„DM to collab“: So kassieren Dropshipper auf Instagram bei Wannabe-Influencern ab

Wir erklären, wie die "Mother/Slave"-Methode als Reichweitenhebel sowie Eitelkeit und Gier als Conversion-Treiber funktionieren können

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Im Influencer Marketing sollen Influencer für den Werbetreibenden normalerweise Aufmerksamkeit und infolgedessen Käufe durch ihre Follower generieren. Doch einige ausgebuffte digitale Geschäftemacher*innen drehen den Spieß jetzt um: Sie lassen die „Influencer“ die Produkte (mit „Rabatt“) kaufen, nachdem sie diesen zuvor – in automatisiert und massenhaft geposteten Kommentaren – eigentlich kostenlose Ware in Aussicht gestellt hatten. Die „Influencer“ werden damit zu den wahren Kundinnen und Kunden. OMR zeigt Beispiele und erklärt die Methode sowie die dahinter stehenden Mechanismen.

„Absolut umwerfend! Wir würden Dir unheimlich gerne Schmuck zum Featuren schicken! Bitte schreib uns eine Nachricht und werde eine unserer aufstrebenden Markenbotschafterinnen!“ – „Nach jemandem wie Dir habe ich gesucht! Lass mich Dir kostenlosen Schmuck für eine Collab schicken!“ – „Was für ein liebenswürdiger Post! Wir würden unheimlich gerne mit Dir zusammenarbeiten und Dir Schmuckstücke als Geschenk zum Featuren schicken! Schick uns gerne eine DM.“

Beispiele für „DM to collab“-Kommentar-Spam auf Instagram

„Ich werde von einer Modemarke auf Instagram belästigt“

Diese von uns zitierten (und übersetzten) Kommentare wurden unter Posts auf dem Instagram-Account unserer OMR-Sales-Kollegin Hannah Speidel abgegeben. Hannah ist aber bei Weitem nicht die einzige, die solche Kommentare erhält. Sucht man bei Google oder anderen digitalen Plattformen wie Twitter oder Youtube nach „dm to collab“ oder „instagram collab scam“, lassen sich diverse Blog-Einträge, Videos und Social Posts finden, die einen Eindruck davon vermitteln, welche Ausmaße dieses Phänomen mittlerweile angenommen hat. Offenbar ist es auf Instagram in den vergangenen zwölf bis 24 Monaten zum Alltag geworden, dass „Otto- und Ute-Normal-User“ solche Einladungen zu „Collabs“ (kurz für Collaborations) bekommen.

Zulie Rane, Redakteurin bei OneZero, dem Tech-Blog der US-Plattform Medium, hat vor Kurzem einmal getestet, was passiert, wenn man einer solchen Einladung Folge leistet und die entsprechenden Accounts wegen einer „Zusammenarbeit“ anschreibt. „Ich fand heraus, dass diese Marken von vorne bis hinten fake sind“, schreibt Rane. Sie habe weder eine bezahlte Partnerschaft eingehen können, noch die häufig in Kommentaren in Aussicht gestellten kostenlosen Produktproben erhalten.

20 Prozent Rabatt statt kostenloser Produkte

Eine (mit ziemlicher Sicherheit automatisiert von einer Bot-Software verschickte) Antwort auf eine Anfrage nach einer „Collab“ bei der Mode- und Schmuckmarke „Pink Pineapple“

Stattdessen hätten ihr die jeweiligen Marken einen Rabattcode angeboten, mit dem sie die Artikel in deren Online-Shop um 20 bis 50 Prozent reduziert erwerben könne. Zudem könne sie einen personalisierten Rabatt-Code an ihre Follower weitergeben und erhalte jeweils eine Provision von 30 Prozent, wenn Follower unter Verwendung dieses Codes einen Kauf abschließen.

Eine sehr ähnliche Antwort bekommt Hannah, als wir sie bitten, die Mode- und Schmuck-„Marke“ Pink Pineapple wegen einer Zusammenarbeit anzuschreiben, wie sie davor in einem Kommentar in Aussicht gestellt worden war: 20 Prozent Rabatt beim eigenen Kauf, 25 Prozent Provision bei Käufen der Follower. Von anderen Anbietern, wie etwa der Modeschmuckmarke Marohh ist in Online-Foren zu lesen, dass sie den „Markenbotschafterinnen- und Marketenbotschaftern-in-spe“ kostenlose Schmuckstücke anbieten und diese dafür nur die Versandgebühren bezahlen müssten, die aber wohl den Einkaufspreis der Artikel bei Weitem übersteigen.

Die Ware ist häufig für einen Bruchteil des Weiterverkaufspreises in China gekauft

Damit ist die vermeintliche „Kollaboration“ in diesem Fall kein Marketing-, sondern ein direkter Umsatzhebel. Für die Online-Shop-Betreiber, die dieses Mittel einsetzen, geht es in erster Linie nicht darum, durch die „Zusammenarbeit“ Content, Reichweite und Aufmerksamkeit und damit dann letztlich Käufe zu generieren – sondern gleich Käufe und Umsatz.

Der Eindruck, dass die „DM to collab“-Spammer dabei zumindest teilweise großzügig anmutende Rabatte gewähren, relativiert sich, so bald klar wird, woher offenbar ein Großteil der in den Shops angebotenen Ware kommt, was sie im Einkauf kostet und wie viel die Shop-Betreiber im Verkauf dafür verlangen. Mehrere Youtube-Kanalbetreiberinnen und -betreiber haben sich mit dem Phänomen des „Collab Scams“ beschäftigt und sind dabei immer wieder auf Beispiele von Produkten gestoßen, die von den Shop-Betreibern auf chinesischen Marktplätzen zu Spottpreisen eingekauft und dann für das zehn- bis 22-fache weiterverkauft werden. Selbst mit Rabatt dürfte also mit jedem Kauf durch einen „Influencer“ für die Online-Shop-Betreiber*innen noch ein ansehnlicher Gewinn unter dem Strich stehen.

Ein Beispiel einer bestickten Bomberjacke, die im Online-Shop der auf Instagram aktiven Marke „Vivanucci“ zum Preis von 330 US-Dollar angeboten wurde, im Einkauf bei Alibaba.com je nach Menge zwischen 15 und 22 US-Dollar gekostet hat. Der Instagram-Account von Vivanucci ist noch online, aber augenscheinlich seit April 2019 inaktiv; der Online-Shop ist offline (Quelle der Screenshots: ein Video des Youtube-Kanalbetreibers Jade Allen Cook).

Stehen dahinter größtenteils Dropshipping-Glücksritter?

Vermutlich verkaufen viele „Native Instagram Marken“ die Ware in ihren Online-Shops zudem nach dem Dropshipping-Prinzip: Erst nachdem ein Kunde bei ihnen bestellt hat, ordern sie selbst den jeweiligen Artikel auf einem chinesischen Marktplatz und geben dabei die Adresse ihrer Kundin oder ihres Kunden als Lieferadresse an. Dadurch muss die Ware gar nicht durch ihre eigenen Hände laufen und die Shop-Betreiber sparen sich Lager- und weitere Logistikkosten.

Ein Screenshot aus dem Online-Shop der „Instagram Native Brand“ Tigerluxx sowie von Aliexpress (Quelle: ein Video des Youtube-Kanals ‚TV Stuff Reviews‘). Auch Tigerluxx nutzte mehreren übereinstimmenden Quellen zufolge die „DM to collab“-Spam-Methode als Umsatz-Push. Der Online-Shop ist mittlerweile offline, möglicherweise auch wegen zu vieler negativer Kundenbewertungen auf Plattformen wie Trustpilot, in denen sich Kunden über ausbleibende Bestellungen beschweren. Auf dem Tigerluxx-Instagram-Account (308.000 Follower) kündigen die Macher*innen der „Marke“ einen neuen Shop an.

Wir hatten uns bereits Anfang 2018 mit dem Hype um Dropshipping beschäftigt; Wired hatte im Mai 2020 ein lesenswertes Porträt der rund um Dropshipping entstandenen Glücksritter-Szene inklusive „Digital Nomad“-Dasein auf Bali sowie deren „unsanftes Erwachen“ in der Corona-Krise veröffentlicht: „In Bali, western immigrants are selling products they’ve never handled, from countries they’ve never visited, to consumers they’ve never met.“

Content und Reichweite kommt noch zum Umsatz dazu

Bei all jenen Dropshippern, die die „Fake Collab Comment Spam“-Methode einsetzen, sind die vermeintlichen „Influencer“ in erster Linie die wirklichen Kunden. Doch durch die Posts, die all jene Nutzerinnen und Nutzer produzieren, weil sie sich in ihrer Eitelkeit geschmeichelt fühlen, auf kostenlose Produktproben spekulieren oder versuchen, mit solchen „Kollaborationen“ in eine Influencer-Karriere einzusteigen, fällt für sie noch Content, den für sie Marketing nutzen können, sowie zusätzliche Reichweite ab.

Über eine sehr ähnliche Strategie hatten wir bereits vor gut anderthalb Jahren berichtet. Damals hatten (auch deutsche) junge Instagram-Marken organisch und mit bezahlten Instagram Story Ads um „Micro Influencer“ geworben. Diese mussten dann, wie sich im weiteren Lauf der Kommunikation herausstellte, für die Produkte zahlen, für die sie werben sollten.

Wie die „Mother-Child-Methode“ auf Instagram funktioniert

Im Fall des „DM to collab“-Spam kommt noch eine weitere Komponente hinzu, mit der die jeweiligen Geschäftemacher noch einmal deutlicher aktiver und aggressiver um Markenbotschafter/Käufer werben: eine Methode, die in der Growth-Hacking-Szene „Mother-Child“ oder auch „Mother-Slave“ genannt wird. Diese besteht aus einem „Mutter-Account“, also den Haupt-Marken- und -Online-Shop-Account. Um dessen Wachstum anzukurbeln, richten die Growth Hacker*innen eine Vielzahl von „Child-“ bzw. „Slave-Accounts“ ein, die massenhaft bei anderen Nutzenden um „Collabs“ werben. In der Regel geschieht das automatisiert mittels Bot-Software. Aktuell ist hierfür offenbar das Tool Jarvee besonders angesagt. Es gibt aber offenbar auch schon spezialisierte „Mother-Child“-Tools.

So erklärt ein Anbieter einer „Mother-Slave-Method“-Software, wie die Methode funktioniert (Screenshot: motherslavemethod.com)

Die „Mother-Child-Methode“ sorgt zum einen für eine Art von „Social Proof“-Effekt. Die „Child Accounts“ dürften auf unbedarfte User bereits wie bestehende Markenbotschafter*innen wirken und die Begehrlichkeit einer solchen „Mitgliedschaft“ vielleicht noch einmal steigern. Zum anderen, und das dürfte der schwerwiegendere Vorteil dieser Methode sein, können sie mit Massen von Fake-Accounts bei anderen Instagram-Nutzenden für den Haupt-Account werben, ohne, dass dieser eine Sperrung riskiert. Schließlich geht Facebook schon seit einigen Jahren teilweise sehr rigoros gegen die Nutzung von Bots und gegen Spam vor.

Ein Account wird gesperrt, zehn neue ploppen auf

Was ursprünglich ein Mittel zum Reichweitenaufbau bei Instagram gedacht war (mit Kommentaren nach dem Muster „Folge mal Account XY, der könnte Dir gefallen“), nutzen die „DM to collab“-Spammer jetzt als Umsatztreiber, indem sie die Methode mit gefakten Collab-Angeboten verknüpfen. So betreiben offenbar manche von ihnen eine zwei- oder dreistellige Anzahl von Unter-Accounts, die per Kommentar oder Direktnachricht um neue „Ambassadors“ werben.

Wird einer der Accounts nach Nutzerbeschwerden gesperrt, können sie einfach zehn neue einrichten. Weil die „Growth Hacker“ nicht über ihren Haupt-Account spammen, sondern auf diesen meist über die „Bio“ der Child-Accounts führen, ist es für Instagram offenbar sehr schwer, diese Methode zu unterbinden.

Es gibt ganze Netzwerke an „Dm to Collab“-Spam-Brands

Wie groß das Phänomen offenbar geworden ist, zeigt sich nicht nur an entsprechenden Tweets und anderen Social Posts. Im Internet lassen sich auch Listen finden, die von Influencern und Instagram Usern erstellt wurden, und auf denen Marken und Accounts dokumentiert werden, die Fake-Kollaborationen anbieten oder Influencer auf andere Arten abzocken.

Manche „DM to collab“-Spammer scheinen zudem ein ganzes Netzwerk an Marken zu betreiben. Die Mode- und Schmuck-„Marke“ Pink Pineapple, die wir angeschrieben haben, scheint beispielsweise zu einem solchen Netzwerk zu gehören. Im Online-Shop und auf dem Instagram-Account der Brand lassen sich zwar keinerlei Informationen über die Identität der Betreiber finden. Apple nennt jedoch als Betreiber der „Pink Pineapple“-Shopping-App das Unternehmen Lasting Impact LLC. Auf dessen Website weisen die Gründer aus, welche Marken zu ihrem „Imperium“ gehören. Neben „Pink Pineapple“ sind das u.a. „Brute Impact“ (urbane Lifestyle-Mode, 231.000 Instagram Follower), „Valerio“ (Uhren und Sonnenbrillen, 147.000 Follower) und „Urbanice“ (mit Fake-Edelsteinen besetzter Modeschmuck, 120.000 Follower).

„Wer seinen Wert kennt, gibt keine Rabatte“

Die „Lasting Impact Holding“ ist offenbar von zwei Brüdern aus den USA gegründet worden. Einer der beiden dokumentiert auf seinem Instagram-Account seinen „Digital Nomad“-Lebensstil, inklusive „Hustle like you are on your last dollar“-Sprüchen, Sportwagen-Aufnahmen und natürlich Fotos von Sonnenuntergängen und Coworking Spaces auf Bali und in Thailand. Der mit Wissen um die Methoden seiner Firma amüsanteste Post: ein Visual Statement mit der Aufschrift: „Lamborghinis sind niemals im Angebot. Weißt Du warum? Weil Du an dem Tag, an dem Dir Dein eigener Wert klar wird, damit aufhörst den Menschen Rabatte zu geben.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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