Geschlechtsneutrale Elternzeit: Henkels Kniff in schwierigen Zeiten

Marvin Behrens30.10.2024

Henkel bietet den Mitarbeitenden etwas an, das so noch kein anderer Arbeitgeber tut: die geschlechtsneutrale Elternzeit.

Symbolbild Vater und Kinder
Für die Kinder da sein leicht gemacht: Kriegen Henkel-Mitarbeitende Nachwuchs, können sie sich problemlos acht Wochen ohne finanzielle Einbuße in Elternzeit begeben – ein Novum. Foto: Henkel

Henkel wagt einen innovativen Vorstoß: Ab Januar 2024 können sich Eltern acht Wochen in die Elternzeit verabschieden – bei vollem Gehalt. In Deutschland ist das vor allem für Väter, Pflege- oder Adoptiveltern entscheidend, in anderen Ländern profitieren da auch Mütter von. Das lockt Fachkräfte. Warum Henkel damit die Wirtschaft inspiriert und der Politik zuvorkommt. 

Jeder zweite Vater würde sich die Kinderbetreuung gerne gerecht aufteilen, doch nur jeder fünfte schafft es auch. Das geht aus dem staatlichen Väterreport 2023 hervor. Längst blüht der Diskurs in Deutschland, dass Väter mehr in die Erziehung ihrer Kinder involviert sein wollen und dass diese moderne Idee das freundliche Begleitsymptom mitbrächte, dass Frauen dadurch Elternsein und Karriere besser vereinbaren können. 

Hierzulande gibt es das Recht auf “Vaterschaftsurlaub” nicht, obwohl die EU-Richtlinie seit August 2022 zwei Wochen bezahlten Urlaub nach der Geburt des Kindes vorsieht. Deutschland hat sich per Ausnahmeklausel davon befreien lassen, weil die Bedingungen hier bereits besser seien als in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten. Das Familienministerium verspricht aber, das Gesetz noch 2024 zu erlassen. Bis dahin gilt weiter die Regel: Das Elternteil, das nicht entbunden hat, nimmt Urlaub. Bis die Politik diesen Anspruch in die Wege leitet, können Unternehmen aber die Initiative ergreifen. Henkel zeigt, wie es geht –  in großem Stil.

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Oliver Wilhems verantwortet den HR-Bereich in Deutschland und der Schweiz. Foto: Henkel

Mit der geschlechtsneutralen Elternzeit schafft das Dax-Unternehmen einen Benefit, der weltweit seinesgleichen sucht. Acht Wochen dürfen Eltern bei vollem Gehalt nach der Geburt ihr Kind betreuen. “Wenn wir Gleichberechtigung unterstützen wollen, ist das ein exzellentes Beispiel dafür, wie wir dieses Thema angehen möchten”, erklärt der Head of HR Oliver Wilhelms gegenüber OMR, der diesen Bereich in Deutschland und der Schweiz verantwortet. Denn: “Das Thema Diversity steht für uns ganz oben auf der Agenda.” Dass Henkel in 70 Ländern Standorte besitzt, erhöhe die Kraft dieser Initiative. “In vielen Ländern ist es ein erhebliches Benefit, dort gab es zuvor kein vergleichbares Angebot”, betont Wilhelms. 

Kostenpunkt unklar

Für üblich beziehen Eltern in Deutschland während ihrer Auszeit ein festgelegtes Elterngeld vom Staat, das bei maximal 1.800 Euro liegt (minimal 300 Euro), was sich am Netto-Einkommen bemisst. Henkel stockt die Differenz auf das volle Gehalt auf. Aber was kostet das eigentlich? Das sei “nicht zu beziffern”, antwortet das Unternehmen, “wir wissen ja noch gar nicht, wie viele Kinder geboren werden und wie viele Mitarbeitenden die Elternzeit nehmen werden”. Im Vordergrund stehe die sinnvolle Investition in die Mitarbeitenden und jene, die es werden. 

“Wie können wir Mütter entlasten? Die Erziehung wird immer noch weitgehend von Müttern verantwortet”

Zudem könnte eine solche Praxis erheblichen Einfluss auf das künftige Familienleben nehmen, denn: Wie eine Umfrage des Bundesfamilienministeriums zeigt, geben 53 Prozent der Männer an, dass sie keine Elternzeit nehmen, weil ihnen die finanziellen Einbußen “zu hoch erscheinen”. 22 Prozent befürchten sogar Existenznöte. Dieser Angst könnte das Henkel-Modell zuvorkommen. Zudem gibt es eine Antwort auf die Frage: “Wie können wir Mütter entlasten? Die Erziehung wird immer noch weitgehend von Müttern verantwortet”, konstatiert Wilhems, der bei der Gelegenheit auch auf die Mitarbeitenden-KITAs verweist. In Düsseldorf, dem größten Standort mit 6.500 Mitarbeitenden, betreuen drei Einrichtungen die Kinder der Belegschaft. Dabei kooperiert das Unternehmen mit der AWO und der Stadt Düsseldorf. Doch auch hier müssen Betreuungszeiten hin und wieder aufgrund Personalmangels verkürzt werden.

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Der Väterreport bei Statista: Was sind die Gründe, dass der Vater keine Elternzeit genommen hat? Quelle: BMFSFJ

Was die geschlechtsneutrale Elternzeit angeht, mausert sich Henkel zum Vorbild: “Uns haben auch schon viele Anfragen von anderen Unternehmen erreicht”, freut sich Wilhelms, der seine Erfahrungen gerne teilt, “denn es war uns auch ein Anliegen, einen guten Impuls zu setzen”. 

Eifriger als andere

Doch es lief nicht alles glatt, wie Handelsblatt-Recherchen im Mai zeigten. Mitarbeitende, die dieses Angebot wahrnehmen wollten, wurden vertröstet. Was fehlte, waren die genauen Informationen, wie interne Mails zeigten. Davon sei auch der Aufsichtsrat überrascht gewesen, heißt es im Wirtschaftsblatt. Henkel begründete das mit der Komplexität der Umsetzung. Wilhelms kann die Irritation bis heute nicht verstehen: “Wir hatten kommuniziert, es zum 1. Juli umzusetzen”, sagt er. Der komplexe Akt, die geschlechtsneutrale Elternzeit nun auch in anderen Standorten der Welt (48.000 Mitarbeitende in über 70 Länder) umzusetzen, ist jedoch gemeistert.

Obwohl das Ganze offenbar so knifflig ist, dass das Softwareunternehmen SAP genau aus diesem Grund sein Vorhaben abgeblasen hat, Elternteile für sechs Wochen lang freizustellen. Es ließe sich “leider keine gleichberechtigte globale Lösung bei SAP abbilden”, hieß es damals. Henkels Praxis widerlegt das: “Weil die Unterschiede teilweise groß sind, war es schon schwierig. In einigen asiatischen Ländern erhielten Mütter beispielsweise nur einen Teil ihres Gehaltes für wenige Wochen. Die Väter hatten keine Möglichkeit, voll bezahlt in Elternzeit zu gehen. Wir konnten das nun auch dort standardisieren”, so das Unternehmen.

Strukturwandel bringt Schlagzeilen

Allen Umständen zum Trotz ist das Projekt gestartet. Und dazu gehörte auch der Umbruch, den das Unternehmen Henkel seit 2022 durchlebt: Bis zu 2.000 Stellen sollen abgebaut worden sein, weil der Wasch- und Reinigungsmittelbereich mit der Kosmetikherstellung zusammengeführt wurde. Dadurch hat sich die wirtschaftliche Situation bereits entspannt, die Umstrukturierung ist aber noch nicht abgeschlossen, wie jüngste Nachrichten zeigen. Obwohl Geschäftsführer Carsten Knobel erst im August sagte, sowas werde nicht passieren, wird ein Klebstoffwerk in Heidenau geschlossen. Betroffen sind 40 Beschäftigte. 

Das ändert nichts daran, dass das Benefit Früchte trägt. Bis zu 60 Väter in Deutschland haben die geschlechtsneutrale Elternzeit bereits beantragt. Der Anspruch gilt seit Neujahr 2024, kann also auch rückwirkend geltend gemacht werden. “Das Feedback ist gut. Wir zeigen, wie glaubhaft unsere Versprechen sind”, so der Verantwortliche Wilhems. Der positive Effekt: Während Henkel umstrukturiert, Standorte zusammenlegt und Stellen abbaut, flattern fleißig Bewerbungen ins Haus. “Die bezahlte Elternzeit erhöht die Bereitschaft, sich bei uns zu bewerben und zeigt einmal mehr, dass unsere Sozialleistungen richtig sind”, lobt der HR-Chef. Lenkt Henkels Impuls den Umgang mit Eltern generell in eine andere Richtung? Sicher ist: Jedes erfolgreiche Praxisbeispiel zieht Gegenargumenten den Zahn. 

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft.