Diese kaum bekannte Firma ist 9,5 Milliarden Dollar wert und hat Airbnb & Uber als Kunden

Martin Gardt8.11.2018

Twilio will die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden revolutionieren – und sieht sich auch als Marketing-Helfer

Twilio
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Inhalt
  1. Immer im Gespräch
  2. Marketing von unten
  3. Konkurrenz zu SAP, Salesforce & Co.?
  4. Ein Rapper mit CRM-Geschäftsmodell
  5. In Deutschland noch unter dem Radar

Wer seinem Uber-Fahrer eine Nachricht schreibt, bei seinem Airbnb-Host nach der Adresse fragt oder bei DriveNow eine SMS mit dem Standort seines gemieteten Autos bekommt, der nutzt heute schon, ohne es zu wissen, die Technologie von Twilio. In Deutschland dürften nur wenige den Namen des Unternehmens kennen, doch es ist mittlerweile einer der größten Player in Sachen Kundenkommunikation. OMR hat mit Gründer Jeff Lawson darüber gesprochen, wie er das Millionen-Business aufgezogen hat und welche Marketing-Chancen cleveres Customer-Relationship-Management heute bietet.

Im Online Marketing ist CRM (Customer-Relationship-Management) immer wichtiger geworden. Vor allem weil die Kosten für Neukundengewinnung durch immer größere Konkurrenz auf den Plattformen weiter steigen. Direkter Kundenkontakt über Telefon, SMS, E-Mail oder was auch immer der Kunde wünscht, ist dabei unerlässlich. Und hier setzt Twilio an. Gründer und CEO Jeff Lawson hat eine Kommunikationsplattform aufgebaut, die es Firmen erlaubt, Telefonanrufe und den Versand von SMS komplett über die Cloud abzuwickeln und diese Services so in Apps und Webseiten einzubinden. Statt also selbst für die Kommunikationsinfrastruktur sorgen zu müssen, können Unternehmen alle Prozesse zu Twilio auslagern.

Immer im Gespräch

Twilio-CEO Jeff Lawson

Twilio-CEO Jeff Lawson (Foto: Twilio)

„Als wir gestartet sind, gab es eine Telefonnummer von jedem Unternehmen und diese konnten die Kunden dann anrufen. Heute erreichen Firmen Nachrichten über Messenger, SMS oder Sprachassistenten wie Alexa und Google Home“, sagt Twilio-CEO Jeff Lawson zu OMR. „Die führenden Unternehmen der Welt haben erkannt, dass sie es ihre Kunden ermöglichen müssen, sie auf dem Weg zu erreichen, den sie wollen.“ 2008 gründet Lawson Twilio gemeinsam mit John Wolthuis und Evan Cooke. Die Vision: Call-Center in den Unternehmen durch einen Cloud-Dienst ersetzen. In den zehn Jahren seines Bestehens passt sich das Unternehmen immer wieder den neuen Kommunikationstrends an und bietet Unternehmen heute die Möglichkeit, über die Cloud-API Telefonanrufe, SMS, Video-Calls, Whatsapp und andere Dienste in eigene Anwendungen einzubinden. 

Schon früh glauben namhafte Investoren an das Projekt: Von 2009 bis 2013 generiert Twilio im Rahmen mehrerer Investitionsrunden ein Funding in Gesamthöhe von 103 Millionen US-Dollar. Zu den Investoren zählen Chris Sacca, Union Square Ventures und Draper Fisher Jurvetson. Heute stehen Investments von über 260 Millionen US-Dollar zu Buche. Im Juni 2016 folgt der Börsengang, der Kurs ist aktuell mehr als doppelt so hoch wie am Erstausgabetag. Der Börsenwert von Twilio liegt bei rund 9,5 Milliarden US-Dollar.

2017 machte Twilio knapp 400 Millionen US-Dollar Umsatz, in den ersten drei Quartalen 2018 steht bereits ein Umsatz von über 440 Millionen Dollar zu Buche. Lawson geht deshalb ganz sicher davon aus, 2018 die 500-Millionen-Umsatz-Marke zu überbieten, die Ausgaben der Kunden seien zwischen 2017 und 2018 um 137 Prozent gestiegen. Über 60.000 Unternehmen nutzen Twilio aktuell, um mit ihren Kunden zu kommunizieren. Die Anforderungen sind dabei extrem unterschiedlich: Uber verschickt über Twilio SMS an Nutzer, die eine Fahrt buchen, und erlaubt Telefonate zwischen Fahrer und Kunde, ohne dass Telefonnummern angezeigt werden müssen. Delivery Hero (Lieferheld) meldet Kunden per SMS, wann ihre Essensbestellung da ist. Nutzer der Video-Plattform Twitch oder des Cloud-Storage-Anbieters Box bekommen über Twilio eine SMS, wenn sie Zwei-Faktor-Authentifizierung für ihre Account-Anmeldung ausgewählt haben. Und Retailer wie Nordstrom oder Nike verschicken Nachrichten, wenn neue Kollektionen auf den Markt kommen.

Marketing von unten

Aber wie ist Twilio überhaupt an 60.000 B2B-Kunden, die zum Teil Marktführer, aber auch kleinere Startups sind, gekommen? Das Unternehmen startet nicht mit den Chefs, sondern den Technikern der Unternehmen: „Entwickler sollen uns entdecken, ihnen wollen wir schließlich die Arbeit erleichtern“, sagt CEO Lawson. „Entwickler können mit Twilio Prototypen bauen und diese dann ihren Geschäftsführern zeigen.“ So lande Twilio im Kopf der Entscheider. Aus Prototypen werden dann Apps und Anwendungen, die im Vertrieb, internen Abläufen oder CRM helfen. Das Unternehmen platziert sich als Helfer in der Entwickler-Community und veranstaltet zum Beispiel die Signal-Conference, zu der gerade im Oktober wieder 3.000 Developer gekommen sind.

Auf diese Marketing-Strategie ist auch das Geschäftsmodell von Twilio angepasst. Jeff Lawson bezeichnet es als „Pay-as-you-go“-Modell, bei dem die Kunden stets auf Grundlage der Nutzung von Twilio zahlen. So kosten eingehende Anrufe über die Plattform ab 0,0085 US-Dollar pro Minute, ausgehende Anrufe 0,013 Dollar pro Minute. Eine SMS kann für 0,0075 Dollar versendet werden und eine Whatsapp-Nachricht kostet 0,0042 Dollar. Damit hänge der Erfolg von Twilio laut Lawson auch immer am Erfolg der Kunden.

Twilio bietet dabei sehr verschiedene Services. Da gibt es Tools wie Zwei-Faktor-Authentifizierung oder Zuordnung von einkommenden Anrufen an den richtigen Ansprechpartner. Erinnerungen an Termine oder Kommunikation zwischen Kunde und Unternehmen über eine Twilio-Telefonnummer dienen internen Prozessen in Unternehmen. Und dann finden Kunden bei Twilio noch CRM-Tools wie Benachrichtigungen über neue Produkte an bestimmte Kunden oder Call Tracking, um zu erkennen, von welchem Touchpoint aus Kunden mit dem Unternehmen in Kontakt treten.

Konkurrenz zu SAP, Salesforce & Co.?

Mit dem eigenen CRM-Produkt tritt Twilio auch in Konkurrenz zu klassischen SaaS-Anbietern wie SAP oder Salesforce – wobei letzteres sogar in das Unternehmen investiert ist und die Plattform eher als Erweiterung der eigenen Services verstehen dürfte. Auch wenn der Umfang von den SAP- und Salesforce-Tools noch einmal größer ist, ließe sich Twilio laut Gründer Lawson umso kreativer einsetzen. So würden einige Kunden die Plattform zur Attribution nutzen: Die Unternehmen geben dazu auf verschiedenen Webseiten unterschiedliche Telefonnummern an und können so tracken, wie die Nutzer dazu gekommen sind, anzurufen. So hat das US-Makler-Startup Trulia jedem seiner Makler auf Kampagnenseiten neue Telefonnummern verpasst, die dann auf die echte Nummer weitergeleitet werden. So kann der Erfolg der individuellen Kampagne gemessen werden.

Einen weiteren kreativen Ansatz, Kommunikationstools aus der Cloud einzusetzen, hat die „Parkinson’s Voice Initiative“ gefunden. Die nutzt die Twilio-Plattform, um Anrufe von Menschen aufzuzeichnen, die vermutlich Parkinson haben, nimmt diese auf und wertet sie aus. Mit 98 prozentiger Sicherheit könnten die Forscher dann bestimmen, ob der Anrufer erkrankt sei. „Ich bin immer wieder überrascht, wofür unsere Kunden die technischen Möglichkeiten einsetzen“, sagt Twilio-Gründer Lawson. 

Ein Rapper mit CRM-Geschäftsmodell

Aus einer etwas ungewohnten Ecke kommt ein weiterer kreativer Case: Der US-Rapper Ryan Leslie (u.a. war er schonmal für einen Grammy nominiert) hat auf Basis von Twilio seine eigene Firma „Superphone“ aufgebaut. Leslie hatte sich, wie er auch im englischsprachigen OMR Podcast erzählt, gefragt, wie er seine Fans direkter ansprechen und genauer tracken kann, wer für seine Musik und sein Merch bezahlt. Er baut eine App auf Twilios Plattform und gibt Konzertbesuchern und Albenkäufern seine „Telefonnummer“. Wer diese anruft bekommt eine Nachricht mit einem Link zur Anmeldung in Leslies Superphone und kann dann Nachrichten an ihn schicken.

Superphone-App

Die Superphone-App

Die App sortiert die Nachrichten, die an Leslie geschrieben werden, sodass er immer den Überblick behält und auch die Kontakte nach Standort oder Branche. So konnte er zum Beispiel herausfinden, welche Fans bereit sind, 1.700 US-Dollar für ein Neujahrskonzert in kleiner Runde zu zahlen. Oder er schreibt ihnen einfach direkt, wenn sein neues Album rauskommt – inklusive Kauflink. Mittlerweile hat Leslie über vier Millionen US-Dollar an Investitionen gesammelt (unter anderem von Ben Horowitz) und prominente Kollegen für sein Unternehmen begeistert. US-Rapper Lil Wayne nutzt Superphone genauso wie das Label Atlantic Records für Künstler wie Cardi B oder Matchbox 20. Obwohl Leslie daraus ein eigenes Unternehmen gebaut hat, nutzt er weiterhin Twilio zum Versenden der Nachrichten innerhalb der App.

In Deutschland noch unter dem Radar

Schon 2014 hat Twilio groß angekündigt, in Deutschland durchstarten zu wollen. Und zumindest große Player sind seitdem an Bord. Unter anderem nutzt BMW Twilio-Tools, um Nachrichten direkt vom Bordcomputer zu verschicken. Delivery Hero sendet, wie bereits beschrieben, über Twilio SMS mit der voraussichtlichen Lieferzeit an Kunden und Telefonica ist in Deutschland Partner in Sachen Rufnummern

„Wir wollen jetzt in Deutschland noch einmal aggressiv expandieren“, sagt Lawson. In Berlin und München sitzen aktuell 20 Mitarbeiter, 50 sollen demnächst im neuen Berlin-Office dazukommen. „Die Wachstumschancen sind da“, sagt der Twilio-CEO. „In Berlin sitzen viele Startups und rund um München sitzen Traditionsunternehmen, die immer digitaler werden.“ Mit dem Fokus auf die USA ist das Unternehmen ja heute schon über neun Milliarden US-Dollar an der Börse wert. Mit weiteren Kunden aus der ganzen Welt, will Lawson noch weiter stark wachsen. „Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von APIs, in den nächsten zehn Jahren wird sich alles um AI drehen“, sagt er. Bots würden immer cleverer werden und automatisierte Kommunikation immer besser. Da werde Twilio weiterhin mitspielen.

AICRM
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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