Mit FreeMom gegen den “Teilzeit-Mutti-Struggle”

Marvin Behrens30.11.2023

FreeMom soll das Potenzial von Müttern auf dem Arbeitsmarkt entfalten, indem es für beide Seiten Prozesse vereinfacht und Familienleben berücksichtigt.

Lena Pieper und Anika Schmidt von FreeMOM
Lena Pieper und Anika Schmidt haben im Juni 2023 die Freelancing-Plattform FreeMOM gegründet. Quelle: Michael Lübke

Nur weil Frauen Mütter sind, geht ihnen nicht die berufliche Qualität abhanden – und schon gar nicht der Wille, Karriere zu machen. Einige Unternehmen sehen das anders. Um diese veraltete Einstellung zu kontern, gründete Anika Schmidt gemeinsam mit ihrer Freundin Lena Pieper FreeMOM. Ist das innovativ oder sind die Vorurteile gegenüber Freelancing begründet? Wie nah Hürden und Lösungen beieinander liegen – und das sowohl für Personaler*innen als auch für Working Moms, das hat uns die Gründerin Schmidt erklärt.

Schmidt ist Psychologin. Ihr Schwerpunkt: Operative Personalarbeit und Entwicklung. Über sieben Jahre arbeitete sie bei der GfK Marktfroschung. “Dort haben Lena und ich uns kennengelernt, das war vor 15 Jahren.” Sie machten zusammen die ersten Schritte ihrer beruflichen Karriere als Kolleginnen im Bereich Human Resources. “Das hat uns miteinander verbunden. Daraus ist eine Freundschaft entstanden”, blickt die 38-Jährige zurück. Später sollten beide sogar die Trauzeugin der jeweils anderen werden und erlebten auch gemeinsam, wie es ist, Kinder zu bekommen. Diese Situation und die Folgen für den Job hinterließen die Freundinnen nachdenklich. “Für uns war das Mutterdasein ein Perspektivwechsel. Als Personalerinnen haben wir uns selbst in der Situation vorgefunden, neue Fragen zu haben. Der Hickhack um Stunden, Einsatzgebiet und Teilzeit begann”, erklärt sie. Anders als sie ist Pieper seitdem freiberuflich tätig.

Zu viele Kündigungen von Müttern

“Wir haben gemerkt, dass sich Ansprüche an den Job verändern”, sagt Schmidt, denn Flexibilität bekam einen ganz neuen Stellenwert, als das kleine Glück in ihr Leben kam. “30 Prozent der Mütter kündigen wegen mangelnder Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das muss auf den Schirm der Unternehmen”, zitiert die Gründerin die Trendstudie der Internationalen Hochschule (IU). Pieper machte positive Erfahrungen mit der freien Mitarbeit – also, warum sollten nicht auch andere eine berufliche Möglichkeit darin sehen? Eine Geschäftsidee pulsierte. 

"Wir wollen das Denken umdrehen."

Um diesen Müttern eine Alternative zu bieten, gründeten Anika und Lena die Freelancing-Plattform “FreeMOM”. “Wir wollen das Denken umdrehen”, so der Impetus. Sie wollen nicht nur eine “gewöhnliche Jobbörse” für Arbeitssuchende sein, sondern vor allem den Service für Unternehmen in den Vordergrund stellen.

In Deutschland hat sich die Anzahl der Selbstständigen in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Trotzdem sind nur knapp 1,5 Millionen Menschen freiberuflich tätig. Was die beiden vor die Frage stellt: “Wird das volle Potenzial im Modell Freelancing ausgeschöpft?” 

Workforce-Management neu denken

Da liegt die Herausforderung, denn die Vorurteile gegenüber freiberuflicher Arbeit könnten für diesen niedrigen Anteil ursächlich sein. Dank berüchtigter Thesen wie: Freelancer*innen sind zu teuer. “Das sieht vielleicht auf den ersten Blick viel aus, aber der Auftraggeber zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge, keine Onboarding-Kosten und es wird nur die produktive Zeit bezahlt”, entgegnet Schmidt. Die Diskussion sei sinnbildlich für das veraltete Workforce-Management, das neu gedacht werden muss, wolle man Schritt halten: “Du bekommst Leute, die viel Expertise aus verschiedenen Bereichen mitbringen und die viele Jahre Berufserfahrung haben”, verweist sie auf den Talentpool von FreeMOM. Von den 2.500 Müttern sind 85 Prozent Akademikerinnen, 65 Prozent bringen mindestens zehn Jahre Berufserfahrung mit.

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In Deutschland ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf offenbar nicht so einfach, wie diese Zahlen zeigen. Quelle: OMR/Wurl

Auch die Ausrede vor behördlichen Ängsten will Schmidt nicht mehr gelten lassen, denn genau da setzt FreeMom an. “Unternehmen schrecken vor dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit zurück”, weiß sie – und deshalb arbeitet das Duo mit einem Legal Tech Tool, um jedes Projekt vorab zu prüfen. Bürokratie wickelt FreeMom ab, das ist ihr USP. 

Diese Hürden sind womöglich die Gründe, warum die Plattform lediglich elf Stellenanzeigen zählt. “Da hinken wir hinterher”, sagt sie ehrlich. B2B-Marketing und Vertrieb stehen angesichts der kurzen Existenz des Startups noch am Anfang. Dazu käme außerdem, dass “einige Angebote nur wenige Tage präsent sind, weil die Nachfrage so groß ist”. Doch die aktuelle Dysbalance weckt lediglich den Ehrgeiz der jungen Unternehmerin: “Wir müssen dem Mittelstand zeigen, wofür Freelancing genutzt wird und dass es das eigene Team weiterentwickelt. Wir müssen die Ängste nehmen.” 50 Mal hat das bereits geklappt, 50 Mütter haben einen projektbezogenen Auftrag erhalten.

Es kommt auf die Persönlichkeit an

Kritik kommt jedoch auch von der Zielgruppe. Was ist, wenn Mutter oder Kind krank werden? Dann gibt es kein Geld, sofern die Arbeit nicht erledigt wird und keine Krankenversicherung für den Nachwuchs existiert, die einen Teil kompensieren würde. Anders als bei einer Anstellung. "Es gibt die Integrierer und die Separierer. Bist du Letzteres, belastet dich Freelancing mehr. Es gehört dazu, dass du als Person Arbeit anders denkst. Wenn jemand die Arbeit eher als integratives Element versteht, dann wird ihn dieses Modell entlasten.” Denn fordernde Aufgaben gebe es in beiden Varianten. Im Bereich der Festanstellung kehre häufig der “Teilzeit-Mutti-Stuggle” ein. “Wenn du in einem Unternehmen bist, das Vereinbarkeit nicht freundlich gegenüber steht, ist das herausfordernd. Weniger spannende Aufgaben, feste Arbeitszeit, Präsenz in gesetzten Meetings.” Ihr Angebot sei für alle die, die eine Chance darin sehen, ihre Belastung zu steuern und flexibel in das Leben zu integrieren. Für Mütter, die nicht auf ihrem beruflichen Weg zurückstecken wollen. ⁠ Denn das kommt häufig unfreiwillig vor, wie mehrere Zahlen beweisen. Für 33 Prozent der Frauen, die nach Babypause zurückkehren, wurden Karriereschritte auf Eis gelegt, bei 18 Prozent sogar ganz gestrichen, wie die Frankfurter Karrierestudie herausfand. Wer sich unsicher ist, ob deshalb Freelancing in Frage kommt, dem bietet die Plattform für 380 Euro die Möglichkeit, neun Module wahrzunehmen, die zum Beispiel Fragen beantworten wie: Passt diese Art der Arbeit zu mir? Wie vermarkte ich mich? Wie vereinbare ich Beruf und Familie?

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In der 3. Staffel von "Die Höhle der Löwen" ist Tijen Onaran (Mitte) eine neue Investorin. Für Anika Schmidt (links) und Lena Pieper war das ein triftiger Grund für die Teilnahme – und das zu Recht. Quelle: Schmidt

Dass das Start-Up überhaupt so eine Strahlkraft hat, verdanken Schmidt und Pieper auch Tijen Onaran. Bei der Vox-Sendung “Die Höhle der Löwen” schlug das neue Jurymitglied sofort zu. “Ich glaube, ihr wisst und ich weiß, dass wir ein Perfect Match wären”, sagte Onaran nach der Präsentation, “weil ich für Frauen, Vielfalt und Diversity in Deutschland stehe”. Das sahen die befreundeten Geschäftspartnerinnen genauso: Mit 250.000 Euro ergatterte Onaran 28 Prozent der FreeMom-Firmenanteile. Die 38-Jährige zählt zu den einflussreichsten Frauen Deutschlands, hat das Unternehmen Global Digital Women und die Diversity-Beratung ACI gegründet, Autorin ist sie außerdem. 

Auf derselben Mission

Fast wäre der Deal nicht passiert, denn zuerst zögerten die Zwei mit ihrer Teilnahme – bis sie von der neuen “Löwin” hörten. “Mit ihr stieg die Chance, jemanden zu finden, der nicht nur bereit ist, Geld zu investieren, sondern auch dieselbe Mission hat wie wir”, erinnert sich Schmidt, die gar nicht recht realisieren konnte, was geschah. “Es kam mir vor, als hätten wir das in einem anderen Leben gemacht”, sagt sie schmunzelnd über diesen Moment. Dass die Plattform noch nicht online und das Unternehmen noch gar nicht gegründet war, nährte die Nervosität. Umso erleichterter war sie über Onarans Zuschlag: “Das ist ein Gamechanger was Reichweite und Fürsprecher*innen angeht.” 

FreeMom wurde von zwei Müttern gegründet, die nicht akzeptieren wollen, dass durch ihren Nachwuchs die Karriere gefährdet wird. Sie wollen mit ihrem Angebot die Knoten lösen, die Unternehmen an einem besseren Workforce-Management hindern. Damit das Narrativ vom “Teilzeit-Mutti-Struggle” der Vergangenheit angehört. 

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft.