Die Adtech-Anfänger aus Cupertino – Wieso hängt Apple mit iAd seit Jahren fest?

Nils Jacobsen21.7.2015
Steve Jobs bei der Präsentation von iAd 2010. (Screenshot: Youtube)
Inhalt
  1. Apple steht für Dominanz und smarte Ideen. Bei Advertising und dem iAd-Produkt scheitert der Konzern aber bisher und fristet ein Nischendasein. Ein Überblick.
  2. Zum Start 50 % des mobilen Werbemarktes in den USA angepeilt
  3. Kontrollwahn über Anzeigen vergraulte Kunden
  4. Marktanteil fünf Jahre später auf 0,2 Prozent geschrumpft 
  5. „iAd ist ein irrelevanter Spieler in einer Hyperwachstums-Industrie“
  6. iOS 9 und Apple News erhöhen Werbepotenzial für Apple
  7. Apple forciert iAd-Bemühungen
  8. Früherer iAd-Manager: Datenschutzpolitik hemmt das Potenzial
  9. „Das neue Apple TV könnte der Erweckungsmoment für iAd werden“

Apple steht für Dominanz und smarte Ideen. Bei Advertising und dem iAd-Produkt scheitert der Konzern aber bisher und fristet ein Nischendasein. Ein Überblick.

Steve Jobs bei der Präsentation von iAd 2010. (Screenshot: Youtube)

Steve Jobs bei der Präsentation von iAd 2010. (Screenshot: Youtube)

Die Kampfansage ist über fünf Jahre alt. Auf der Entwicklerkonferenz WWDC im Juni 2010 präsentierte Apple mit iAD eine eigene mobile Werbeplattform und wollte den zu dem Zeitpunkt noch jungen Markt direkt erobern. Nach schnellen Erfolgen ging es allerdings ebenso schnell wieder bergab – bis zu einem weltweiten Marktanteil von nur mageren 0,2 Prozent. Was Apple zu Beginn mit iAd falsch gemacht hat und mit welcher Strategie das Unternehmen jetzt noch einmal einen Angriff auf Facebook, Google & Co. starten will, lest Ihr im heutigen Artikel.

 

Was genau ist eigentlich iAd? So nannte Apple seine Werbeplattform, die maßgeblich aus der Übernahme des Online-Werbespezialisten Quattro hervorgegangen war und am 1. Juli 2010 den Betrieb aufnahm: „iAd bietet Werbetreibenden die Emotion von TV-Werbung kombiniert mit der Interaktivität von Online-Werbeanzeigen“, pries Jobs sein neuestes Projekt an, mit dem er den kommenden Boom der App-Ökonomie monetarisieren wollte, den das iPhone erst ermöglicht hatte. „Sprich über das iAd Netzwerk von Apple Millionen von iPhone und iPod touch Benutzern an“, lockte Apple seinerzeit. 

Zum Start 50 % des mobilen Werbemarktes in den USA angepeilt

In der Praxis sah das so aus: Werbetreibende und Entwickler konnten ihre mobilen Anzeigen in eine App oder ein Spiel dynamisch integrieren; Apple verdiente auf Provisionsbasis kräftig mit. Der iPhone-Hersteller würde die Anzeigen bereitstellen und verkaufen und dafür happige 40 Prozent der über iAd erzielten Umsätze kassieren – die Kommission war damit noch höher als beim Verkauf von Song-Downloads über iTunes.  

Das Who-is-Who von Corporate America ließ sich davon nicht abschrecken und zückte zum Start vor fünf Jahren bereitwillig die Brieftasche: AT&T, Best Buy, die Campbell Soup Company, die Citigroup, General Electric, JC Penney, Sears, Target, Turner Broadcasting System oder Walt Disney Studios. Apple hatte schon Buchungen von 60 Millionen Dollar für das zweite Halbjahr sicher, was der Hälfte der mobilen Anzeigenerlöse entsprach, frohlockte Jobs.

Kontrollwahn über Anzeigen vergraulte Kunden

Aus dem Stand zum Marktführer – es sah nach einem Apple-liken Durchmarsch aus. „Die meiste mobile Online-Werbung ist nicht da, wo sie im Desktop-Bereich ist oder sie sein könnte“, bürstete der angriffslustige Apple-Chef im Vorbeigehen auch noch den Erzrivalen Google ab. „iAd wird das mobile Werbegeschäft revolutionieren“ machte sich auch Unilevers US-Mediendirektor Rob Master zum Sprachrohr Cupertinos. Was sollte schon schiefgehen?

Fünf Jahre später ist klar: so ziemlich alles. In der Frühzeit von iAd wurde der für Steve Jobs so charakteristische Kontrollzwang kritisiert, der so manchen Millionendeal zum Platzen gebracht haben soll – Apple mischte sich in den Produktionsprozess bis zur finalen Anzeige ein und lehnte seinerzeit etwa drei Anzeigen von Adidas ab.

Eine beispielhafte Video-Ad auf dem iPad. Unten rechts: das iAd-Logo.

Eine beispielhafte Video-Ad auf dem iPad. Unten rechts: das iAd-Logo.

Marktanteil fünf Jahre später auf 0,2 Prozent geschrumpft 

Die Folge von Apples Kontrollwahn: iAd konnte nie auch nur annähernd den hohen Erwartungen gerecht werden. Tatsächlich entwickelte sich die mobile Werbeplattform zu einem der ganz raren, krachenden Flops der Ära der vergangenen 15 Jahre: Ende 2014 lag der Marktanteil in den USA bei geschätzten Umsätzen von lediglich 487 Millionen Dollar gerade mal bei 2,6 Prozent und weltweit gar bei blamablen 0,2 Prozent – und damit laut dem Researcher eMarketer nicht mal unter den Top Ten. Wie konnte das passieren?

Neben der Hybris, eine Branche abseits des Kerngeschäfts – Hardware – im Vorbeigehen zu erobern, verlangte Apple zum Start auch absurd hohe Preise. Unter einer Million Dollar war bei iAd zunächst überhaupt keine Kampagne buchbar. Die Folge: Nachdem die Buchungen ausblieben, musste Apple die Anzeigenpreise immer weiter senken – auf 500.000 Dollar für Markenunternehmen, 300.000 Dollar für Agenturen – bis am Ende gar auf 50 Dollar für App-Entwickler. Die eigene Kommission senkte Apple zudem von 40 auf 30 Prozent

„iAd ist ein irrelevanter Spieler in einer Hyperwachstums-Industrie“

Werbetreibende schüttelten trotzdem den Kopf und zogen weiter. „Wir bleiben alle gerne im FourSeasons, aber nicht, wenn es 150.000 Dollar die Nacht kostet“, witzelte etwa GroupM-CEO Rob Norman. Die Konsequenz: „Heute ist iAd ein irrelevanter Spieler in einer Hyperwachstums-Industrie, die von Facebook, Google und Twitter dominiert wird“, gab ein ungenannter früherer Mitarbeiter des iAd-Teams im vergangenen Jahr zu.

So wirbt Apple auf der eigenen Homepage für iAd.

So wirbt Apple auf der eigenen Homepage für iAd.

Tatsächlich ist das Scheitern angesichts des Potenzials des mobilen Anzeigenmarktes für Apple-Standards nahezu epochal: Facebook bestreitet längst den Löwenanteil seiner zweistelligen Milliarden-Erlöse aus mobilen Anzeigen, Google hat gerade in seiner Quartalsbilanz vermeldet, dass die Umsätze aus mobiler Werbung das Geschäft mit Desktop-Ads überholt haben und Twitter verbucht – defizitär hin oder her – den Löwenanteil seiner Umsätze durch mobile Anzeigenbuchungen.  

iOS 9 und Apple News erhöhen Werbepotenzial für Apple

Warum hat Apple bei iAd wie bei anderen Flops – man denke etwa an das 2010 gestartete und 2012 wieder eingestellte Musiknetzwerk Ping – nicht längst den Stecker gezogen? Offenbar, weil Tim Cook mit der Werbeplattform noch einiges vorhat, wie jüngste Entwicklungen nahelegen. Schon in zwei Monaten, wenn Apple mit dem iPhone 6s sein neues mobiles Betriebssystem iOS 9 launcht, dürften sich die Aussichten nämlich deutlich verbessern. So rollt der iKonzern nicht nur mit Apple News eine Flipboard-ähnliche News-App aus, sondern räumt seinen Nutzern vor allem künftig eine Ad-Block-Funktion in Safari ein – für jegliche Werbung außer iAds. 

In anderen Worten: Das nächste Kapitel im Infight zwischen den Erzrivalen Apple und Google steht bevor – der Internetriese wird um Werbeerlöse auf dem iPhone beschnitten, während Apple damit beginnt, nach einer fünfjährigen Experimentierphase bei iAd ernst zu machen. Für Marketer und Medienanbieter, die bei Apple News mitspielen wollen, gilt nebenbei, dass sie noch bedingungsloser nach Apples Pfeife tanzen müssen, wenn es auf dem iPhone stattfinden soll, woran angesichts von zuletzt zwischen 75 und 60 Millionen verkauften Einheiten pro Quartal weniger denn je ein Weg dran vorbeiführt.  

Spezifikationen von Bannern bei Apple iAd.

Spezifikationen von Bannern bei Apple iAd.

Apple forciert iAd-Bemühungen

Tatsächlich sieht es so aus, als würde Apple nun bei iAd den Hebel umlegen: Wie der Business Insider berichtet, stockt Apple nicht nur seine Werbeabteilung auf und expandierte im vergangenen Oktober in 70 neue (!) Länder, sondern öffnete iAd auch für Kooperationen mit den führenden E-Marketern wie Rubicon, MediaMath, Accordant, Adelphic und AdRoll.

Das von der früheren Wall Street Journal-Reporterin Jessica Lessin gegründete Premium-Techportal The Information berichtet zudem, dass Apple mit dem iOS 9-Rollout auch mit Nutzerdaten gegenüber Adtech-Firmen großzügiger umgehen will und etwa die Mobilnummer und Mail-Adresse zu Targetingzwecken weitergeben könnte – was dem zuletzt von Tim Cook mantraartig geäußerten Daten-Selbstverständnis allerdings ziemlich zuwiderlaufen würde. 

Früherer iAd-Manager: Datenschutzpolitik hemmt das Potenzial

Nach Meinung des langjährigen iAd-Managers Winston Crawford dürfte es zu einem Mentalitätswechsel in Sachen Datenschutz bei Apple indes eher nicht kommen: „Ich glaube nicht, dass sie an diesem Potenzial interessiert sind, weil sie strikte Regeln haben, was sie mit ihren Benutzerdaten machen”, erklärte Crawford jüngst dem Wall Street Journal. „iAd hat viel zu bieten und tolle Möglichkeiten, aber sie werden ihre konzerneigene Politik weiterhin verfolgen.”

Potenzial anderer Art könnte iAd indes in absehbarer Zeit ein schlafender Riese bieten, den Apple seit fast zehn Jahren als „Hobby“ bezeichnet: Apple TV. Der Set-Top-Box dürfte nach übereinstimmenden Medienberichten in ihrer vierten Generation im Herbst die bislang größte Generalüberholung bevorstehen – inklusive des lang erwarteten Abo-Modells, das Premium-Inhalte der amerikanischen TV-Multis bündeln sollte.

„Das neue Apple TV könnte der Erweckungsmoment für iAd werden“

Mit der De-facto-Revolutionierung der TV-Industrie – weg vom zeitgebundenen Fernsehen, hin zum von Netflix gelernten Watch-on-Demand – entstehen zugleich auch neue, Targeting-sensitive Werbeformen. Wer, wenn nicht Apple mit 800 Millionen iTunes Accounts, befände sich über Nacht in der Pole Position für eine neue Form der Anzeigeformate im digitalen TV-Zeitalter? Der Business Insider sieht das nächste Apple TV bereits als Gamechanger für Apple: „Es könnte der Erweckungsmoment für iAd werden“.

AdtechApple
NJ
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Nils Jacobsen
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