Millionen Fake Views bei Instagram: Drei Teenies wirbeln die Hip-Hop-Szene durcheinander

Die "Klickkäufer" für Capital Bra, Farid Bang & Co erklären sich im Interview OMR

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Für das abgebildete Video von Capital Bra haben die Klickkäufer keine Fake Views generiert – aber für ein anderes, das offenbar nicht mehr online ist (Screenshot: Capital Bra auf Instagram, bearbeitet und animiert von OMR)

Instagram ist mittlerweile wohl die wichtigste Marketing-Plattform in der Hip-Hop-Szene; die Zahl der Follower, Likes, Views und Kommentare kann für das Image eines Rappers entscheidend sein. Für dementsprechenden Wirbel haben zuletzt anonyme Klickkäufer gesorgt, die diversen Stars und Nachwuchs-Rappern gefakte Video-Abrufe zuschusterten. Die Betroffenen dementierten stets, etwas damit zu tun zu haben; die Hintergründe der Aktion waren unklar – bislang. Nun haben die Macher OMR ein Interview gegeben.

„Wir wollten Aufmerksamkeit bekommen, diese Newcomer-Szene ein bisschen stoppen und die Klicks ‚entwerten‘. Klicks sind nicht das Wichtige, sondern das Talent und die Message, die ein Rapper verbreitet“, so einer der der Köpfe hinter dem Klickkauf-Phänomen gegenüber OMR schriftlich über Instagram. Er habe unter Verwendung von Bot-Software die Views gemeinsam mit zwei Freunden generiert, so der Betreiber des Instagram-Accounts 333plus (UPDATE: Mittlerweile ist der Instagram-Account gelöscht). „Wir kennen uns seit vier Jahren nur über das Internet, sind aber dort gute Kollegen. Wir kennen uns von einem Game, das wir alle sehr viel gespielt haben.“

„Es gibt einfach zu viele Meros und Feros“

Ein Screenshot mit einem Ausschnitt des schriftlichen Interviews, das wir über Instagram mit einem der drei Klickkäufer geführt haben

Ihre Namen möchten die drei Klickkäufer nicht nennen. Ihre Profilfotos auf Instagram stammen aus dem Netz. Die drei kommen angeblich aus Deutschland und Österreich. Er selbst sei 15 Jahre alt; seine beiden Freunde, die auf Instagram die Accounts sxnstyy und sxhlex (Update: Auch diese beiden Accounts sind mittlerweile offline)kur betreiben jeweils 16 Jahre alt, so „333plus“. „Angefangen hat das Ganze aus Langeweile.“ Es gebe keinen bestimmten Künstler, über den sie sich geärgert hätten, eher offenbar eine bestimmte Art von Rapper: „Diese 15- bis 20-Jährigen, die in ihren Autos zu Beats rappen – Mero, Fero, es gibt einfach zu viele davon.“

In der Tat ist die Hip-Hop-Szene innerhalb der vergangenen Monate von sehr jungen Rappern überschwemmt worden, deren Name mit der Buchstabenfolge -ero endet: Mero, Sero el Mero, Fero47, Prinz Fero. Im Kurdischen würden Spitznamen in der Regel dadurch gebildet werden, indem man ein O an den Namen anhängt, erklärt sich Fero47 das Phänomen. Rapper und Label-Inhaber Xatar sieht im Ero-Trend eine Parallele zu den USA, wo derzeit viele Rapper das Kürzel „Lil“ am Anfang ihres Namens tragen.

„Die meisten Deutsch-Rapper sind Schrott“

Die meisten der Nachwuchsrapper sind über Instagram bekannt geworden. Am erfolgreichsten war dabei sicherlich Mero („So geht Hip-Hop-Marketing heute: Wie Mero in vier Tagen sechs Millionen Views generierte“). Der Rüsselsheimer stellte schon mit seinen ersten Videos Klickrekorde auf, die es ihm bisher immer wieder zu brechen gelingt. Blogs wie Rapupdate und Raptastisch werden nicht müde, die neuesten Erfolge immer wieder zu vermelden. Aktuell rangiert Mero mit „Wolke 10“ zum vierten Mal auf Platz 1 der Single-Charts, und es wäre nicht überraschend, wenn er mit seinem heute erschienenen Album in der kommenden Woche auch Platz 1 der Album-Charts belegen wird.

Schon früh spekuliert ein Teil der Szene bei Mero, ob ein Teil seiner Views unecht ist. Bislang konnte niemand Entsprechendes glaubhaft nachweisen. „Ich denke nicht, dass in Deutschland Künstler Views und Klicks faken, aber im internationalen Raum gibt es sehr viel Fake“, meint „333plus“ gegenüber OMR. Ende Februar generieren er und seine beiden Freunde erstmals Fake Views für einen Rapper auf Instagram: für Brado, den besten Freund von Mero. „Die meisten Deutsch-Rapper sind Schrott, aber das Botten hat meistens nichts damit zu tun, ob wir sie mögen oder nicht“, so „333plus“. Die Auswahl erfolge eher zufällig, je nachdem „wer gerade so Videos hochlädt“.

„Das geht mit jedem PC“

Brados Instagram-Account hat zu diesem Zeitpunkt rund 200.000 Follower. In weniger als drei Stunden treiben die drei Teenager das jüngste von Brado gepostete Video auf mehr als sechs Millionen Aufrufe hoch. Wie sie das technisch ganz genau anstellen, will uns unser Interview-Partner nicht erklären und schreibt nur so viel: „Das kann man mit jedem PC machen. Wir kaufen einfach die Aktion, die die Bots durchführen.“ 

Weil Brado in einer Instagram Story thematisiert, dass bei seinem Video offensichtlich jemand Views fälscht („Einer versucht Schatten auf unseren Erfolg zu werfen!“), greift Dein Update (ehemals Rap Update und vermutlich der größte deutsche Hip-Hop-Publisher) die Geschichte auf und die Klickkäufer geraten erstmals in den Fokus einer größeren Öffentlichkeit. In den nächsten Tagen faken sie ebenfalls Abrufe bei Video von Sero El Mero und Fero47. Am 3. März erklären sie sich mit einer Instagram Story gegenüber Dein Update als Urheber der Aktion.

Capital Bra und Majoe erhalten Views auf Bestellung

In den darauffolgenden Tagen überschlagen sich die Ereignisse. Regelmäßig kündigen die Drei nun auf Instagram an, welchem Rapper sie als nächstes innerhalb von 24 Stunden gefälschte Views zuschustern. „Wir fanden es einfach spannend, in wie kurzer Zeit man so etwas groß machen kann. Und Aufmerksamkeit gefällt jedem“, so „333plus“. U.a. fallen ihnen Szene-Schwergewichte wie Capital Bra, Fler, Farid Bang, Nimo und Samra zum Opfer. 

Rap-Blogs wie Dein Update und Raptastisch berichten fast täglich über die neuesten Ereignisse – auch weil sich immer wieder prominente Rapper in ihren Instagram Stories direkt oder indirekt zum „Klickkäufer“ äußern, so wie Sido, KC Rebell und Gzuz. Manche der Musiker fordern die Klickkäufer auf, ihnen bitte keine gefälschten Views zu schicken (so wie Eno), manche, wie Capital Bra beschweren sich darüber, dass sie noch keine Klicks bekommen haben – und erhalten dann prompt Klicks auf ihr jüngstes Video.

Wilde Spekulationen in der Szene

Parallel dazu schießen die unterschiedlichsten Theorien ins Kraut. Der anonyme Macher des Youtube-Kanals Rapschau veröffentlicht ein Video, in dem er die Theorie aufstellt, dass Szene-Größe Xatar hinter den Klickkäufen steckt. Womöglich habe er schon bisher mit gekauften Klicks Newcomer gepusht und dabei irgendwann übertrieben. Nun wolle er damit ablenken, dass er es bis ins Absurde übertreibt. Bislang hat das Rapschau-Video 43.000 Views angesammelt.

Hip-Hop-Urgestein Falk Schacht recherchiert für eine Folge seines Podcasts mit Jule Wasabi im Netz, was es kostet, Fake Views für Instagram Videos zu kaufen. Der günstigste Preis, den er gefunden habe, habe bei 12.000 Euro für sechs Millionen Views gelegen, so Schacht – und lässt durchblicken, dass auch er glaubt, dass beim View-Kaufen für einen Künstler etwas schief gelaufen ist und jemand davon ablenken will.

OMR erhält den Beweis

„333plus“ äußerte sich gegenüber OMR belustigt angesichts der Theorien. „Das Lustigste ist einfach, dass Leute denken wir würden Tausende von Euros dafür ausgeben.“ Offenbar ist die Methode der Teenager deutlich günstiger. Denn mittlerweile bieten sie über Instagram ihre Dienste auch gegen Bezahlung an: Eine Millionen Video-Views zum Preis von 25 Euro. Einen Widerspruch gegenüber ihrer Kritik an der Fixierung auf Klickzahlen sehen sie hier nicht. „Wer Klicks will, bekommt sie. Und wenn wir etwas dafür bekommen, finde ich das nicht widersprüchlich“, so „333plus“. 

Um sicherzugehen, dass wir wirklich mit den „Klickkäufern“ schreiben, beschließen wir, das Angebot zu testen. Und in der Tat: Nicht einmal zwölf Stunden nach Auftragserteilung hat ein Video auf dem OMR-Instagram-Account, das bis dato Aufrufzahlen im vierstelligen Bereich verzeichnete, über eine Millionen Views.

„Jetzt gehen wir international“

Parallel dazu gehen die drei Klickkäufer ihrem „Tagwerk“ nach und treiben wie angekündigt ein Video des Rappers AK Ausserkontrolle auf über eine Million Views. „Deutschrap ist fast durch, wir haben so gut wie jeden schon Mal gebottet“, so „333plus“. „Wir suchen in letzter Zeit ein paar internationale Leute raus.“ Als Beispiel schickt er das Video eines 17-jährigen US-Rappers, das 1,2 Million Views aufweist. Sein Name: Lil Mosey. Vielleicht sind nun also die US-Version der Ero-Rapper dran.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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