehrere E-Books“, sagt Feuerstein. Alle Autoren erhalten zu diesem Zeitpunkt pro Ausleihe denselben Betrag, egal wie teuer das Buch in der Einzel-Ausleihe ist oder wie viele Seiten es umfasst. „Wir waren nicht die einzigen, die das ausgenutzt und davon profitiert haben. Bei kurzen Büchern konnte man die benötigten zehn Prozent ja schon durch das Inhaltsverzeichnis erreichen.“

Selfpublishing-Goldrausch durch Sprungmarken-Trick

Fast ein Jahr später, im Juli 2015, reagiert Amazon auf die Kritik, das aktuelle Abrechnungs-System von Kindle Unlimited würde vor allem Kurzgeschichten bevorzugen und Autoren von langen Romanen dazu verleiten, eine Geschichte in mehrere Teile aufzuteilen. Beim neuen Abrechnungssystem sollen Autoren pro gelesene Seite bezahlt werden; am Anfang sind das noch 0,53 Cent, im Mai 2016 werden pro gelesene Seite nur noch 0,3327 Cent ausgezahlt. Der Haken: Amazon trackt nicht wirklich die genaue Anzahl gelesener Seiten. Blättert der Leser direkt bis zur Mitte eines Buches, gelten alle Seiten davor als gelesen.

Sam Feuersteins bei Amazon eingenommene Tantiemen im Dezember 2015.

Sam Feuerstein habe im September 2015 entdeckt, welche Möglichkeiten mit dem neuen Abrechnungsmodell entstehen. „Das Ziel war ganz klar, den Leser so früh wie möglich ans Ende des Buches zu bringen“, sagt er heute. Denn so gelten direkt alle Seiten vom E-Book als gelesen. Mit seinem Kollegen habe er unter dutzenden Pseudonymen verschiedenste Bücher veröffentlicht. „Angefangen haben wir mit lizenzfreien Wörterbüchern, dann vor allem einfache Geschichten mit interaktiven Elementen. Der Leser musste sich beispielsweise per Klick für eine Richtung entscheiden; weiter ging es dann auf jeden Fall am Ende des Buches.“ Hin und wieder baue er auch lizenzfreie Wörterbücher ein, um den Seitenumfang so künstlich zu erhöhen. Dank dieser sogenannten Sprungmarken-Tricks erhöhen sich Feuersteins Einnahmen deutlich. Alleine für November und Dezember 2015 zahlt ihm Amazon nach eigenen Angaben fast 50.000 Euro aus. Er sei zu der Zeit einer der erfolgreichsten Autoren überhaupt gewesen und habe jeden Monat mindestens für zwei Pseudonyme den Kindle Allstar Bonus erhalten, eine monatliche Bonuszahlung, die laut Amazon nur den am häufigsten gelesenen Titeln und Autoren zusteht.

Ob alle Schilderung von Sam Feuerstein komplett der Wahrheit entsprechen, lässt sich für uns natürlich nicht ganz final überprüfen. Die uns zur Verfügung gestellten Screenshots und in Gesprächen genannten Details deuten jedoch darauf hin. Dass die Sprungmarken-Technik Amazon eine Zeit lang definitiv Probleme bereitet hat, bestätigen aber auch seriöse Quellen. „Bei Amazon ist das komischerweise niemandem so richtig aufgefallen“, erinnert sich Matthias Matting. Er ist selber erfolgreicher Self-Publishing-Autor, Journalist und beitreibt das Portal „Die Self-Publisher-Bibel“. „Es ist eigentlich erst den Autoren aufgefallen, als immer mehr solcher Titel in den Top-Listen auftauchten. Die haben sich dann unter anderem in Facebook-Gruppen organisiert und entsprechende Bücher und Autoren im großen Maße bei Amazon gemeldet.“ Heute sei es so, dass Bücher, die Methoden wie den Sprungmarken-Trick anwenden, sehr schnell gemeldet werden und Amazon direkt reagiert.

Amazon berechnet pro ausgeliehenem Titel nur noch maximal 3.000 Seiten.

Amazon reagiert aber nicht nur schneller bei Beschwerden und Meldungen. Seit Februar 2016 werden, egal wie viele Seiten ein E-Book umfasst, pro Ausleihe und Kunde maximal 3.000 Seiten berechnet. Bei der im Mai 2016 pro gelesener Seite ausgezahlten Provision von 0,3327 Cent wären das also maximal 9,98 Euro pro E-Book. Im März 2016 lässt Amazon in einer offiziellen Stellungnahme wissen, verdächtige Bücher und sogar Accounts zu sperren und durch mit der Sprungmarken-Methode erzielte Umsätze nicht auszuzahlen.

Statt Sprungmarken-Tricks setzt Sam Feuerstein jetzt auf „Chick-Lits“

Sam Feuerstein ist von Amazons Handeln nicht überrascht. Bei einer solchen Lücke und dem Aufschrei in der Self-Publishing-Community sei es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der E-Commerce-Riese etwas unternimmt. „Natürlich gibt es immer mal wieder Schwächen im System, aber wenn die einmal erkannt sind, lässt sich Amazon kaum austricksen“, sagt er. So sei es auch mit gefälschten Bewertungen, die inzwischen sehr gut erkannt würden.

Amazon gratuliert Sam Feuerstein zum All-Star-Bonus.

Er selber sei bei 10 bis 20 Büchern betroffen. Feuerstein sagt: „Aus meinem Netzwerk habe ich aber auch von Account-Sperrungen gehört. Da gab es sicher auch mal Umsatzeinbußen im sechsstelligen Bereich.“ Abgesehen von vermutlich wieder geringeren Einnahmen glaubt er, dass Amazon sich um im Prinzip spannende Features beraubt: „Jetzt kann man natürlich kein cooles, interaktives Buch mehr veröffentlichen. Links zu Lexika im Anhang fallen auch weg.“

Dass Amazon nicht auf die Seite genau tracken kann, wie viele Seiten ein Nutzer pro Ausleihe wirklich liest, wundert Sam Feuerstein nicht: „Das würde ja bedeuten, dass jede einzelne Seite von jedem veröffentlichten E-Book einen eigenen Tracking-Code haben müsste. Das kann gar nicht funktionieren.“

Von Februar 2015 bis März 2016 hat Sam Feuerstein jeden Monat den All-Star-Bonus erhalten.

Aktuell fokussiert sich Sam Feuerstein vor allem auf sogenannte „Chick-Lits“, also seichte bis anspruchslose Literatur für Frauen und Mädchen. „Das sind häufig Liebesromane. Die Leserinnen müssen sich besser fühlen, als die Akteurin im Buch. Es lebt von Konflikten und trivialen Problemen“, erklärt er. Lange sei der reine Erotik-Bereich extrem beliebt gewesen. Der lohne sich aber einfach nicht mehr, da gebe es zu viele Neuerscheinungen. Nach dem Einkauf des fertigen Romans gehe es nur noch um gutes Marketing. Feuerstein erstelle zum Beispiel gerne Facebook-Veranstaltungen und Gruppen zu Büchern namhafter Autoren. „Das kann – nur als Beispiel – ein ‘Poppy J. Anderson Kommentier-Tag’ sein. An solchen Büchern orientiere ich mich auch bei der Covergestaltung. Am Ende spiele ich dann Teilnehmern oder Mitgliedern Beiträge oder auch Anzeigen mit meinen Büchern aus.“

Kommt jetzt die Zeit der Self-Publishing-Plagiate und Klick-Farmen?

Mehrfach betont Sam Feuerstein, niemals Content bei anderen Autoren geklaut zu haben: „Klar wende ich immer gerne vielleicht auch dreiste Tricks an. Plagiate sind aber einfach nur dumm.“ Trotzdem gibt es auch in dem Bereich schwarze Schafe, die Bücher anderer Autoren nur minimal abändern und unter einem anderen Namen veröffentlichen. Und auch Angebote bei Fiverr.com, Threads bei Blackhatworld.com oder Berichte über Bann-Wellen auf Grund von Klick-Bot-Verdacht zeigen, dass Amazon auch nach der Hochphase der „Trickmarken-Betrüger“ noch genug zu tun hat.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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