Von der alleinerziehenden Mutter zur Amazon-Bastelzubehör-Sellerin mit 800.000 Euro Umsatz

Annemarie Raluca Schuster verrät beim OMR Festival ihre "Amazon Pro Hacks"

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Annemarie Raluca Schuster (Foto: privat)
Inhalt
  1. Zwei Jahre lang Zwangspause
  2. Der erste Versuch scheitert
  3. Start auf Dawanda zum Höhepunkt des Handmade-Booms
  4. „Ich konnte gar nicht glauben, wie viel wir auf Amazon verkauften“
  5. Von der IT’lerin zur Amazon-SEO-Expertin
  6. Das Wohnzimmer platzt aus allen Nähten
  7. „Ich habe nichts an Agenturen outgesourcet“
  8. „Ohne Werbung geht es nicht mehr“
  9. Von der Händlerin zur Beraterin
  10. Ein Jahr lang auf Achse

Über Amazon im Alleingang und mit wenig Kapital ein profitables Unternehmen aufbauen – das ist aktuell wohl der Traum von Vielen in der Online-Marketing-Branche. Annemarie Schuster ist mit Siaura Material genau das gelungen – aus einer Zwangssituation heraus. 2011 muss sie wegen einer unerwarteten Schwangerschaft ihre bisherigen Karrierepläne an den Nagel hängen und beginnt deswegen damit, aus ihrer Privatwohnung heraus Bastelzubehör zu verkaufen. Heute beschäftigt sie elf Mitarbeiter und ist auf dem Weg zu einer Million Euro Jahresumsatz. Vor ihrem Vortrag beim OMR Festival hat sie uns ihre Geschichte erzählt.

Es ist ein ereignis- und abwechslungsreiches Leben, das Annemarie Schuster in ihren Zwanzigern führt. Nach abgeschlossenem Informatikstudium arbeitet sie als IT’lerin für Unternehmen wie Apple, die Telekom und O2 in verschiedenen deutschen Großstädten, meist immer nur für zwei Jahre. „Ich wollte am liebsten bei den größten Firmen arbeiten, Erfahrung sammeln und vieles aus meinem Bereich kennenlernen“, so die heute 35-Jährige im Gespräch mit OMR. Nach einigen Jahren wechselt sie in eine komplett andere Branche – und geht zum Film. „Das Gehalt war niedriger, aber Geld war nie ein Ansporn für mich. Ich wollte einfach immer was Neues ausprobieren und habe eine persönliche Leidenschaft für Film.“ So übernimmt sie in den Babelberger Filmstudios am Set der RTL-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ die Aufnahmeleitungsassistenz und arbeitet teilweise 14 Stunden am Tag.

Zwei Jahre lang Zwangspause

Eigentlich will sie sich damit für spätere Jobs bei Kinofilmproduktionen qualifizieren – bis sie ungeplant schwanger wird. Ihr damaliger Partner ist schwer krank und gilt deswegen nach Meinung von Ärzten als zeugungsunfähig – eine offensichtliche Fehleinschätzung. „Ich dachte: ‚Okay, dann muss ich mein Leben jetzt ändern.'“ Über ihre Entscheidung, das Kind zu bekommen, zerbricht ihre Beziehung mit dem Kindsvater. Weil ihre Eltern zu der Zeit im Ausland leben, zieht sie von Berlin zurück nach Mainz, wo sie noch viele Freunde aus der Schul- und Studienzeit hat.

„Ich wusste, dass ich erst einmal zwei Jahre zu Hause bleiben muss“, sagt Schuster. In Rheinland-Pfalz gibt es Kindergartenplätze erst für zweijährige Kinder. Eine Rückkehr in einen ihrer alten Jobs ist auch danach ausgeschlossen. „Das hätte von den Arbeitszeiten her nicht zusammen gepasst und ich hätte nicht von zu Hause aus arbeiten können.“ Ein Jahr lang sei sie mit ihrer Tochter gut beschäftigt gewesen. „Dann habe ich ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken darüber gefunden, was ich machen könnte.“

Der erste Versuch scheitert

Ihren ersten Versuch, etwas Eigenes aufzubauen – ein T-Shirt-Label – steckt sie schon nach drei Monaten wieder auf. „Ich hatte mir den Markt und die Wettbewerbssituation überhaupt nicht angesehen. So wusste ich nicht, dass das Segment bei Amazon total überlaufen ist, oder dass ich dafür hätte Messen besuchen müssen, wofür ich mit dem Baby überhaupt keine Zeit gehabt hätte.“

Im zweiten Anlauf will sie es deswegen besser machen. „Ich habe einfach geschaut, welche Nischen es gibt, die noch nicht so dicht besetzt waren. Im Bastelbereich wird vieles von kleineren Händlern verkauft. Viele machen das nebenbei vom Wohnzimmer aus und haben nicht die Zeit, ihre Angebote zu optimieren. Das war meine Chance.“

Start auf Dawanda zum Höhepunkt des Handmade-Booms

Im Mai 2013 beginnt sie also selbst damit, Bastelartikel über das Internet zu verkaufen, geht finanziell in Vorleistung und startet unter dem Namen Siaura mit einem Sortiment von zehn Produkten bei Dawanda. „Ich habe ganz unklassisch auf der kleinsten Plattform angefangen. Dawanda war damals ja die Handmade-Plattform. Und ich dachte eben, dass wenn die Leute dort Selbstgebasteltes verkaufen, sie ja auch Material brauchen, mit dem sie das basteln.“ Heute ist Dawanda und Geschichte und die Verkäufer zur US-Plattform Etsy migriert.

Zunächst verzeichnet sie alle fünf Tage eine Bestellung. „Ich hab mich trotzdem darüber gefreut und fast nicht glauben können, dass ich was verkauft habe.“ Sie setzt sich das Ziel, jeden Tag einen Artikel zu verkaufen – und erreicht das relativ schnell. „Immer, wenn meine Tochter geschlafen hat, hab ich gearbeitet.“ An Weihnachten 2013, also schon im ersten Unternehmensjahr, stellt sie ihren ersten Mitarbeiter ein, der mit ihr gemeinsam aus ihrem Wohnzimmer heraus arbeitet.

„Ich konnte gar nicht glauben, wie viel wir auf Amazon verkauften“

Nach etwa einem Jahr beginnt sie, bei Ebay zu verkaufen. Weil sie dort zuvor schon privat verkauft hat, kennt sie das Backend recht gut. Anders als jenes von Amazon, wo sie nach etwa zwei Jahren zu verkaufen beginnt. „Ich kannte Amazon weder vom Backend, noch wusste ich, wie der Algorithmus funktioniert. Ich hab mir dann einfach die Styleguides, in denen Amazon selbst beschreibt, wie ein Produkt-Listing aussehen sollte, und die Konkurrenz angeschaut: Wie optimieren die so, was schreiben die über fast dieselben Produkte, wo stehen sie eigentlich im Ranking?“

Sehr schnell stellt sich der Erfolg ein. „Als wir das Fulfillment teilweise abgegeben haben, ging es bei uns richtig durch die Decke. Wir hatten zehn Mal mehr Verkäufe als bei Ebay. Das konnte ich am Anfang gar nicht glauben.“ Einen Teil ihrer Ware verschickt Schuster selbst an die Kunden, einen Teil lagert sie an Amazon aus und überlässt dem Plattformbetreiber die Logistik. „Weil man so den Kunden Amazon Prime anbieten kann, erzielt man einen höheren Trust und bekommt bessere Rankings. Damit gewinnt man auch eher die Buybox.“

Von der IT’lerin zur Amazon-SEO-Expertin

Wer als Amazon Seller die Buybox gewinnt, dessen Artikel legt der Nutzer in den Warenkorb, wenn er auf der Artikelseite „In den Einkaufswagen“ klickt. Für die auf Amazon aktiven Händler ist der Gewinn der Buybox damit vergleichbar, Platz 1 in Googles Suchmaschine zu belegen – nur dass bei Amazon die folgenden Plätze noch weniger angeklickt werden dürften als die Folge-Ränge bei Google. „Mittlerweile schaut in unserem Segment kaum ein Amazon-Kunde mehr, welche Preise die anderen Verkäufer so haben“, sagt Schuster.

Annemarie Schuster spricht am 7. Mai auf dem OMR Festival Hier gibt es die Tickets!

Für Siaura entwickelt sich Amazon innerhalb weniger Monate zum wichtigsten Kanal. „Leider möchte ich fast sagen“, so die Gründerin. „Man will ja nie so richtig abhängig sein von einem Kanal, aber das ist schon so. Die Umsätze laufen viel mehr über Amazon.“ Sie selbst kümmert sichum die dauerhafte Optimierung der Produktlistings und wächst so zur Amazon-SEO-Expertin heran.

Das frühere Siaura-Lager in Schusters Wohnzimmer (Foto: privat)

Das Wohnzimmer platzt aus allen Nähten

Mit dem Umsatzwachstum auf Amazon wächst auch Siaura: Sie hat abwechselnd mehrere Mitarbeiter in ihrem Wohnzimmer, wie etwa eine Einkäuferin und eine Verpackerin. Noch dazu ist dort Ware eingelagert. „Irgendwann waren alle Schränken und Boxen gefüllt.“ Die Zwei-Zimmer-60-Quadratmeter-Wohnung gerät an ihre Grenzen. „Das war schon wirklich sehr eng. Meine Tochter ist da zum Teil auch noch herumgesprungen.“

So mietet sie im Sommer 2015 einen Firmensitz an; zunächst 80 Quadratmeter Fläche. Im Laufe der Jahre kommen immer neue Räume dazu. „Heute nutzen wir 300 Quadratmeter und sind über drei Stockwerke verteilt.“ Siaura beschäftigt elf Mitarbeiter, davon vier in Vollzeit, sieben sind geringfügig beschäftigt, darunter Studenten und Minijobber. „Wir erwirtschaften 800.000 Euro Umsatz im Jahr und bewegen uns auf eine Million zu“, so Schuster. Von Anfang an habe sie jeden Gewinn reinvestiert und hab ihr Angebot vergrößert. „Wir haben bis heute keinen Kredit aufgenommen und sind unverschuldet.“

„Ich habe nichts an Agenturen outgesourcet“

„Am wichtigsten für den Erfolg war, dass ich nicht alles alleine gemacht, sondern mir Leute dazu geholt habe, die geholfen haben“, meint Schuster. „Ich habe aber nichts outgesourcet, sondern die Mitarbeiter inhouse geschult. Deswegen haben wir jetzt eigene SEO-Spezialisten, die für uns arbeiten.“ Sie sieht beim Umsatz noch viel Luft nach oben. „Wir haben Millionen von Produkten, die wir einkaufen könnten. Wir erweitern das Portfolio aber relativ vorsichtig, so, wie die Nachfrage da ist.“ Geplant seien auch ein eigener Online-Shop und mehr externes Marketing.

Weil Amazon sich andauernd verändert, sei es wichtig, die Listings auf der Plattform permanent zu pflegen und auf die Veränderungen zu reagieren. Bei der Erfolgskontrolle gibt es nach Ansicht von Schuster drei wichtige Faktoren: „Als erste die Relevanz des Angebots. Da muss man eine Schnittmenge finden, dass das Produkt sowohl für die Kunden als auch für den Marktplatz relevant ist – nur eins von beidem reicht nicht. Dann ist die Sichtbarkeit wichtig und zum Schluß natürlich auch die Rentabilität.“

„Ohne Werbung geht es nicht mehr“

Ohne Werbung auf Amazon zu schalten ist es nach Ansicht von Schuster heute kaum mehr möglich, erfolgreich auf der Plattform zu verkaufen. „Wenn wir keine Werbung mehr schalten würden, wäre nicht nur der Umsatz weg, sondern auch unsere Position. Es rechnet sich aber nach wie vor für uns.“

Monitoring und Controlling sei das A&O. „Ich habe schon Fälle erlebt, wo Amazon falsch gemessen hat. Wenn ein Artikel größer oder schwerer gemessen wird als er eigentlich ist, kann er in eine andere Preiskategorie rutschen und nicht mehr rentabel sein. Da kann man über Jahre ein Minus mit erwirtschaften.“ Schuster behält ihre Zahlen mit dem Tool Sellerboard im Blick.

Von der Händlerin zur Beraterin

Der Wettbewerb sei jedoch deutlich härter geworden. „Je nachdem, was man verkauft, kann es durchaus sein, dass es nicht mehr reicht, nur gut zu optimieren und zu verkaufen und gute Werbung zu schalten. Die externe Werbung und das Brandbuilding wird immer wichtiger.“ Bestes Beispiel sei der Bereich Nahrungsmittelergänzungen: „Die sind alle bis zum geht nicht mehr optimiert und machen das, was Amazon von ihnen möchte. Aber das reicht nicht mehr. Ich habe da auch schon Opfer gesehen, die im Januar 2018 noch 100 Produkte am Tag verkauft haben und jetzt keine mehr.“

Annemarie Schuster baut sich aktuell parallel zu Siaura noch ein weiteres Standbein auf und hat unter dem Namen Annythinks eine Beratungsagentur gegründet. „Ich habe mich lange überhaupt nicht ausgetauscht, bis ich damit angefangen habe, in E-Commerce-Gruppen auf Facebook und in Foren aktiv zu werden. Dann kamen nach und nach immer mehr Anfragen von Menschen, die meine Hilfe wollten. Das habe ich erst einmal nebenbei gemacht. Jetzt gehe ich das professionell an.“ Sie berate kleine Händler und Private-Label-Seller aber auch große Unternehmen.

Ein Jahr lang auf Achse

Bei Siaura hat sie sich aktuell aus dem operativen Geschäft weitgehend zurückgezogen. „Ich schau da immer mal wieder rein und such auch noch Sachen raus, die wir verkaufen können, aber ansonsten bin ich raus.“ In diesem Jahr stehen erst einmal viele Reisen, Vorträge und Workshops an. „Nächstes Jahr will ich das aber nicht mehr so machen. Ich will schließlich auch noch Zeit mit meiner Tochter verbringen.“

Wer Annemarie Raluca Schuster live erleben und hören will, was ihre aktuellen Top Tips für ein erfolgreiches Business auf Amazon sind, sollte unbedingt zum OMR Festival kommen. Denn dort wird die Expertin auf der Deep Dive Stage am 7. Mai um 10.15 Uhr einen Vortrag zum Thema „Amazon Pro Hacks“ halten. Ihr habt noch kein Ticket? Hier entlang!

 

Update, 21. März: Wir haben den Artikel um eine genauere Aufschlüsselung der Voll- und Teilzeitmitarbeiter von Siaura ergänzt.

AmazonE-CommerceMarktplatz-Optimierung
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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