Wie Megabad mit KI-Mailings Kund*innen reaktiviert und so Millionen umsetzt

Megabad mixt KI-generierte Sprache und Video zu personalisierten Mailings. Damit aktiviert der Sanitär-Onlinehändler extrem erfolgreich inaktive Bestandskund*innen aus seiner Kartei

Wie häufig renoviert man sein Badezimmer? Eben. Und darum hat der Sanitär-Online-Pionier Megabad aus dem rheinischen Kerpen in den vergangenen 20 Jahren zwar eine gigantische Kundendatei aufgebaut – aber mit jeder Menge Karteileichen. Bis jetzt. Denn zusammen mit dem Marketing-Berater Kai Oestreicher hat Megabad eine KI-gestützte Video-Kampagne für Bestandskund*innen gestartet und damit aus dem Stand einen siebenstelligen Umsatz generiert.

Wenn man so durch Marketing-Linkedin scrollt und Branchenmedien liest, drängt sich der Eindruck auf, generative KI wird in wenigen Jahren – oder gar Monaten – Tausende Menschen in der Branche arbeitslos machen. Von Kreativen über Creator*innen bis zu denen, die Kampagnen produzieren und managen. Wobei, sie tut es ja bereits: Mango "shootet" eine Kampagne komplett mit virtuellen Models, Puma hat sich eine eigene KI-Influencerin zugelegt, Coca-Cola blamiert sich mit einem komplett von KI zusammengestümperten Weihnachts-Werbespot

Wie bringt man Mittelstand und KI zusammen?

Schaut man sich aber den deutschen Mittelstand an, stellt sich eher die Frage: Wie finden die gehypte Technologie, die landestypische deutsche Skepsis gegenüber allem Neuen und die ökonomischen Möglichkeiten von KMUs überhaupt auf produktive Weise zusammen? Kai Oestreicher hat eine eigene Antwort darauf gefunden: "Wenn ich glaube, dass es funktionieren kann, dann gehe ich auch ins Risiko", sagt der Marketing-Berater.

Oestreicher schlug seinem zunächst zögerlichen Kunden Megabad darum einen Deal auf Provisionsbasis vor und übernahm einen Teil der Herstellungskosten für die Kampagne. Die bestand aus Emails, die an ehemalige Kund*innen verschickt wurden. In die Mail war ein Video eingebunden, in dem die Empfänger*innen persönlich angesprochen und zu einer Bestellung animiert wurden. Blickt man auf die Zahlen, dürfte sich das Risiko des Deals für Oestreicher durchaus ausgezahlt haben.

"Haben wir noch nie gemacht, brauchen wir nicht"

Helen Schrader ist seit Februar 2024 Director Digital Marketing bei Megabad. Sie hat also die Anfänge und die erste Aussendung der Kampagne Anfang 2024 nicht miterlebt, kennt die Branche inzwischen jedoch gut genug, um sagen zu können: "Sanitär ist durchweg auf der konservativeren Seite." Die Haltung "haben wir noch nie gemacht, brauchen wir nicht" sei sehr verbreitet. Allerdings kämen bei Megabad ein paar Faktoren glücklich zusammen.

Zum einen wurde der Sanitärhändler, der bereits im Jahr 2003 in den Onlinehandel eingestiegen ist und sich zum größten europäischen Anbieter für Sanitärartikel im Web entwickelt hat, 2021 von einer Private-Equity-Firma übernommen. An der Spitze des Unternehmens stehe inzwischen ein CEO, der Vorreiter sei, wenn es um das Austesten neuer Ansätze gehe, so Schrader. Dennoch: "Natürlich bedeutet KI immer noch ein stückweit Überzeugungsarbeit", sagt die Digitalverantwortliche. "Aber mit Ralf haben wir jemanden, der sich für nichts zu schade ist."

"Isch bin der Ralf und Toiletten sind mein Leben"

Ralf Hänichen ist Testimonial und Zentrum des Marketings von Megabad. Der Einkaufsleiter hat vor über 30 Jahren als Auszubildender in dem Unternehmen begonnen und ist, was man gemeinhin als ein Kölsch sprechendes Original umschreibt. Internen Ruhm sammelte er mit dem tatsächlich grandiosen Oneliner: "Isch bin der Ralf und Toiletten sind mein Leben". Klar, dass er auch bei dem Experiment mit den KI-Mailings dabei war. 

Der Aufwand für Hänichen hielt sich eh in Grenzen: Nach zwei Stunden waren die Videos abgedreht. Mit deren Personalisierung hatte er nichts zu tun. In der ersten Kampagne, die Oestreicher für Megabad konzeptioniert hatte, wurden die Adressat*innen nur über Texttafeln angesprochen. Für den zweiten Aufschlag nutzte der Marketing-Experte dann die KI-Plattform Elevenlabs, um die Stimme des Einkaufsleiters zu klonen.

So war es einfach, die für die Personalisierung von rund 200.000 Mails benötigten 44.000 Vornamen zu generieren. Eine Automatisierungssoftware koordinierte schließlich das Zusammenspiel zwischen Mailing und 200.000 individualisierten Landingpages, auf denen das jeweilige Video eingebunden wurde, das wiederum in der Mail über eine Texttafel mit der persönlichen Anrede angeteasert wurde.

"Wie die Einführung des Digitaldrucks im Printmailing" 

Oestreicher ist seit über 20 Jahren im E-Commerce-Umfeld unterwegs und befasst sich schon lange mit CRM-Themen. Insbesondere beschäftige ihn die Frage, wie man die oft übersehenen Bestandskund*innen reaktiviert, sagt der Marketing-Experte. KI liefere hier völlig neue Möglichkeiten der Ansprache – "vergleichbar mit der Einführung des Digitaldrucks im Printmailing". Im Grunde ist die Kampagne für Megabad genau das: eine neue – und zumindest in dieser frühen Phase innovative und darum auffallende – Möglichkeit zur Personalisierung des Marketings, die durch den Einsatz von generativer KI erst möglich wird. 

Aber klar: Verglichen mit den Showcases der großen Werbeagenturen ist die Kampagne von Megabad KI-mäßig ziemlich low-tech. Das sei durchaus gewollt, sagt Oestreicher. Zum einen wäre das Generieren von 200.000 Videos für eine wirklich persönliche Ansprache extrem teuer – so die AI-Tool-Anbieter überhaupt ein solches Volumen im Programm haben. Zum anderen, erklärt Schrader, sei man der Hypothese gefolgt, die unmerkliche Kombination von Anrede durch eine geklonte Stimme und Video mit dem realen Ralf verfange bei der Zielgruppe eher als ein allzu ambitioniertes Experiment mit komplett KI-geniertem Avatar. 

"Kosten und Nutzen in sehr positiver Relation"

Die Zahlen scheinen diese Überlegungen zu bestätigen. "Aufwand und Kosten sowie der Nutzen stehen auf jeden Fall in sehr positiver Relation", sagt Schrader. Was das konkret heißt, geht aus den Analytics hervor, die Megabad mit OMR geteilt hat. Von den 208.000 Empfänger*innen der E-Mail haben knapp 42 Prozent diese geöffnet, bei einer Klickrate von 2,6 Prozent. Bereinigt um Stornierungen und Retouren wurden über die Kampagne 3.900 Bestellungen im Gesamtwert von 1,3 Millionen Euro generiert. 

Für die Megabad-Kampagne hat Oestreicher KI im Sinne einer automatisierten Personalisierung eingesetzt – im Grunde sind die Videos ja nicht anders als eine Massenmail mit individueller Anrede. Darum verzichtete Megabad darauf, die Verwendung von KI kenntlich zu machen. Trotzdem ist diese Form der persönlichen Ansprache natürlich sehr intim. Anders als befürchtet, habe man laut Schrader jedoch "keine besorgniserregende Abmelderate" verzeichnet. Sie hätte bei 3,1 Prozent gelegen – nur unwesentlich höher als bei den üblichen Mailings. Kritik gab es dennoch, so Schrader. Manche*r hätte sich daran gestört, geduzt zu werden. 

"Hören ist was anderes als es zu lesen"

Bei Megabad ist man zumindest so zufrieden mit den ersten beiden Interaktionen, dass für Anfang 2025 ein drittes Mailing geplant wird. Wie das genau aussehen wird, ist noch offen. Ideen für den Einsatz von KI zur Herstellung personalisierter Videos hat Oestreicher zumindest genug. So hat er zum Beispiel einen Showcase gebaut, in dem Buchläden oder Autohäuser ihren Kunden auf ihr Profil zugeschnittene Romane oder Neuwagen empfehlen können. 

Auch über weitere Einsatzzwecke denkt der Marketing-Experte bereits nach. Geburtstagsgrüße an treue Kund*innen zum Beispiel. Oder man könnte die Videos im Inkasso-Kontext einsetzen, um säumige Zahler zu kontaktieren: "Sehr geehrte Frau Müller", sagt eine streng ausschauende Frau in dem Dummy-Clip. "Wir konnten Sie in einer wichtigen Angelegenheit nicht erreichen. Bitte rufen Sie uns an." Das ist sicher effektiver als die zweite Mahnung im Briefkasten. Oder wie Ostreicher es formuliert: "Wenn man es hört, ist das was anderes, als wenn man es liest."

Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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