Der Cinemaxx-CEO über das Geschäftsmodell Kino und wie Covid die Branche verändert hat

Torben Lux27.7.2022

Frank Thomsen erklärt im OMR Podcast, wie Kinos abseits von Filmen schon heute Geld verdienen

Frank Thomsen Cinemaxx OMR Podcast
Cinemaxx-CEO Frank Thomsen (r.) und Philipp Westermeyer in der Podcast-Kabine im OMR Office.

Ende Januar 2020 tritt Frank Thomsen den Job als CEO bei der deutschen Kinokette Cinemaxx an. Wenig später steht der weltweite Kino-Betrieb dank der Covid-Pandemie still und der Streaming-Markt boomt. Bis heute arbeitet das Unternehmen die Folgen von monatelangen Schließungen auf. Was Thomsen während dieser Phase gelernt hat, welche Entwicklungen ihn optimistisch stimmen und wie sich das Geschäftsmodell Kino verändern könnte, verrät er im aktuellen OMR Podcast.

„In Deutschland waren die Kinos ab dem 17. März geschlossen. Ich habe dann einen Brief an den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschrieben“, beschreibt Frank Thomsen seine erste richtig große Aufgabe als CEO bei Cinemaxx. Erst wenige Wochen zuvor hatte er die Rolle des CEO übernommen, war vorher schon Finanzchef und unter anderem fast acht Jahre beim Handelskonzern Tchibo. Dann brach die Covid-Pandemie aus.

Wie im gesamten restlichen Kulturbetrieb muss schlagartig alles dicht gemacht werden und alle Einnahmen brechen weg. Auch Hollywood steht still, Produktionen werden pausiert und Premieren aufgeschoben. „Am Ende wurde uns die Geschäftsgrundlage genommen“, sagt Thomsen. Als ab Mitte Mai unter Auflagen, die jeweils von den Regierungen der jeweiligen Bundesländer aufgestellt werden, Kinos wieder öffnen können, geschieht das auch bei Cinemaxx-Standorten nach und nach. „Es ist ja nicht so, als würden wir eine kleine Boutique aufmachen“, sagt CEO Thomsen. „Wir haben wirklich hochkomplexe Spezial-Immobilien mit 50 Mitarbeitenden und mehr wieder hochgefahren.“

Mit dem Rücken zur Wand

Die Hoffnung, dass zu diesem Zeitpunkt bereits das Gröbste überstanden ist, ist groß. „So sind wir dann in den Sommer 2020 gegangen. Das war hochemotional“, erinnert sich Frank Thomsen. Entsprechend hart trifft dann auch Cinemaxx die zweite Welle im Herbst – und die acht Monate kompletter Stillstand, die folgen. Weltweit können Verleiher ihre Filme nicht mehr zeigen. Das habe zu disruptiven Effekten auf das Geschäftsmodell geführt, so Thomsen.

Erste Studios veröffentlichen ihre Filme auf den eigenen Streaming-Plattformen; zum Beispiel „Mulan“ auf Disney+ und „Wonder Woman 1984“ auf Warners HBO Max. „Ich kann das ja am Ende verstehen“, gesteht Cinemaxx-Chef Thomsen. Und hätte er auf der anderen Seiten gesessen und Produktionskosten vorfinanzieren müssen, hätte er vermutlich dieselbe Entscheidung getroffen. „Aber für ein Kino-Geschäftsmodell ist das natürlich nicht gut“, sagt er. Insgesamt habe es solche Streaming-Premieren aber nur bei einer Handvoll Filmen gegeben. Und der Effekt, da ist sich Thomsen sicher, sei auch umkehrbar. Ein schwächelndes und aktuell deshalb an einem Werbemodell arbeitendes Netflix scheint ihm Recht zu geben.

Der Weg aus der Krise

Auch dank staatlicher Hilfen schafft es Cinemaxx durch den langen zweiten Lockdown. „Wir hatten das Glück, dass wir aus einem enorm starken vierten Quartal 2019 in die Pandemie reingegangen sind“, erklärt Frank Thomsen. Denn die Hilfeleistungen orientieren sich am Umsatz des Corona-Vorjahreszeitraums. Das Jahr 2020 geht für das Unternehmen trotzdem hochdefizitär aus. 2021 habe dann schon wieder etwas besser ausgesehen; ab der Wiedereröffnung im Juli 2021 sei man sofort wieder profitabel gewesen.

Das Ziel für Frank Thomsen sei aber, so schnell wie möglich den Stand vor der Pandemie zu erreichen. Rund 200 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete das Unternehmen in 2019. Und unter normalen Bedingungen, wenn man es gut mache, könne man „eine sehr erfreuliche zweistellige Ebitda-Marge“ verdienen. So zäh, wie man angesichts des Streamings-Zeitalters meinen könnt, scheint das Geschäftsmodell Kino doch nicht zu sein. „Das Kino-Sterben gibt es schon, seitdem ich ein Kind war“, sagt Frank Thomsen.

Mehr als nur Filme

Die Zahl der Kinos, in Deutschland sind es ingesamt rund 1.700, sei dabei seit Jahren recht stabil. Etwa 170 davon seien Multiplex-Kinos, also Locations mit mehreren Sälen. Cinemaxx selbst betreibt davon 30 Stück plus ein Arthouse-Kino. Bis 2014 war das Unternehmen börsennotiert, im Zuge der Übernahme durch den britischen Kinobetreiber Vue folgte dann das Delisting. Der Konzern unterhält rund 230 Kinos in Europa, davon etwa 90 in England und Irland, Ketten in Polen, Italien, den Niederlanden, Dänemark – und mit Cinemaxx in Deutschland.

Und obwohl Filme das Kerngeschäft sind und auch weiterhin bleiben sollen – die großen Blockbuster sorgen laut Thomsen für weit mehr als 50 Prozent des Umsatzes – will man das Business diversifizieren. Als beispielsweise die K-Pop-Band BTS Anfang des Jahres zum ersten Mal seit Corona ein Konzert in Seoul spielte, bot Cinemaxx deutschlandweit ein Live-Viewing an. 15.000 junge Menschen haben das Angebot für 25 Euro wahrgenommen – und seien so natürlich auch in Kontakt mit der Marke Cinemaxx und der Kino-Erfahrung gekommen. „Die Zukunft wird sein, alternativen Content zu stärken“, sagt Thomsen.

Amazon als direkter Wettbewerber

Neben Konzerten sei noch viel mehr möglich. Uni-Veranstaltungen, freie Gottesdienste, Gaming. Letzteres steckte laut Thomsen zwar noch in den Kinderschuhen, aber man beschäftige sich sehr intensiv mit den Möglichkeiten, die die Immobilien – die übrigens ausschließlich angemietet sind – bieten. „Events und Conferencing sind sehr naheliegend. Vielleicht haben wir aber noch ganz andere Ideen“, so Thomsen. „Die Auslastung der Säle ist bis 14 Uhr gen null, wir zahlen aber Miete. Also muss da Geschäft stattfinden. Und das entwickeln wir jetzt.“

Um die Attraktivität unabhängig vom Film oder anderweitigen Programm zu steigern, investiert das Unternehmen seit einigen Jahren unter anderem auch in Luxusledersessel. Die würden zwar dafür sorgen, dass langfristig weniger Menschen in einen Saal passen, gleichzeitig aber auch ermöglichen, höhere Eintrittspreise verlangen zu können. „Ich sehe uns am Ende auch als Händler“, sagt CEO Frank Thomsen. „Mit klarem Fokus auf das Produkt Film natürlich. Aber ich sehe schon viele Parallelen zu meiner Tchibo-Zeit.“ Vielleicht nennt er deshalb auch als einen Wettbewerber nicht andere bestehende Ketten, sondern Amazon: „Die haben das Kinogeschäft zunehmend im Auge. Das ist eine These, die ich vertrete.“

Weshalb Frank Thomsen nicht davon überzeugt ist, die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft in Katar Ende des Jahres in Kinos zu zeigen und wie wichtig Snacks und Getränke für das Geschäftsmodell Kino sind, hört Ihr in der aktuellen Folge des OMR Podcasts.

Alle Themen des OMR Podcasts mit Cinemaxx-CEO Frank Thomsen im Überblick:

  • Cinemaxx und Vue, die Entwicklung des Kino-Marktes und die Corona-Folgen (00:04:30)
  • Filmpremieren auf Streaming-Plattformen, Kontakt zur Politik staatliche Hilfen (00:13:30)
  • Preispolitik, Kinomärkte im Ausland und Fußball-Übertragungen sowie Konzerte in Kino-Sälen (00:23:00)
  • Komplette Umrüstung, Auslastungssteuerung wie bei Flugzeugen und die Stärke des deutschen Films (00:33:00)
  • Gründe für den Wertverlust von Netflix und mögliche Kinopläne von GAFA (00:41:40)
  • Die Rolle von Kinowerbung, ein mögliches 3D-Comeback mit Avatar und der Aufschwung von Originalversionen (00:50:00)
  • Personal-Amplituden, große Kinos in kleinen Städten und die Macht von Franchises (01:01:30)
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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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