Die Rücksicht auf Ramadan: Was Arbeitnehmende denken – und was Unternehmen tun
Die Fastenzeit fordert muslimische Arbeitnehmende in einem besonderen Maße. Sich diesem religiösen Ritual zu öffnen, kann für Unternehmen sogar ein Recruiting-Instrument sein.
Einmal im Jahr bricht der Ramadan an: Der Monat, in dem Muslime bei Tageslicht auf Essen, Trinken, Rauchen und vieles mehr verzichten. Angesichts der 5,5 Millionen in Deutschland lebenden Muslime stehen auch Unternehmen vor der Frage, wie sie mit der intensiven Fastenzeit umgehen. Es zeigt sich: Während die einen im Intranet lediglich ein gesegnetes Fest wünschen, schaffen andere sprichwörtlich Raum – in praktischer und kommunikativer Hinsicht. Wir haben mit Arbeitnehmenden und Arbeitgebern gesprochen.
Der Ramadan ist im Islam ein heiliger Monat, der im Zeichen der Nächstenliebe steht. Ist die Sonne am Firmament, wird gefastet. Für in Deutschland lebende Muslime heißt das durchschnittlich fast 16 Stunden Verzicht. Der Islam sieht vor, dass Gläubige fünfmal am Tag beten – was vor allem in diesem Monat besonders priorisiert wird. Der Diskurs für Personaler*innen beschäftigt sich mit der Frage: Was können Betriebe und Kolleg*innen für die Menschen tun, die einen Monat fasten?
Vorzug der Gefälligkeiten
Das Bauunternehmen Riedesser-Bau GmbH & Co. KG in Schleswig-Holstein nimmt auf sie besonders Rücksicht, wie Ugur Uyar uns erzählt. Der Dachdeckergeselle hat sich nach drei Jahren Pause dazu entschieden, wieder zu fasten – auch weil sein aktueller Arbeitgeber dafür einen geeigneten Rahmen schafft. “Vorher konnte ich die Arbeit nicht mit beten und fasten vereinbaren”, blickt Uyar auf seine Zeit als KFZ-Mechatroniker zurück. In Absprache mit dem Bauleiter darf er sich zum Beten zurückziehen. “Er hat das cool aufgenommen und Verständnis dafür”, freut sich der 27-Jährige, der nicht nur die Empathie hervorhebt: “Mir wird auch die schwere Arbeit abgenommen.” Der Deutsche mit türkischen Wurzeln ist einer von drei Muslimen in der Firma.
Die Riedesser-Bau möchte offen und sensibel mit Fastenden umgehen: “Inklusion ist das Stichwort. Wir möchten allen Menschen, die bereit sind, im Handwerk zu arbeiten, die Chance ermöglichen”, sagt Claas-Caspar Rosenbrock, “unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion.” Nicht nur die Verantwortlichen sind so eingestellt; laut dem Social-Media-Manager respektieren auch die Mitarbeitenden die religiösen Praktiken und “tragen sie mit”. Daran sei vor allem Geschäftsführer Tim Riedesser interessiert, wie Rosenbrock betont: “Wir haben einen ausgesprochen toleranten und sozial eingestellten Chef, dem das Wohl der Mitarbeitenden sehr am Herzen liegt.”
Claas-Caspar Rosenbrock ist Teamassistenz und Social-Media-Manager bei Riedesser-Bau.
Angst, den Job zu verlieren
Über diese Möglichkeiten kann sich nicht jede*r freuen. Mustafa, der nicht mit vollem Namen genannt werden will, arbeitet in einem Pharmaunternehmen in Süddeutschland. Lediglich eine englische Nachricht im Intranet teilt den Mitarbeitenden mit, dass Muslime den Ramadan feiern. “Jeder kann seine Religion frei ausleben – und das ist auch hier so”, möchte er klarstellen, doch das Arbeitspensum bringe ihn manchmal dazu, doch mit dem Fasten zu brechen.
“Am Ende des Tages steht mein Job zur Diskussion, wenn ich einen Monat habe, in dem ich meine Leistung nicht bringe. Da muss man abwägen”, so Mustafas Dilemma. Für ihn steht eher im Vordergrund, mit dem religiösen Ritual diskret umzugehen. Schließlich laute das Credo der Islamgläubigen, einen normalen Alltag zu leben. “Keiner muss sich deswegen krumm machen”, sagt er hinsichtlich möglicher Gefälligkeiten des Arbeitgebers. Trotzdem hätte er nichts gegen mehr Rücksicht. “Ein Entgegenkommen wäre nice to have, aber man muss verstehen, dass es zu viel erwartet ist.”
Steigende Islamophobie hemmt
Bei Jaheed Jabar* (Name von der Redaktion geändert) ist das anders. Er ist überwiegend Remote tätig, kann sich selbst die Räume fürs Fasten schaffen. Im Gegensatz zu Dachdecker Ugur sitzt er nicht in der Pause mit seinen Kolleg*innen zusammen, was ihm das Ritual erleichtert. Denn niemand sieht, dass er nicht isst, niemand will wissen, warum das so ist. “Das Thema Glaube ist eh etwas, das ich mit mir selbst ausmache”, sagt der Marketeer. Seine Diskretion basiert aber auch auf äußeren Einflüssen: “In Zeiten wachsender Islamophobie bin ich vorsichtiger und gehe da lieber Kompromisse mit mir selbst ein”, sagt Jabar, der den Eindruck hat, dass er “außerhalb von Hamburg oder Berlin auf wenig Toleranz trifft”. Sein Umfeld sehe das ähnlich.
Jabar fehlt die Rücksicht. Ein Beispiel: Seine Führungskraft beauftragte ihn mit einer langen Dienstreise. Als er mitteilte, dass es für ihn anspruchsvoller als gewöhnlich wird, weil er fastet, antwortete sie, dass er sich “mal wieder blicken lassen sollte”. Er nahm die Reise auf sich. “Ich sah das als Herausforderung, auch mit so was umzugehen – und ich wollte nicht, dass es für neuen Unmut gegenüber fastenden Menschen sorgt.”
Das deckt sich mit den Erkenntnissen des von der Bundesregierung beauftragten “Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit” (UEM), der drei Jahre lang dazu forschte. Er sieht eine feindliche Haltung gegenüber Muslimen, die in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft verbreitet sei. Eine Statista-Umfrage aus dem Jahr 2019 spiegelte, dass 57 Prozent der Befragten den Islam bedrohlich finden, 36 Prozent finden ihn jedoch auch bereichernd. Ergebnisse, die dafür verantwortlich sein dürften, dass eine gewisse Abneigung Raum für Rücksicht nimmt oder das Verständnis mindert.
Lohnt sich das?
Andisheh Ebrahimnejad zelebriert den Ramadan ebenfalls. Einer ihrer beruflichen Schwerpunkte ist Diversität. Die Gründerin von Dastan Consulting hat bereits mehrere HR-Abteilungen aufgebaut, strukturiert oder optimiert – und hält die deutsche Arbeitskultur für wenig flexibel. “Unternehmen setzen den Aufwand in Relation zur marginalisierten Gruppe und fragen sich: Lohnt sich das?”, sagt die 31-Jährige. Die gebürtige Iranerin, aufgewachsen in Deutschland, wünscht sich mehr Sensibilität für eine multikulturelle Gemeinschaft. Angefangen mit der Kommunikation, können Personalbereiche mit klugen Kniffen auf die Menschen zugehen.
Sie hat Dastan Consulting gegründet und befürwortet jede Zuneigung gegenüber dem Ramadan: Andisheh Ebrahimnejad.
“Es ist wichtig, dass eine unterstützende Atmosphäre geschaffen wird. Die HR-Abteilung kann schon vorher auf Multiplikatoren schauen und auf fastende Muslime zugehen”, meint sie. En détail könnte das so aussehen: “Wir haben das meistgenutzte Kommunikationsmedium im Unternehmen bemüht, um zu sagen, dass wir etwas für Ramadan planen und fastende Muslime eingeladen sind, Input zu geben und mitzugestalten – und die Leute haben sich gemeldet”, sagt Ebrahimnejad.
“Wenn zwei Channuka, zwei Weihnachten und zwei Ramadan feiern würden, hätte das Thema eine andere Relevanz.”
Auch sie weiß, dass das überschaubare Kollektiv sich lieber zurückhält. Sei es wegen des Vorhabens, sich so wenig wie möglich anmerken zu lassen oder möglicher Reaktionen. “Man kriegt ja keinen Zuspruch dafür, dass man gläubig ist”, sagt sie, “aber wenn das jemand für Unsinn empfindet, bringt mir das nichts”. Ernstgemeinte Offenheit sei der Schlüssel für ein diverses Umfeld. Helfen würde es, so die Initiatorin von “Love HR, hate Racism!”, wenn in deutschen Führungsetagen mehr Vielfalt herrschen würde. “Wenn zwei Channuka, zwei Weihnachten und zwei Ramadan feiern würden, hätte das Thema eine andere Relevanz.” Ob in der Produktion, im Dreischicht-System, in der Kantine – überall würden Orte geschaffen werden können oder Gesten und Bedingungen einkehren, die im neunten Monat des islamischen Kalenders denen entgegenkommen, deren Blutzuckerspiegel gen Nachmittag in den Keller geht.
IKEA und Amazon: Vielfalt prägt
Dass durch viele Kulturen Offenheit und Neugierde organisch wachsen, zeigt der Onlineversand-Riese Amazon. In den fünfstöckigen Lagerhallen gibt es Gebetsräume und spezielle Trinkpausen. Die Mitarbeitenden können ihre eigentlich festgelegten Pausen so legen, dass sie in den Gebetsplan passen oder dem Fastenbrechen dienen. Das wird durch die an jedem Standort ansässigen HR-Teams kommuniziert. “Für uns ist das selbstverständlich, wir haben Mitarbeitende aus über 100 Nationen – die Diversität ist Teil unserer Kultur”, sagt Pressesprecher Oliver Kentschke. Beim Zuckerfest, dem ersten Tag nach dem Ramadan, werde das Süßgebäck Baklava angeboten.
Der sogenannte Gebetscube bietet Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich für ein Gebet zurückzuziehen: Quelle: Daniel Zellmer
Auch IKEA ist das ein Anliegen. In Berlin-Tempelhof hat der schwedische Einrichtungskonzern dieses Jahr zum gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen, in Lichtenberg wurde ein Gebetscube bereitgestellt und in Führt feiert die Filiale seit einigen Jahren das Zuckerfest. “IKEA setzt sich dafür ein, den muslimischen Mitarbeiter*innen das Fasten so leicht wie möglich zu machen”, teilt uns das Unternehmen mit. Auch die Öffnungszeiten des Mitarbeitendenrestaurants würden an den Zeitraum des Ramadans angepasst. Befragte Expert*innen und Betroffene sind sich einig: Fortschritte sind erkennbar und trotzdem sind noch viele Schritte zu gehen. Einige Unternehmen nehmen sich den kulturellen Minderheiten in diesem Land an und sehen ihre Religionen als Teil dieser Gesellschaft. Nicht nur, dass es für ein angenehmes Miteinander sorgt, es dient auch noch als Möglichkeit, attraktiver auf unterschiedliche Zielgruppen zu wirken. Baklava zum Fastenbrechen ist da nur der Anfang.
Hinweis der Redaktion: Im Kontext dieses Themas stand für uns die positive Mentalität des Arbeitgebers Amazon im Vordergrund. Dennoch ist uns wichtig, zu erwähnen, dass der Versandhändler bei Arbeitnehmenden und Gewerkschaften wegen fragwürdiger Bedingungen in der Kritik steht.