50 Tage Urlaub: Hornbach und die neue Zeitrechnung

Marvin Behrens 17.11.2023

Der Hornbach-Baumarkt geht neue Wege: Die neue Philosophie “Arbeitszeit nach Maß” ermöglicht Mitarbeitenden nie da gewesene Freiheiten.

Hornbach und der Buchstabenklau
Bei mehreren Filialen in Deutschland fehlten zwei Buchstaben im Hornbach-Schriftzug. Der Baumarkt sprach von Diebstahl, doch letztlich war es ein raffinierter Marketing-Gag. Quelle: Hornbach Baumarkt AG

Bekannt ist der Hornbach-Baumarkt für einprägsame Slogans und kreative Kampagnen, doch das Familienunternehmen glänzt nicht nur mit guter Öffentlichkeitsarbeit, es hat auch die eigenen Arbeitskonditionen kräftig umgekrempelt. Bis zu 50 Urlaubstage sind möglich. Ein Fortschritt, der den Vorstand vor die Frage stellt: „Was hat uns daran gehindert, es früher zu tun?”

Beinah nichts im Leben ist zutreffender als der Fakt, den sich die Hornbach-Gruppe traditionell als Claim zu eigen gemacht hat: „Es gibt immer was zu tun.” Trotzdem bleibt manches lange so, wie es ist – gerade auf dem Arbeitsmarkt. Im September 2022 zeigte der DIY-Verfechter, der seine Kundschaft zum Selbermachen animiert, dass altherkömmliche Strukturen der Vergangenheit angehören. Mit ihrem Modell „Arbeitszeit nach Maß” dürften sie vielen Mitarbeitenden ein lebhaftes „Yippie Ja Ja Yippie Yippie Yeah” in den Kopf gesetzt haben.

Reaktion auf das Leben

Die 11.000 Mitarbeitenden in Deutschland haben seither die Chance, ihr Arbeitsleben flexibel zu gestalten. Dabei steht vor allem der Mitarbeitende selbst im Fokus. Strikte Vorgaben? Ewig gestrig.

⁠„Die Lebenssituation der Menschen ist einfach höchst unterschiedlich, dem wird die starre Soll-Arbeitszeit nicht gerecht”, sagt Jochen Braun, Mitglied der Geschäftsleitung. Konkret setzt Hornbach dafür vier Bausteine ein, die für das Personal sowohl mehr als auch weniger Arbeitszeit möglich macht – je nach Bedarf.

„Mal ist die Erholung wichtig, mal die Zeit."

So kann der Mitarbeitende bei Hornbach befristet oder unbefristet in ein Teilzeitmodell wechseln. Das ist zwar flexibel, doch keine Innovation. Diese Bezeichnung hat vielmehr folgende Idee verdient: Weihnachts- und Urlaubsgeld können gegen freie Tage eingetauscht werden, was im Optimalfall zu 20 Tagen mehr Freizeit führt. „Weil es Phasen im Leben gibt. Mal ist die Entlohnung wichtig, mal die Zeit”, begründet Marketing-Vorstand Karsten Kühn im Podcast des Bundesverband Digital Wirtschaft. 

Zeit statt Geld

Auffällig: Das Verhältnis zur Zeit wird bei Hornbach neu gewichtet. Das zeigt auch diese Option auf: Statt einer jährlichen Gehaltserhöhung, wie sie regulär existiert, können sich die angestellten Menschen für einen Freizeitausgleich entscheiden. Entweder können sie ihre Arbeitszeit per se senken oder diese eingetauschte Freizeit auf ein „Lebensarbeitszeitkonto” überführen, das mehrere Vorteile birgt. Der entsprechende Kontostand ermöglicht, dass man während des Arbeitslebens drei bis zwölf Monate freigestellt werden kann, vor dem Ruhestand kann der Mitarbeitende seine Arbeitszeit reduzieren oder eben früher die Rente antreten. “Für die Kolleginnen und Kollegen ist es eine sinnvolle Möglichkeit, Beruf und Privatleben besser in Einklang bringen zu können”, sagt Braun.

Möglich: Reaktion auf die Inflation

Das gilt aber nicht nur für mehr Zeit neben der Arbeit. “Ein Baustein, der im Rahmen der Inflation stark genutzt wird, ist, dass die Arbeitszeit temporär erhöht wird”, verrät Kühn. Im Abschnitt von drei bis neun Monaten können die Arbeitnehmenden auf 40 bis 42,5 Stunden hochschrauben oder das Teilzeit-Konstrukt verlassen. 

Ein Viertel der Belegschaft nimmt das Modell wahr, das sind ungefähr 2.750 Mitarbeitende. Jeder Zweite nutzt dabei die Möglichkeit, vorübergehend mehr Stunden zu arbeiten. Von weniger Arbeitszeit macht ein Viertel gebraucht, das gilt auch für die Umverteilung. Warum „so wenig”? Das kann nur spekuliert werden, sagte die Pressestelle. Die meisten, insbesondere Logistiker*innen und Büromitarbeitende, nehmen die im Einzelhandel tariflich geregelte Vollzeit von 37,5 Stunden wahr. Und auch hier ist nach Möglichkeit Zeit und Ort verhandelbar. 

„Die Reaktionen sind sehr positiv”, sagt Geschäftsleiter Braun, der einen Mehrwert für alle Beteiligten ausmacht: „Zufriedene Mitarbeitende sorgen für zufriedene Kund*innen.” Laut Aussage der Geschäftsleitung frequentiere die Belegschaft ihre Arbeit in der Saison automatisch höher, denn letztlich geht es nicht um individuelle Bedürfnisse, sondern eine funktionierende Arbeitsgemeinschaft. Das geschieht eigenverantwortlich. „Es gibt keinen, der das einteilt. Das Bedürfnis des einen, der einen freien Tag will, bedeutet für jemand anderes, arbeiten zu müssen”, erklärt Kühn den vorherrschenden Pragmatismus. 

„Man hinterfragt die bestehenden Dinge nicht konsequent genug"

Die „Arbeitszeit nach Maß” ist erfolgreich – der Vorstand hadert dennoch. Und zwar mit der eigenen Beharrlichkeit, die in dieser Welt gewachsen ist. „Man hinterfragt die bestehenden Dinge nicht konsequent genug. Man verharrt in seinen Erfahrungswerten”, bedauert Kühn die lange währende Kontinuität der Soll-Arbeitszeit. Wenngleich die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden, schwankt Kühn zwischen Euphorie und Demut. „Wenn man sowas einführt, stellt man sich, neben der Tatsache, dass man es vielleicht ganz toll findet, die Frage: Was hat uns daran gehindert, es früher zu tun?” Eine gute Antwort darauf gibt es nicht, dafür aber einen wichtigen Impuls für das Management: „Die Aufgabe muss sein, zu jedem Zeitpunkt konstruktiv das Bestehende zu hinterfragen”, gibt Kühn zu verstehen.

Mehr Geld, wenn die Zeit es zulässt. Mehr Zeit, wenn das Leben es wünscht. Der Ausbruch aus einem betoniert geglaubten Konstrukt. Eine Hommage an den Hornbach-Werbespot aus 2016, der mit dem Satz endet: „You’re alive. Do you remember?”

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft. Parallel war er Mediengestalter, Kolumnist und Sportredakteur.

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