Das „Bayern München“ der TV-Produzenten kommt aus Köln

Banijay-Germany-Chef Marcus Wolter über TV, Tiktok und Talentsuche im Streaming-Zeitalter

Marcus Wolter, CEO und Gesellschafter von Banijay Germany, bei der OMR Podcast-Aufnahme mit Philipp Westermeyer
Marcus Wolter, CEO und Gesellschafter von Banijay Germany, bei der OMR Podcast-Aufnahme mit Philipp Westermeyer

Stefan Raab, Heike Makatsch, Matthias Opdenhövel, Lotto King Karl – sie alle sind nicht nur etablierte Größen im deutschen TV- und Entertainment-Biz. Diese Medienmenschen haben noch eine Gemeinsamkeit, die sie mit vielen weiteren bekannten Gesichtern der Branche teilen. Ganz am Anfang ihrer Karriere stand derselbe Mann: OMR Podcast-Gast Marcus Wolter – verhinderter Schlagerstar, dann Musik- und später TV-Produzent. Heute ist er Chef von Banijay Germany, dem deutschen Ableger des weltgrößten unabhängigen Content-Produktionsunternehmens.

Seit 2018 baut Wolter mit Banijay Deutschland eine der wichtigsten Landesgesellschaften des 2008 in Paris gegründeten und heute in neun Ländern aktiven Content-Giganten auf. Die übergeordnete Banijay Group machte im Jahr 2022 3,2 Milliarden Euro Umsatz. Rund zehn Prozent entfallen auf die deutsche Banijay-Tochter, erklärt Wolter im OMR Podcast.

Banijay Germany produziert unter anderem die Formate „The Masked Singer“, „Schlag den Star“, „TV Total“, „Promi-Big-Brother“, „Temptation Island“, „Wer wird Millionär“ und „DHDL“. Durch prominente Übernahmen ist das Unternehmen in nur fünf Jahren zum deutschen Marktführer gewachsen. Die von Stefan Raab gegründete Brainpool gehört inzwischen zu Banijay. Ebenso Endemol Shine Germany, das Wolter vor seinem Wechsel als Geschäftsführer und Mitgesellschafter zum Banijay selbst als Manager aufgebaut hatte.

„Manufakturen in sportlicher Konkurrenz“

Als Content-Konzern will er das Unternehmen aber nicht verstehen. Er beschreibt Banijay Germany eher als eine Art Holding mit weitgehend selbständigen Töchtern. Firmenphilosophie sei, unter einem Dach „ganz unterschiedliche Manufakturen, die sich gegenseitig ergänzen und befruchten und auch in gewisser Weise in sportlicher Konkurrenz zueinander stehen“ zu vereinen, so Wolter. Und durch clevere Einkaufspolitik am Ende „eine Art Bayern München des Produzentenmarktes aufzubauen“.

Konkret bedeutet dieser Ansatz, den Wolter nicht erst seitdem er Banijay-Chef ist verfolgt, dass er mit aufstrebenden Produzent*innen gemeinsam Produktionsfirmen oder Joint Ventures gründet. In seiner Zeit bei Endemol Shine etwa den extrem erfolgreichen TV-Ableger des Produzentenduos Wiedemann & Berg („Dark“, „4 Blocks“).

TV-Sender noch immer wichtigste Kunden

Das Gespür für Talente – erst vor, später hinter der Kamera – und Konzepte zieht sich als roter Faden durch Wolters Karriere. In seiner Zeit als Musikproduzent castete er für einen Song den späteren Lotto King Karl. Als mit Viva ein deutscher Gegenspieler zu MTV entstehen sollte, war Wolter für die Auswahl der Moderator*innen verantwortlich und legte damit den Grundstein von TV-Karrieren, die inzwischen drei Jahrzehnte währen.

Jüngster Zuwachs in der Manufaktur-Familie. Tim Mälzer hat mit der Banijay-Tochter Endemol Shine im April 2023 die Produktionsfirma Potatohead Pictures gegründet.

Jüngster Zuwachs in der Manufaktur-Familie. Tim Mälzer hat mit der Banijay-Tochter Endemol Shine im April 2023 die Produktionsfirma Potatohead Pictures gegründet. Foto: Banijay

Nach Viva folgte ein Wechsel, der in der Branche für Verwunderung sorgte. Wolter ging nach München zum Call-in-Sender 9Live. Den trimmte er konsequent auf Gewinnspiele und machte den Sender so vom relativ konzeptlosen Verlustbringer zur Cashcow. „Wenn man in einem kreativen Business mit Regeln bricht, kann man viel erreichen“, fasst Wolter seine Erfahrung zusammen.

Wolters Karriere-Stationen sind eng mit dem klassischen linearen Fernsehen verwoben. Das gilt auch für das Content-Unternehmen, das er heute führt. TV-Sender bildeten nach wie vor mit Abstand die wichtigsten Kunden für Banijay, sagt Wolter im Gespräch mit Philipp Westermeyer. Wobei eine klare Abgrenzung immer schwieriger werde, denn alle Sender würden eigene Streaming-Plattformen betreiben. Und die seien mitunter bereits der wichtigere Kanal. Wolter nennt die Aufzeichnung einer Show des Comedians Felix Lobrecht als Beispiel. Im linearen TV enttäuschten die Zahlen. Auf der Streaming-Plattform des Senders sei die Show dagegen sehr gefragt gewesen.

„Tiktok ist ein Business für uns“

Auch die direkte Auswertung des eigenen Content-Backkatalogs gewinne an Bedeutung, sagt Wolter. Das Comedy-Format „Stromberg“ etwa erziele auf der Plattform My Spaß, die zu Banijay gehört, hohe Abrufzahlen. Soziale Medien und App-Plattformen würden ebenfalls immer wichtiger für sein Unternehmen werden. Banijay Germany habe inzwischen 18 Millionen Fans und Follower auf YouTube, Tiktok, Instagram und Facebook, so Wolter. Insbesondere Comedy Content performe dort gut. Der eigene Tiktok-Kanal von Banijay Germany erziele bereits 30 Millionen monatliche Views. „Das ist keine Koexistenz“, sagt Wolter. „Das ist ein Business für uns.“

Warum Wolter vom „ehrbaren Berufsbild des Reality Stars“ spricht, wo er selbst die moralischen Grenzen des Genres zieht und warum selbst Twitch-Giganten wie Knossi und Montana Black der Sprung ins TV schwer fällt – das sind nur einige der Themen dieses sehr ausführlichen Ritts durch die jüngere deutsche TV- und Streaming-Geschichte mit Banijay-Deutschlandchef Marcus Wolter.

Über diese Themen spricht Marcus Wolter im Podcast:

  • (00:02:29) Eigene Musiker-Karriere gefloppt, dafür Lotto King Karl erfunden
  • (00:05:40) Der Weg ins TV und zum Moderator*innen-Macher von Viva
  • (00:10:04) Sein Gang nach München zum Call-in-Sender 9Live
  • (00:15:04) Der Wechsel zum deutschen Endemol-Ableger
  • (00:21:29) Welcher finanzielle Aufwand hinter TV-Shows steckt
  • (00:23:14) Nächste Station: vom Manager zum Unternehmer
  • (00:32:37) Die Auswirkungen der Krise der TV-Sender
  • (00:35:55) Die erfolgreichsten Formate im Banijay-Portfolio
  • (00:42:28) Wie er zu einem IPO und Exit steht
  • (00:44:07) Die wichtigsten Produktionsfirmen in Deutschland
  • (00:47:27) Seine Sicht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
  • (00:49:12) Tiktok als Konkurrent um Aufmerksamkeit
  • (00:51:08) Scouting neuer Talente im Streaming-Zeitalter
  • (01:01:00) Gute Renditen im Business und Formatentwicklung
  • (01:06:10) Kardashians, Geissens und das Berufsbild Reality Star
  • (01:13:56) Welche Formate er selbst am liebsten konsumiert
  • (01:15:52) Kritik an Reality-TV und selbst auferlegte Grenzen
  • (01:18:43) Der „Tabubruch Big Brother“ und die Folgen
  • (01:20:29) Die Kreation neuer Ideen und Formate
  • (01:22:32) Stefan Raab als Ausnahmetalent der Branche
  • (01:24:31) Wieso Felix Lobrecht sich im TV rar macht
  • (01:26:08) Die Kontroverse um Luke Mockridge

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BanijayContentStreamingTV
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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