Kampf um die Käufer: Mit dieser zweifelhaften Praktik will Amazon Klicks von Google klauen
Wie Amazon den „Assistant“ mit Macht in den Markt drückt
- Nutzer, die Amazons offizielle Browser-Erweiterung „Amazon Assistant“ benutzen, dürften sich seit Kurzem wundern, wenn sie bei Google nach Produkten suchen. Denn oberhalb der regulären Suchergebnisse blendet die Software nun Produktempfehlungen von Amazon ein – und versucht so, Nutzer von Google und anderen Shops wegzulenken. Besonders pikant: Viele Nutzer haben sich den „Amazon Assistant“ noch nicht einmal bewusst installiert, sondern diesen untergejubelt bekommen.
- Tausende versuchen verzweifelt, den „Assistant“ zu entferne
- So gläsern macht der „Assistant“ die Nutzer
- Ad-Injections in Googles Suchergebnissen
- Oracle und Acer treiben Amazon die Nutzer in die Arme
- Ist auch Microsoft mit an Bord?
- Amazon zahlt jedem Nutzer fünf Euro
- Hat Amazon Google in Sachen Produktrecherche überholt?
- Mindestens sechs Millionen Nutzer weltweit
Nutzer, die Amazons offizielle Browser-Erweiterung „Amazon Assistant“ benutzen, dürften sich seit Kurzem wundern, wenn sie bei Google nach Produkten suchen. Denn oberhalb der regulären Suchergebnisse blendet die Software nun Produktempfehlungen von Amazon ein – und versucht so, Nutzer von Google und anderen Shops wegzulenken. Besonders pikant: Viele Nutzer haben sich den „Amazon Assistant“ noch nicht einmal bewusst installiert, sondern diesen untergejubelt bekommen.
„Meine Schwester hat den Laptop meiner Mutter mit einem Amazon-Assistant-Virus infiziert und meine Mutter ist kurz davor, sie umzubringen“, schreibt eine vermutlich junge Nutzerin auf Twitter vor zwei Monaten. Und sie ist nicht die einzige mit dieser Erfahrung.
Tausende versuchen verzweifelt, den „Assistant“ zu entfernen
Verbreitet Amazon wirklich einen Computervirus? Eigentlich will der E-Commerce-Gigant mit dem „Assistant“ nach eigener Darstellung (hier die deutschsprachige Website) die Nutzung von Amazon erleichtern. Die Nutzer können mit dem Tool beispielweise Produkte ihrer „Amazon Wishlist“ hinzufügen, ohne dafür die Amazon-Seite ansurfen zu müssen, sie erhalten Infos über das Angebot des Tages und sollen auch auf anderen Websites die Preise dort mit denen von Amazon vergleichen können.
Doch offenbar ist nicht nur die bemitleidenswerte Jugendliche bei Twitter wenig glücklich über den Dienst, sondern auch viele andere Nutzer. Eine Twitter-Suche nach entsprechenden Keywords bringt viele Tweets vergleichbaren Tenors zutage: Der „Amazon Assistant“ habe sich von einem Tag auf den anderen plötzlich auf dem eigenen Rechner gefunden und störe seitdem mit Pop-ups, Fehlermeldungen und anderen Unannehmlichkeiten. Wer bei Google nach aa.hta sucht (dem Dateinamen von Amazons Browser-Add-on), dem werden 483.000 Ergebnisse angezeigt – viele davon sind entweder Foreneinträge, in denen Nutzer, die den Assistant loswerden wollen, Hilfe suchen, oder es sind Anleitungen, in denen genau dies erklärt wird.
So gläsern macht der „Assistant“ die Nutzer
Angefangen hat der Ärger offenbar bereits Anfang vergangenen Jahres. Kurz zuvor hatte Amazon noch das Feature „Add to Amazon Wishlist“ angeboten. Die Nutzer mussten dafür offenbar nur einen Bookmark im Browser setzen. Doch dann stellte Amazon den Dienst ein – und ersetzte diesen durch den „Amazon Assistant“, eine Browser-Erweiterung, über die Amazon viel mehr Daten über die Nutzer erhält.
Verfügbar ist der Assistant aktuell für die Browser Chrome, Firefox und Microsoft Edge (der Nachfolger des Internet Explorer). Die Firefox-Version verweist bei Installation vorab per Pop-up und Link lediglich auf die Nutzungs-AGB des Tools. Chrome-Nutzern wird zumindest vorab per Pop-up-Opt-in deutlich gemacht, wie viele Daten sie Amazon durch die Nutzung übermitteln. Im Grunde kann Amazon alles mitprotokollieren, was der Nutzer im Browser eingibt und tut.
Ad-Injections in Googles Suchergebnissen
Wer das Plug-in dann installiert hat, dem werden fortan bei Suchen nach konkreten Produkten innerhalb von Google auch Amazon Produkte als „Top Empfehlungen“ angezeigt. Google dürften damit häufig im wirklichen Wortsinn wertvolle Klicks verloren gehen. Denn bei so genannten „transaktionnahen Suchen“ dürften besonders häufig Adwords-Anzeigen ausgespielt werden, bei denen die Werbetreibenden Google für jeden Klick bezahlen.
Tweets lassen darauf schließen, dass der „Amazon Assistant“ bei US-Nutzern auch Empfehlungen ausspielt, wenn diese in anderen Online-Shops nach Produkten suchen – beispielsweise beim Elektronikhändler Bestbuy. In Deutschland geht Amazon (zumindest aktuell noch) nicht auf diese Weise vor – zumindest zeigte dies ein Stichprobentest von OMR auf den Seiten von Otto, Zalando, idealo und Conrad Electronic.
Oracle und Acer treiben Amazon die Nutzer in die Arme
Doch kann Amazon mit einer Browser-Erweiterung, die traditionell (zumindest gezielt) eher von technik-affinen Usern genutzt werden, wirklich relevanten Traffic erzeugen und damit Masse generieren? Offenbar ist der E-Commerce-Gigant mehrere „Vertriebskooperationen“ eingegangen, in deren Rahmen große Konzerne Amazon dabei helfen, den Nutzern die Software unterzujubeln. Wer sich beispielsweise vom US- Unternehmen Oracle Java-Software installiert, die u.a. für manche Spiele oder interaktive Web-Anwendungen notwendig ist, der lädt sich automatisch den Assistant mit herunter – wenn er die Option nicht deaktiviert. Zudem wird die „Amazon Web Search“ automatisch als Startseite des Browsers eingestellt. Diese ist zwar „powered by Google“. Trotzdem dürfte Amazon damit Zugriff auf Daten erhalten, die sonst nur Google bekäme.
Mit der Kooperation hat sich Amazon eine beachtliche potenzielle Reichweite eingekauft: Wie Oracle während der Installation mitteilt, ist Java weltweit angeblich auf drei Milliarden Geräten installiert.
Eine weitere Partnerschaft besteht offenbar zwischen Acer und Amazon: Entsprechende Tweets und Foreneinträge lassen darauf schließen, dass der „Amazon Assistant“ mittlerweile auch auf Rechnern des taiwanesischen Unternehmens vorinstalliert ist – im Jahr 2016 immerhin der sechstgrößte PC-Hersteller weltweit.
Ist auch Microsoft mit an Bord?
Einige Tweets, Foren- und Blog-Einträge werfen die Frage auf, ob sogar Microsoft für Amazon den Vertriebshelfer spielt. Bei Reddit schreibt ein Nutzer, dass der „Amazon Assistant“ plötzlich auf seinem Rechner installiert war. Cate Eales betreibt im kanadischen Kelowna einen kleinen Laden, in dem sie ihren Kunden bei Computerproblemen hilft. In ihrem Blog schreibt sie im Juni dieses Jahres: „Die vergangenen zwei Wochen waren ein wilder Ritt, mit ungewollten Pop-ups in normalen Programmen.“ Diverse Kunden hätten sich bei ihr wegen einer Windows-10-App namens Amazon Assisant gemeldet. „Ich weiß nicht, wer da was geupdatet hat – Microsoft oder Amazon –, aber etwas ist mit dieser App drunter und drüber gegangen, und es nicht leicht, sie loszuwerden.“
Amazon zahlt jedem Nutzer fünf Euro
Ob Microsoft hier wirklich für Amazon Steigbügelhalter gespielt hat, ob vielleicht doch Acer für diese Updates verantwortlich war, oder ob hier ein Fehler auf Nutzerseite vorliegt, lässt sich von außen kaum nachvollziehen. Auffällig ist in jedem Fall, dass Microsoft im Juli für Amazon PR gemacht und für den Launch der Microsoft-Edge-Version des „Amazon Assistant“ auch in einer Pressemitteilung getrommelt hat.
Außer über die Vertriebskooperationen pusht Amazon den „Assistant“ auch über die eigenen Kanäle, beispielsweise per Browser-Push-Nachricht an jene Kunden, die Amazon diese Kontaktaufnahme erlaubt haben.
Hat Amazon Google in Sachen Produktrecherche überholt?
Darüber hinaus hat Amazon seine deutschen Kunden in den vergangenen Wochen mit einem Gutschein über fünf Euro davon zu überzeugen versucht, den „Assistant“ zu installieren. Durch eine kurzef Recherche bei Twitter und Google lassen sich Links zu Artikeln in Schnäppchenblogs über vergleichbare Aktionen in englischer, französischer, spanischer und deutscher Sprache finden. Offenbar hat Amazon weltweit in fast allen relevanten Märkten ähnliche Incentives geboten.
Die Offensive dürfte Amazon also einiges kosten – ein Beleg dafür, dass Amazon den Kampf mit Google um die Vormachtstellung über die Online-Käufer keinesfalls aus der Hand geben möchte. Innerhalb der vergangenen Jahre ist Amazon auf diesem Feld offenbar sowieso bereits nahezu an Google vorbeigezogen. In den USA starten bereits 55 Prozent der Verbraucher ihre Produktsuche bei Amazon, in Deutschland sollen es aktuell 45 Prozent sein. Wenn die Nutzer Produkte gleich auf Amazon suchen und dabei Google gar nicht mehr aufrufen, geht dem Unternehmen aus Mountain View wertvoller Traffic verloren.
Mindestens sechs Millionen Nutzer weltweit
Dazu, wie viele Nutzer den „Amazon Assistant“ insgesamt installiert haben, gibt es keine offiziellen Informationen. Die Download-Seite der Chrome-Erweiterung beziffert die Zahl der Nutzer auf 5,5 Millionen. Tweets zeigen, dass die Zahl vor einem halben Jahr noch bei 3,5 Millionen Nutzern gelegen haben soll. Die jüngste Firefox-Version der Erweiterung sollen 404.000 User installiert haben – unklar ist, ob Mozilla hier nur die Nutzer der aktuellen Version ausweist und es möglicherweise noch andere User gibt, die die ältere Version installiert haben. Microsoft weist für die Edge-Add-ons keine Nutzungszahlen aus. Sicher ist in jedem Fall, dass aktuell rund sechs Millionen Menschen den Amazon Assistant nutzen – und damit sicher häufiger auf Amazon einkaufen, als sie es ohne täten.