Fidget-Spinner-Hype auf Amazon: Wie ein deutscher Seller auf eine Goldgrube gestoßen ist

Zwei-Mann-Betrieb produziert selbst mit 3D-Drucker

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Amazon ist im Fidget-Spinner-Fieber: 74 der 100 aktuell am häufigsten auf Amazon.de verkauften Spielzeug-Artikel sind Spinner. Ein Großteil dieses Geschäftes wird mittlerweile augenscheinlich von chinesischen Händlern gemacht. Doch ein kleines Unternehmen aus Rheinland-Pfalz war früh beim Hype dabei – und verkauft jetzt offenbar mehrere Tausend Spinner pro Woche. OMR erzählt ihre Geschichte. Wer Andreas Heronimus und Klaus Ulrich Kroonder aktuell kontaktieren will, muss ein wenig Geduld mitbringen. Bei unserem vierten Versuch klappt es: „Mein Kollege arbeitet den ganzen Tag durch, wir gehen hier im Moment jeden Tag nachts um null Uhr raus“, so Andreas Heronimus gegenüber OMR am Telefon.

Millionen von Views für Fidget-Videos bei Youtube

Dass die beiden so viel zu tun haben, liegt daran, dass sie Fidget Spinner über Amazon verkaufen. Wer von diesem Phänomen noch nichts gehört hat, dürfte in den vergangenen Wochen von Medien abgeschottet gewesen sein. Ein Fidget Spinner ist ein Spielzeug, das aus einem Kugellager und einem drehbaren Element besteht. Die Anwendung besteht einfach darin, das drehbare Teil in Rotation zu versetzen.

Fidget Spinner Demo

So wird ein Fidget Spinner genutzt

Angefangen hatte der Trend eigentlich mit dem „Fidget Cube“ auf Kickstarter: einem kleinen Würfel mit unterschiedlichen beweglichen Teilen, an dem der Besitzer herumfummeln kann. Angeblich sollen solche Gadgets beruhigend bis sogar konzentrationsfördernd wirken – medizinisch ist das nicht belegt. Schnell wurde der Fidget Cube in der Beliebtheit von den Spinnern überholt und entwickelte sich zum Internet- und schließlich zum „Real-World-Phänomen“. Heute haben die beliebtesten Videos über Fidget Spinner bei Youtube mehr als als 15 Millionen Aufrufe. Tausende von Berichten in Text- und Bildmedien sorgten weltweit für einen Rummel (hierzulande berichtete beispielsweise Bild gleich mehrfach). In Deutschland wurde zuletzt bei Google doppelt so häufig nach „fidget spinner“ gesucht wie nach „snapchat“.

Die Entwicklung des Suchvolumens des Begriffs „fidget spinner“ im Vergleich zu „snapchat“ in Deutschland in den vergangenen 90 Tagen laut Google Trends

„Das beste Geschäft, das wir je gemacht haben“

Von diesem Hype profitieren nun Andreas Heronimus und sein Geschäftspartner. Von rheinland-pfälzischen Birkenfeld aus handeln sie auf Amazon mit Fidget Spinnern. Eines ihrer Produkte ist in der Kategorie Spielzeug aktuell der zweithäufigst verkaufte Artikel: der „Fidgets Star“, einer von 70 Spinner-Varianten, die die beiden verkaufen.

Die gute Platzierung im Bestseller-Ranking zeigt: Der Rubel rollt bei Heronimus und Kroonder. Konkrete Verkaufs- und Umsatzzahlen will Heronimus am Telefon nicht nennen. Es sei aber das bislang beste Geschäft, dass sie je auf Amazon gemacht haben, bestätigt er. Eigentlich verkaufen die beiden LEDs, vor allen Dingen zur Fahrzeugbeleuchtung. Für dieses Geschäft beschäftigen die beiden eine Leiharbeiterin und einige 450-Euro-Kräfte. Um die Flut an Bestellungen bewältigen zu können, mussten sie weitere Mitarbeiter anstellen.

260.000 Euro Monatsumsatz mit nur einem Produkt?

Amazon-Experte Franz Jordan vom Tool-Anbieter Marketplace Analytics schätzt, dass die beiden Unternehmer alleine von ihrem Top-Produkt 8.000, vielleicht sogar bis zu 10.000 Einheiten pro Woche verkaufen. Bei einem Preis von aktuell 6,59 Euro (am Anfang boten Heronimus und Kroonder den Spinner für 11,89 Euro an) wären das zwischen 53.000 und 66.000 Euro Umsatz pro Woche, hochgerechnet möglicherweise bis zu 260.000 Euro pro Monat. Hinzu kommen die Verkäufe der restlichen Produkte aus ihrem Portfolio – auch wenn die deutlich seltener über die virtuelle Ladentheke wandern dürften als der Top-Seller.

Denn die Konkurrenz bei Amazon ist groß. Rund 15.000 Spinner werden laut Franz Jordan derzeit auf Amazon.de angeboten. Mittlerweile wird das Segment von chinesischen Händlern dominiert. Wer die Listings durchschaut, findet kaum deutsche Händler. Die Nummer eins der Bestseller-Liste der Kategorie Spielzeug stammt von einem chinesischen Hersteller; in der Liste der Händler, die das Produkt anbieten, stehen auf der ersten Seite nur Seller aus China und Hong Kong sowie einer aus Großbritannien.

Chinesische Produzenten verkaufen mittlerweile selbst

Die Entwicklung im Spinner-Segment steht offenbar exemplarisch für den Trend, dass immer mehr chinesische Firmen direkt selbst auf Amazon verkaufen. Mehr als die Hälfte von ihnen nutzt dabei Amazons Logistik-Programm „Fulfillment by Amazon“, dem die Endkunden vertrauen. Die chinesischen Hersteller können auf diese Weise auf europäische Mittelsmänner verzichten, die einen Teil der Marge einbehalten. Europäische Seller, die bislang einfach auf chinesischen Marktplätzen wie Ali Baba Produkte günstig in China eingekauft und dann über Amazon weiterverkauft haben, dürften es in Zukunft schwerer haben.

Laut Marketplace Pulse stammen bereits 25 Prozent der Seller in Europa aus China, in Deutschland soll der Anteil bei 17 Prozent liegen. Acht der 100 Top-Amazon-Händler in Deutschland stammen aus dem Reich der Mitte. Es gebe auf Amazon mehr Seller aus China als man denke, so Marketplace-Pulse-Gründer Joe Kaziukėnas. „Und der Anteil wächst ohne Zweifel.“

Mehr als 100.000 verkaufte Spinner pro Monat?

Mit den Spinnern dürften die chinesischen Seller aktuell ansehnliche Summen verdienen: Vor einer Woche waren 62 der Top-Seller im Bereich Spielzeug Fidget Spinner, mittlerweile sind es 74. Auch in anderen Kategorien sind derzeit Fidget Spinner erstaunlicherweise die Bestseller: in Küche, Haushalt & Wohnen ebenso wie bei Bekleidung. Offensichtlich tragen einige Seller ihre Produkte immer wieder in falsche Kategorien ein und nutzen von Amazon unerlaubte Methoden, um diese zu pushen – in der Hoffnung, so trotz der starken Konkurrenz Verkäufe zu erzielen.

Die Bestseller im Bereich Spielzeug auf Amazon.de sind derzeit fast ausnahmslos Fidget Spinner

Dabei nimmt das Phänomen immer kuriosere Züge an: In manchen Unterkategorien waren gar spezielle Schutztaschen für Fidget Spinner ganz weit vorne unter den Top Sellern. „Der Trend ist wirklich krass auf Amazon gerade“, sagt Franz Jordan. Der Amazon-Experte schätzt, dass alleine von den 74 Spinnern in der Top 100 der Kategorie Spielzeug insgesamt weit mehr als 100.000 Stück pro Monat verkauft werden.

Millionen-Umsatz mit Spinnern auf Amazon.de?

Mittlerweile dürften die Seller mit den Spinnern aber nicht mehr so viel Geld verdienen wie zu Anfang des Trends: „Die Preise sind mittlerweile im Eimer“, so Franz Jordan. „Zum Jahresanfang, als die meisten Spinner auf den Markt gekommen sind, lag der durchschnittliche Preis bei etwa zehn Euro, jetzt vielleicht eher bei zwei bis drei Euro.“ Trotz des Preiseinbruchs dürften die Händler seit dem Beginn des Hypes alleine auf Amazon.de bereits ein deutlich siebenstelliges Umsatz-Volumen erwirtschaftet haben.

Andreas Heronimus und Klaus Kroonder waren früh dabei. „Ich bin durch Zufall auf das Thema gestoßen“, erklärt Heronimus – und zwar auf einer Plattform, auf der neue Designs und Druckdateien für 3D-Drucker heruntergeladen werden können. Die beiden probierten damit herum, erstellten dann eigene Designs, die sie sich nach eigener Angabe sogar haben patentieren lassen.

Aktives Bewertungsmanagement sorgt für guten Start

Bereits im Dezember seien sie dann mit ersten Spinnern auf Amazon vertreten gewesen. „Damals hat nur eine Hand voll Seller Spinner verkauft“, so Heronimus. Am Anfang seien die Verkäufe noch schleppend gewesen, „aber im ersten Quartal 2017 gings dann so richtig los.“

Um in den Amazon-Rankings aufzusteigen, haben sie sehr auf ihre Bewertungen geachtet. „Ich habe bei den Kunden nachgehakt, ob sie zufrieden sind und ob sie eine Bewertung abgeben könnten. Bei den Stückzahlen heute wäre das nicht mehr möglich“, so Heronimus. Über 180 Bewertung verzeichnet ihr Top-Seller mittlerweile. „Das hat schon geholfen. Wenn man keine Bewertungen hat, kann man es gleich vergessen.“

Eigene Herstellung statt China-Sourcing

Dass sie so früh dabei waren, habe ihnen bei den Rankings geholfen. „Heute wäre es gar nicht mehr möglich, so in diesen Bereich einzusteigen.“ Der Traffic sei rein organisch, so Heronimus, „da kommen vielleicht noch ein paar Backlinks aus Foren dazu“. Nach eigener Darstellung nutzen die beiden keine SEO-Kniffe, sondern erweitern lediglich ihre bisherigen Listings um immer neue Farb- und Form-Varianten.

Neben dem frühen Start ein weiterer Vorteil der Birkenfelder: Sie stellen ihre Produkte mit dem 3D-Drucker selbst her und müssen diese nicht aus China bestellen. „Das lohnt sich mittlerweile nicht mehr; damit lassen sich mittlerweile nur noch Cent-Beträge verdienen“, meint Heronimus. Bei ihnen dürfte die Marge deutlich höher sein. Zudem können sie nach eigener Darstellung eine bessere Qualität bieten: „Viele der anderen Spinner sind wirklich schlecht; ich habe mir ja selbst viele Muster bestellt. Einige davon haben extrem nach Lösungsmitteln gerochen.“ Ihre eigenen Spinner seien aus Maisstärke, damit auf biologischer Basis hergestellt und ungiftig. „Das kommt bei Eltern, die für ihre Kinder bestellen, natürlich gut an.“

Bezahlter Traffic als Alternative zu organischem?

Außer auf Amazon verkaufen die beiden auch auf Ebay sowie an einen Großhändler, der Großteil der Sales findet aber auf Amazon statt. Bislang stellen sie nach eigenen Angaben noch keinen Rückgang des Interesses fest – „eher im Gegenteil“, so Heronimus.

Andere Fidget-Händler aus dem deutschsprachigen Raum setzen wegen des großen Wettbewerbs aus China auf eine andere Strategie: Sie lenken gekauften Traffic auf die eigenen Amazon Listings. Helmut Eder aus Neusiedl am See in Österreich, handelt unter dem Seller-Namen Modern Tech Ltd. mit unterschiedlichen Artikeln auf Amazon. Begonnen hat er mit Kreditkartenhüllen; dann folgten aufblasbare Sitzsäcke. Seit Januar verkauft Eder unter dem Markennamen „Technopoint“ auch Fidget Spinner auf Amazon. Zuvor hatte seine Tochter im Netz die Spinner gesehen und ihn darauf aufmerksam gemacht.

Facebook-Clicks für zwei Cent

Eder zielt auf das höherpreisige Segment, sein am häufigsten verkaufter Spinner kostet fast 18 Euro. Er kauft zwar in China ein, hat aber lange nach der richtigen Qualität gesucht. „Ich habe bestimmt 20 Factories angeschrieben und mir Muster zuschicken lassen“, so Eder gegenüber OMR. Um Sales zu generieren, setzt er nach eigenen Angaben auf „beinhartes PPC“, und dabei vor allem auf Facebook. „Mit unserer Methode können wir dort einen Klickpreis von zwei oder drei Cent, maximal sechs Cent erzielen.“ Details will er nicht verraten.

Darüber hinaus bucht Eder auch Anzeigen auf Amazon selbst. „Hier liegt der Klickpreis bei 50 bis 60 Cent und kann bei Spinnern auch mal auf bis zu zwei Euro raufgehen.“ Der Vorteil bei Amazon: Die Kunden seien dort schon mehr in Kaufstimmung als auf Facebook. „Die haben die Brieftasche quasi schon geöffnet“, so Eder. Dementsprechend sei die Conversion Rate höher.

Wann ist der Trend zu Ende?

Mit der PPC-Strategie erzielt Eder aktuell nach eigenen Angaben Spinner-Verkäufe im mittleren vierstelligen Bereich pro Monat. Der Umsatz dürfte damit auch im mittleren bis hohen fünfstelligen Bereich liegen. Lange wird der Fidget-Spinnner-Trend aber nicht mehr anhalten, glaubt Eder. „Momentan ist die Entwicklung noch stabil, aber ich glaube, in ein bis zwei Monaten wird der Boom deutlich abflauen.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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