“Suchen die, die durchgerutscht sind”: Wie eine Klima-Akademie ausländische Fachkräfte auffangen will

Mit Diversität: Anna Sauter-Getschmann möchte das Klima retten, indem das Potenzial ausländischer Fachkräfte für die Energiewende genutzt wird. Dafür hat sie ein Unternehmen gegründet.

Rim Zayoud: Praxistraining Energiehelden
Eine von zehn Teilnehmenden, die im Eilverfahren zur Elektrofachkraft für erneuerbare Energien ausgebildet werden: Rim tüftelt bei einem Praxistraining. Quelle: The Academy for Climate Jobs
Inhalt
  1. Mehrheit der Geflüchteten in Arbeit
  2. Wie läuft die schnelle Qualifizierung zur Elektrofachkraft?
  3. Kritik am Ausbildungssystem
  4. ZDH fordert besseren Zuwanderungsprozess

Frustration statt Integration? Elektroinstallationen, Heizungsbau und Dämmtechnik – Handwerk, das unbedingt für die Energiewende gebraucht wird. Aber über 87.000 Stellen sind offen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert einen leichteren Zuwanderungsprozess, Gründerin Anna Sauter-Getschmann lechzt nach Pragmatismus. Ihr Unternehmen “The Academy for Climate Jobs” will Potenziale erkennen und Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt integrieren – in einem Sektor, der sie braucht. Wie das staatlich geförderte Projekt das anstellen will und was der ZDH sagt.

“Viele Fachkräfte kommen motiviert nach Deutschland, aber die Realität hier kann frustrierend sein”, sagt Anna Sauter-Getschmann. Die gebürtige Polin ist seit 13 Jahren in Deutschland. Damals hat sie die Sprache nicht gesprochen, die Kultur war ihr fremd und ihr Jura-Studium wurde nicht anerkannt. Heute ist sie Sozialunternehmerin. Sie kam aus freien Stück, bezeichnet das als eine "privilegierte Entscheidung” und kann die akademische Ablehnung verstehen: “In diesem Fall ist der Grund logisch, hier sind die Rechtsgrundlagen andere.” Doch Logik, insbesondere der bürokatischen Wege, halte bei der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland nicht immer ein. Fast zwei Jahre (22,9 Monate) müssen Neuankömmlinge warten, bis ihr Asylantrag bearbeitet ist, wie das Bundesministerium für Inneres und Heimat bekundet. 

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Abgebildet sind Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten, die sich befristet in Deutschland befinden und hier arbeiten. Diese Anzahl stieg in den vergangenen Jahren deutlich. 2023 haben knapp 420.000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland gearbeitet. Die deutliche Mehrheit verfügt dabei über eine Blue Card, die Fachkräften mit akademischen Titel erhalten. Laut Auswärtigen Amt gelten sie damit als "hochqualifizierte Drittstaatsangehörige". Quelle: Statista

Mehrheit der Geflüchteten in Arbeit

Heillos überfordert – verständlicher Weise – waren die Behörden im Jahr 2015. Fast eine halbe Millionen Geflüchtete beantragten Asyl. Diese Menschen sind aber nun weitestgehend in den Arbeitsmarkt integriert. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beobachten konnte, stieg die Erwerbstätigenquote dieser Geflüchteten mit der Dauer ihres Aufenthalts. 86 Prozent der Männer stehen nach acht Jahren in Lohn und Brot, 68 Prozent sind es bei den Frauen. Dass die Korrelation von Aufenthalt und Erwerbstätigkeit über die Jahre jedoch nur langsam voranschreiten konnte, hat nicht nur die behördlichen Strapazen zur Ursache. Berufe werden nicht anerkannt, Sprachkenntnisse sind zu gering oder die Qualifikation fehlt. 

Dieser Zustand ärgert Sauter-Gretschmann: “Viele sind anfangs motiviert. Neues Land, neue Chancen. Dann kommen erste Enttäuschungen, Barrieren und Neins und dann sinkt die Motivation massiv.” Ein konkretes Beispiel: “Letztens hat mir jemand, der Essen ausliefert, erzählt, dass er in der Türkei Ingenieur war. Da fehlt mir die logische Erklärung, warum er das hier nicht ist.” Schließlich wäre er bestens geeignet, um die Energiewende voranzutreiben. Und das ist ihr Anliegen: Die Gründerin von “The Academy for Climate Jobs” möchte das Potenzial ausländischer Fachkräften, die bereits hier sind, im Klima-Handwerk einsetzen – denn der Bedarf ist groß. Auch Frauen sollen für diese Branche gewonnen werden. Um genau zu sein:

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Mehr Investment im industriellen Bereich ist nötig, möchte der Sektor dem Bericht des Expertenrats für Klimafragen Folge leisten. Aktuell gelten die im Pariser Klimaabkommen formulierten Ziele als gefährdet, indem die EU-Mitgliedsstaaten vereinbarten, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Wie läuft die schnelle Qualifizierung zur Elektrofachkraft?

Laut der Bundesagentur für Arbeit waren im Dezember 2024 über 87.000 Stellen im Klima-Handwerk unbesetzt. Zahlreiche Gründe für Sauter-Getschmann, marginalisierte Gruppen schneller und effizienter in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Nicht nur dort liegen aber Potenziale brach. “Unsere Vision ist es, dass jeder, unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht, Teil der Lösung für unseren Planeten sein kann. Diverse Teams können die Energiewende rocken.” Aber wie? 

Zehn Leute aus der Türkei, Ukraine, Tunesien und Deutschland (von 200 Bewerbenden) starten im November 2024 in das achtmonatige Programm zur Elektrofachkraft für erneuerbare Energien (IHK-geprüft). Sie haben B1-Sprachniveau, das war eine entscheidende Bedingung, um sich für die Qualifikation zu bewerben. Außerdem müssen sie eine beliebige Ausbildung in ihrem Land absolviert haben.

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Ein Bootcamp in der Nähe von Nürnberg soll die Soft Skills ermitteln, es geht um Resilienz und Teamfähigkeit. Danach geht es in Online-Modulen und Präsenz-Kursen weiter, die vom Kooperationspartner energiehelden abgehalten werden. Deren Gründer Slawa Wolkow und Stefan Eberhard verantworten die elektrotechnische Lehre. Die Trainer wissen, dass es schneller gehen kann: “Die normale Ausbildungsdauer beträgt dreieinhalb Jahre, aber wir haben keine Zeit dafür. Wir können die Klimaziele schneller erreichen, wenn wir die Prozesse anpassen, die die Menschen für diese Aufgabe qualifizieren – und das geht”, sagt uns Wolkow. Ermöglicht wird das Angebot durch 100.000 Euro Förderung vom Bundesministerium für Soziales und Bildung. Geld, das das Collective Action Project durch die Teilnahme am gemeinnützigen Projekt “10.000 Tage” (mehr dazu hier) gewonnen hat.

Kritik am Ausbildungssystem

Der Sozialunternehmerin ist durchaus bewusst, dass es auch nachvollziehbare Gründe für zeitintensive Prozesse gibt. Sicherheit, Normen oder die Sprachbarriere etwa. Deshalb will die Gründerin eine Lösung anbieten. „Wir müssen pragmatisch die Fähigkeiten der Menschen analysieren und darauf aufbauen.“ Aktuelle Ansätze werden der zeitlichen Dringlichkeit des Fachkräftemangels nicht gerecht. “Die Ausbildungssysteme sind zu ineffizient”, findet sie.

Die Projektbegleitenden moderieren den Prozess und haben für die zehn Handwerker*innen der Zukunft stets ein offenes Ohr – vorlieb mit einem neuen Narrativ: „Wir sprechen lieber von Austausch als von Integration, weil es für beide Seiten wichtig ist, voneinander zu lernen.” Mahnend betont sie, dass es “unkonventionelle Wege und Mut bedarf”, die Energiewende mittels solcher Ansätze schleunigst zu begleiten. 

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Outdoortraining im Treuchtlinger Bootcamp: Die Teilnehmenden lernen, im Team zu arbeiten. Im Hintergrund amüsiert sich energiehelden-Gründer Slawa Wolkow (Mitte) über das Geschehen. Quelle: The Academy for Climate Jobs

ZDH fordert besseren Zuwanderungsprozess

Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht Handlungsbedarf: „Ohne Fachkräfte aus dem Ausland wird diese Lücke nicht zu schließen sein.” Essentiell seien schnellere Visa-Verfahren, effizientere Ausländerbehörden und mehr Prozesshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb begrüßt der Verband, dass abschlussorientierte Teilqualifikationen möglich sind: “Insbesondere in Gewerken mit stark wachsendem Fachkräftebedarf, wie in den Klimahandwerken, sehen wir darin ein vielversprechendes Instrument.” Doch auch inländische Potenziale sind nicht zu vernachlässigen: So sollen laut dem Zentralverband Anreize für Langzeitarbeitslose, Rentner*innen und Teilzeitbeschäftigte geschaffen werden, (mehr) zu arbeiten. Außerdem müsse die Betreuungssituation in Deutschland verbessert werden, damit Frauen beruflich flexibler werden.

Gemeinsam mit sechs lokalen Handwerksorganisationen und der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat das ZDH ebenfalls ein Projekt initiiert, das im Ausland rekrutieren soll. „Future International Talents for German Climate Businesses“ (FIT for German Climate Businesses) möchte Fachkräfte aus Ländern wie Kolumbien und Usbekistan für die Klima-Sparte gewinnen. Um die nötigen Kräfte zu bündeln, müssen Wirtschaft, Politik und Bildung zusammenarbeiten, betont der Verband.

Diese Initiativen machen deutlich: Viele Stellschrauben sind noch nicht in der richtigen Position. Doch es gibt Initiativen mit zielführenden Instrumenten. Unternehmen und Behörden müssen sich pragmatischer Werkzeuge bedienen. Viel wichtiger noch: Das Potenzial ausländischer Fachkräfte muss früh ermittelt und nach deutschen Standards gefördert werden –  dann könnte das Handwerk umso schneller aufatmen. Denn die Luft wird nicht nur dünner, sie muss auch sauberer werden. 

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft.

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