900 Prozent Wachstum durch Trash-Empfehlungen am Artikelende – Revcontent greift den Markt für Content Recommendations an

Torben Lux19.8.2016

Aggressives Marketing und Shady Ads : Konkurrenz für Outbrain, Taboola & Co.?

Revcontent Content Promotion
Inhalt
  1. Will es Revcontent mit Outbrain und Taboola aufnehmen?
  2. Forbes, Newsweek und Paypal sollen schon auf Revcontent setzen
  3. Das steckt hinter Revcontents aggressivem Marketing
  4. Was sagen Branchenexperten zum Revcontent?
  5. Kann sich Revcontent langfristig neben Outbrain und Ligatus etablieren?

Das internationale Feld der Content Promotion am Artikelende scheint eigentlich bestellt – Outbrain, Taboola dazu Plista oder Ligatus. Diese Firmen dominieren das Geschäft mit den entsprechenden Werbeplätzen. Jetzt macht mit Revcontent aus den USA ein neuer Player durch aggressives „Dicke-Hose-Marketing“ auf sich aufmerksam. Was ist wirklich dran am angeblichen 900-prozentigem Wachstum und an 200 Milliarden Recommendations pro Monat?

Der 76 Sekunden lange Imagefilm auf der Homepage von Revcontent mutet schon etwas größenwahnsinnig an: Dramatische Musik ist zu hören, die Kennzahl „200 Billion Content Recommendations per Month!“ in grellem Grün und verwackelte Schwarz-Weiß-Szenen der ersten gefilmten motorisierten Flüge der Gebrüder Wright sind zu sehen. Also ob Revcontent suggerieren möchte, im Online Marketing jetzt vergleichbare Pionierleistungen zu vollbringen. Und auch der Rest der Seite macht deutlich, welchen Status Revcontent für sich beanspruchen möchte. Als Testimonials müssen Martin Luther King („dream big, expect bigger“) und Steve Jobs („rethink what’s possible, reimagine what’s next“) herhalten, man sei das „fastest growing network“. Außerdem schmückt sich Revcontent mit dem höchsten Revenue per Mille (Umsatz pro 1000 Impressionen) der Branche von bis zu 40 US-Dollar.

Will es Revcontent mit Outbrain und Taboola aufnehmen?

Aber was steckt hinter der selbstbewussten Außendarstellung von Revcontent? Das am 1. Oktober 2013 in Florida gegründete Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern ist in einem Markt unterwegs, der schon ziemlich solide besetzt ist: Outbrain und Taboola aus Israel liefern sich seit Jahren einen Kampf um die weltweiten Werbeanteile am Artikelende. In der DACH-Region und einigen weiteren Teilen Europas wie Frankreich kommen noch die deutschen Player Ligatus/Veeseo (Tochter von Gruner + Jahr) sowie Plista (2014 von GroupM übernommen) dazu.

Revcontent und die genannten Companys haben alle im Prinzip das gleiche Geschäftsmodell. Publisher können Widgets mit Linkvorschlägen unter Artikeln oder als Pop-Up auf ihrer Seite integrieren. In den Boxen von Outbrain, Taboola & Co. wird dann zum Teil eigener Content empfohlen, zum Teil Fremd-Content Dritter, die sich so Traffic für ihre Seite einkaufen. Auch Brands nutzen die Platzierungen, und buchen sie quasi als Bannerfläche. Die Abrechnung erfolgt häufig auf Cost-per-Click-Basis, Einnahmen werden in der Regel mit dem Webseite-Betreiber geteilt. Auch Garantie-Zahlungen durch den jeweiligen Anbieter der Content-Promotion-Technologie an besonders reichweitenstarke Publisher sollen nicht ungewöhnlich sein – die Unternehmen wollen sich so die Exklusivrechte sichern. Seit Ende 2015 gibt es auf bild.de beispielsweise ausschließlich Content-Recommendations von Outbrain.

Forbes, Newsweek und Paypal sollen schon auf Revcontent setzen

Exklusiv-Deals dieser Art konnte allem Anschein nach auch Revcontent schon abschließen. Im Februar dieses Jahres wurde angekündigt, dass Forbes.com ausschließlich die Recommendations von Revcontent nutzt. Ob der nur wenige Wochen später erschienene Artikel „How Revcontent grew into a Content Innovation Powerhouse“ ein wenig vom Deal beeinflusst oder sogar konkreter Teil dessen war, ist zwar Spekulation. Schlecht kommt Revcontent aber keinesfalls weg. Der Gründer John Lemp darf dort sagen, dass man beim aktuellen Wachstum innerhalb der nächsten 18 Monate zum weltweit größten Content-Recommendation-Netzwerk werde. Mit weiteren Kunden wie Newsweek, Reuters, International Business Times, Paypal, Jack Daniels, Airbnb, KFC und Lexus habe Revcontent im Juli 2015 eine Run Rate (hochgerechnetes Jahresergebnis aus Basis eines definierten Zeitraums) von 200 Millionen US-Dollar erreicht. Für 2016 peile das Unternehmen einen Umsatz in Höhe von 280 Millionen US-Dollar an. Nach eigenen Angaben hat Revcontent bis heute kein Funding erhalten.

Revcontent Content Promotion

Auf der Homepage von Revcontent muss Martin Luther King als Testimonial herhalten.

Revcontent ist nicht das erste Unternehmen, das John Lemp gegründet hat. Er ist Founder vom 2002 gegründeten Netstupidity Network, danach baute er das Affiliate-Netzwerks Clickbooth (Integraclick) und war dort fast zwölf Jahre CEO. So ganz sauber scheinen seine Strategien damals nicht gewesen zu sein. Laut der Federal Trade Commission musste Clickbooth 2012 zwei Millionen US-Dollar Strafe zahlen, weil Diätprodukte auf Fake-News-Seiten beworben wurden. Im Vorfeld wollte Lemp allem Anschein nach Beweise verschwinden lassen. Ein Mitarbeiter, der sich geweigert hatte, wurde gefeuert.

Das steckt hinter Revcontents aggressivem Marketing

Es gibt trotzdem viele Indizien, die vermuten lassen, dass hinter Revcontents „Dicke-Hose-Marketing“ auch Substanz steckt. Im Januar 2016 verkündete die Company aus Florida die Übernahme von Contentclick, einer Content Promotion-Firma aus Großbritannien. Der Deal – der unbekannte Kaufpreis wurde angeblich in bar bezahlt – war nicht nur der erste Schritt nach Europa, sondern beinhaltete auch bestehende Kundenbeziehungen unter anderem zu Bauer Xcel, Archant, Ladbible und Unilad, wie thedrum.com schreibt. Zumindest bei der britischen Viral-Seite Unilad ist mit der Browser-Erweiterung Ghostery nachvollziehbar, dass Revcontent auf der Seite eingebunden ist.

Ein Pop-Up von Revcontent.

Außerdem ist Revcontent von Anfang an – genau wie Outbrain, Taboola, Ligatus und Plista –  mit Googles Projekt „Accelerated Mobile Pages“ (AMP) kompatibel. AMP soll eine Alternative zu Facebooks Instant Articles sein; nach den technischen Spezifikationen erstellte Artikel laden in Googles Suche schon vor dem Klick und können so nahezu ohne Zeitverzögerung geöffnet werden. Teilnehmende Publisher können ihre Reichweite selber, unter anderem über Content Promotion, vermarkten.

Revcontent und Outbrain im Vergleich von Datanyze.

Analysen von Datanyze zu Folge ist Revcontent bei der Anzahl der Websiten zwar noch kleiner als Outbrain und Taboola, kann demnach aber einen deutlich stärkeren Zuwachs pro Monat verzeichnen. Der Statistikdienst SimilarWeb deutet an, dass der Erfolg von Revcontent vor allem über Mobile zu erklären ist. Fast der gesamte Traffic von Revcontent (96 Prozent der 23,6 Millionen Visits im Juli) soll demnach mobiler Traffic gewesen sein. Bei Outbrain und Taboola ist der gesamte Traffic zwar deutlich größer (322,5 und 149,9 Millionen Visits), das Verhältnis von Mobile zu Desktop aber umso geringer (42 und 56 Prozent). Laut Adexchanger sind 85 Prozent von Revcontents Traffic mobile.

Was sagen Branchenexperten zum Revcontent?

Den Eindruck, dass Revcontent trotz sehr „spezieller“ Unternehmenskommunikation wächst – und mit mobilem Traffic eine gute Lücke gefunden hat – bestätigt uns gegenüber auch ein Branchenexperte und Marktkenner aus dem Rockstars-Netzwerk. Während Outbrain einen einigermaßen hohen Qualitätsanspruch an Publisher und Advertiser habe und verstärkt auf Exklusiv-Deals wie mit bild.de setze, habe sich Revcontent offenbar sehr clever in einer Nische am unteren Qualitätsrand platziert. Denn trotz der Kooperationen mit Forbes und Newsweek komme ein Großteil des Traffics aus der „grauen Ecke“, von Seiten mit eher geringem Qualitätsanspruch. Das Motto sei eher „Hauptsache viel Clickbait, viel Traffic und maximale Monetarisierung“. Als stärkste Referrals im Juli zeigt SimilarWeb Seiten wie worldstarhiphop.com (über den Hip-Hop-Blog haben wir an dieser Stelle schon geschrieben), diply.com und okceleb.com an.

„Was Outbrain, Taboola & Co. nicht wollen, schnappt sich Revcontent“, so unser Experte, der nicht näher genannt werden möchte. „Das sind dann die Advertiser, die alles kaufen, was nicht niet- und nagelfest ist, nur knallhart auf den CPX gucken und irgendwie Arbitrage machen. Diätkampagnen zum Beispiel.“ Die Strategie sei aber auf jeden Fall sehr smart und scheine auch voll aufzugehen.

Kann sich Revcontent langfristig neben Outbrain und Ligatus etablieren?

Ob Revcontent das allem Anschein nach starke Wachstum, vor allem mobile, so fortsetzen kann, ist schwer vorherzusehen. „Die Technologie ist kein Hexenwerk, das können viele“, sagt unser Experte. „Man braucht vor allem ein gutes Sales-Team.“ Wenn sich die Marktführer Outbrain und Taboola aber tatsächlich immer mehr auf Premium-Publisher, exklusive Deals und hochqualitativen Content konzentrieren, dürfte auf jeden Fall genug Platz sein für ein Netzwerk wie Revcontent. Trash-Seiten gibt es im Netz schließlich genug.

Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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