„Tiktok made me buy it“: Wie Pink Sauce, Thermobecher und Putzpaste auf Tiktok viral gehen

Martin Gardt26.1.2023

Findige Unternehmen verzeichnen Verkaufsexplosionen, weil ihre Produkte auf Tiktok viral gehen

Diese Produkte gehen auf Tiktok viral
Auf Tiktok kann jedes Produkt viral gehen. Wir zeigen die entscheidenden Faktoren und die absurdesten Geschichten.

Auf Tiktok als Unternehmen und Marke Aufmerksamkeit und im zweiten Schritt wirklich Verkäufe zu generieren, gilt immer noch als gar nicht einfach. Und trotzdem sorgt die Plattform immer wieder für Hypes um einzelne Produkte, die dann sofort ausverkauft sind. Wir haben uns einige Erfolgsbeispiele angeschaut und zeigen, warum gerade pinke Sauce, Thermobecher, Reinigungsmittel, Reisetaschen und Ringe aus Löffeln so durch die Decke gehen.

Social Commerce steckt ja so ein bisschen in der Krise. Noch Anfang 2022 ist überall von einem Billionenmarkt die Rede. Instagram baut die Shopping-Funktion 2020 in die Navigationsleiste ein, Tiktok plant Lieferzentren in den USA. Die Idee: Wenn die Nutzenden auf den Plattformen Inspiration finden, kaufen sie da auch direkt. Offenbar machen das am Ende aber weniger Menschen als geplant. Ab Februar verbannt Instagram das Shopping-Tab wieder aus der Navigation. Tiktok bremst vor allem in Europa seine E-Commerce-Pläne. Facebook schaltet sein Live-Commerce-Shopping-Programm ab.

Social-Commerce-Umsätze Vorschau

Die erwarteten weltweiten Social-Commerce-Umsätze bis 2030 (Quelle: Statista)

Social-Media-Nutzende kaufen Produkte also nicht so oft auf Plattformen direkt. Und trotzdem starten bei Tiktok und Instagram auch weiterhin Verkaufserfolge. Besonders auf Tiktok gehen oft kuriose Produkte viral. Creator verdienen mit Affiliate-Deals zu Schrott-Produkten gutes Geld. Und für Videos mit dem Hashtag „Tiktok made me buy it“ weist die Plattform aktuell 7,4 Milliarden (!) Views aus. Aus einzelnen Viral-Erfolgen entstehen aber auch immer wieder Unternehmen oder Brands werden erst durch Tiktok wirklich groß. Wir zeigen, wie das genau funktioniert.

Pink Sauce macht die Gründerin reich

Das aktuell beeindruckendste und gleichzeitig absurdeste Beispiel einer solchen Tiktok-Brand-Geschichte ist Pink Sauce. Tiktok-Nutzerin und Köchin Veronica Shaw (@chef.pii auf Tiktok) zeigt im Juni 2022 erstmals ihren pinken Dip in einem Video. Die vorher komplett unbekannte Creatorin verzeichnet mit dem Clip über 800.000 Views, 70.000 Likes und fast 2.000 Kommentare. Zu der Zeit rührt sie Pink Sauce daheim selbst zusammen. Unzählige weitere Tiktok-Nutzende versuchen sich in der Folge selbst an eigener Pink Sauce, der Hashtag kommt bei Tiktok mittlerweile auf über 655 Millionen Views. Mit der viralen Power macht Veronica Shaw aus der Sauce ein echtes Produkt. Schon Ende Juni 2022 hat sie Flaschen gestaltet, füllt die Sauce ab und verschickt sie quer durch die USA.

Das Problem: Die Macherin hat keine Erfahrung mit Lebensmittelproduktion, rührt einfach Inhalte zusammen und verschickt die Flaschen ungekühlt. Käufer*innen berichten in der Folge über Unwohlsein, überlriechende Saucen, explodierte Flaschen. Das bringt am Ende weitere Presseaufmerksamkeit und noch mehr Reichweite für Pink Sauce – ganz Tiktok will sie ausprobieren. Die Sauce ist in der Folge überall komplett ausverkauft – nur eben nicht sicher für den Verzehr und im Fokus der Gesundheitsbehörden. Im August 2022 rettet das Saucen-Unternehmen Dave’s Gourmet das Projekt vor dem kommerziellen Untergang, arbeitet mit Shaw an den Zutaten, baut ein professionelles Produkt – und setzt wohl voll auf die Influencer-Kraft von Ideengeberin Veronica Shaw. Die verzeichnet auf Tiktok mittlerweile 6,8 Millionen Likes, hat 227.500 Follower und haut immer mal wieder ein Video mit Millionen-Reichweite raus. Seit Januar 2023 gibt’s Pink Sauce jetzt offiziell in etwa 4.300 Walmarts in den USA. Dave’s Gourmet dürfte mit Millionen-Erlösen für das Produkt rechnen.

Der virale Moment entscheidet

Die Pink-Sauce-Story steht stellvertretend für die Vermarktung von Produkten auf Tiktok. Bekannte oder weniger bekannte Nutzende zeigen außergewöhnliche, verrückte, oft günstige Dinge mit viel Begeisterung in die Kamera, die Videos landen auf den For-You-Pages von Millionen und schon beginnt die Verkaufsmaschine. So lief es zum Beispiel auch für den „Stanley Adventure Quencher Travel Tumbler“. Das ist am Ende einfach ein riesiger Thermobecher mit Strohhalm, der Getränke bis zu sieben Stunden kalt oder heiß halten soll. Weil das Teil über einen Liter fasst, fällt es einfach auf und eignet sich perfekt als Vorschaubild für das Tiktok-Video.

Unzählige Creator zeigen das Produkt auf der Plattform, der Hashtag #stanleytumbler liegt bei 137 Millionen Views. Die Folge für Outdoor-Unternehmen Stanley hinter dem Produkt: Das Teil ist dauerhaft ausverkauft. Medien wie die New York Times berichten über den Hype. Und auch Reseller haben den Becher für sich entdeckt. Auf der Second-Hand-Seite Poshmark wird er für 75 bis 135 US-Dollar angeboten. Normalpreis: 40 Dollar.

Die Story um das Produkt entscheidet

Was allein die beiden Beispiele zeigen: Egal ob Einzelunternehmerin oder Nischenunternehmen – jede Art von Produkt kann viral gehen. Zuletzt lösen User auf der Plattform einen Hype um die Reinigungspaste „Pink Stuff“ aus (keine Verbindung zur Sauce). Sie zeigen, wie sich durch Auftragen der Paste hartnäckiger Schmutz entfernen lässt. Der aus dem Teleshopping bekannte Vorher-Nachher-Effekt wird auf die Spitze getrieben. Dabei stecken hinter dem Hype auch hier normale User – Pink Stuff zahlt nicht für Influencer-Platzierungen. Bis heute verzeichnet der Hashtag #pinkstuff auf Tiktok 455 Millionen Aufrufe, das Produkt ist selbst auf Amazon ausverkauft und wird von Resellern für viel Geld an anderer Stelle angeboten.

Noch zu haben für die breite Masse ist hingegen die Tasche „for Ryanair Airlines Cabin Bag 40x20x25 Underseat Foldable Travel Duffel Bag Holdall Tote Carry on Hand Luggage Overnight for Women and Men 20L (Black)“. Das billige Amazon-Produkt geht aktuell viral, weil es so perfekt in die immer kleiner gewordenen Handgepäcksmaße von Ryanair passt. Einer der erfolgreichsten Clips kommt auf über 18 Millionen Views.

Wie sehr eine einfach erkennbare Story („macht alles sauber!“ / „passt millimetergenau ins Handgepäck!“) über virale Erfolge entscheidet, zeigt auch Pierce Woodward mit seiner Marke „Brand Pierre“. Die Story? Der junge Typ stellt auffällige Ringe aus alten Löffeln und Gabeln her. Als er die Herstellung auf Tiktok zeigt, gehen gleich mehrere Videos viral. Seinem persönlichen Account auf der Plattform folgen über 1,7 Millionen Menschen, einzelne Videos verzeichnen fünf, auch mal sieben Millionen Views. Wie die Pink-Sauce-Köchin hat der Highschool-Abbrecher seine eigene Marke mit passendem Shop gebaut. Der Umsatz liege im Millionenbereich und der wichtigste Marketing-Kanal bleibe auf lange Sicht Tiktok.

Die Tiktok-Produkte-Ökonomie

Virale Produkte als Phänomen sind nicht neu. Tiktok als Plattform verändert aber die Spielregeln. Viele der Produkte sind laut Wall Street Journal (Paywall) auch deswegen ausverkauft, weil so viele Menschen auf der Viral-Welle mitsurfen wollen. Die Hoffnung: Ein eigenes Video mit Pink Sauce, Thermobecher, Pink Stuff, usw. aufnehmen, dass dann im Hashtag-Strudel mitgezogen wird. Mittlerweile breitet sich diese Suche nach Reichweiten durch das Aufspringen auf virale Produkttrends auf andere Plattformen aus. Auf Youtube posten unzählige Creator Videos, in denen sie virale Tiktok-Produkte testen. Weil viele der getesteten Stücke reichlich absurd sind, sorgen die Videos immer wieder für Millionenreichweiten und kurbeln gleichzeitig die Verkaufsmaschinerie weiter an.

Das hat auch Folgen für die Unternehmen hinter den viralen Produkten. In der Tiktok-Welt lassen sich die Hypes noch schlechter vorhersehen – meist sind die Brands gar nicht beteiligt. Auf der einen Seite dürfte Stanley überglücklich sein, wie gut sich der Thermobecher verkauft, auf der anderen Seite ist das Produkt oft so lange ausverkauft, dass hier auf jeden Fall Umsätze verloren gehen. Vor allem Kosmetikunternehmen, deren Produkte regelmäßig auf Tiktok viral gehen, müssen neue Strategien entwickelt. Die Brand Charlotte Tilbury, eher für höherpreisige Kosmetik bekannt, stelle die Supply Chain so auf, dass sie schnell auf Hypes reagieren könne. Im Sommer 2022 war ein Highlighter der Marke viral gegangen und deshalb auch für treue Kund*innen nirgendwo mehr zu haben. Als Reaktion beobachte das Unternehmen mit verschiedenen Tools aktuelle Trends auf der ganzen Welt. Man weiß nie, wo der nächste Produkt-Hype entsteht.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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