Simuliertes Wohnen und inhaltsleere Pop-Up-Experiences: Influencer Marketing wird bizarr

Ein Apartment als Selfie-Kulisse und abgründige Selfie-Fabriken

1190_Instagram-Supercandy
Gehört unbedingt zur "Experience" dazu: das Bällebad (Foto: Supercandy-Museum bei Instagram)

In New York gibt es ein Penthouse, dessen Miete monatlich 15.000 US-Dollar kostet, in dem aber niemand wohnt. Es dient alleine als Kulisse für Fotoshoots von Influencern. Und nach dem „Museum of Icecream“ gibt es in den USA und langsam auch in Deutschland immer mehr „Pop-up Experiences“, die sich in ihrer Inhaltslosigkeit gegenseitig zu übertreffen scheinen wollen. Es sind die bislang bizarrsten Ausprägungen des Trends hin zum visuellen Marketing.

223 Quadratmeter ist das Apartment groß, das das Startup Village Marketing in der angesagten Nachbarschafts SoHos in New York gemietet hat. Die Agentur betreut Unternehmen wie das Brillen-Label Warby Parker und die Fitnessmarke Equinox im Influencer Marketing. Viele der Social-Media-Stars hätten in New York, wo der Wohnraum knapp und die Wohnverhältnisse nicht selten beengt sind, Probleme schöne Fotos zu schießen, so Village-Marketing-Gründerin Vickie Segar gegenüber der New York Times. Manche von ihnen würden sogar in ein Hotel oder einen Möbelgeschäft gehen, um ihren Job erledigen zu können.

„Millenials lieben plüschiges Pink“

Mit dem #villagestudio will die Agentur den Influencern eine Alternative bieten. Praktischerweise hat der Agenturkunde Wayfair (ein großer US-Online-Möbelhändler, der auch in Europa aktiv ist) das Apartment eingerichtet. In den Instagram-Story-Highlights des Village-Marketing-Accounts gibt es eine Führung durch das Penthouse und den angeschlossenen Dachgarten. Agenturgründerin Segar schwärmt gegenüber der Times von den pinken Pastel-Tönen der Einrichtung, insbesondere der in „Millennial Pink“ gehaltenen Couch. „Viele unserer Influencer sind Millennials, die meisten von ihnen lieben dieses Farbspektrum – die Goldakzente, das sanfte Rot, das Samtige, die Pelze.“

Die bekannteste Influencerin, die das Village Studio bislang in Anspruch genommen hat, ist augenscheinlich Marianna Hewitt. Der Mitgründerin der Kosmetikmarke Summerfridays folgen bei Instagram mehr als 830.000 Nutzer. Hewitt nutzte das Apartment sowohl für ein Event als auch für einen Foto-Shooting für das Forbes Magazine. „Wenn man in einem traditionellen Fotostudio Aufnahmen macht, werden die für Social Media fast zu schön“, so Hewitt gegenüber der New York Times.

„Zu 1.000 Prozent verzerrte Realität“

Hannah Bronfman, Betreiberin der Wellness-Website HBFit mit fast 500.000 Instagram-Followern, sieht das Apartment pragmatisch: „Verzerrt Instagram die Realität? Ja, zu 1.000 Prozent.“ Aber bei einem Ort wie dem Village Studio gehe es nicht darum, vorzutäuschen, dass das eigene Leben eigentlich anders aussehe. „Es geht darum einen Raum dafür zu haben, in dem man seine Arbeit erledigen kann.“

Einen ähnlichen Hauch von Endphasenkapitalismus mögen Leser eines weiteren, äußerst lesenswerten Artikels der New York Times über „Pop-up Experiences“ verspüren. „Pop-up Experiences“ sind temporäre, meist rein auf Visualität und die perfekte Oberfläche ausgelegte „Ausstellungen“, die Inhalte höchstens Alibi-haft vermitteln, und in allererster Linie ebenfalls als Selfie-Kulissen dienen. In der New York Times schildert Autorin Sapna Maheshwari ihre Eindrücke beim Vorhaben, jegliche „Pop-up Erfahrung“ aufzusuchen, die New York in den vergangenen Wochen zu bieten hatte. Was als lustige Idee für eine Story begonnen hatte, habe sich schnell „zu einem masochistischen Marsch durch Abgründe der Sinnlosigkeit“ entwickelt, so die NYT-Journalistin.

40 US-Dollar Eintritt vor allem fürs Warten

Bis zu 45 US-Dollar zahlen die Besucher solcher der „Pop-up Experiences“ dafür, dass die Veranstalter ihnen eine optimale Kulisse zum Schießen ihrer Selfies bereitstellen: von der „Rosé Mansion“ (11K Posts zum Hashtag auf Instagram) über die „Color Factory“ (51K Posts) bis zur „Candytopia“ (41K Posts). Angefangen hatte der Trend mit dem „Museum of Icecream“ (hier im OMR-Porträt), das auf Instagram mittlerweile gemeinsam mit dem Louvre und dem New Yorker Metropolitan zu den zehn beliebtesten „Museen“ gehört.

Die zentrale Erfahrung, die all diese „Experiences“ gemein hätten, sei die des Wartens, so Maheshwari. Man verbringe viel Zeit in einer Schlange, während man darauf warte, dass die vorhergehenden Besucher ihre Fotos geschossen hätten. Jede Pop-up-Ausstellung kulminiere in einem Bällebad, das mit der Brechstange an das Thema der jeweiligen „Experience“ angepasst werde: Marshmallows bei Candytopia, „Champagner Bläschen“ bei der „Rosé Mansion und blaue Bälle in der „Color Factory“.

Die totale Abwesenheit von Bedeutung

Beim Wandeln durch die farbenfreudigen Räume der „Pop-up Experiences“ habe sie sich wie eine leere Hülle gefühlt, so Maheshwari. „Es war, als ob ich Zeugin der totalen Aushöhlung von Bedeutung wurde.“

Wer auch einmal so empfinden möchte, hat Glück: Mittlerweile ist der Trend zu Pop-up Experiences übrigens auch nach Deutschland geschwappt. Findige Geschäftemacher haben in Köln hat vor Kurzem das „Supercandymuseum“ eröffnet (bislang erst 1.100 Posts zum Hashtag). Die Tickets sind dafür sind nur drei Monate verfügbar – don’t miss out!

Influencer Marketing
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

Alle Artikel von Roland Eisenbrand

Ähnliche Artikel

Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!
Zeig mir ein Beispiel