Wie Google Apples Search-Ambitionen im Zaum hielt
Das aktuelle US-Kartellverfahren bietet nie gesehene Einblicke hinter Googles Kulissen
Der aktuelle Kartellprozess des US-Justizministeriums gegen Google lässt tief hinter die Kulissen der US-Tech-Industrie blicken. Dokumente, die durch das Verfahren öffentlich wurden, sowie Zeugenaussagen zeigen, wie Google seine dominante Stellung im Suchbereich durch teilweise milliardenschwere Deals zu erhalten versucht. The-Information-Reporter Jon Victor fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Im Jahr 2014 waren Google-Manager tief besorgt über eine neue Funktion von Apple, die Benutzer*innen des Safari Browsers, wenn sie etwas in die Browser-Zeile eingaben, Websites vorschlug, anstatt diese zu Google weiterzuzuleiten – und das, obwohl Google Apple dafür bezahlte, die Standardsuchmaschine auf den Geräten des Unternehmens zu sein.
Google fürchtete damals einen erheblichen Umsatzrückgang, wie ein Slide Deck zeigt, das das US-Justizministerium in diesem Monat im Rahmen seiner Kartellklage gegen das Unternehmen veröffentlichte. Wie hoch Google den potenziellen Umsatzrückgang genau einschätzte, ist der veröffentlichten Version des Dokuments nicht zu entnehmen, weil das Ministerium darin Passagen geschwärzt hat. Bekannt ist aber, dass Google und Apple ihre Vereinbarung bis zum Jahr 2016 anpassten und dass in der neuen Vereinbarung festgehalten wurde, dass das Suchprodukt des iPhone-Herstellers künftig "im Wesentlichen gleich" wie im September 2016 bleibt. Das belegen Gerichtsaussagen und neu veröffentlichte interne E-Mails.
DIE HAUPTERKENNTNISSE
Apple und Google überarbeiteten im Jahr 2016 ihre Vereinbarung, um Apples Search-Aktivitäten einzuschränken.
Google erwartete einen Umsatzrückgang durch eine Safari-Funktion, die Anfragen um- und von Googles Suchmaschine fortlenkte
Dokumente und Aussagen im Google-Kartellverfahren gewähren Einblick in die Geschäftsbeziehungen der Unternehmen.
Aus der internen Korrespondenz geht hervor, wie Google durch die Vereinbarung mit Apple verhindern wollte, dass Apple seine Präsenz in der Suche ausweitet. Damit sollte sichergestellt werden, dass Google keine Suchanfragen von Nutzer*innen von Apple-Geräten verliert – denn schließlich generieren diese jährlich Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe für Google. "We are trying to build a structure that prevents them from diverting queries and destroying value", schrieb der Google-Manager Daniel Alegre in einer E-Mail im Juni 2016, wie aus Gerichtstranskripten hervorgeht (in etwa: "Wir versuchen, eine Struktur zu schaffen, die sie daran hindert, Anfragen umzuleiten und Wert zu zerstören").
Die Dokumente helfen, zu verstehen, warum Apple nur schrittweise Änderungen an den Suchfunktionen von Safari und iOS (die Apple "Siri-Vorschläge" nennt) vorgenommen hat, obwohl das Unternehmen in Technologie und Mitarbeitende in diesem Bereich investiert hat. So hat Apple im vergangenen Jahrzehnt die zwei Suchtechnologie-Start-ups Topsy und Laserlike aufgekauft. 2018 stellte der Konzern John Giannandrea ein, der zuvor bei Google im Search-Bereich in führender Position tätig gewesen war, und bei Apple dann den Fortschritt in Sachen maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz vorantreiben sollte.
Die Beweisstücke könnten dem Justizministerium dabei helfen, zu belegen, dass Googles Umsatzbeteiligungsvereinbarungen mit Unternehmen wie Apple den Verbraucher*innen geschadet haben, weil dadurch im Search-Bereich Innovationen behindert worden seien. Google erklärt demgegenüber, dass Apple auf seinen Geräten Googles Suchmaschine als Standard voreingestellt habe, weil diese eine bessere Benutzererfahrung biete als Alternativen, und nicht etwa, weil die Zahlungen Apples Anreize eingeschränkt habe, mit einem anderen Unternehmen zu kooperieren oder ein konkurrierendes Produkt zu entwickeln.
In der vergangenen Woche hat das US-Justizministerium seinen letzten Zeugen in den Zeugenstand gerufen; nun tritt der Prozess in eine neue Phase ein. In den vorangegangenen sechs Wochen hatten Regierungsanwälte hochkarätige Zeugen wie Microsoft-CEO Satya Nadella, den Apple-Services-Chef Eddy Cue und den Google-Ads-Manager Jerry Dischler befragt. Ein Großteil der Zeugenaussagen drehte sich um die zentrale Frage, ob Googles Dominanz bei der Suche und die Vereinbarungen der Konzerns mit anderen Unternehmen den Wettbewerb behindert haben, wie das Justizministerium behauptet.
Sollte sich das Justizministerium durchsetzen, könnte es Google dazu zwingen, seine Vereinbarungen zur Standardsuchmaschine mit Apple, Samsung und anderen Unternehmen zu ändern oder aufzugeben. Wenn es für die Nutzer*innen künftig einfacher werden sollte, andere Suchmaschinen zu wählen, stünde für Google damit ein sehr relevanter Anteil des Search Traffics auf dem Spiel. Das Verfahren wird voraussichtlich Mitte November abgeschlossen.
Apple hat erstmals im Jahr 2002 vereinbart, Google zur Standardsuchmaschine in seinem Browser zu machen. Eine Zeit lang umging Safari die Google-Suchergebnisse nur, um die Nutzer*innen zu Wikipedia zu schicken, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Ab etwa 2015 leitete Apple Safari-Nutzer*innen jedoch immer häufiger direkt zu Websites, Apps oder Apple Maps-Seiten weiter und schürte damit die Spannungen zwischen den Tech-Giganten.
Als die beiden Unternehmen ihre Vereinbarung im Jahr 2016 überarbeiteten, war es Apple laut den neuen Bedingungen erlaubt, den Nutzer*innen einen "Siri-Vorschlag" zu unterbreiten – "ausschließlich aus Qualitätsgründen und nicht, weil sie den Traffic zu Siri lenken wollen", schrieb Joan Braddi, eine Google-Managerin, die für Suchpartnerschaften zuständig ist, in einer E-Mail vom August 2018, die bei der Verhandlung vorgelegt wurde. Braddi erklärte im Rahmen ihrer Aussage Anfang Oktober, dass Apple die Nutzung von Vorschlägen seither trotz der Vereinbarung ausgeweitet hat.
"Möglicherweise war Apple die ganze Zeit über nervös, weil es so abhängig von Googles Suche waren, und wollte deswegen dauerhaft prüfen, ob es etwas bauen könnte, dass entweder besser ist, oder alles langfristig innerhalb von Apple hält", so David Olson, Professor für Kartellrecht an der Boston College Law School.
Apple schlägt Safari-Nutzer*innen bei der Eingabe von Suchanfragen in den Browser nach wie vor Websites vor, die nicht von Google stammen. Aus den Gerichtsunterlagen geht jedoch hervor, dass Apple letztlich zugestimmt hat, die eigene Suchfunktion nicht wesentlich auszubauen, um den lukrativen Umsatzbeteiligungs-Deal mit Google aufrechterhalten zu können.
Giannandrea sagte im September aus, dass Apple seine Such-Features zum Teil deswegen anbiete, um die Privatsphäre seiner Kund*innen zu schützen und eine bessere User Experience zu bieten. In den letzten Jahren hat Apple den eigenen Web-Index vergrößert, um bessere Ergebnisse bieten zu können, so Giannandrea.
"Unser genereller Ansatz ist, dass wir glauben, dass die Nutzer*innen unserer Geräte nach Antworten suchen, und wenn wir die Antwort liefern können, werden wir das tun, anstatt sie zu einer allgemeinen Suchmaschine zu senden", sagte Giannandrea. Apple habe nie zugesagt, keine eigene Suchmaschine zu entwickeln.
Sprecher von Google und des Justizministeriums gaben keinen Kommentar ab. In ihrer Gerichtsaussage sagte Braddi, die Google-Managerin für Suchpartnerschaften, dass es sich bei den prognostizierten Auswirkungen der Apple-Suchfunktion auf Googles Einnahmen um "die Meinung einer Person" handele. Apple reagierte nicht auf die Bitte um Stellungnahme.
Die Vorschläge von Siri könnten in den kommenden Jahren wieder zu einem Streitpunkt werden, denn Apple investiert, um die Fähigkeiten des Sprachassistenten weiterzuentwickeln. Zuletzt haben generative Sprachmodelle enorme Fortschritte gemacht, mit deren Hilfe Nutzer*innen eine Software durch Spracheingabe steuern können. Weil sie so auch Suchen durchführen könnten, könnte Apple hier durch die Vereinbarung mit Google eingeschränkt sein.
Geheimer Vertrag
Das Kartellverfahren hat einen noch nie dagewesenen Einblick in eine der wichtigsten Geschäftsbeziehungen der Technologiebranche ermöglicht. Nach Angaben des Justizministeriums zahlt Google Apple schätzungsweise vier bis sieben Milliarden US-Dollar jährlich, um die Standardsuchmaschine auf Apple-Geräten zu sein. Der Vertrag steht im Mittelpunkt des Rechtsstreits der US-Regierung gegen Google. Die Klägerin sieht darin eine illegale Vereinbarung, mit der Google seine Monopolstellung bei der Websuche missbraucht. Google bestreitet die Vorwürfe energisch.
US-Bezirksrichter Amit P. Mehta, der den Fall ohne Geschworene verhandelt, hat entschieden, dass ein Großteil der im Prozess vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollen – obwohl Medien wie die New York Times und Bloomberg beantragt hatten, den Zugang zu den Gerichtsverhandlungen zu erweitern. Viele der Zeugen des Justizministeriums haben in nicht-öffentlichen Sitzungen ausgesagt, weil Google und andere Unternehmen Sorge hatten, dass im Rahmen des Verfahrens vertrauliche Informationen preisgegeben werden. Ausgewählte Dokumente aus dem Prozesse hat das Justizministerium online veröffentlicht – jedoch nur einen Bruchteil aller während der sechswöchigen Gerichtsverhandlung behandelten Papiere.
Die freigegebenen Dokumente zeigen, wie wichtig Google die Geheimhaltung der Details der Vereinbarung mit Apple ist. In der internen Korrespondenz wurde Apple unter anderem mit Codenamen wie "Anden" und "NYC" bezeichnet. Einige interne, mit dem Vermerk "Anwaltsgeheimnis"” versehene Mails an Google-Anwälte sind trotzdem durch den Rechtsstreit öffentlich geworden, da die Absender keine Rechtsberatung in Anspruch nehmen wollten.
Schließung von Schlupflöchern
Die Änderung der Vereinbarung mit Apple im Jahr 2016 war nicht das einzige Mal, dass Google Vereinbarungen mit anderen Unternehmen geändert hat, um zu verhindern, dass der Status Googles als Standardsuchmaschine auf anderen Plattformen durch konkurrierende Angebote untergraben wird.
Im September legte das Justizministerium Beweise vor, die darauf hindeuten, dass Google auch eine vergleichbare Vereinbarung mit Samsung geändert hat. Damals sollte eine potenzielle Wettbewerbssituation mit dem Startup Branch verhindert werden. Branch hatte eine Suchmaschine entwickelt, die Seiten aus Apps anstatt aus dem Web indizieren konnte. Samsung war mit Branch eine Partnerschaft eingegangen, um die Suchfunktion auf den eigenen Geräten zu verbessern.
Wie aus den Prozessunterlagen hervorgeht, macht sich die Google-Manager, die die Partnerschaft mit Samsung betreuten, im Jahr 2020 Sorgen darüber, dass Branchs Produkt ausgeweitet worden war. Anstatt wie bisher nur Ergebnisse aus der Kontaktliste, den Einstellungen und Fotos zu zeigen, beinhaltete es nun auch Seiten von Apps wie Yelp und Amazon. Weil das Produkt auf das Internet zugriff, um Ergebnisse zu finden, sah Google darin einen Verstoß gegen die Vereinbarung mit Samsung. Mit dem koreanischen Unternehmen hatte der Konzern eine ähnliche Umsatzbeteiligungsvereinbarung im Austausch gegen den Status als Standardsuchmaschine.
Google nahm im selben Jahr Verhandlungen über eine Ausweitung des Deals auf. Der Aussage von Branchs ehemaligen CEO Alex Austin zufolge sollte die neue Vereinbarung den Telefonhersteller daran hindern, ein anderes Suchprodukt auf seinen Geräten vorinstallieren, das mit dem Internet verbunden ist – anstatt wie bisher eines, dass das Internet durchsucht. Diese Maßnahme habe Branch dazu gezwungen, den Umfang des eigenen Produkts erheblich zu reduzieren, so Austin.
"Der Grund, warum das Justizministerium diese Beweise vorgelegt hat, liegt darin, dass Google jeden, der möglicherweise hätte versuchen können, zur Standardsuchmaschine auf einem Gerät zu werden, gleich den Weg abgeschnitten hat", sagte Megan Gray, eine ehemalige Anwältin bei Googles Konkurrenten DuckDuckGo in einem Interview.