Mehrere Milliarden Views mit Kids-Content im Monat: Warum YouTube für die nächste Generation Sesamstraße, Teletubbies und KiKa in einem ist

Der deutschsstämmige YouTube-Kanal "Animated Surprise Eggs" hat in einem halben Jahr 60 Millionen Views generiert
Inhalt
  1. Simple Animationsvideos generieren Mega-Reichweiten – und werden von Google gepusht
  2. 3,4 Millionen Euro Umsatz in zweieinhalb Jahren?
  3. Lange Videos boomen, weil Eltern ihre Ruhe wollen
  4. Google erhöht die Reichweite von Kinder-Content mit eigener Youtube-Kids-App
  5. „The Voice Kids“ verzeichnet 120 Millionen Views in 30 Tagen
  6. „Bei YouTube braucht man keine Hochglanz-Videos“
  7. SEO-Strategie sorgt für Traffic-Boost

Simple Animationsvideos generieren Mega-Reichweiten – und werden von Google gepusht

Der deutschsstämmige YouTube-Kanal "Animated Surprise Eggs" hat in einem halben Jahr 60 Millionen Views generiert

Der deutschsstämmige YouTube-Kanal „Animated Surprise Eggs“ hat in einem halben Jahr 60 Millionen Views generiert

YouTubes Hauptzielgruppe sind Teenies? Diese Wahrnehmung ist nicht mehr zeitgemäß. Denn das am schnellsten wachsende Genre auf Googles Bewegtbildportal sind Videos für Kleinkinder. Von den aktuellen Top 20 Kanälen richten sich sieben an Kinder; im vergangenen September haben alleine diese Channels mehr als 2,1 Milliarden Views generiert. Auch findige deutsche YouTuber generieren in diesem Segment bislang relativ unbemerkt bereits massive Reichweiten. Nicht weiter erstaunlich also, dass Google hier ein Geschäft wittert und das Thema pushen will. Wir haben für Euch einen tiefen Blick in die Szene der Kiddie-YouTuber geworfen.

Man sieht nur Hände, die Überraschungseier auspacken – und zwar ganze 101 davon, über die Dauer von 34 Minuten. Dieses Video wurde am 4. Juni 2014 in den YouTube-Channel „Baby Big Mouth“ hochgeladen; abgerufen wurde es seitdem mehr als 286 Millionen Mal.

Andere Videos des Kanals sind ähnlich: In vielen von ihnen werden Überraschungseier unterschiedlicher Hersteller, oder andere Kinderspielzeuge ausgepackt. Manche versuchen das Eierauspacken mit Lerninhalten zu verknüpfen; die potenziell jungen Zuschauer sollen beispielsweise „Farben lernen“ können.

3,4 Millionen Euro Umsatz in zweieinhalb Jahren?

Die simpel produzierten Filmchen generieren unfassbare Abrufzahlen: Vier Videos des Kanalbetreibers (der in den Videos nicht zu sehen ist und sich auch nirgends namentlich zu erkennen gibt) verzeichnen Abrufe im dreistelligen Millionenbereich, mehr als 60 immerhin noch im zweistelligen Millionenbereich. Seit der Kanaleröffnung von „Baby Big Mouth“ im März 2013 sind so insgesamt knapp 3,4 Milliarden Views zusammen gekommen. Will man einen groben Eindruck davon erhalten, wie viel der unbekannte Betreiber mit seinem Kanal möglicherweise durch vorgeschaltete Werbung verdient hat, und schätzt vorsichtig, dass „Baby Big Mouth“ pro 1.000 Abrufe 1 Euro eingenommen hat, so kommt man auf einen Brutto-Umsatz von 3,4 Millionen Euro.

„Baby Big Mouth“ ist unter den international erfolgreichen YouTube-Kanälen kein Einzelfall. Im September lag der Kanal in puncto Views unter allen Kanälen weltweit auf Rang drei. Gleich dahinter folgte „Little Baby Bum“: ein Kanal dessen Videos bekannte Kinderlieder mit computeranimierten Filmchen verknüpft. Im September wurden die Videos des Kanals 355 Millionen Mal abgerufen; insgesamt verzeichnet „Little Baby Bum“ bereits 4,6 Milliarden Views.

Lange Videos boomen, weil Eltern ihre Ruhe wollen

„Baby Big Mouth“, „Little Baby Bum“ – sie alle profitieren offenbar davon, dass Eltern immer häufiger ihren Kleinkindern ein iPad oder Smartphone mit einem „Kinder-adäquaten“ Video in die Hand drücken, damit sie selbst ihre Ruhe haben. In Schweden beispielsweise sollen bereits 60 Prozent aller Zweijährigen ein iPad nutzen. Besonders gefragt sind bei den Eltern offenbar längere Videos– um den Nachwuchs länger beschäftigen zu können. „Lange Compilation-Videos sind der ‚Sweet Spot’ unseres Genres“, so Derek Holder, der mit seiner Frau zusammen „Little Baby Bum“ betreibt, gegenüber dem Guardian. Beide betreiben den Kanal seit 2011, nachdem sie bei einer Suche für ihre eigenen Kinder festgestellt hatten, dass es auf YouTube wenig gut produzierten Kinder-Content gibt. Aber erst, nachdem das Paar in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres längere Videos in seinen Kanal einstellte, explodierte die Reichweite.

„Aus unser eigenen Erfahrung als Eltern wissen wir wie nervtötend es sein kann, immer wieder den Play-Button drücken zu müssen“, so Holder. Bei einem Video, das 50 bis 60 Minuten lang ist, muss man nur einmal Play drücken und kann das Kind beim Zuschauen alleine lassen, während man selbst etwas erledigen kann.“ Eine 54-minütige Zusammenstellung von animierten Videos zum Kinderlied „Wheels on the bus“ von „Little Baby Bum“ wurde bislang 934 Millionen Mal abgerufen und liegt damit in der Alltime Hall of Fame von YouTube auf Platz 16.

Medienberichten zufolge verhandeln Holder und seine Frau aktuell mit klassischen Fernsehhäusern über die Lizensierung von Inhalten. Im August kündigten die „Little Baby Bum“-Macher eine eigene Spielzeuglinie an; zudem verhandele das Paar über einen Buch-Deal, so der Guardian.

Google erhöht die Reichweite von Kinder-Content mit eigener Youtube-Kids-App

YouTube-Betreiber Google will offenbar von dem Business rund um den Kiddie-Content noch stärker profitieren: Im Februar brachte der Konzern eine „YouTube Kids“-App zunächst in den Google Play Store für Android-Geräte; im März folgte der iOS-Store. Die App wartet nicht nur mit größeren Bildern und Icons auf – damit „kleine Daumen darin schneller navigieren können“, so Google selbst –, sondern soll auch Eltern davon überzeugen, den Kindern das entsprechende Gerät zu überlassen, weil die Inhalte eine sichere Umgebung liefern. Dafür hat Google für YouTube Kids beispielsweise eine eigene Werberichtlinie aufgestellt. Wenige Monate nach dem Launch der App beschwerten sich jedoch zwei Interessengruppen bei der US-Aufsichtsbehörde FTC darüber, dass in der YouTube-Kids-App auch „Branded Videos“ von McDonalds und Spielzeugherstellern wie Hasbro und Mattel auftauchten.

Laut Google wurde die App in sieben Monaten mehr als acht Millionen Mal heruntergeladen, obwohl sie bislang alleine in den USA verfügbar ist. Um das Thema noch weiter zu pushen, will Google offenbar noch weiter investieren. So hat der Konzern zuletzt die Rechte an einer Show des britischen Minecraft-YouTubers Stampy erworben. Auch Partnerschaften sollen das Thema voranbringen. So soll „YouTube Kids“ demnächst auch über Apple TV, Google Chromecast, auf Microsofts Xbox und Sonys aktueller Playstation nutzbar sein.

„The Voice Kids“ verzeichnet 120 Millionen Views in 30 Tagen

In Deutschland haben bereits etablierte Medienunternehmen das Potenzial von YouTube als Kindermedium erkannt. Pro-Sieben-Sat1 beispielsweise stellt Clips aus der Kinder-Casting-Sendung „The Voice Kids“ bei YouTube ein – in den vergangenen 30 Tagen verzeichnete der Kanal 120 Millionen Views. Die schwedische TV-Produktionsfirma Ruta Ett stellt ihre Serie „Die Helden der Stadt“ über YouTube auch in einer deutschen Version online. Die an Disneys Cars erinnernde Show stellt Einsatzfahrzeuge von Polizei und anderen Einrichtungen in den Mittelpunkt und hat in den vergangenen 30 Tagen 21 Millionen Views erzielt.

Aber auch ein unabhängiger Selfmade-YouTuber hat bereits den richtigen Riecher bewiesen: Der Kanal „Animated Surprise Eggs“, dessen Videos im Grunde eine Schnittmenge aus „Baby Big Mouth“ und „Little Big Bum“ darstellen, hat in nur sechseinhalb Monaten 66 Millionen Abrufe generiert. Damit liegt „Animated Surprise Eggs“ laut dem YouTube-Analytics-Tool veescore unter den am schnellsten wachsenden deutschen Kanälen auf Platz 23.

Der Kanalbetreiber Daniel Osakwe war früher hauptberuflich als Fernsehredakteur tätig, wie er im Gespräch mit Online Marketing Rockstars erklärt. Mit seinem Halbbruder, der ein Catering-Unternehmen besitzt, betreibt Osakwe nebenher einen Koch-Channel mit vergleichsweise aufwändig produzierten Inhalten. Der läuft lange einigermaßen erfolgreich, doch der große Reichweitendurchbruch kommt nie.

„Bei YouTube braucht man keine Hochglanz-Videos“

Zwei Aha-Erlebnisse sorgen schließlich für ein Umdenken. Ein kurzes Video darüber, wie man effektiv eine Orange schält, bekommt unter anderem durch die Huffington Post virale Verbreitung und wird 3,2 Millionen Mal abgerufen – viel mehr, als die liebevoll produzierten, langen Kochvideos des Duos. „Da habe ich gemerkt: Bei YouTube steht Hochglanz nicht so im Vordergrund“, so Osakwe.

Den zweiten Wendepunkt erlebt der Kanalbetreiber, als er für seine mittlerweile dreijährige Tochter nach Videos bei YouTube sucht. Weil ihm dadurch klar wird, auf welches Wachstumsfeld er gestoßen ist, fokussiert sich Osakwe von da an gemeinsam mit einem befreundeten 3D-Designer auf einen neuen Kanal, der animierte Videos für Kinder bereit hält. Anders als der Kochkanal ist „Animated Surprise Eggs“ englischsprachig. „Mir wurde klar, dass der nationale Markt einfach viel kleiner ist als der internationale – 80 Millionen potenzielle Zuschauer sind ja nichts im Vergleich zu sieben oder acht Milliarden.“

SEO-Strategie sorgt für Traffic-Boost

Das neue Projekt startet schnell durch – offenbar auch, weil Osakwe sich vorab über Keyword-Optimierung für Googles und YouTubes Suchmaschine Gedanken gemacht hat. „Wir haben geschaut, was die wichtigsten Suchbegriffe sind, welche das meiste Volumen haben, so bei unseren Inhalten so viele relevante Suchbegriffe miteinander verknüpft wie möglich.“ Damit Google seine Inhalte höher rankt, lässt er eine eigene Website für das Projekt erstellen – für günstiges Geld in Indien. 83 Prozent des Traffics des Kanals wird durch Besucher erzeugt, die über YouTubes Video-Empfehlungen zu seinen Inhalten gelangt sind, so Osakwe.

Heute hat der YouTuber seine Redakteursstelle an den Nagel gehängt; der YouTube-Kanal ist seine Hauptteinahmensquelle. „Wir sind bei YouTube im Segment Kids Education in Deutschland auf Platz 5 und global in der Top 40.“ Seine Einnahmen dürften bislang im deutlich fünf-, vielleicht sogar sechsstelligen Bereich liegen. Er bekommt Anfragen von Multi-Channel-Networks, die mit ihm kooperieren wollen. „Wir werden den Kanal noch weiter ausbauen und professionalisieren, möglicherweise in Richtung 3D-Animation, so Osakwe.“ Auch ein zweiter Channel sei angedacht.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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