Manipulieren findige Amazon-Händler ihre Rankings mit Bot-Traffic oder gefakten Sales?

Wieso sind ein Kitschgemälde und ein Schlapphut plötzlich Topseller?

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Diese beiden Artikel haben in den vergangenen Tagen auf Amazon.de hohe Bestseller-Rankings belegt
Inhalt
  1. Ikea-Artikel teurer bei Amazon verkaufen
  2. Amazon bietet ein Umsatzpotenzial im Milliarden-Bereich
  3. Mehr Verkäufe durch einen hohen Verkaufsrang?
  4. Lassen sich Sales faken?
  5. Kurzfristigen Push durch hohen Traffic?
  6. Dienstleister bietet angeblich getürkte Sales

Merkwürdiges war in den vergangenen Tagen auf dem deutschen Marktplatz von Amazon zu beobachten: Artikel wie ein kitschiges Gemälde und ein alter Filzhut belegten im „Bestseller Ranking“ der am häufigsten verkauften Artikel in großen Kategorien wie „Küche & Haushalt“ und „Bekleidung“ dubioserweise plötzlich den ersten Rang. Stehen dahinter Experimente eines Amazon-Händlers, das Bestseller-Ranking gezielt zu manipulieren – und so möglicherweise mehr Verkäufe zu generieren? Ist das überhaupt möglich? Online Marketing Rockstars hat Experten befragt. Am vergangen Sonntag, dem 12. Februar, stellt ein Händler um 12 Uhr ein altes Gemälde von einem Dorf vor einem See auf Amazons Marktplatz zum Verkauf ein, das er für das Listing offenbar mit einer Handykamera abfotografiert hat. Der Preis für den „gebrauchten“ Artikel: ein Euro-Cent. Der kuriose Produktname: „MVKSVWU332d in naja kondition“. Das Erstaunliche: Innerhalb kürzester Zeit schießt der Artikel im Bestseller-Ranking „Küche & Haushalt“ auf Platz eins. Das Bild soll also angeblich zu diesem Zeitpunkt der meist verkaufte Artikel dieser Kategorie bei Amazon sein.

Am vergangenen Dienstag, dem 16. Februar, rangierte das Gemälde noch auf Platz sechs des Bestseller-Rankings in der Kategorie „Küche & Haushalt“

Ikea-Artikel teurer bei Amazon verkaufen

Zwei Tage später folgt das Listing eines alten, brauner Filzhuts, erneut mit einem komischen Produktnamen („MVKSVWU332f in naja kondition“). Der Hut belegt zunächst den dritten Rang in der Kategorie „Bekleidung“ und dringt am folgenden Tag auf den ersten Platz vor. Zudem lassen sich auf Amazons Marktplatz weitere Listings mit ähnlichen Produktnamen finden (wie beispielsweise das von zwei Rahmen in Herzform und das eines bemalten Post-it-Zettels), die aber in den Bestseller-Rankings nicht so weit oben rangieren. Bald darauf sind das Bild und der Hut nicht mehr verfügbar und sinken wohl deswegen in den folgenden Tagen in den Rankings wieder.

Die Platzierungen des Gemäldes in Amazons Bestseller-Ranking laut dem Tool Keepa.

Eingestellt worden sind die Artikel augenscheinlich von einem Händler, der auf Amazon und Ebay unter dem Namen „Quengelbengel“ vor allem Kleinartikel von Ikea verkauft: Haushaltsgegenstände wie Knoblauchpressen, Tritthocker und Duschvorhänge, teilweise zu deutlich höheren Preisen als in Ikeas eigenem Online-Shop. In den vergangenen 365 Tagen hat er 227 Bewertungen erhalten. Offenbar kaufen einige Kunden trotz der höheren Preise – möglicherweise, weil sie die Convenience von Amazon bevorzugen. Auf Anfragen von Online Marketing Rockstars per Telefon und Mail zu den merkwürdigen Listings hat der Händler bislang nicht reagiert.

Amazon bietet ein Umsatzpotenzial im Milliarden-Bereich

Es ist kaum vorstellbar, dass die guten Platzierungen des Gemäldes und des Hutes im Bestseller-Ranking dadurch zustande gekommen sind, dass echte Amazon-Kunden die beiden Produkte vielfach – häufiger als alle anderen Haushalts- oder Bekleidungsartikel auf der Plattform – gekauft haben. Was also steckt dahinter? Ist es dem Händler gelungen, die Rankings zu manipulieren? Wenn ja, wie? War dies nur eine Spielerei, eine Wette, oder vielleicht doch ein Experiment, aus dem der Händler Erkentnisse gewinnen wollte, die er auf „richtige“ Listings übertragen will? Und was verspricht er sich davon?

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Amazon ist ein riesiger Marktplatz: In den USA beginnt mehr als die Hälfte der Menschen ihre Produktrecherche mittlerweile auf Amazons Plattform. Schätzungen von Experten zufolge, sollen Dritthändler im Jahr 2015 über Amazon Produkte für insgesamt 131,8 Milliarden US-Dollar verkauft haben. Händlern, die die Sichtbarkeit ihrer Artikel auf der Plattform in ihrem Sinne manipulieren können, winken also möglicherweise enorme Umsätze.

Mehr Verkäufe durch einen hohen Verkaufsrang?

Aber sorgt eine gute Platzierung im Bestseller-Ranking wirklich für mehr Umsätze? „Ich schätze, dass höchstens fünf Prozent der Amazon-Marketplace-Verkäufe auf Bestseller-Rankings zurückzuführen sind – wenn überhaupt“, sagt Franz Jordan, Gründer von Sellics, Anbieter des Amazon-Tools Marketplace Analytics. „Am wichtigsten sind Keyword-Rankings, die Schätzungen zufolge für 70 Prozent aller Amazon-Verkäufe sorgen.“ Keyword-Rankings beziehen sich auf die Platzierung der einzelnen Artikel in Amazons Suchergebnissen zu bestimmten Suchanfragen, wie beispielsweise „brotmesser“. Wer bei viel gesuchten Begriffen und häufig gekauften Artikeln weit oben rangiert, kann dementsprechend auch deutlich mehr Verkäufe erzielen.

Nach Angaben von Jordan sind die Keyword-Rankings vom Verkaufsrang des jeweiligen Artikels entkoppelt, beeinflussen sich also nicht gegenseitig. Der einzige Vorteil eines guten Verkaufsranges könnte möglicherweise eine leicht höhere Conversion Rate sein. Denn den „Bestseller“-Status zeigt Amazon auch auf der Produktseite an, was das Vertrauen des potenziellen Käufers in den Artikel möglicherweise steigert („Na wenn das so viele gekauft haben…“) und damit einen Kaufabschluss wahrscheinlicher macht.

Bestseller werden auf der Produktseite als solche deklariert (Quelle: „Sowas brauch ich auch auf Facebook)

Lassen sich Sales faken?

Aber ist es überhaupt denkbar, dass Händler den Verkaufsrang manipulieren können? „Es gibt meiner Einschätzung nach drei Kennzahlen, die sich auf Amazon Bestseller-Rankings auswirken können: Glance Views, also Aufrufe der Artikelseiten, die Click-through-rate und Sales“, sagt Marc Aufzug von der Amazon-Agentur factor-a. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man alleine, indem man künstlich enormen Traffic auf einen Artikel schickt, diesen in den Bestseller-Rankings nach oben bringen kann und die Zahl der Sales dabei kaum eine Rolle spielt.“ Und doch hat der entsprechende Händler das Ranking offenbar manipuliert. Ist es ihm möglicherweise gelungen, Amazon Verkäufe nur vorzuspiegeln?

„Sales auf Amazon zu faken ist sehr schwer. Dafür brauch man ja jeweils eigene Accounts mit Kreditkarte“, sagt Franz Jordan von Marketplace Analytics. „Es gibt aber auch Spekulationen im Markt, laut denen es möglicherweise schon für eine höhere Platzierung im Bestseller-Ranking ausreicht, wenn Kunden einen Artikel nur in ihren Warenkorb legen.“

Kurzfristigen Push durch hohen Traffic?

„Ich kann mir schon vorstellen, dass Amazon diese Kennzahl auch misst, aber eben auch, wie viele Sales wirklich abgeschlossen werden“, sagt Tim Nedden von der Beratung Finc3. „Es kann aber auch sein, dass Amazon bei Artikeln, die gerade neu eingestellt worden sind, bei denen sie also noch über keine historischen Daten verfügen, zunächst einmal nur auf den Traffic schauen. Wenn man hier enormen Traffic auf eine Produktseite schickt, könnte man mit dem jeweiligen Artikel somit möglicherweise kurzfristig gute Rankings realisieren. Diese Effekte dürften aber schnell verpuffen, wenn die Conversion Rate schlecht ist.“

Ist es trotzdem denkbar, dass findige Händler oder Dienstleister Amazons Plattform zu ihren Gunsten manipulieren, ähnlich wie im Blackhat-SEO-Bereich bei Google? „Blackhat-Maßnahmen sind auf Amazon noch einmal schwerer umzusetzen als beispielsweise bei Google“, sagt Franz Jordan. „Sales sind einfach eine sehr harte Währung, über die Amazon die Popularität eines Artikels sehr gut kontrollieren kann.“

Dienstleister bietet angeblich getürkte Sales

Offensichtlich gibt es aber trotzdem Manipulations-Ansätze: Im Laufe unserer Recherche hören wir mehrfach von einem Berliner Dienstleister, der angeblich über 2.000 echte Amazon-Accounts verfügen soll, über die er mit Kreditkartenzahlung echte Sales generieren kann. Die Kaufsumme geht später zurück an die Händler, einen Prozentteil davon behalten der Dienstleister ein – die Artikel werden nie wirklich ausgeliefert.

Wer lernen will, wie man auf seriöse Weise und erfolgreich auf Amazon verkaufen kann, dem legen wir unseren Amazon-SEO-Report nachdrücklich ans Herz – gibt es hier in unserem Report-Shop

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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