„meinBafög“: Mit 600 Euro Marketing-Budget zum Start zu 190.000 Kunden heute

Martin Gardt3.11.2020

Drei Freunde wollten eigentlich nur Bafög-Anträge digitalisieren. Jetzt bauen sie daraus ein echtes Legal-Tech-Business

meinBafög

Jedes Jahr beantragen Hunderttausende Studierende Bafög. Wer das schonmal gemacht hat, oder jeglichen anderen Antragswust ausfüllen musste, weiß, wie nervtötend das sein kann. Mit „meinBafög“ wollen drei Freunde genau dieses Problem jetzt lösen. Wie sie komplett selbstfinanziert dank SEA und SEO über 190.000 Nutzer gewonnen haben und jetzt weitere Behördenanträge digitalisieren wollen, lest Ihr hier.

„Als ich selbst meinen Bafög-Antrag gemacht habe, hatte ich riesige Probleme damit. Das hat tausend Jahre gedauert ihn auszufüllen und nochmal tausend, bis ich Bafög bekommen habe“, sagt Pascal Heinrichs gegenüber OMR. „Ich habe mir jedes Jahr gedacht, das geht auch besser.“ Also gründet er gemeinsam mit seinen Schulfreunden Philip Leitzke und Alexander Rodosek 2016 „meinBafög“, um die Beantragung der Studierendenhilfe ins digitale Zeitalter zu heben. Das Unternehmen ist auch heute noch kein großes Business und beschäftigt inklusive der Gründer neun Mitarbeiter. Heinrichs und seine Mitstreiter zeigen aber, wie man mit kleinem Budget Hunderttausende Kunden gewinnen kann.

Einen Antrag neu denken

„Ich war mit 21 Jahren IT-Berater bei Bayern München und Toyota und habe mich schon damals gefragt, was da bis zur Rente noch kommen soll. Also habe ich nebenbei angefangen, meinBafög zu programmieren“, erzählt Pascal Heinrichs. Er hatte es zuvor als Hauptschüler zum Realschulabschluss und anschließendem IT-Abitur Krefeld geschafft. Hier lernt er seine Co-Gründer Leitzke und Rodosek kennen. Als er meinBafög entwickelt, denkt er sofort an seine beiden Freunde. „Die Entwicklung hat zwei Jahre gedauert. Wir haben alle nebenbei in Vollzeit gearbeitet. Wir waren aber trotzdem die ersten auf dem Markt“, so Heinrichs.

Die Gründer von meinBafög

Die meinBafög-Gründer Pascal Heinrichs, Philip Leitzke und Alexander Rodosek (v.l.)

Das von den drei Gründern erdachte Tool führt Nutzende Schritt für Schritt durch einen Prozess, bei dem sie die für den Bafög-Antrag nötigen Informationen angeben. „Wir digitalisieren nicht einfach die Dokumente, sondern das Gesetz hinter dem Antrag. Das herkömmliche PDF-Formular ist nur das Medium, in dem die rechtlichen Anforderung an das Gesetz von den Ämtern abgefragt werden. Wir überlegen uns einen komplett neuen Vorgang und beachten die PDFs erstmal gar nicht“, erklärt der meinBafög-Gründer. „Wir haben uns erst ein paar Monate vorher überlegt, wie wir damit überhaupt Geld verdienen können.“ Zu Beginn kostet ein über meinBafög erstellter Antrag 4,99 Euro. Heute werden 24,99 Euro fällig.

Screenshot von meinBafög

MeinBafög verspricht das Fertigstellen eines Antrags innerhalb von 30 Minuten

Mit SEA sofort profitabel

Mit 4.000 Euro Eigenkapital und kleinem Marketing-Budget startet das Gründer-Team. „Uns war klar, dass wir zu Beginn Leute bei Google abholen müssen. Es waren aber nur 600 Euro für Marketing eingeplant“, sagt Heinrichs. „Wir haben einfach für Anzeigen auf ein paar Keywords geboten. Das war eigentlich scheiße. Wir haben aber pro Klick teilweise sieben bis acht Cent bezahlt, weil niemand sonst auf die Keywords geboten hat.“

Weil Nutzende, die nach einem Keyword wie „Bafög beantragen“ suchen, klar daran interessiert sind, mit einem Antrag loszulegen, sei schon damals die Conversion über die SEA-Aktivitäten sehr gut gewesen. In den 30 Tagen nach dem Start habe das Unternehmen so 1.000 Euro verdient. „Wir sind seit dem ersten Monat profitabel und haben auch keine Investitionen oder Kredite aufgenommen“, sagt Heinrichs.

„Wir sind bei Adwords an einer Grenze angekommen“

Das eingenommene Geld wird seit dem Start direkt wieder investiert: „Wir haben unser Adwords-Budget in der ersten Zeit jeden Monat um das erhöht, was wir eingenommen haben“, so der Co-Gründer. „Hinter SEA stand keine große Strategie. Wir haben immer neue Keywords ausprobiert und wenn die nicht profitabel waren, haben wir das gelassen.“

Zwei Jahre lang ist SEA der einzige wirkliche Marketing-Kanal von meinBafög. „2018 kam der größte Konkurrent dazu und ab dem Moment sind die Keywords teurer geworden. Heute zahlen wir auf das Top-Keyword ‚Bafög beantragen‘ 30 bis 35 Cent pro Klick“, so Heinrichs. Als Wettbewerber sieht Heinrichs wahrscheinlich deinestudienfinanzierung.de – auch hier lässt sich der Bafög-Antrag online stellen. Durch den Wettkampf mit der Konkurrenz ist der Kanal teurer geworden, aber immer noch einer der wichtigsten: „Wir sind bei Adwords an einer Grenze angekommen. Auch wenn wir mehr Geld reinstecken, klicken nicht mehr Leute“, sagt Pascal Heinrichs.

SEO verschlafen

Umso entscheidender für meinBafög, auf anderem Wege Kunden zu akquirieren. Doch den naheliegendsten Kanal vernachlässigt das Gründer-Trio lange. „Bei unserer SEO-Strategie haben wir den größten Fehler gemacht und damit erst 2018 angefangen. Wir haben immer gedacht, dass wir die wichtigsten Keywords einfach einkaufen können“, so Heinrichs. Die Gründer stellen eine Werksstudentin ein, die einen SEO-Kurs an der Uni belegt und mit dem Wissen die meinBafög-Seite optimiert. „SEO ist heute unser wichtigster Kanal“, so Heinrichs.

Die Optimierung zeigt sich direkt bei einem Blick auf die Webseite. Unter dem Menüpunkt „Bafög“ finden sich Info-Artikel zu den wichtigsten Keywords wie „Bafög Antrag“, „Bafög Rechner“ oder „Bafög Höchstsatz“. Zu all diesen Suchbegriffen rankt meinBafög laut dem Analyse-Tool Sistrix mittlerweile auf der ersten Seite der Google-Suche. Insgesamt rankt die Seite bei über 11.000 Keywords in den Top-100 Suchergebnissen, bei fast 3.500 in den Top-10. SEO ist auch deshalb so wichtig, weil ein weiterer Konkurrent das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist, das bei einer Suche nach den entsprechenden Keywords fast immer organisch an erster Stelle auftaucht und viele Informationen für Interessierte liefert.

Sichtbarkeitsindex von meinBafög

Der Sichtbarkeitsindex von meinBafög zeigt, wie sich die SEO-Arbeit in den vergangenen Jahren ausgezahlt hat (Quelle: Sistrix)

Platzierungen auf anderen Bafög-Seiten dank Affiliate-Programm

Aber nicht nur dank der eigenen SEO-Bemühungen landen viele Bafög-Interessierte am Ende bei meinBafög (laut dem Analyse-Tool Similar Web im September 2020 fast 140.000 Besucher). Viele andere Webseiten mit Fokus auf Bafög-Infos verlinken auf die Seite des Unternehmens. „Was uns auch stark geholfen hat: Es gibt viele Leute, die Content rund um Bafög bieten. Deshalb haben wir ein Affiliate-Programm gestartet“, so Pascal Heinrichs. „Wir haben einfach stumpf alle Seiten rausgesucht, die Bafög thematisieren. Die haben wir einfach angeschrieben und gefragt, ob sie meinBafög einbinden wollen.“

Er habe dann selbst ein Affiliate-Netzwerk aufgesetzt und so tracke das Unternehmen eigenständig, über welche Seiten ein Verkauf zustande kommt. Der jeweilige Webseiten-Betreiber bekomme pro erfolgtem Sale eine Provision ausgeschüttet. Laut Co-Gründer Heinrichs sei meinBafög dadurch bei allen nicht-staatlichen Bafög-Info-Seiten eingebunden, die mit Bafög-Keywords auf der ersten Seite der Google-Suche vertreten sind.

„Auf Facebook funktioniert für uns nur Retargeting“

Neukunden akquiriert meinBafög also vor allem über Pull-Kanäle wie Google. Der Gedanke, einen Bafög-Antrag zu stellen, lässt sich eben schwer einpflanzen. „Alle schwärmen davon, wie gut Studenten bei Facebook zu erreichen sind. Für Neukunden hat das für uns aber gar nicht funktioniert. Facebook läuft bestimmt gut für Push-Produkte wie Unterhosen, bei einem Pull-Produkt wie unserem funktioniert das aber einfach nicht profitabel.“ Deshalb schalte das Gründerteam nur Facebook- und Instagram-Ads für Retargeting-Kampagnen – also für eine Zielgruppe, die meinBafög bereits besucht hat.

Weil das Unternehmen komplett selbst finanziert ist, gebe Heinrichs nie mehr Geld für die Akquisition eines Kunden aus, als der erste Sale einbringe. Die magische Grenze liegt also bei 25 Euro. Insgesamt investiere meinBafög einen fünfstelligen Betrag pro Monat in Marketing.

Das Support-Team pusht das Thema Google Reviews

Ist ein Nutzender erstmal auf der Webseite von meinBafög angekommen, sei nicht nur die Darstellung der Vorzüge des Produkts (30 Minuten Aufwand statt fünf Stunden) wichtig bei der Hinführung zum Verkauf. MeinBafög zeigt darüber hinaus 5-Sterne-Bewertungen von Google prominent auf der eigenen Seite. Und das Unternehmen geht das Einsammeln der Sterne offensiv an, so der Co-Gründer: „Wir sammeln Reviews bei Google über den Support ein. Die Mitarbeiter bekommen einen Bonus für jede Bewertung, die dort auftaucht.“ Dadurch sind bisher 228 Bewertungen für meinBafög bei Google verzeichnet. Der Durchschnitt liegt bei 4,7 Sternen.

Das Business für einen Bafög-Antrags-Digitalisierer ist aber trotz fünfstelliger Marketing-Ausgaben und guter Bewertungen endlich. Das liegt auch daran, dass meinBafög nur die Kosten für seine Dienstleistung verbucht, wenn Bafög auch bewilligt wird. Ein Blick in die beim Bundesanzeiger hinterlegte Bilanz zeigt, dass das Unternehmen hinter meinBafög, die „Access 2 Justice UG“, stabil wächst, aber noch keinen siebenstelligen Umsatz macht. Deshalb heißt es jetzt, größer denken.

„dasElterngeld“ ist erst der Anfang

„Unsere Vision ist, dass wir in fünf Jahren alle behördlichen Anträge, die finanzielle Ergebnisse bringen, digitalisiert haben“, sagt Pascal Heinrichs. Den Start dieser Expansion hat das Unternehmen mit „dasElterngeld“ bereits geschafft. Wie bei meinBafög werden die Nutzenden Schritt für Schritt durch den Antrag für ihr Elterngeld geführt. Auch hier kostet das 24,99 Euro. „Wir können die Learnings aus meinBafög eins zu eins bei dasElterngeld einfließen lassen und andersrum. Das befruchtet sich gegenseitig.“

Und weil Eltern als Zielgruppe dankbarer sind als Studenten, soll bald auch der Kindergeld-Antrag digitalisiert werden. Schon die Umsetzung des Elterngeld-Projekts habe nur noch sechs Monate gedauert, in Zukunft werde die Entwicklung noch schneller gehen. Denn durch die Erfahrungen steht der Rahmen für jegliche Anträge bereits. „90 Prozent der Features, die wir umsetzen, machen wir auf Grundlage von Nutzerbefragungen“, so Heinrichs. Das sei auch der große Vorteil gegenüber kommenden staatlichen Digitalisierungsvorhaben. Einfach ein Antragsformular online verfügbar zu machen, ist in den Augen der meinBafög-Macher ja nicht der richtige Weg.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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