Adscan.ai: Kennt dieses Tool die erfolgreichsten Ads auf Facebook, Youtube & Tiktok und weiß, was sie gekostet haben?
Wie zwei kanadische Brüder auf den "Ads Libraries" der Plattformen ein Geschäftsmodell aufbauen wollen
- Linkedin sorgt für einen viralen Hype
- Status: Kinderschuhe
- Mühsames Zusammenklicken
- Facebook ist Vorreiter in Sachen Werbebibliothek
- Neues Business Modell durch die EU-Regulierung
- Die Mediaspend-Schätzungen sind noch sehr unscharf
- Auch Anderes funktioniert noch nicht so, wie es soll
- Wie sinnvoll ist das Werteversprechen?
- "Adscan hilft, die Misserfolgs-Quote zu senken"
"Finde heraus, welche Werbeanzeigen Deiner Mitbewerber*innen auf den großen digitalen Plattformen am besten funktionieren und wie viel Mediaspend in diese geflossen ist." – Mit vollmundigen Versprechen dieser Art generiert Adscan.ai aktuell Aufmerksamkeit. OMR hat das Tool getestet, mit den Gründern sowie mit Performance-Marketing-Experten dazu gesprochen und erklärt die Hintergründe.
"Ich kann nicht glauben, dass Meta das herausgebracht hat. Durch das EU-Update der Werbebibliothek kannst Du von fast jedem Advertiser die erfolgreichste Ad finden", fängt ein Post von Raphael Yarish, Mitgründer von Adscan, auf Linkedin an. Reichweite, Targeting-Einstellungen und geschätzte Werbeausgaben – all das sei nun für jede innerhalb der EU geschaltete Werbung einsehbar.
Linkedin sorgt für einen viralen Hype
Im weiteren Verlauf von Yarishs Post stellt sich jedoch heraus: Nicht alle diese Informationen sind wirklich in Metas Werbebibliothek selbst abrufbar. Zwar werden dort die von den Werbetreibenden ausgewählten Zielgruppen (also das Targeting) und seit Kurzem auch die Reichweite der jeweiligen Anzeige angezeigt. Um jedoch die reichweitenstärkste Anzeige zu finden (ohne dafür selbst alle Anzeigen einzeln anklicken zu müssen) und um zu erfahren, was der oder die jeweilige Werbetreibende (geschätzt) dafür ausgegeben hat, müssen die Nutzer*innen die kostenpflichtige Browser-Erweiterung "Adscan.ai" erwerben – die von Yarish mit entwickelt wurde.
Der Promo-Post des Entwicklers schlägt hohe Wellen auf Linkedin. Auch, weil viele Nutzer*innen der Business-Plattform Yarishs Angebot in Anspruch nehmen, in den Kommentaren einen Markennamen zu nennen, damit Yarish dann deren angeblich erfolgreichste Ads mit Adscan heraussucht und in einem Kommentar direkt verlinkt. 771 Reaktionen, 170 Kommentare und 56 Shares hat der Post auf diese Weise bislang angesammelt. Es ist schon der dritte Post dieser Art von Yarish. Auch die ersten beiden, die sich um Google bzw. Youtube Ads drehen, sind auf Linkedin viral gegangen und verzeichnen teilweise sogar noch mehr Interaktionen.
Status: Kinderschuhe
Um herauszufinden, ob Adscan die abgegebenen Versprechen auch wirklich einlöst, schließe ich ein kostenpflichtiges Abo ab. Für knapp 30 US-Dollar kann ich das Tool einen Monat lang nutzen. Wenn ich gleich für ein ganzes Jahr gezahlt hätte, läge Preis bei knapp 20 Euro.
Der erste Eindruck von Adscan: Offensichtlich steckt das Tool noch in den Kinderschuhen. Um mit Adscan herauszufinden, wie viel Mediaspend in eine Anzeige geflossen ist, muss ich diese zunächst einmal aus der Werbebibliothek der jeweiligen Plattform heraus in einem Adscan Dashboard speichern. Dank der Browser-Erweiterung soll direkt beispielsweise in Metas Werbebibliothek ein entsprechender Button dafür angezeigt werden. Doch in meinem Fall ist er nicht zu sehen.
Das liegt offenbar daran, dass mir Metas Werbebibliothek (weil in meinem Browser Deutsch als primäre Sprache eingestellt ist) automatisch in deutscher Sprache angezeigt wird. Adscan ist jedoch für die englischsprachige Version entwickelt. Als ich Raphael Yarish dazu auf Linkedin anschreibe, lädt er sofort eine überarbeitete Version des Tools in den Chrome Web Store hoch, die auch mit anderen Sprachen funktionieren soll. "Das sollte in ein paar Stunden live sein", so der junge Entwickler. Als ich die Sprache meines Browsers auf Englisch umschalte, kann ich in der Zwischenzeit den Button zumindest zeitweise nutzen.
Mühsames Zusammenklicken
Ebenfalls ein wenig ernüchternd: Einen Gesamt-Überblick über alle Anzeigen eines Advertisers, gibt es nicht automatisch nicht. Es werden nur jene Ads angezeigt, die der oder die jeweilige Nutzer*in in seinem Dashboard gespeichert hat. Die werden immerhin auf Basis der Reichweite sortiert; die Anzeige mit den meisten Abrufen wird als erste angezeigt. "Wir wollen nicht alles scrapen, denn das mindert die Qualität der Anzeigenbibliothek. Wir wollen nur die 'Gewinner Ads'", so Raphael Yarish.
Und woher kommen die Daten von Adscan? "Wir erhalten die Daten nur von den Werbebibliotheken der Plattformen", so Yarish gegenüber OMR. "In Zukunft wollen wir unseren Daten-Pool möglicherweise noch um Web-Traffic-Daten erweitern."
Facebook ist Vorreiter in Sachen Werbebibliothek
Facebook war im Jahr 2018 die erste Plattform, die eine solche Werbebibliothek eingerichtet hat und damit Werbung auf der Plattform außerhalb des Newsfeeds für alle zugänglich gemacht hat. Zunächst war dieser Schritt auf Wahlwerbung beschränkt. Vermutlich wollte das Unternehmen nach der Aufregung um Cambridge Analytica und einer potenziellen Einflußnahme des Dienstleisters auf die damalige US-Präsidentschaftswahl transparenter werden.
2019 wurde die "Facebook Ads Library" dann zum einen auch um nicht-politische Werbung, zum anderen um eine Schnittstelle (API) erweitert. Mit letzterer können die Daten auch von Dritt-Software (wie etwa Adscan) verarbeitet und ausgewertet werden. Und vor wenigen Wochen hat Meta nun offenbar aufgrund neuer Transparenzpflichten der Europäischen Union die Ads Library auch um Informationen zur Reichweite der jeweiligen Anzeige erweitert.
Neues Business Modell durch die EU-Regulierung
Seit Facebooks Voranpreschen haben andere Plattformen nachgezogen. Tiktok hat im Jahr 2021 eine Tool vorgestellt, mittels dessen Werbetreibende sich von den "Top Ads" auf der Plattform inspirieren lassen sollten. Seit diesem Jahr gibt es nun eine "Commercial Content Library" ähnlich wie die Facebook Ads Library, über die alle Anzeigen abrufbar sein sollen. Dort wird seit Kurzem auch die ungefähre Reichweite der jeweiligen Werbeanzeige angezeigt. Google hat im März 2023 ebenfalls ein "Ads Transparency Center" eingerichtet, das auch Youtube-Videowerbung mit einbezieht.
Das britische Brüderpaar Raphael und Cedric Yarisch hatte zunächst unter dem Namen "Adfind" ein Tool für Linkedin Ads gelauncht (auch die Business-Plattform hat mittlerweile eine eigene "Ads Library"). "Allerdings war die Nachfrage nach Linkedin Ads nicht so groß, es war ein kleiner Markt", so Raphael gegenüber OMR. "Nachdem wir also ein paar verschiedene Projekte ausprobiert hatten, kamen wir mit der Einführung all dieser neuen Anzeigenbibliotheken auf diese Idee zurück." Durch den Digital Services Act der EU, auf den die neuen Transparenverpflichtungen für die Plattformen zurückgehen, könnte somit auch ein neues Geschäftsmodell entstehen.
Die Mediaspend-Schätzungen sind noch sehr unscharf
Zuerst hätten sie Adscan als Tool für sich selbst entwickelt, so Raphael Yarish. Beide Brüder stammen aus Kanadam, sind aber mittlerweile in Großbritannien hauptberuflich jeweils im Marketing tätig; Raphael bei dem Ernährungsprogrammanbieter Zoe, Cedric bei der Bildbearbeitungs-App Photo Room. "Erst nachdem das Tool für uns gut genug war, haben wir damit begonnen, es zu vermarkten." Investoren sind noch keine an Bord; der Aufbau des Geschäftes erfolgt "bootstrapped".
Die Schätzungen zum Media-Budget der jeweiligen Anzeige in Adscan sind – auch nach meinem Eindruck – noch noch relativ unscharf: "Derzeit verwenden wir bei Meta und Tiktok einen durchschnittlichen TKP und bei Youtube einen durchschnittlichen Cost-per-View. Die basieren jeweils auf jenen Werten, die wir aus der jeweiligen Branche und Kategorie kennen", so Raphale Yarisch. "Wir wollen dies jedoch im Laufe der Zeit, wenn Adscan größer wird, verfeinern und präzisieren."
Auch Anderes funktioniert noch nicht so, wie es soll
Weil Browser-Erweiterungen Zugriff auf alle Inhalte im Browser der Nutzer*innen haben, könnte Adscan, wenn diese die Buchungs-Tools der Plattformen aufsuchen, sogar die realen Mediaspendings auslesen. Raphael Yarisch bestreitet ausdrücklich, dass dies geschieht: "Wir sammeln keine Daten, die über das hinausgehen, was man in der Anzeigenbibliothek sieht."
Adscan soll lieber mit weiteren Funktionen punkten: So sollen Video Ads automatisch transkribiert sowie nach Stärken und Schwächen analysiert werden können. Auch wenn diese Features in der Benutzeroberfläche schon angelegt sind: Bei meinem Test funktionieren sie auch nicht verlässlich – vermutlich, weil ich sie mit deutschsprachigen Anzeigen teste.
Wie sinnvoll ist das Werteversprechen?
Reicht das Versprechen, die am besten performenden Ads von Mitbewerber*innen zu finden, um diese potenziell kopieren zu können aus, damit Adscan sich am Markt etablieren kann? Die Reaktion auf die Linkedin Posts von Raphael Yarisch lassen darauf schließen.
Zwei deutsche Performance-Marketing-Experten zeigen sich jedoch eher skeptisch angesichts des potenziellen Nutzwert des Tools. "Für mich ist das Tool nutzlos", so Social-Advertising-Berater Jakob Strehlow gegenüber OMR. "Man weiß bei den Facebook Ads ja auch nicht, ob da auf Reichweite oder Umsatz optimiert worden ist. Dementsprechend ist Reichweite da gar nicht immer die relevante Kennzahl."
"Adscan hilft, die Misserfolgs-Quote zu senken"
Auch Florian Litterst von Adsventure zweifelt in einem Linkedin Post den Wert von Adscan an: "Ob davon die eigene, individuelle Push Marketing Strategie und die Verzahnung unterschiedlicher Ads bzw. Botschaften optimiert wird? I doubt it."
Raphael Yarisch zeigt sich angesichts dieser Kritik entspannt: "Ein Großteil des Performance Marketings und von Werbung besteht aus dem Testen einer Vielzahl von Anzeigen, wobei die Mißerfolgs-Quote bei rund 90 Prozent liegen kann. Das heißt, von zehn getesteten Anzeigen funktioniert vielleicht nur eine. Dieses Tool hilft, die Misserfolgsquote zu verringern, indem es die Erfahrungen anderer Werbetreibender mit ihren erfolgreichen Anzeigen nutzt", so der Entwickler gegenüber OMR. "Wir nutzen das Tool ja auch selbst und sehen, welchen Return-on-Invest es für uns generiert. Jetzt hängt es davon ab, wer das frühzeitig nutzt, um am meisten daraus mitzunehmen."