TTPA: Sind Windräder die neuen Nippel-Pics?

Als Reaktion auf die TTPA-Verordnung der EU haben Meta, Google, Snap und Tiktok politische Anzeigen komplett verbannt. Ein Drama für Spenden sammelnde NGOs. Aber nicht nur für die

Symbolbild, das KI-generierte, fiktive und verpixelte Anzeigen von NGOs zusammen mit den Logos von Snapchat, Meta und Tiktok zeigt
Kinderarbeit, Windräder, ein überfülltes Schlauchboot? Die Themen dieser KI-generierten, fiktiven Anzeigenmotive können schnell als politische Werbung verstanden werden – und werden dann von den großen Plattformen geblockt. (Illustration: OMR)
Inhalt
  1. Was ist da eigentlich passiert?
  2. Warum verzichtet Meta auf NGOs als Kunden?
  3. Wo liegt das zentrale Problem?
  4. Ab wann ist eine Anzeige nun politisch? 
  5. Meta hört zu und stellt sich taub
  6. Hoffen auf Best-Cases und ein Umdenken
  7. Die Ironie im Transparenzversprechen
  8. Wachsende Bedeutung der Plattformen
  9. Hauptprofiteure Populismus und Pöbelei?
  10. Organic Content als Alternative?
  11. Chance für neue Programmatic-Netzwerke 
  12. Landtagswahlen 2026 als Treiber
  13. Ziehen die Plattformen doch noch nach?
  14. TTPA als Waffe gegen Andersdenkende?

Energie ist politisch – so sehen es Gegner*innen von Heizungsgesetz und Verbrennerverbot ja schon lange. Neulich musste es auch das Marketing-Team von Polarstern Energie einsehen. Vor einigen Wochen teilte der Ökostrom-Anbieter auf Instagram ein Video, in dem der Rotor eines Windrads hinter dicken Pixeln verschwindet. Es war ein Post, mit dem die Münchner Aufmerksamkeit auf eine Änderung der Werberichtlinien von Meta lenken wollten. Die habe nämlich zur Ablehnung ihrer sämtlichen – unverpixelten – Anzeigenmotive geführt. Und das, obwohl die neuen Regeln einen Energieanbieter wie Polarstern eigentlich gar nicht betreffen sollten.

"Meta verbietet ab jetzt die Bewerbung von politischen Inhalten – und dazu zählen laut ihnen auch Klimathemen wie Ökoenergie, Wärmepumpen & Co", heißt es in der etwas überspitzt formulierten Copy zum Clip. Meta untersagt Werbung für diese Produkte eigentlich nicht. Offenbar waren die abgelehnten Polarstern-Anzeigen aber eine Art Beifang des pauschalen Banns politischer Werbung in der EU, den Meta zum Zeitpunkt des Postings ausgesprochen hat.

Noch ist unklar, wie groß das Problem tatsächlich ist. Ein Blick in Metas Werbebibliothek legt nahe, dass der Konzern seine Algorithmen inzwischen nachjustiert hat. Aber das Marketing vieler NGOs, die in den letzten Wochen des Jahres neue Spender*innen erreichen wollen, wird durch den Werbebann weiterhin ausgebremst. OMR hat mit Expert*innen für politische Kommunikation gesprochen und sich bei einigen der größten deutschen NGOs umgehört. Wie gehen sie mit dem Paid-Content-Bann bei Instagram, Facebook, Google um? Und welche alternativen Kanäle nutzen sie stattdessen?

Was ist da eigentlich passiert?

Am 10. Oktober ist eine TTPA genannte EU-Verordnung in Kraft getreten. Das Regelwerk soll für mehr Transparenz und weniger Targeting bei politischer Werbung sorgen. Dahinter steht, wie so oft bei EU-Verordnungen, eine an sich gute Idee: Die TTPA verlangt unter anderem, offenzulegen, wer Kampagnen finanziert, die auf die politische Willensbildung in den EU-Mitgliedsländern gerichtet sind.

Windrad_400.jpg

So sollen Desinformation und außereuropäische Einflussnahme eingedämmt werden. Doch es gibt ein Problem. Wie ebenfalls oft bei EU-Verordnungen ist die TTPA ein hochkomplexes Regelwerk geworden. Werbetreibende in politischen Umfeldern müssen ihre Kampagnen aufwendig dokumentieren, Anzeigen als "politische Werbung" kennzeichnen, Budget und Sponsor benennen.

Hinzu kommen noch starke Einschränkungen beim Targeting. Erlaubt ist es nur, wenn die Werbetreibenden personenbezogene Daten selbst erhoben und die Empfänger*innen ihr Einverständnis gegeben haben, politische Werbung zu empfangen. Außerdem müssen Werbetreibende sicherstellen, dass die Personen, denen eine Anzeige ausgespielt wird, das Wahlalter erreicht haben oder demnächst erreichen. Ein Targeting nach politischer Meinung, Religion, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung ist untersagt.  

Darüber hinaus schreibt die TTPA vor, dass die Werbetreibenden transparent machen müssen, welche Verfahren zum Targeting und der Schaltung der Anzeige verwendet wurden, welche Mechanismen und Parameter dabei zum Einsatz kamen, ob KI genutzt wurde, welche spezifischen Gruppen adressiert und wie diese bestimmt wurden.

Sie müssen weiterhin die Kategorien personenbezogener Daten benennen, die verwendet wurden, und offenlegen, wie lange eine Anzeige verbreitet wurde und wie viele Personen erreicht worden sind. Das alles und die Anzeige selbst muss dann sieben Jahre lang archiviert werden. 

Warum verzichtet Meta auf NGOs als Kunden?

Im Fall von Verstößen drohen Geldstrafen von maximal sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des verantwortlichen Unternehmens. Diese Drohung und eine große Ungewissheit, wo politische Werbung beginnt, hat neben Meta auch Google, Tiktok und Snap dazu bewogen, entsprechende Anzeigen pauschal abzulehnen. Wobei die Tech-Konzerne, wie das Beispiel Polarstern zeigt, offenbar zunächst lieber über das Ziel hinaus geschossen sind, als sich an der TTPA die Finger zu verbrennen.

In einem öffentlichen Statement zum Stopp von politischer Werbung auf seinen Plattformen beklagt Meta, die TTPA würde die Prinzipien personalisierter Werbung ignorieren und letztlich dazu führen, dass Werbetreibende mit politischen Anliegen ihre Adressat*innen nicht mehr erreichen und diese wiederum weniger relevante Werbung ausgespielt bekommen. Die TTPA schaffe zudem "ein unhaltbares Maß an Komplexität und Rechtsunsicherheit", so Meta in der Mitteilung, in der sogar ein entsprechendes Statement des Konkurrenzen Google verlinkt ist. Ausgenommen vom Bann sind bei Google, Tiktok und Snap nur Anzeigen von offiziellen Stellen, die darüber informieren, dass eine Wahl stattfindet, wer antritt und worum es bei einer Abstimmung geht.

Wo liegt das zentrale Problem? 

Das wahre Problem der TTPA sei deren vage Ausgestaltung, sagt Jochen König. "Hier entsteht dann noch eine höhere Unsicherheit." König ist Mitgründer und CEO von Cosmonauts & Kings. Die Berliner Agentur berät Parteien und andere politische Akteure in Kommunikationsfragen. Kaum jemand in Deutschland hat sich tiefer in die TTPA eingearbeitet als König. Schon lange vor dem 10. Oktober hatte er gewarnt, die Auswirkungen der Verordnung würden von den meisten Werbetreibenden noch immer massiv unterschätzt. 

Zitat_Jochen_König.jpg

König stößt sich besonders an Artikel acht der TTPA. Darin werden zur Identifikation von politischer Werbung neben eher harten Fakten wie Urheber und Anliegen auch ziemlich schwammige Kriterien festgelegt. Etwa "die zur Vermittlung der Botschaft verwendete Sprache" oder "der Kontext, in dem die Botschaft vermittelt wird, einschließlich des Verbreitungszeitraums". König sagt: "Dieser Artikel acht führt zu einer sehr hohen Verunsicherung, was politische Werbung ist."

Die in der TTPA angekündigten "einheitliche(n) Leitlinien" liegen inzwischen vor. Das 51 Seiten umfassende Dokument beschreibt sehr wortreich die Anwendung der TTPA, liefert aber keine verbindliche Checkliste. Vielmehr werden in der Guideline die Regeln mit Cases illustriert, die eher mehr Verwirrung stiften: In einem Beispiel ist von einem Verband die Rede, der über Infografiken die Gesundheitspolitik der Regierung thematisiert. "Als solche sind die Infografiken wahrscheinlich dazu gedacht, einen laufenden Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen, und könnten daher in den Bereich einer politischen Werbekampagne fallen." Wahrscheinlich, könnten, WTF. 

Ab wann ist eine Anzeige nun politisch? 

Für einige ist diese Frage leicht zu beantworten: Politiker*innen und Parteien, Lobby-Organisationen mit der klaren Agenda, Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren und Regierungshandeln zu nehmen. Für diese Akteure wurde die TTPA schließlich erdacht. Auf der anderen Seite sollten NGOs, die sich auf akute Katastrophenhilfe beschränken, kein Problem mit der TTPA bekommen. Aber, so Experte König, "wenn du in der Mitte stehst, hast du ein richtiges Problem."

Wie breit diese Mitte ist und wie schnell man dort landet, zeigt das Beispiel von Brot für die Welt. Das konfessionelle Hilfswerk widmet sich dem Namen nach vor allem der Bekämpfung von Hunger. Aber dieser hat eben häufig andere Ursachen als Naturkatastrophen. "Wir hoffen weiterhin für unser Kernthema Hungerbekämpfung Spenden werben zu können", so Brot für die Welt in einem schriftlichen Statement gegenüber OMR. Allerdings werde man keine Werbung mehr schalten können für Petitionen, Appelle und Themen, die – wie Klimawandel und Menschenrechte – von Meta als politisch eingestuft seien.

Meta hört zu und stellt sich taub

Genau hier stecke die kommunikative Herausforderung für viele NGOs, so Jochen König von Cosmonauts & Kings. Zwar würden 99 Prozent der Spenden sammelnden Organisationen ihrem Zweck nach nicht unter die TTPA fallen.

Junge_400.jpg

Aber es könne eben leicht passieren, das auch diese NGOs ins Raster fallen. "Sie müssen aufpassen, ihren Spendenaufruf nicht mit politischen Aufrufen zu verbinden. Kritisch wird es immer ab dem Moment, wenn man sagt: Ich fordere etwas."

Noch schneller passiert das bei NGOs, die sich aktiv in die Politik einmischen. Zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Organisation wurde durch ihre "Klimaklagen" gegen Konzerne und Regierungen bekannt und berüchtigt. Die Beeinflussung der politischen Sphäre gehört zum Wesenskern.

Zwar sei man nicht so sehr auf die Plattformen angewiesen, wenn es darum geht, Spenden einzuwerben, so die DUH gegenüber OMR. Aber mit dem Bann breche ein wichtiger Kanal für die Verbreitung der eigenen Inhalte weg. "Die neuen Regeln der großen Social Networks bedeuten daher natürlich Verluste bei Reichweiten für unsere wichtigen Themen."

Vor dieses Problem sieht sich auch eine Organisation gestellt, die ziemlich unverdächtig ist, Wahlen beeinflussen zu wollen: Ärzte ohne Grenzen. Für seine NGO seien die Plattformen zentrale Kanäle, um die Öffentlichkeit zu informieren und Unterstützung zu mobilisieren, so Akilnathan Logeswaran gegenüber OMR. Er ist Tech Partnerships Lead bei Ärzte ohne Grenzen und der TTPA-Experte dort. Man wolle über Anzeigen Sichtbarkeit für humanitäre Krisen schaffen und lebensrettende medizinische Hilfe ermöglichen. Das sei derzeit nicht möglich. "Wir fordern, Ausnahmen für humanitäre Akteure zu schaffen", sagt Logeswaran, "oder die Regeln zumindest klarer an Wahlwerbung oder die Beeinflussung von Wahlen auszurichten." Das habe man bereits vor Monaten an Meta kommuniziert, "leider ohne Erfolg". 

Zitat_Akilnathan_Logeswaran.jpg

Er ist nicht der einzige, der für eine Aufweichung des Banns lobbyiert. "Wir sind in regelmäßigem Austausch mit Meta-Ansprechpartnern", sagt Larissa Probst. "Die Gespräche fühlen sich so an, als hätten wir uns verstanden", so die Geschäftsführerin des Deutschen Fundraising Verbands (DFRV). Aber dann werde das Thema an die nächsten Hierarchiestufe in den USA weitergereicht und es passiere nichts. 

Hoffen auf Best-Cases und ein Umdenken

Im DFRV organisieren sich unter anderem Amnesty International Deutschland, die Amadeu Antonio Stiftung, der Nabu, Oxfam, WWF Deutschland und viele weitere namhafte Organisationen sowie die meisten der NGOs, mit denen OMR für diesen Text gesprochen hat. Aktuell herrscht große Ungewissheit, wie es in Sachen TTPA weitergeht. Der DFRV hat für seine Mitglieder Tipps zum Umgang mit dem aktuellen Ad-Bann veröffentlicht, samt Fahrplan, auf welche alternativem Kanäle zu Meta und Google sie bis Weihnachten setzen sollten. Im Januar wollen sich die Mitglieder des DFRV zusammensetzen und Best-Cases austauschen. 

Dass die TTPA in der Praxis einen Effekt hat, der über die Verhinderung von Wahlmanipulation hinaus geht, das scheint man inzwischen auch bei der EU-Kommission eingesehen zu haben. Sie stellt gerade eine Gruppe von Expert*innen zusammen, deren "Mission" es ist, die Kommission bei der "Überwachung und Förderung der Anwendung der Verordnung über politische Werbung" zu unterstützen. Die European Fundraising Association, in deren Vorstand DFRV-Geschäftsführerin Probst sitzt, bewirbt sich um einen Platz am Tisch. 

Die Ironie im Transparenzversprechen

Für die NGOs liegt eine tragische Ironie in der TTPA: Die Regulierung, die mehr Transparenz schaffen soll, trifft im Moment die besonders schwer, die schon lange so arbeiten. "Wir sind ja alle für Transparenz", sagt DFRV-Geschäftsführerin Larissa Probst. "Was Marketing-Aktivitäten angeht, wird unsere Branche anders bewertet als Unternehmen." Darum veröffentlichen die NGOs Transparenzberichte, aus denen hervorgeht, wie viel sie aus welchen Quellen einnehmen und wofür sie das Geld ausgeben. 

Zitat_Larissa_Probst.jpg

Wie hoch der Anteil der Spenden ist, die über Social-Media-Anzeigen eingeworben wird und wie hoch die Budgets für Ads bei Meta und Google sind, konnten oder wollten die Organisation, mit denen OMR gesprochen hat, dann aber doch nicht offenlegen. Grundsätzlich bewegen sich die Ausgaben für die Spenden-Akquise zwischen acht und zwanzig Prozent des Umsatzes. Bei Einnahmen von rund 90 Millionen Euro gibt Greenpeace Deutschland beispielsweise 9,6 Millionen für das Einwerben von Spenden aus. 

Wachsende Bedeutung der Plattformen

Auch wenn keine konkreten Zahlen von den NGOs zu bekommen sind, so doch eine qualitative Einschätzung. Von Brot für die Welt heißt es: "Social-Media-Plattformen sind für die Spenden-Akquise in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, auch wenn der Anteil der direkt dadurch gewonnenen Spenden noch recht gering ist."

Boot_400.jpg

Man nutze die sozialen Medien vor allem dafür, die eigene Arbeit bekannt zu machen und potentielle Spender*innen für die Themen zu sensibilisieren. Dabei setze man vor allem auf Reichweite. Dieser letzte Satz spricht dafür, dass das Budget für Social-Ads zumindest eine gewisse Größe haben dürfte. Von anderen Organisationen kamen ähnliche Aussagen. 

⁠⁠Die TTPA bedeutet für die NGOs also vielleicht nicht direkt gravierende finanzielle Einbußen. Aber es sind wichtige Kanäle weggebrochen, die Sichtbarkeit für Themen zu generieren. Das deckt sich mit Metas Argumentation. Im Statement zum Ad-Bann wird auf die Folgen der Limitierung des Targetings bei politischer Werbung verweisen. Dieses bedeute eine Einschränkung der Meinungsbildung. Das wird auch bei vielen NGOs so gesehen und man hört durchaus Verständnis für den Schritt der Plattformen, politische Werbung komplett zu verbannen.

Die DUH beklagt sogar "absurde Folgen" der TTPA. Wie viele andere Organisationen mache man schon lange die eigenen Finanzen transparent, erfülle also eine wesentliche Anforderungen der EU-Verordnung. Trotzdem habe man nun gegenüber der werbetreibenden Wirtschaft weniger Möglichkeiten, über intransparente Praktiken wie Verbrauchertäuschung und Greenwashing zu informieren.

Hauptprofiteure Populismus und Pöbelei?

Noch unmittelbarer wird diese Verschiebung auf dem Feld der Politik. "Das Verbot politischer Werbung von Google und Meta ist fatal", sagt Astrid Deilmann, geschäftsführende Vorständin von Campact. Die NGO versteht sich als "Kampagnen-Organisation", die sich für eine progressive Politik einsetzt. Der Werbebann, so Deilmann gegenüber OMR, schade vor allem demokratischen Akteuren. Bislang hätten die immerhin bezahlte Werbung nutzen können, "wenn sie das Empörungsspiel der Algorithmen nicht mitmachen wollten", so Deilmann. Ihre Befürchtung: "Jetzt kippen die Feeds vermutlich noch krasser ins Extremistische, denn die Algorithmen belohnen Hass und Hetze." 

Zitat_Astrid_Deilmann.jpg

Fairerweise muss man sagen, dass ein gewisser alarmistischer Grundton bei NGOs seit jeher zum Geschäft gehört. Aber die Befürchtung, dass der eigene Content ohne die Möglichkeit ihn zu sponsern, untergeht, die ist sehr real. Astrid Deilmanns Post zur TTPA-Werbebann-Problematik erzielte auf Linkedin deutlich weniger organische Reichweite als Beiträge zur Töchter-Aussage von Friedrich Merz oder zum Widerstand gegen ein Gesetz, das Catcalling unter Strafe stellt.

Immerhin – würde es nicht zynisch klingen, könnte man von Glück im Unglück sprechen – in akuten Krisen erzielen NGOs auch mit Non-Paid-Content hohe Reichweite. "Bei der Katastrophenhilfe haben wir Gott sei dank auch das Organische", sagt ⁠ Larissa Probst vom DFRV.

Organic Content als Alternative?

Doch auch für die nicht-akuten Themen der Organisationen gibt es bis auf weiteres gibt es keine Alternative zu Postings, die aus eigener Kraft Reichweite erzielt. "TTPA bedeutet in der Konsequenz, dass politische Akteure stärker auf organische Inhalte setzen müssen", sagt auch Jochen König von Cosmonauts & Kings. Ein alternativer Weg, den viele NGOs intensivieren wollen, sind Kooperationen mit Influencer*innen. Die allerdings berichten über sinkende Reichweiten, sobald sie organischen Content mit Purpose-Themen posten. Zudem darf gemäß TTPA in diesen Fällen kein Geld fließen, damit die Inhalte auf den Plattformen überhaupt ausgespielt werden können.

Verteilung Videos Bertelsmann Stiftung.jpg

Organische Reichweiten von Partei-Content mache es vor: Lautstärke erzeugt Reichweite. Quelle: Bertelsmann Stiftung

Wie herausfordernd es sein kann, mit organischem Content zu komplexen Sachverhalten durchzudringen, lässt sich aus der Studie "Digitalisiert, politisiert, polarisiert?" ableiten. Die Bertelsmann Stiftung hat die Social-Media-Feeds junger Menschen auf TikTok, YouTube, Instagram und X rund um die Bundestagswahl 2025 analysiert. Darin findet sich eine interessante Infografik. Die stellt den Anteil der von Parteien auf Tiktok hochgeladenen Videos dem Anteil der in den Feeds der Nutzenden ausgespielten gegenüber. Auf die SPD fallen 24,1% aller hochgeladenen Videos, auf CDU/CSU 17,1%, dicht gefolgt von den Grünen mit 16,8%. Der Anteil bei den ausgespielten Clips liegt bei der SPD aber nur bei 14,1%, die Gründen schaffen 6,3%, bei CDU/CSU sind es desaströse 4,9%. Die AfD hingegen kann ihren Anteil von 21,5% der hochgeladenen Videos auf 37,4% fast verdoppeln. Der Linken gelingt sogar eine Verdreifachung von 9,7% auf 27,6%. 

Chance für neue Programmatic-Netzwerke 

"Was die AfD fabriziert, und wie sie teilweise von Plattform-Algorithmen priorisiert wird, das ist leider next level", sagt Bülent Cakir. Darum glaubt der Geschäftsführer von Klaro Media, dass es Paid-Alternativen braucht, damit auch differenzierte politische Botschaften den Weg zu den Leuten finden. Dieser Überzeugung ist er schon aus eigenem Interesse, denn zu den Kunden seiner Hamburger Media-Agentur zählen Parteien, Kommunen und staatliche Institutionen. 

Zitat_Bülent_Cakir.jpg

"Ich hatte eigentlich erwartet, dass Google und Meta in der Zwischenzeit eigene Lösungen anbieten", sagt Cakir. Doch weil die sich nicht bewegt haben, hat Klaro Media auf Basis eines europäischen Tech Stack eine eigene Lösung entwickelt, mit der die Kunden politische Werbung TTPA-konform schalten können. Video Ads, Display Ads und Mobile Ads werden dann beispielsweise auf Websites von Qualitätsmedien ausgespielt, um Streuverluste trotz des eingeschränkten Targetings zu minimieren.     

Landtagswahlen 2026 als Treiber

Klaro Media ist nicht der einzige Player, der im Werbebann der Plattformen eine Chance wittert. Jochen König berichtet, dass mehrere TTPA-konforme Programmatic-Lösungen am Markt seien oder kurz davor stehen. Allerdings seien die Platzierungen dort noch sehr eingeschränkt. Mit Blick auf die 2026 anstehenden Landtagswahlen sei er aber zuversichtlich, "dass hier in den nächsten Monaten weitere Verbesserung geben wird", so König.

Das Fenster für neue Anbieter steht zumindest noch offen. Auch, weil es das Problem mit abgelehnten Anzeigen auf den Plattformen schon länger gibt als die TTPA. Meta hat bereits vor Jahren sogenannte "gesellschaftlich relevante Themen" definiert. Darunter Themen wie Migration, Gesundheit, Umweltpolitik, aber auch sehr allgemein "Wirtschaft". Über die Mitglieder im Deutschen Fundraising Verband weiß Larissa Probst: "Es ist schon länger so, dass einige Ads zurückgegeben werden", sagt . Eine TTPA-konforme Lösung könnte hier Sicherheit schaffen, dass – womöglich – politische Anzeigen sicher einen Ort finden, wo sie ausgespielt werden.

Ziehen die Plattformen doch noch nach? 

Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass Meta, Google und Co. nicht doch noch TTPA-konforme Lösungen anbieten werden. Auch wenn politische Werbung gemessen am Gesamtmarkt eine Nische ist, aktuell lässt man Geld liegen. Der Weg zu einer Lösung, die den Anforderungen genügt, dürfte zumindest nicht allzu weit sein. Metas Werbebibliothek diente ja als Vorbild des geplanten Archivs für politische Werbung. "Die Logik von TTPA resultiert stark aus der Funktionsweise von Social Networks", sagt Jochen König. 

Aufseiten der NGOs gibt es auf jeden Fall die Hoffnung, dass sich bald etwas tut. Von Brot für die Welt heißt es: "Wir hoffen, dass die Plattformen bald praktikable technische Lösungen entwickeln, damit wir rechtskonform agieren können." Und nicht nur NGOs dürften darauf hoffen. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch Purpose-Unternehmen betreffen wird", sagt Larissa Probst vom DFRV.

TTPA als Waffe gegen Andersdenkende?

⁠Bis die rechtssicheren Lösungen kommen bleibt die Unsicherheit. Denn in den strengen Regeln der TTPA schlummert eine weitere Gefahr für NGOs und Unternehmen, die sich für progressive Ziele stark machen. Gegner*innen dieser Ziele könnten versucht sein, die EU-Verordnung als Waffe nutzen und jede nicht eindeutig unpolitische Anzeige als politische Werbung interpretieren, um dagegen vorzugehen.

⁠Vorerst sieht man sich in dieser Ecke jedoch als TTPA-Verlierer. In einem Tiktok-Video stellt sich Nius-Chefredakteur Julian Reichelt als Opfer "wahnwitziger EU-Regulierungen" dar. Aus Sorge, sein rechtspopulistisches Portal werde seine Beiträge künftig nicht mehr bewerben können, bittet er um Abos für seinen Kanal. Und Reichelt teilt seinen TTPA-Take: Die Verordnung sei⁠ ungefähr so, als würde Ursula von der Leyen Snickers nicht mögen und dem Hersteller darum verbieten, die Riegel an der Kasse zu platzieren, einfach weil sie lieber Twix isst. 

⁠Wer diesen Text bis hierhin gelesen hat, dem sollte jedoch klar sein: Die Sache mit der TTPA ist dann doch etwas komplizierter als die Wahl zwischen zwei Schokoriegeln.

Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

Alle Artikel von Christian Cohrs
Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!