Lieferando-Gründer Christoph Gerber: Viele Unicorns werden verschwinden

Florian Rinke10.7.2022

Im Podcast spricht Christoph Gerber über Bitcoin, Lieferdienste und E-Scooter

Philipp Westermeyer und Christoph Gerber (rechts) sprechen über die Tech-Szene. Foto: OMR
Philipp Westermeyer und Christoph Gerber (rechts) sprechen über die Tech-Szene. Foto: OMR

Wenn Christoph Gerber von etwas überzeugt ist, macht er aus seiner Meinung keinen Hehl. Investor Frank Thelen hat er sogar eine Wette über 100.000 Euro angeboten, dass das Flugtaxi-Startup Lilium Aviation seine Ziele krachend verpasst. Im OMR Podcast analysiert der Lieferando-Gründer und CEO von Talon One die aktuelle Lage in der Startup-Szene – und verrät, welche Unicorns aus seiner Sicht den Status bald wieder verlieren könnten.

Investor:innen sollten kühl, rational und klug investieren. Doch in der Praxis klappt das nicht immer. Regelmäßig kommt es zu Hype-Themen, bei denen bei vielen Investor:innen der Herdentrieb einsetzt, frei nach dem olympischen Motto „Dabei sein ist alles“. Christoph Gerber hat vor einigen Jahren mit dem von ihm gegründeten Startup Lieferando selbst von einem solchen Hype profitiert. Dennoch hält er wenig von vielen der gehytpten Geschäftsmodelle. Zumindest gemessen an den öffentlich kommunizierten Bewertungen der Startups.

Quick-Commerce? Funktioniert laut Gerber nur in einem sehr kleinen Markt oder zu sehr hohen Kosten. E-Scooter? Eine Art Fahrrad-Verleih mit einer App dahinter. Flugtaxis? Luftschlösser, die allein aufgrund der Regulatorik nicht funktionieren werden. Krypto-Währungen? Sind laut Gerber die größten Luftschlösser überhaupt, die von zu vielen Menschen aufgrund von Gier gekauft wurden. „Bitcoin ist nicht verlässlich, Bitcoin ist nicht stabil“, sagt Christoph Gerber im OMR Podcast: „Aber ein Großteil der Leute war im Goldrausch.“ Wenn Christoph Gerber von etwas überzeugt ist, macht er aus seiner Meinung keinen Hehl. Investor Frank Thelen hat er sogar eine Wette über 100.000 Euro angeboten, dass das Flugtaxi-Startup Lilium Aviation seine Ziele krachend verpasst. Thelen hat das Startup finanziert und öffentlich immer wieder gelobt. Wetten wollte er dann aber lieber doch nicht (hier hat Stammgast Sven Schmidt die Wette im OMR Podcast analysiert)

Talon One wird mit 330 Millionen Euro bewertet

In der Berliner Startup-Szene, in der anfangs viele von privaten Hochschulen wie der WHU oder der EBS kamen, war jemand wie Christoph Gerber zwangsläufig ein Exot. Er hat an der Berliner Universität der Künste Wirtschaftskommunikation studiert, wollte mal Werber werden. Stattdessen gründete er 2009 mit Jörg Gerbig und Kai Hansen die Lieferdienst-Plattform Lieferando. Anfangs haben die drei die Speisekarten der Restaurants noch per Hand abgetippt. Später verkauften sie das Unternehmen an den niederländischen Konkurrenten Takeaway und bekamen dafür Anteile an der Firma. Beim Börsengang hielt Christoph Gerber noch zwei Prozent der Anteile. „Von dem, was ich gemacht habe, kann ich gut leben“, sagt er (hier erzählt er 2017 die Geschichte im OMR Podcast).

Dennoch startete er ein neues Startup: Talon One. „Ich wollte eine Firma bauen, wo wir sehr stark über das Produkt verkaufen können“, sagt Christoph Gerber im Gespräch mit OMR-Gründer Philipp Westermeyer. Talon One ist spezialisiert auf Loyalty- und Promotion-Programme und beschäftigt inzwischen rund 200 Mitarbeiter. „Wenn du auf Adidas gehst und einen Gutschein von 25 Prozent bekommst, steckt da Talon One dahinter“, sagt Christoph Gerber. Nach der bislang letzten Finanzierungsrunde wurde das Startup mit 330 Millionen Euro bewertet. Damals stieg der international tätige Wagniskapitalgeber Tiger Global bei den Berlinern ein. 

Christoph Gerber prophezeit Unicorn-Reduktion

Doch Christoph Gerber weiß solche Zahlen einzuordnen: „Von Bewertungen kannst du dir nichts kaufen.“ Am Ende ginge es darum, welcher Preis bei einem Börsengang oder Verkauf realisiert werden könnte. Der Talon-One-Gründer ist daher auch überzeugt, dass viele Unicorns wieder verschwinden werden. Speziell 2021 hatte eine ganze Reihe an Startups die magische Grenze von einer Milliarde Dollar bei der Firmenbewertung durchbrochen. Damals schien Geld im Überfluss vorhanden zu sein, einige Investoren sagten Millionen-Beträge schon nach zwei Videotelefonaten zu. 

Doch inzwischen hat sich der Markt radikal gedreht. Getrieben durch die Inflation, die steigenden Zinsen und die unsichere wirtschaftliche und weltpolitische Lage sind viele Investoren deutlich zurückhaltender bei Bewertungen und Finanzierungen. Der Blick auf die Profitabilität ist wieder stärker in den Fokus gerückt. Wachstum um jeden Preis wird kaum noch finanziert. Für viele käme das Erwachen bei der nächsten Finanzierungsrunde. Sobald eine Anschlussfinanzierung gebraucht würde, ist Gerber überzeugt, würden die Bewertungen schmelzen – sofern die Gründer:innen nicht extreme Zugeständnisse gegenüber den Investoren machen würden. „Und dann wird ein Tier Mobility keine zwei Milliarden Dollar wert sein, sondern wahrscheinlich eher 300 Millionen“, prophezeit der Gründer. 

Im OMR Podcast spricht Christoph Gerber außerdem über Schachspiele mit Virgin-Gründer Richard Branson, die seltsamen Investment-Praktiken von Tiger Global und die Frage, welche Hoffnungsträger er in der deutschen Startup-Szene aktuell sieht.

Die Themen des OMR Podcasts mit Christoph Gerber im Überblick:

  • Christoph Gerber über Lieferando und Talon One (00:02:50)
  • Sein Blick auf Lieferdienste und E-Scooter (00:18:00)
  • Liquidations-Präferenzen und Co. – so sichern sich Investoren ihre Rendite (00:30:00)
  • Lilium Aviation und die Wette auf Flugtaxis (00:35:00)
  • Krypto-Währungen und der Goldrausch der Gierigen (00:44:00)
  • Diese Leute kennt man nicht, obwohl man es sollte (01:00:00)
  • Die Zukunft von Deutschland – ein Grund zur Sorge? (01:09:30)
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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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