Adtech aus der Hölle, PR-Gag oder Scam? Krude Firma verkauft Sex-Retargeting für Ehefrauen
Die 29 US-Dollar teure "Initiate Sex"-Kampagne von The Spinner beinhaltet angeblich 180 Ad Impressions
- Artikel aus der Feder einer Gruppe von Psychologen…
- Simples Retargeting wird als Raketenwissenschaft verkauft
- Wie realistisch ist es, dass ein Ziel die gewünschten Artikel sieht?
- Was denn nun: echtes Geschäftsmodell oder PR-Stunt?
Wir haben in den vergangenen Jahren viele, viele dubiose Online-Geschäftsmodelle gesehen und über einige auch berichtet. Die Masche der Website thespinner.net macht uns aber trotzdem sprachlos. Die Macher bieten einen Service an, der per Retargeting drei Monate lang einschlägige Artikel bei der eigenen Partnerin ausspielt. Das Ziel: „influence her on a subconscious level to initiate sex“. OMR erklärt die fragwürdige Dienstleistung – und rechnet vor, weshalb schon der Preis für das Angebot von thespinner.net Abzocke ist.
„The global number of married man who want their wives to increase the number of initiated sexual advances towards them is estimated to be around one billion“, erklärt die Sprecherin im auf Nachrichtensendung getrimmten Werbevideo von „The Spinner“ gleich zu Beginn. Egal, wie man auf der Seite gelandet ist, egal, ob man wirklich darüber nachdenkt, das Angebot zu nutzen – allerspätestens hier sollte klar sein, welch Mumpitz da mit ausgedachten Statistiken verkauft werden soll.
Das Anschauen des kompletten Trash-Videos lohnt sich aber trotzdem. Denn die schon für sich so glaubwürdige Moderatorin (Achtung: Ironie) bekommt auch noch einen mindestens genauso seriösen Experten (Achtung: erneut Ironie) zugeschaltet. Der versucht in der Folge, die „populäre und total legale Marketing-Technik“ zu erklären. So sei es richtig einfach und die Ehefrau müsse lediglich auf einen völlig unscheinbaren Link klicken, bis sie endlich „strategisch mit Artikeln bombardiert“ werde. Das alles wirkt wie ein gezielt schlecht produzierter Sketch mit Fremdscham-Garantie, ist aber offenbar leider ernst gemeint.
Artikel aus der Feder einer Gruppe von Psychologen…
Die Artikel, so der Experte aus dem Video weiter, wurden extra von einer Gruppe von Psychologen geschrieben, „in order to influence the target to initiate sex“. Empfehlung der Redaktion: Achtet auf den Gesichtsausdruck des Mannes, während er diesen Satz sagt. Es besteht dabei allerdings die Gefahr, den Glauben an die Menschheit zu verlieren.
Um dem Märchen der sexversprechenden Werbeartikel Nachdruck zu verleihen, verweist der fröhliche Experte zum Schluss noch auf die Bewertungen auf der Seite: „According to the ratings and the reviews it looks like it really works.“ Warum sagt er das denn nicht gleich? Er verheimlicht dabei allerdings leider, dass alle Kommentare ganz offensichtlich Fakes sind. Nicht nur, dass die im am 3. Mai hochgeladenen Video zu sehenden Reviews immer noch die einzigen sind, die auf der Homepage sichtbar sind (Der Kanal wurde übrigens am selben Tag erstellt und beinhaltet keine weiteren Uploads). User_53694 und User_51881 haben aus Versehen auch noch identische Kommentare abgegeben: „So this is how geeks get laid now? That’s pathetic.“
Simples Retargeting wird als Raketenwissenschaft verkauft
Vergessen wir mal die Häme. Kann das, was „The Spinner“ anbietet, rein technisch überhaupt funktionieren? Die Antwort ist simpel: Ja, kann es – und es ist ganz sicher kein Hexenwerk, sondern sehr normales Retargeting. Wenn das „Ziel“ den verschickten Link angeklickt hat und der Cookie so gesetzt wurde, landet die Person in der Zielgruppe der „Sex-Kampagne“. Laut der Website werden in der Folge für drei Monate 180 Mal Artikel ausgespielt. Das Ganze soll 29 US-Dollar kosten.
Die Artikel wie „5 Reasons why you should initiate sex“ erscheinen dann in Content-Recommendation-Boxen, die sich häufig am Artikelende befinden. Unternehmen wie Outbrain und Taboola haben sich seit Jahren darauf spezialisiert und bieten technische Lösungen für solche Empfehlungen. Seit einiger Zeit mischt auch Revcontent in dem Bereich mit – und fiel vor allem am Anfang hauptsächlich mit Trash-Content auf.
Wie realistisch ist es, dass ein Ziel die gewünschten Artikel sieht?
29 US-Dollar für mehr Sex mit der Ehefrau klingt nach einem Versprechen, auf das leider sicher der ein oder andere reinfallen wird. Betrachtet man die Funktionsweise von Content-Recommendation-Boxen am Artikelende, stellt man zu allem Überfluss auch noch fest, das der Preis völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Das Angebot verspricht 180 Impressions. Im Klartext: 180 Mal taucht einer der gewünschten Artikel in einer Box mit meist fünf weiteren Artikeln auf einer Seite auf, die die Partnerin besucht. Mit dem versprochenen Bombardement hat das wenig zu tun. Ob sie die Artikel dann auch sieht? Unwahrscheinlich. Und ob sie wirklich auf einen klickt und ihn liest? Noch unwahrscheinlicher. Die Klickraten solcher Artikelempfehlungen bewegen sich im sehr niedrigen, einstelligen Prozentbereich – und ein Klick kostet den Werbetreibenden, je nach Umfeld, häufig nur wenige Cent.
Das zeigt auch ein Screenshot, den die The Spinner-Macher futurezone.de geschickt haben. Im Revcontent-Dashboard sind fünf Kampagnen zu sehen: Die Klickraten reichen von 0,045 Prozent bis maximal 0,188 Prozent, die Klickpreise von 0,19 bis 1,81 US-Dollar. Futurezone habe außerdem mit einem Elliot Shefler gesprochen, angeblich der Vice President von The Spinner. Er habe betont, dass es sich nicht um einen PR-Stunt, sondern um ein echtes Geschäftsmodell handelt. Welches Unternehmen hinter der Website steckt, wollte er nicht sagen. Man sei Teil einer größeren Agentur. Ein Besuch der Geschäftsadresse in London durch Futurezone führte zu einer Bäckerei.
Was denn nun: echtes Geschäftsmodell oder PR-Stunt?
Ob hinter thespinner.net tatsächlich ein echtes, wenn auch moralisch sowie mit Blick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis unterirdisches Geschäftsmodell steckt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Zwar spricht alles dafür, dass die Macher einfach schnelles Geld verdienen wollen (angeblich hätten bereits zwischen 5.000 und 10.000 Nutzer gekauft). Wir hoffen aber dennoch, dass sich die Geschichte am Ende – dann als sehr smarter – PR-Stunt herausstellt. So lange fasst es Samuel Scott für The Drum sehr gut zusammen: „The Spinner itself is evil – that goes without saying. If any husband would use the platform on his wife, I am sure she would kick his ass to the curb and force him to listen to Nickelback albums on repeat until his head explodes.“