Wie war die Vier-Tage-Woche, Deutschland?
Intraprenör und die Universität Münster haben ein halbes Jahr 45 Unternehmen dabei begleitet, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Das sind die Ergebnisse.
Lange sehnte sich die Diskussion in Deutschland nach Fakten – nun sind sie da. In einem sechsmonatigen Pilotprojekt setzten 45 Unternehmen die Vier-Tage-Woche um. Betreut von der Universität Münster, initiiert von der Firma Intraprenör, umgesetzt mit der NGO Four Day Week Global, die bereits in Großbritannien eine vielsagende Studie durchgeführt hat. Auch hier sind die Resultate vielversprechend, gerade hinsichtlich der Gesundheit und des Stresspegels. Teilnehmende Unternehmen geben Einblicke.
Die Widersacher der Vier-Tage-Woche argumentieren insbesondere damit, dass wir einen Fachkräftemangel haben, der sich verschärfen wird, sobald die Babyboomer erst einmal in Rente sind. Die Fakten sprechen für sie und auch die paradoxe Frage leuchtet fürs Erste ein: Mit weniger Arbeit einem Mangel begegnen? Nicht lange brauchen die Kontrahenten dann, bis sie auf die schlechte Arbeitsmoral der jungen Generationen schimpfen, die uns überhaupt den Diskurs über eine Work-Life-Balance vor die Tür gekehrt habe.
Offen für den Diskurs
Auch Gesa Meyer-Brüna ging es so. Ihr gehören acht Praxen für Logopädie und Ergotherapie im Landkreis Leer. Die 56-Jährige bezeichnet sich selbst als “Workaholic”. 60 Stunden Arbeitszeit? Keine Seltenheit. “Ich habe mich sehr lange schwer getan mit der Generation Z.” Eine Altersklasse, der der Ruf vorauseilt, faul zu sein, weil sie Arbeit nicht mehr derart in den Fokus rückt wie ältere Generationen. Im September 2023 schlug die Ergotherapeutin die Zeitung auf. Dort zu lesen war ein Text über eine erfolgreiche Studie in Großbritannien, in der 61 Unternehmen eine Vier-Tage-Woche testeten. 90 Prozent waren am Ende so zufrieden, dass sie auch weiterhin an dem Arbeitszeitmodell festhalten. “Es war an der Zeit, die Generation zu verstehen und mich der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen”, sagt Meyer-Brüna, die nach der Pandemie etwas suchte, um ihre Mitarbeitenden wieder zu motivieren. Passend, dass die Universität Münster und das Berliner Unternehmen Intraprenör dem Diskurs in Deutschland wissenschaftlichen Boden bereiten wollten, mit der Vier-Tage-Woche auch hierzulande zu experimentieren. Nun ist das halbe Jahr des Pilotprojekts rum und Meyer-Brünas Fazit überrascht selbst sie: “Es hat uns unglaublich viel gebracht. Es war ein mega spannendes Projekt.”
Gesa Meyer-Brüna eröffnete 1998 die erste Praxis im Landkreis Leer, mittlerweile sind es acht. Die Skepsis gegenüber der Vier-Tage-Woche hat sie abgelegt. Foto: Privat
Eine glückliche Fügung
Zehn der 70 Angestellten erklärten sich bereit, das Experiment mitzumachen. Grundstein war, selbstständig zu schauen, wie die Arbeit in 36 Stunden erledigt werden kann. Der Start fiel mit der Entscheidung der Krankenkassen zusammen, das künftig zwei Patient*innen gleichzeitig behandelt werden dürfen. “Lang ersehnt”, sagt die Praxisinhaberin. So konnten Kinder, Patient*innen mit Schlaganfall, Parkinson oder MS massiv voneinander profitieren – genau wie das Projekt. “Eine Kollegin ging wie auf Wolke sieben. Sie hat gesagt, dass ihr dieser Tag so viel mehr Freiheit gibt. Es trägt sehr zur Work-Life-Balance bei, wir haben neue Mitarbeitende gewonnen und die Motivation sichtlich gesteigert”, freut sich die Ergotherapeutin. Drei Kolleg*innen werden es aber nicht fortsetzen, 80 Prozent bei vollem Lohn zu arbeiten. Zwei war es zu viel Arbeit in kürzerer Zeit, eine braucht den freien Tag nicht.
Meyer-Brünas Eindruck wird von den Studienergebnissen bestätigt, die die Initiatoren von Intraprenör im Oktober 2024 veröffentlichten. Unter anderem wurden die Fitnesstracker ausgelesen und die Stressminuten zweier Kontrollgruppen miteinander verglichen. Das Ergebnis: 94 Prozent derer, die in einer Art Vier-Tage-Woche arbeiteten, waren signifikant weniger gestresst. Mehr noch: Prof. Dr. Julia Backmann, die das Projekt wissenschaftlich leitete, berichtet auch von einem Anstieg der körperlichen Aktivität (38 Minuten länger pro Woche) und deutlich weniger Stress- und Burnout-Meldungen.
Die Grafik zeigt die Stressminuten pro Tag. Der dunkelblaue Graph zeigt die Stressminuten derjenigen, die in einer Art Vier-Tage-Woche gearbeitet haben. Es fällt auf, dass diese Beschäftigten an sechs von sieben Tagen deutlich weniger gestresst sind. Quelle: Intraprenör/Uni Münster
Gesünder, ruhiger, agiler
30 Unternehmen wollen weiter in diesem Modell arbeiten, das ganz flexibel ausgelegt wird. 34 Prozent senkten die Arbeitszeit um ganze 20 Prozent, 20 Prozent der teilnehmenden Unternehmen zwischen elf und 19 Prozent, der Rest blieb bei 10 Prozent oder weniger. Über allem stand das Credo “einer Arbeitsweise, die mehr Produktivität ermöglicht”, wie es Intraprenör-Co-Gründer Carsten Meier prägnant formuliert. Seine Bilanz ist “sehr positiv”, die Studie habe den Anspruch erfüllt, nun bessere Gespräche über diese Idee führen zu können. Nun ist auch hier bewiesen, so Meier: Die Vier-Tage-Woche sorgt für mehr Freiheit, die wiederum nicht nur für mehr Zufriedenheit im Job, sondern generell im Leben sorgt. “Die Daten zeigen, dass diese Arbeitsweise zu einem enormen Abfall von Stress führt. Auch die Produktivität ist angestiegen oder mindestens gleich geblieben”, sagt er. Auffällig: Umso enger sich die Unternehmen durch die Durchführenden begleiten ließen, desto eher war das Experiment erfolgreich. Welche Maßnahmen führen zu diesem Erfolg? Der Großteil versuchte, Ablenkungen zu entlarven und zu reduzieren. Prozesse wurden optimiert, die Meetingkultur angepasst, Fokuszeit eingeführt und digitalisiert. “Über 90 Prozent haben ihre Mitarbeitenden intensiv in den Prozess integriert. Am Ende waren es die, die die Umsetzung mit Leben gefüllt haben”, betont Meier.
"Wir haben mit weniger Leuten, die weniger gearbeitet haben, bessere Ergebnisse erzielt."
So ging auch Orthopädietechniker Thomas Jaeger vor, der von allen 29 Köpfen in seinem Team profitierte. Sein Vorschlag, die Arbeitszeit um 20 Prozent zu reduzieren, lehnten die Mitarbeitenden ab. “Sie haben gesagt, wir schaffen unsere Arbeit dann nicht mehr – und dieses Verantwortungsbewusstsein finde ich ganz bemerkenswert." Die Demokratie entschied sich für zehn Prozent Reduktion, in der Praxis haben die Mitarbeitenden seither alle 14 Tage einen Tag frei. Die Umstellung sei zwar hart gewesen und ebenso unterschätzt, doch der Kraftakt habe sich bewährt: “Wir haben mit weniger Leuten, die weniger gearbeitet haben, ein besseres Ergebnis erzielt.” Weniger Leute, weil kurzfristig ein Mitarbeiter für längere Zeit krankheitsbedingt ausfiel.
Digitalisierter Erfolg
Die Öffnungszeiten der Werkstatt für technische Orthopädie blieben dabei unverändert. Absprachen, die sonst im Laden erfolgten, wurden seitdem über ein digitales Ticketsystem getroffen. Ganz nach Jaegers Geschmack: “Die ganzen technischen Errungenschaften sollen einfach nur ein höheres Arbeitstempo bedeuten und nicht mehr? Nein, das muss einen Nutzen haben”, begründet er sein positives Resumee zur neuen Arbeitszeit. Ein Prozess, der mündige Mitarbeitende bedarf, lobt der Geschäftsführer die Seinen. “Ich gehöre zwar zu den Babyboomern, aber die Diskussion um die Arbeitszeit ist oldschool. Es werden die gleichen Argumente vorgebracht, wie damals, als wir eine Fünf-Tage-Woche eingeführt haben.”
88 Prozent der Befragten Arbeitnehmenden wünschen sich bzw. können sich vorstellen, in dem Arbeitszeitmodell weiter zu arbeiten. 68 Prozent wollen das unbedingt. Quelle: Intraprenör/Uni Münster
Im Stressbecken für Ruhe gesorgt
Nicole Seifert hat die Vier-Tage-Woche dort eingeführt, wo sie die Wenigsten vermuten: In der Managementberatung. Eigentlich ein Gefilde, das weiß die CEO von Feedbackpeople, in dem viel Arbeitszeit, auch mal am Wochenende, nichts Ungewöhnliches ist. Dadurch war auch ihre Teilnahme am Intraprenör-Projekt schon begründet: “Wir dachten, dass längere Erholungszeiten eine stärkere Bindung und mehr Attraktivität bedeuten.” Außerdem sei es eben auch für Kund*innen interessant, wie sich ein Kulturwandel vollziehen lässt. Schließlich beraten die Consultants häufig zum Thema Kultur, Führung und Klima. Wieso nicht selber als Beispiel dienen? Aber nur “bottom up und nicht top down”, betont Seifert die goldene Regel. Die Teams wissen schließlich selbst am besten, “was man ausmüllen kann”.
"Wir werden vermutlich sogar ein besseres Jahresergebnis erzielen."
Im Backoffice werden seitdem 36 Stunden die Woche gearbeitet, die Consultants bleiben bei 40. Aber alle eint eines: Der Freitag bleibt frei und Überstunden seien deutlich seltener geworden. Wie geht Feedbackpeople vor? “Im Büro gibt es kollektive Fokuszeiten, geräuschunterdrückende Kopfhörer und weiße Fahnen, die die Kolleg*innen aufstellen, wenn sie im Tunnel sind. Seitdem ist es viel leiser und konzentrierter geworden”, sagt die Firmengründerin. Im Recruiting ist der Effekt außerordentlich. Auf eine Senior-Consultant-Stelle gab es in diesem Jahr 381 Bewerbungen, 2023 waren es noch “nur” 131. Was sie sich erhofft hat, ist eingetreten: “Wir schaffen in weniger Zeit das Gleiche, wir werden vermutlich sogar ein besseres Jahresergebnis erzielen. Man erholt sich viel besser in drei Tagen als in zwei. Wir sind innovativer geworden und haben Zeit, über neue Dinge nachzudenken”, frohlockt Seifert.
Letzteres war auch Intraprenörs Impuls, vor sieben Jahren die Vier-Tage-Woche einzuführen. “Der Raum zu denken” legte den Grundstein für das Engagement in der Studie. Mit seiner Idee von Arbeit und den Studienergebnissen ist Meier nicht darauf aus, ein ganzes Land zu bekehren. “Es ist nicht überall umsetzbar und es wird immer Menschen geben, die Lust haben, an fünf Tagen zu arbeiten”, sagt Meier, “aber wenn es dazu führt, dass Menschen die Chance auf mehr Ruhe und Gelassenheit haben, ist das doch toll”. Künftig will Intraprenör zehn Unternehmen in einer Folgestudie begleiten, die mehr als 250 Mitarbeitende haben. Seine Botschaft: “Die Vier-Tage-Woche funktioniert nicht wie ein Lichtschalter, sie hängt von einer innovativen Grundeinstellung ab.”