Strumpfhosen gegen die Rentenlücke: Wie Trade Republic im Marketing punktet

Der Neobroker setzt auf ungewöhnliche Maßnahmen, um neue Kund*innen zu gewinnen

Das Trade-Republic-Marketing-Playbook
Der Neobroker Trade Republic setzt im Marketing auf unkonventionelle Aktionen wie bedruckte Strumpfhosen, Karten-Drops oder Demos. Fotos: Trade Republic/OMR/Marieke Einbrodt

Das Marketing-Playbook von Banken und Brokern sah bislang häufig Sponsoring im Sport-Bereich vor – der Neobroker Trade Republic bringt hingegen zum Weltfrauentag gemeinsam mit dem Label Saint Sass eine Strumpfhose auf den Markt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Berliner mit ungewöhnlichen Marketingaktionen auffallen.

Früher hätte ein Finanzinstitut einen Flyer gedruckt und in der Filiale ausgelegt, heute platziert Trade Republic seine Botschaft auf 79 Prozent Polyamid und 21 Prozent Elastan direkt auf dem Oberschenkel. "Retire rich" steht auf den Strumpfhosen, die der Berliner Neobroker in Kooperation mit dem Label Saint Sass anlässlich des Weltfrauentags dropt. Die Strumpfhose soll das Thema Rentenlücke thematisieren und die Notwendigkeit zur Vorsorge – etwa mit einem ETF-Sparplan bei einem Broker wie, äh ja zum Beispiel Trade Republic.

"Wir reden immer noch davon, dass acht von zehn Europäern ihr Geld nicht anlegen", sagte Christian Hecker im Januar im OMR Podcast. Der Kampf gegen die Rentenlücke ist die große sinnstiftende Erzählung von Trade Republic, die aus einer Börsen-App eine Art Gerechtigkeitsstifter macht, frei nach dem Motto: Mag sein, dass euch die Bundesrepublik im Stich lässt, doch die Trade-Republik ist für euch da. Es ist die Mission, der sich Gründer Christian Hecker mit seinem Neobroker öffentlich verschrieben hat – die aber auch Teil des Marketing-Playbooks geworden ist, mit der die Berliner innerhalb weniger Jahre von Null auf mehr als vier Millionen Kund*innen gewachsen sind und dabei viele Konkurrenzangebote hinter sich gelassen haben.

Produktinnovationen und Marketing-Tricks

Mit mehr als fünf Milliarden Euro haben Investor*innen das Startup vor einigen Jahren bewertet und damit zu einem der wertvollsten Unicorns des Kontinents gemacht. Eine solche Bewertung spiegelt dabei nie das gegenwärtige Geschäft eines Startups wider, sie ist eine Wette auf die Zukunft. Denn die Rentenlücke, da ist sie wieder, ist natürlich auch eine Herausforderung, die Wagniskapitalgeber sehen – und aus der sie vermutlich ableiten, dass Neobroker wie Trade Republic künftig noch relevanter (und damit wertvoller) werden könnten.

Das rasante Wachstum von Trade Republic geht dabei mit einer Vielzahl erfolgreicher Marketing-Aktionen einher, die den Berlinern immer wieder neue Kund*innen gebracht haben. Allein eine Zinsaktion, bei der Trade Republic als erster Anbieter in Deutschland vier Prozent Zinsen versprach, dürfte zigtausende neue Nutzer*innen auf die Plattform gespült haben. Auch die Einführung einer Bezahlkarte sorgte für ein großes Presse-Echo, inklusive Mini-Shitstorm, nachdem Verbraucherschützer*innen die dazugehörige Werbung etwas zu offensiv fanden (was ironischerweise wiederum die Aufmerksamkeit auf das Produkt lenkte). Und dann sind da Guerilla-Aktionen wie die Strumpfhose zum Weltfrauentag oder eine skurrile Demo zur finanziellen Freiheit, die das Unternehmen parallel zur Einführung der Debit-Karte in Berlin veranstaltet hatte.

Finanzinstitute investieren in Sport-Sponsoring

Das Marketing-Playbook von Banken und Brokern sah bislang häufig Sponsoring im Sport-Bereich vor – wohl auch in der Hoffnung, dass die Erfolge der jeweiligen Teams und Sportler*innen auf die eigene Marke abfärben. Die Direktbank ING Diba ist seit 2003 Sponsor der Deutschen Basketball-Nationalmannschaft und machte Basketball-Legende Dirk Nowitzki zum Gesicht der Marke. Die Commerzbank wiederum sponsert aktuell die Frauen-Fußballnationalmannschaft und war zuvor jahrelang Partner der DFB-Männer. Außerdem war die Bank Namensgeber des Fußballstadions von Eintracht Frankfurt, wo man 2020 allerdings von der Konkurrenz abgelöst wurde. Mehr als fünf Millionen Euro pro Jahr zahlt seitdem angeblich die Deutsche Bank für das Namensrecht.

Mit Flatex hat auch ein direkter Trade-Republic-Konkurrent den Versuch gewagt, mit Sport-Sponsoring die Marke bekannter zu machen. Während der Corona-Pandemie übernahm der Online-Broker das Trikotsponsering beim Bundesliga-Club Borussia Mönchengladbach. Um 300 Prozent sei die Markenbekanntheit in den ersten drei Jahren gestiegen, hat Flatex-Degiro-Chef Frank Niehage mal in einem Interview gesagt. Acht Millionen Euro hat das allerdings auch angeblich pro Jahr gekostet. Inzwischen beschränkt man sich lieber nur noch auf ein wohl günstigeres Co-Sponsoring des Vereins.

145 Millionen Euro Verlust in 2022

Auch Trade Republic hat in den vergangenen Jahren zig Millionen Euro ins Marketing gepumpt. Allein 2022 fiel unter dem Strich ein Verlust von 145 Millionen Euro an, auch wegen der hohen Marketingaufwendungen. Trade Republic hätte dabei sicherlich auch Gelder in den Markenaufbau über Sport investieren können, so wie andere Finanzinstitute oder auch Startups wie Auto1, Homeday oder Cazoo. Stattdessen setzte das Unternehmen unter anderem auf eine Aktion, mit der zuvor auch schon ein Kondomhersteller für Schlagzeilen gesorgt hat.

2015 hatte das Startup Einhorn in Berlin zu einer Demo gegen Orgasmus-Limitierung aufgerufen, Motto: #YesWeCum21. Eine Demo für das Recht auf multiple Orgasmen – das wirkte skurril, ist aber damals ein ziemlich cleverer Marketing-Schachzug. Denn eigentlich geht es für das Unternehmen zu dieser Zeit gerade um einen sehr ärgerlichen Rechtsstreit. Ein Konkurrent stört sich an dem Satz "Eine Tüte à sieben Stück entspricht bis zu 21 Orgasmen", den die Berliner auf ihre Gummi-Verpackungen drucken. Denn suggeriert die Formulierung nicht, man könne die Einhorn-Kondome mehrfach verwenden? Juristisch unterliegen die Einhörner am Ende zwar, doch der Streit bescherte ihnen bis dahin viel PR und Aufmerksamkeit.

Demo gegen die Rentenlücke

Knapp zehn Jahre später, im Januar 2024, hat auch Trade Republic zu einer Demo aufgerufen. Auf der Bühne sprechen dabei zwei Endzwanziger, es sind Mitarbeiter des Neobrokers. Vor der Bühne werden ein paar Plakate hochgehalten, auf denen sich "lahme Ente" auf "Rente" reimt oder "Invest or go home" steht. Es gibt ein paar Redebeiträge, etwa von Professor Finanzen, dem bei Tiktok mehr als 1,5 Millionen Accounts folgen. So beschreibt es das Portal "Finance Forward" in einem Beitrag über den "bizarren 50-Minuten-Protest".

Eine Demo zur finanziellen Freiheit – auf diese Form von Trojanischem Pferd muss man erstmal kommen. Denn natürlich ist das Thema Rentenlücke an diesem Tag nur der Rahmen für eine Produktneuheit, eine Bezahlkarte des Neobrokers, bei der man bei jeder Ausgabe eine Art Aktien-Cashback bekommt. Saveback nennt Trade Republic das aus dem Handel bekannte Prinzip kurzerhand um. Die Karte wird per Warteliste ausgegeben, wobei die Kund*innen für höherwertige Karten bezahlen müssen. Fragen, wie und wann man die Karte bekommt, werden anschließend besonders häufig bei Google gesucht. Zwischenzeitlich sollen mehr als eine Million Neu- und Bestandskund*innen auf der Warteliste gestanden haben.

Die Strumpfhose als Protest-Insignie?

Und nun also die Strumpfhose, ein feministischer Protest gegen Lohnungleichheit und für mehr Altersvorsorge? Trade Republic und Saint Sass lassen es zumindest auf einen Versuch ankommen. Pünktlich zum Weltfrauentag soll eine Seite online gehen, auf der es Informationen zum Gender Pension Gap und zum Investitionsverhalten von Frauen gibt. Die Erlöse aus dem Verkauf der Strumpfhosen will Trade Republic zudem an „seiStark e.V.“ spenden, eine Organisation, die den Betrag zur Förderung von finanzieller Bildung von Frauen in lokalen Projekten verwenden soll.

Abseits des Marketing-Moves gibt es für den Ansatz allerdings auch einen realen Anlass. Denn laut Zahlen des Statistischen Bundesamts droht etwa jeder fünften Frau über 65 Jahren die Altersarmut. Einer der Gründe ist die Lohnungleichheit. Doch Frauen sind auch am Kapitalmarkt seltener aktiv als Männer. Der Frauenanteil liegt beispielsweise bei Trade Republic aktuell bei rund 30 Prozent. Gleichzeitig starten Frauen beim Neobroker mit etwa 30 Prozent weniger Kapital – und auch die monatlichen Sparraten bei Sparplänen sind etwas niedriger als bei Männern. Immerhin: Frauen erwirtschaften offenbar eine durchschnittlich höhere Rendite.

Scalable Capital wurde bei Frauen bekannter

Die Zeiten, in denen Geldinstitute wie die Sparkasse mit dem Dreiklang "Mein Haus, mein Auto, mein Boot" ihre Stärken beim Vermögensaufbau demonstrieren wollten, sind lange vorbei. Die Werbung, in der zwei Männer sich nach Jahren wiedersehen und gegenseitig übertrumpfen, war damals Kult. Heute sieht man solche Botschaften nur noch bei zweifelhaften Business-Coaches in Youtube-Werbespots. Die damals verantwortliche Agentur Jung von Matt hat den Spot bereits 2018 daher in der Werbung neu aufgelegt, dieses Mal mit einer Frau in der Hauptrolle. Der Clip soll damals das Thema Vorsorge adressieren, insbesondere bei Frauen. 

Auch Trade-Republic-Konkurrent Scalable Capital startete schon im vergangenen Jahr eine Plakat-Kampagne mit Sprüchen wie „Frau von heute denkt an Frau von morgen”. Immerhin: Seit dem Start des Broker-Angebots ist der Frauenanteil bei Scalable von sieben auf mittlerweile rund 25 Prozent gestiegen. Die Markenbekanntheit bei Frauen habe man im vergangenen Jahr verdoppeln können, sagt Scalable-CMO Maximilian Meyer. Durch gezielte Sponsorings, etwa des Female Business Festivals M.Stories Ende März in München, will man diesen Wert weiter ausbauen. Auch in der Werbung spielen Frauen inzwischen eine zentrale Rolle. Laut Maximilian Meyer sieht man inzwischen mehr weibliche Testimonials in Scalable-Capital-Werbung als männliche. Und nun folgt also Trade Republic mit der Strumpfhose. Knapp 35 Euro für den Start in die finanzielle Freiheit? Das ist immerhin günstiger als manches Online-Coaching mit zweifelhafterer Produkt-Qualität.

Trade Republic
Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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