Backlash gegen NFTs und Web3: Fußballfans, Gamer & Co. lehnen sich gegen „Crypto Bros“ auf

Warum der Weg in den Mainstream noch lang ist

Die "Holmesdale Fanatics", eine Ultras-Gruppierung des britischen Erstligisten Crystal Palace, protestiert am 12. Dezember beim Spiel gegen den FC Everton im Stadion gegen die Partnerschaft des Vereins mit der Token-Plattform Socios
Die "Holmesdale Fanatics", eine Ultras-Gruppierung des britischen Erstligisten Crystal Palace, protestiert am 12. Dezember beim Spiel gegen den FC Everton im Stadion gegen die Partnerschaft des Vereins mit der Token-Plattform Socios (Quelle)

Non-Fungible Tokens (NFTs) und das so genannte Web3 sind die Zukunft des Internets – das propagieren viele Vertreter:innen der Tech-, Krypto- und VC-Szene. Doch gerade zeigt sich: Außerhalb dieser Szene stehen viele Menschen den neuen Konzepten misstrauisch bis ablehnend gegenüber. In der Fußballfan-, der Gamer- und der Entwicklerszene entsteht eine Gegenbewegung. OMR dokumentiert den Clash of Cultures.

Am Ende wurde es dann eher ein GAU als ein DAO: Am Donnerstag der vergangenen Woche hatten Ex-Sportwettenanalyst Preston Johnson und der ehemalige Derivatehändler Eben Smith gegenüber der Washington Post noch vollmundig angekündigt, ein Team der English Football League (diese betreibt die dritte und vierte englische Fußball-Liga) kaufen zu wollen. U.a. mit einer neuen, auf NFTs (hier unser Explainer zu dem Phänomen) aufsetzenden Organisationsstruktur und hohen Investitionen solle der Verein in die erste britische Liga (die Premier League) geführt werden. Laut der Washington Post sollen zu der unter dem Namen „WAGMI United“ (der erste Teil des Namens ist ein gängiges Kürzel in der NFT-Szene) auftretenden Investorengruppe rund um Johnson und Smith u.a. Daryl Morey vom US-Basketballverein Philadelphia 76ers, der Business-Guru Gary Vaynerchuk sowie der Tiktok-Star Bryce Hall gehören.

Prominente Sportreporter spotten über „Crypto Bros“

Wenig später enthüllte Tariq Panja, Sportreporter bei der New York Times, auf Twitter, dass es der britische Viertligist Bradford City sei, den WAGMI übernehmen wollte – was für ein Erdbeben in der britischen Fußballszene sorgte. Einige der Fans des Vereins begrüßten die Aussicht auf einen neuen Besitzer ihres Clubs zwar, oder standen der Vorstellung zumindest nicht sofort ablehnend gegenüber – wohl auch in der Hoffnung, dass neue finanzielle Mittel der sportlichen Talfahrt des Vereins, der 2019 aus der dritten Liga abgestiegen ist, ein Ende setzen könnten. Doch diverse bekannte Namen aus der britischen Fußballszene – vor allen Dingen renommierte Sportjournalisten – zeigten sich genervt bis verärgert angesichts der Pläne.

Bradford City sowie der Besitzer des Clubs, der deutsche Unternehmer Stefan Rupp, bestätigten zunächst lediglich, dass sie per Mail ein Übernahmeangebot erhalten hätten, jedoch kein Besitzerwechsel anstünde. Unter dem Druck der Fans und der öffentlichen Aufmerksamkeit präzisierte Rupp einen Tag später in einem weiteren Statement, dass er das Übernahmeangebot von WAGMI United erst vor zwei Tagen erhalten, es aber ausgeschlagen habe. Darauf wiederum reagierte die Investorengruppe in einem Statement auf Twitter, nach dem Rupp bereits seit November mit ihnen verhandelt haben soll. Daraufhin veröffentlichte Rupp ein weiteres Statement, in dem er sich über die „himmelschreienden Unwahrheiten“ in dem WAGMI-Statement beschwerte und die Prüfung rechtlicher Schritte ankündigte. Egal, wie diese ausgehen mag: Ein Deal ist wohl endgültig vom Tisch.

Feindbild der Fans: Token-Plattform Socios

Die Vorgänge rund um Bradford City sind nicht der einzige Fall, bei dem die britische Fußballfanszene gegen Partner aus der Kryptoszene mobil macht. Besonders die französische Plattform Socios steht bei Fan-Vetretern in der Kritik. Socios ist mit dem Verkauf von „Tokens“ von Fußball-Clubs gestartet, die auf der eigenen Kryptowährung Chiliz basieren und die ihre Besitzer:innen dazu berechtigen sollen, an Abstimmungen rund um Vereinsfragen teilzunehmen (offenbar aber keine von strategischer Bedeutung, sondern eher der Art: Wer soll Man of the Match werden?). Ein PR-Coup gelang der Plattform beim Wechsel von Lionel Messi zum Socios-Partner Paris St. Germain, bei dem verkündet wurde, dass ein Teil der Vertragssumme in „$PSG Fan Tokens“ beglichen worden sei. Seit anderthalb Monaten bietet Socios rund um einige Vereine auch virtuelle Sammelgüter als NFTs an.

Zu den Partnervereinen von Socios gehören Top Clubs wie PSG, der FC Barcelona und Juventus Turin. In England kooperieren Arsenal, Aston Villa, Everton, Leeds United und Manchester City mit der Plattform. Mehrere Fanverbände, u.a. bei West Ham United, Arsenal und Leeds United, haben sich gegen solche Fan Tokens ausgesprochen und dabei u.a. vor den nicht kalkulierbaren Risiken von Kryptowährungen gewarnt. Viele Fans umtreibt offenbar zum einen die Sorge, dass Ihr Club zum Kryptoexperiment und Spekulationsobjekt verkommen könnte. Zum anderen gibt es Befürchtungen, dass den Fans künftig noch mehr Geld aus der Tasche gezogen werden könnte als bisher – oder dass gar Fans anderer Clubs die Token erwerben und missbrauchen könnten. Als nun Socios eine Kooperation mit Crystal Palace verkündete, protestierte am nächsten Spieltag eine Fan-Gruppierung mit einem Banner im Stadion gegen die Partnerschaft mit dem „moralisch bankrotten Parasiten“.

Gaming-Szene empört sich über NFT-Pläne

Aber die Fußballszene ist nicht die einzige, die gegen die Einführung von NFTs aufbegehrt. Auch in der Gaming-Branche findet ein ähnlicher Kulturkampf statt. Das ukrainische Entwicklerstudio GSC Game World kündigte vor einigen Tagen in einem mittlerweile gelöschten Tweet an, dass die Fortsetzung ihres erfolgreichen Ego-Shooters Stalker auch NFTs enthalten werde. Diese sollen jedoch keinen Einfluß auf den Spielverlauf haben, so das Studio. Trotzdem löste die Ankündigung offenbar einen solchen Sturm der Entrüstung aus, dass GSC schon einen Tag später einen Rückzieher machte und die NFT-Pläne auf den öffentlichen Druck hin einstellte.

Ähnliche Aufregung verursacht hatte davor die Ankündigung der milliardenschweren, börsennotierten Gaming-Firma Ubisoft (u.a. Assassin’s Creed und Far Cry), unter dem Namen „Ubisoft Quartz“ eine NFT-Initiative zu starten und die NFTs („Digits“) erstmals im anstehenden Spiel „Ghost Recon Breakpoint“ zu integrieren. Ubisoft sei der erste größere Publisher, der seine Spiele mit NFTs „verpeste“, titelte das Branchenmedium Kotaku und bezeichnete NFTs als „dummes Schneeballsystem“. Ubisofts Youtube-Video zum Launch von Quartz soll innerhalb kürzester Zeit 40.000 Dislikes angesammelt haben und ist mittlerweile im Kanal selbst nicht mehr öffentlich gelistet. Aber obwohl die erste NFT-Kollektion offenbar bislang floppte und Ubisoft-Mitarbeiter:innen die NFT-Initiative intern kritisiert haben sollen, soll CEO Yves Guillemot laut Kotaku mehreren Entwickler:innen gegenüber erklärt haben, dass die NFTs in „Ghost Recon“ erst der Anfang seien.

„Das Misstrauen und der Ekel sind groß“

Außer, dass Gamer die Volatilität und das daraus resultierenden Risiko, das kryptobasierte Konzepte mit sich bringen, sowie die schlechte Energiebilanz und potenzielle Umweltschädlichkeit von NFTs kritisieren, dürfte bei passionierten Gamern im Zusammenhang mit NFTs noch eine weitere Angst hinzu kommen. Die Szene leidet seit Jahren unter „innovativen Monetarisierungskonzepten“, wie Loot Boxen, Mikrotransaktionen oder „Pay-to-win“-Spielen, die die Gaming-Studios entwickelt haben, um mehr Geld zu verdienen, unter denen aber die Qualität der Spiele potenziell leidet. Viele dürften befürchten, dass der Anreiz, aus dem einige Entwicklerstudios NFTs einführen, weniger die Bindung und Belohnung der Community rund um ein Spiel denn das Erschließen neuer Erlösquellen ist.

Unter alteingesessenen Entwickler:innen sei es deswegen verpönt, sich an entsprechenden Projekten zu beteiligen, wie Lars Doucet vom kleinen Studio Level Up Labs („Defenders Quest“) in einem langen Thread bei Twitter über den „Krypto-Kulturkampf“ in der Gaming-Szene schreibt. Weil das Misstrauen und die Abneigung gegenüber Krypto so groß sei, würden Entwickler:innen, die an NFT-Spielen mitarbeiten, von anderen Vertreter:innen der Szene wie Aussätzige behandelt.

„Pelzies“ kritisieren Klimaschädlichkeit

Darüber hinaus gibt es andere Subkulturen, die NFT-Projekten ablehnend gegenüber stehen. Die Mitglieder-Community von Neopets, die auf der Plattform virtuelle Haustiere erschaffen und pflegen können (hier der Wikipedia-Eintrag), ist gegen Pläne der Betreiberfirma, NFTs einzuführen, Sturm gelaufen. Und auch s genannte „Furries“ (Wikipedia) , die sich für anthropomorphe Tiere begeistern, empörten sich darüber, dass Schauspielerin Lindsay Lohan einen „Furry NFT“ auf den Markt brachte.

Eigentlich führen NFT-Befürworter als einen der entscheidenen Vorteile von NFTs immer wieder ins Feld, dass diese eine bessere Teilhabe all jener ermöglichen, die zur Wertschöpfung von Produkten, Marken oder Gemeinschaften entscheidend beigetragen haben – Communitys beispielsweise. Community-Mitglieder sollen durch den Besitz von NFTs entscheidend an einer potenziellen Wertsteigerung partizipieren können, so der Gedanke. Doch ganz offensichtlich stehen viele Nischen-Communitys kryptobasierten Konzepten so skeptisch gegenüber, dass die NFT-Plattformen und -Macher:innen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Jack, Elon und Keanu im Schulterschluss

Viel Beachtung erhielten auch Prominente, die sich zuletzt spöttisch bis negativ über NFTs äußerten. Schauspieler Keanu Reeves kicherte in einem Interview mit The Verge darüber, wie leicht NFTs zu reproduzieren seien. Der britische Musiker und Produzent Brian Eno (der u.a. mit David Bowie und U2 zusammengearbeitet hat), der technologischen Innovationen wie algorithmisch generierter Kunst eigentlich positiv gegenüber steht, lehnte gerade in einem Interview NFTs in aller Deutlichkeit ab: „NFTs wirken auf mich wie ein Weg, mit dem Künstler:innen ein kleines Stück vom globalen Kapitalismus abbekommen können“, so Eno. „Wie süß – jetzt können Künstler:innen auch kleine, kapitalistische Arschlöcher werden.“

Außer NFTs steht mittlerweile auch der übergeordnete Begriff „Web3“, der sich grob zusammengefasst ein auf der Blockchain basierendes Internet bezieht, in der Kritik. So implizierte gerade Block- (ehemals Square) und Twitter-Gründer Jack Dorsey, dass Web3 ein Buzzword sei, mit dem vor allen Dingen Wagniskapitalgeber Geld verdienen wollen. „Ihr besitzt das ‚Web3‘ nicht. Die VCs und ihre LPs (Venture-Capital-Firmen und Limited Partners, Anm. v. OMR) tun das. Letztlich ist es nur eine zentralisierte Entität mit einem anderen Etikett. Seid Euch darüber im Klaren, worauf Ihr Euch einlasst…“, so der Tech-Gründer. Als Tesla-Gründer Elon Musk darauf mit dem Tweet „Hat irgendwer das Web3 gesehen? Ich kann’s nicht finden“ reagierte, antwortete Dorsey: „Es steckt irgendwo zwischen A und Z“ – als Anspielung auf den VC-Fonds Andreessen Horowitz, der sich selbst abgekürzt a16z nennt und mehr als drei Milliarden US-Dollar in Krypto-Startups investiert hat.

„Wo kommt all der Hass her?“

Auch unter Software-Entwicklern formieren sich aktuell Gegenstimmen, die das „Web3“ ablehnen. In einem langen, viel beachteten Text hat beispielsweise Jürgen Geuter von der Berliner Agentur Art+Com diverse Kritikpunkte am Web3 ausführlich dargelegt: Blockchains seien langsam, ineffizient und ein Sicherheitsdesaster, zudem schädlich für das Klima und basiere auf Pyramidensystemen. Die Initiative „No to Web3“ hat mehrere, ähnliche Äußerungen gesammelt.

In der Social Community Reddit haben sich zuletzt auf der Startseite die Anti-NFT-Posts so gehäuft, dass ein:e Nutzer:in verwundert nachgefragt hat: „Woher kommt all der NFT-Hass?“ Der Post erhielt mehr als 10.000 „Upvotes“. In der am besten bewerteten Antwort hat ein weiterer User diverse Kritikpunkte zusammengefasst, u.a. auch die Aspekte, dass NFT-Käufer:innen nicht das eigentliche Kunstwerk erwerben, sondern nur einen Beleg, dass dieses ihnen gehört, sowie dass digitale Kunstwerke oft gestohlen und als NFT veröffentlicht werden würden. Ein weiterer User antwortete: „Das trifft den Nagel absolut auf den Kopf.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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