Kita Pfiffikus öffnet die Tore: Wie Kinderhut auf TikTok viral geht

Ein Kita-Träger hat mittels einer TikTok-Kampagne viele Bewerbungen generiert. Was ist das Rezept?

Kinderhut-Kita Pfiffikus; Grafik Michalski
Timo und Melissa zeigen in einem Video, wie es in der Essener Kita Pfiffikus aussieht. Das Video sahen fast eine Million TikTok-User*innen. Quelle: kinderhut_kitas/OMR Grafik Michalski

In Deutschland fehlen durchschnittlicher mehr als zwei Erzieher*innen pro Kindertagesstätte, obwohl so viele Menschen wie noch nie in diesem Beruf arbeiten. Auf der Suche nach Personal hat der freie Träger Kinderhut 2022 eine TikTok-Kampagne gestartet – und ist nicht nur mit einigen Videos viral gegangen, sondern hatte auch hunderte Bewerbungen auf dem (digitalen) Tisch. Mit welcher Taktik sie fast 220.000 Follower*innen auf allen Kanälen gewinnen konnten und wie sich das auf das Recruiting auswirkt.

Tüfteln, basteln, experimentieren – bei der Kita Pfiffikus geht es im Werkraum täglich rund. “Was sie für Ideen haben”, sagt Erzieherin Melissa begeistert in die Kamera. Sind die Kinder erschöpft, ebnet der berühmte Verkehrsteppich den Weg in die Betten. Danach eine Stärkung? Koch Sascha bereitet täglich frisch das Essen zu, grüßt lieb. Mit neuer Energie kann es dann in den Bewegungsraum gehen, in dem Timo und Melissa mit Hampelmännern inszenieren, was auf die Kinder wartet. Ist die frische Luft lieber, ruft der “naturnahe Erfahrungsgarten”. Etliche Sonnensegel, Sandfläche und abenteuerliche Büsche laden zum Toben ein. Fast eine Million Menschen kennen die Kita jetzt von innen, denn so viele Menschen sahen bei TikTok, wie die Kinderhut-Kita in Essen Rüttenscheid aussieht. Nach diesen 72 Sekunden hatte die Einrichtung 162 Bewerbungen im Postfach – ganz ohne Aufruf. 

Im Jahr 2022 setzte sich der Träger mit der Agentur Social Attention zusammen. Anfangs wurde in einem Workshop gemeinsam eine Content-Strategie erarbeitet. Impulse ergeben sich automatisch, sagt Agentur-Gründer Dr. Aaron Brückner: “Alle Unternehmen haben ein Thema, wollen aufklären oder stehen für irgendwas.” Heute haben die kinderhut_kitas 144.300 Follower*innen und fast vier Millionen Likes auf TikTok. “Bock auf Kita?” steht in der Bio, darunter ein Link, über den man sich bewerben kann.

"Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt."

Der Grund für die Maßnahme: “Der Personalmangel geht natürlich auch an uns nicht vorbei. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt”, sagt Nicole Nyolt, Managerin für Recruitingstrategien. Der gesellschaftliche Ruf der Tätigkeit, glaubt sie, bremst das Interesse des Arbeitsmarkts. “Der Erzieher*innenberuf genießt zu wenig Wertschätzung. Das Umfeld glaubt oft, dass der Beruf schlecht bezahlt ist – dabei hat sich in den vergangenen Jahren viel bewegt”, sagt die 42-Jährige. Die letzten Tarifverhandlungen konnte der private Dienstleister mitgehen, obwohl er nicht tarifgebunden ist: Vollzeitkräfte kriegen monatlich 200 Euro Brutto-Verdienst mehr, das Gehalt aller pädagogischen Kräfte wurde außerdem um weitere 5,5 Prozent erhöht, bei Auszubildenden sind es 150 Euro. Laut kununu liegt der Jahresverdienst bei durchschnittlich 39.400 Euro. “Diese finanzielle Herausforderung konnten nicht alle Träger mitgehen”, weiß sie. Auch wenn das Gehalt wissentlich ein großer Faktor für Arbeitnehmende ist, wie jüngst eine Umfrage von EY bestätigte, ist das längst nicht die einzige Medizin, die wirkt. 

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Konsequenzen des Personalmangels: Das Angebot, die Zufriedenheit und der Austausch reduzieren sich, Fehlzeiten nehmen zu. Quelle: Statista/OMR Grafik Miersch

Events zeigen TikTok-Erfolg

Um sich als Marke bekannt zu machen, ist das Instrument allemal effektiv, berichtet Deborah Freundl aus der Unternehmenskommunikation. Ob auf Messen, Schulveranstaltungen oder Informationstagen – der TikTok-Auftritt des Kitaträgers errege Aufsehen. Zuletzt auf der Didacta in Köln, die mit 63.000 Besuchenden als Europas größte Fachmesse für Bildungswirtschaft gilt.

Freundl: “Schon am ersten Tag kamen große Gruppen auf uns zu, die gesagt haben ‘Hey, wir kennen euch von TikTok, das ist total cool’. So ein Feedback ist echt schön.” Es sei eine verblüffte Freude für die Kolleg*innen gewesen, dass ihr Arbeitgeber offensichtlich vielen ein Begriff ist. 

"Streuverluste": Großer Aufwand im Recruiting

Was in erster Linie als erfolgreiche Employer-Branding-Kampagne gewertet werden kann, ist mit Aufwand verbunden, der manchmal auch ins Leere führe. Nyolt nennt “viele Streuverluste” bei den Express-Bewerbungen, weil Kinderhut nicht im ganzen Land vertreten ist. “Wir generieren ganz viele Bewerbungen an Orten, in denen wir bisher keinen Kita-Standort haben.” Die 26 Betreuungsangebote befinden sich in neun Städten, die meisten davon in NRW. “Das macht uns natürlich zu schaffen, zeigt aber auch, dass es deutschlandweit funktionieren kann”, sagt Nyolt. Ohnehin käme nur ein überschaubarer Anteil an Bewerbenden in Frage. Um Ausbildungs- und Praktikumsplätze bewerben sich viele, “noch interessanter wird es aber, wenn es um pädagogische Fach- oder Ergänzungskräfte geht”, so Nyolt. Oft würden fehlende Referenzen dazu führen, dass es nicht zu einem Arbeitsverhältnis kommt. Das schmälert den Erfolg der Kampagne aber nur bedingt.

Neben der Wahrnehmung deuten nämlich auch die Daten auf den Mehrwert der Kampagne hin. Wo der Link (Tiktok, Instagram, YouTube) geklickt wird, erfasst das Recruiting-Team. Bei den Neulingen, deren Impuls noch nicht geklärt ist, wird nachgefragt, ob Social-Media einen Einfluss auf ihr Interesse hatte. Und tatsächlich:  “Ungefähr 50 Prozent haben den ersten Impuls über Tiktok erhalten”, sagt die Recruiterin. 

Der Erfolgsfaktor ist längst nicht nur der Online-Auftritt. Auch wichtig ist der, wie Nyolt sagt, “schlanke barrierefreie Bewerbungsprozess”. In fünf Klicks ist das Interesse bekundet, danach folgt das restliche Prozedere, sobald Nyolts Team reagiert. Im Juli 2024 waren es 20 Bewerbungen über Tiktok, auf die ein Telefoninterview folgte. 

"Um erfolgreich zu sein, musst du dich immer neu erfinden."

Der Arbeitgeber Kinderhut hat durch das Videoportal “überraschend schnell” (Freundl) große Reichweite gewonnen. Neben dem Tiktok-Erfolg folgen auf Instagram fast 25.000 und auf YouTube an die 50.000 Menschen. Brückner erklärt die Strategie für diesen Kunden so: “Wir haben erst eine Community aufgebaut, die unseren Content definiert – und aus diesen Kommentaren machen wir neuen Content.” In 22 Monaten hat die Agentur mit dem erfolgreichen Auftritt einen “Leuchtturm” für den Kita-Träger geschaffen. Brückner, Autor und Creator, hat aus dem Projekt neue Erkenntnisse gewonnen: “Um erfolgreich zu sein, musst du dich immer neu erfinden.” Das zeige die Rubrik “Kinderwörter erraten”. “Die ist damals durch die Decke gegangen”, freut sich der Social-Media-Experte, “doch selbst die erfolgreichste Idee muss irgendwann neu erfunden werden”. So folgte das Format “Kindergartenkinder gefragt”, in dem die Kinder nach den Berufen ihrer Eltern, ihrem liebsten Essen oder den spannendsten Tieren gefragt werden. 

Im Kontext der Strategie nutzt Nyolt das Wort “Pioniergeist”. Der Hauptakteur der Philosophie und Förderer des Wachstums. “Wir machen das seit zwei Jahren erfolgreich und entwickeln es weiter. Wir glauben an die Sache.” Die Marke Kinderhut hat Mitarbeitende rekrutiert und sich unter Pädagog*innen bekannt gemacht. Die Konkurrenz ist offenbar inspiriert – und das ist das größte Kompliment, das sie sich haben vorstellen können. 

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft.

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