Marketing ohne Kohle? – Diese Cases zeigen, wie es gehen kann

Jasper Ramm17.12.2014
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Growth-Hacking-Methoden von „Fake it til you make it“ bis zum Presse-Logo-Trick

(Bild: Rootytootoot / Flickr / CC BY-ND-ND-2.0 / Montage: OMR)

(Bild: Rootytootoot / Flickr / CC BY-ND-ND-2.0 / Montage: OMR)

Viele Start-ups und junge Unternehmen haben zum Start nicht einen Cent in der Tasche, schon gar nicht für Marketing. Was kann man tun, wenn man eine Geschäftsidee hat, von der man wirklich überzeugt ist, die aber noch niemand kennt? Online Marketing Rockstars hat sich umgehört und zeigt ausgefallene Beispiele, wie Unternehmen mit Zero Budget Marketing Aufmerksamkeit generiert haben.

PayPal und Reddit – Fake it til you make it

Plattformen wie eBay oder Reddit mit einem zweiseitigen Markt stehen zum Start stets vor dem Henne-Ei-Problem. Woher kommen die Nutzer, wenn sonst noch niemand auf der Plattform aktiv ist. eBay ohne Verkäufer, wäre ein Friedhof ohne Waren. Prominente Beispiele lösten dieses Problem mit Fakes: In seinem Buch The PayPal Wars beschreibt Eric M. Jackson etwa, wie PayPal zu Beginn die Nachfrage für den Zahlungsservice erhöhte. Zunächst mussten schließlich die Händler die Zahlungsart akzeptieren. Also kaufte PayPal mit Hilfe von Bots Produkte von eBay-Händlern. Der vermeintliche Käufer forderte dann den Händler auf, PayPal zu akzeptieren. Verkäufer lernten den Service kennen und bekamen gleichzeitig den Eindruck, dass er schon etabliert sei. Der Aufstieg konnte beginnen.

Ganz ähnlich baute Reddit seine Content-Macht auf. Co-Gründer Steve Huffman beichtete, dass zuerst vor allem Fake-Profile auf Reddit unterwegs waren. Diese posteten Links und Inhalte im Sinne der Gründer und zogen so echte Nutzer mit ähnlichen Interessen an. Nicht nur, dass die Nutzerbasis explodierte, auch der Content blieb der von Fake-Profilen etablierten Reddit-Kultur gleich.

JustBook – Inszeniere dich als David

Jeder hält erst einmal zum Underdog. Wer gegen eine Übermacht kämpft, zieht ganz automatisch die Sympathien auf seine Seite. Und nichts sorgt für mehr Aufmerksamkeit als der Goliath-Konzern, der das David-Start-up bekämpft. Wer in einer Branche disruptiv unterwegs ist, zieht sich oft den Zorn der Etablierten zu. Flattern dann Klagen oder Kampfansagen ins Haus, kann es sich lohnen, die Geschichte öffentlich zu machen. Das mittlerweile zum Luxusreise-Anbieter „Secret Escapes“ gehörende Start-up JustBook setzte 2012 genau auf diese Taktik. Kurz nach dem Start der JustBook-App für günstige Hotelbuchungen hatte der Platzhirsch HRS (Hotel Reservation Service) Hotels angeschrieben, die beim Start-up günstiger gelistet waren. Negative Folge: Einige Hotels zogen sich komplett von der neuen Plattform zurück. Indem JustBook mit dem Problem aber an die Presse ging, steigerte es seine Bekanntheit enorm. Gleichzeitig nahm es den Kampf auf und erwirkte kurze Zeit später eine einstweilige Verfügung gegen HRS. Wieder folgte eine Berichterstattung und wieder konnten die Gründer ihr Geschäftsmodell einer breiten Öffentlichkeit vorstellen.

Auch in anderen Branchen lässt sich diese Taktik immer wieder beobachten. „Autonetzer“ gegen den Bundesverband der Autovermieter, „DeinBus“ gegen die Deutsche Bahn, „MyTaxi“ und „Wundercar“ gegen den Taxiverband, „Uber“ gegen alle. Die Sympathien sind meist klar verteilt. Als im Sommer 2014 in ganz Europa Taxifahrer gegen Taxi-Apps streikten, verzeichnete Uber sechs bis acht Mal so viele Neuanmeldungen. Beim Hamburger Start-up Wundercar kamen laut Gründer Gunnar Froh pro Stunde 50 Neukunden dazu, an normalen Tagen liege diese Zahl bei 100 am ganzen Tag.

Beta List – Starte einen Meta-Service

Marc Köhlbrugge (Foto: Tommy Köhlbrugge)

Marc Köhlbrugge (Foto: Tommy Köhlbrugge)

Einige Gründer wählen eine andere Taktik, um den Traffic zu erhöhen. Sie erzählen eine Geschichte, die auf den ersten Blick nichts mit dem eigentlichen Projekt zu tun hat und lenken den Kunden dann doch zielgerichtet dorthin. Perfekt funktionierte das für den Start-up-Gründer Marc Köhlbrugge. Der Niederländer entwickelte gerade seine Plattform Openmargin und war auf der Suche nach Betatestern. Einträge auf Facebook und anderen sozialen Medien brachten keinen Erfolg.

Also überlegte er sich einen Trick. Nebenbei baute er eine glanzlose Webseite namens Beta List und schickte eine kurze PR-Meldung an Techcrunch. Laut seiner Aussage zeige Beta List die neuesten Testversionen verschiedener Services im Netz. Sein Plan: Sollte der US-Blog über seine Fake-Seite berichten, würde er die Zielgruppe direkt dorthin leiten. Sein eigentliches Projekt Openmargin stünde dann natürlich prominent auf der Seite. Das Verrückte: Die Idee ging auf. Techcrunch brachte einen Bericht über Beta List und Köhlbrugge hatte schnell seine 200 Tester beisammen. Fast als Nebenprodukt fing die ganze Geschichte Feuer. Schnell schrieben weitere Blogs und Nachrichtenportale über sein zusammengeschustertes Projekt und Köhlbrugge entschied sich Beta List fortzuführen. Bis heute bietet das Start-up eine Übersicht für Betatester.

Easymarketing: Wirb mit Medien-Logos um Vertrauen – selbst, wenn nie über Dich berichtet wurde

Die Logos der klassischen Medien sorgen für Vertrauen – den kleinen Zusatz „Geschäftsmodell bekannt aus“ sieht vielleicht dann gar nicht mehr jeder…

Brandneue Unternehmen müssen neben Aufmerksamkeit auch Vertrauen aufbauen. Das gilt insbesondere für Online-Shops. Ein typisches Mittel ist der Verweis auf eine ausufernde Berichterstattung über das eigene Produkt. Eine noch frechere Vorgehensweise haben sich Portale wie easymarketing.de ausgedacht. Auf der Webseite steht einfach: „Geschäftsmodell bekannt aus:“ So landen Welt, Süddeutsche & Co. in der Vita. Nur weil die irgendwann einmal über Retargeting berichtet haben. Ganz einfach funktioniert die Einbindung solcher Medienverweise mit dem „Start-up Legitimizer“. Das Tool erstellt automatisch einen „Bekannt aus“-Banner mit den heißesten News-Webseiten aus den USA.

Mammut – Generiere Aufmerksamkeit mit einem Fake-Blog

Etwas mehr Arbeit aber ebenfalls kaum Geld steckte der Schweizer Outdoor-Spezialist Mammut schon 2006 in seine Kampagne: Plötzlich tauchte im Netz die 85-jährige Großmutter Mary Woodbridge auf. Ihr Plan: Eine Mount Everest-Besteigung mit Dackel Daisy ­– natürlich ohne Lager und auf dem direkten Weg. Dazu richtete die rüstige Dame eine dreisprachige Webseite mit ihren Plänen, Fotos und Videos ein. Komisch: Auf jedem Foto trägt die Omi einen auffälligen gelben Mantel von Mammut. Die einzige Werbeanzeige auf der Seite ist selbstverständlich ebenfalls von dem Schweizer Unternehmen. Das hielt 250 Medien nicht davon ab, über die unglaubliche Geschichte zu berichteten. Tausende Leser der Webseite wünschten der Dackelliebhaberin Glück – ein absoluter Coup für den Auftraggeber. Als das Unternehmen die Fälschung auffliegen ließ, berichtete die Presse ein weiteres Mal über die Aktion. Man habe mit der Kampagne „die sonst nur schwer via Werbung anzusprechende Hardcore-Szene der Kletterer und Alpinisten“ ansprechen wollen, so Mammut-Marketingchef Michael Gyssler.

Der gefakte Blog von „Mary Woodbridge“

Fake-Blogs funktionieren am Besten, wenn dort kontroverse und ausgefallene Beiträge erscheinen. Die Konzentration auf ein produktnahes Thema treibt die Zielgruppe auf den Blog oder die Webseite, die Beiträge regen zur Diskussionen an und die Werbung führt direkt zum eigenen Produkt. Bestenfalls nehmen die Medien das Thema mit. Allerdings dürfte sich nicht jeder Kunde über die Irreführung freuen.

JR
Autor*In
Jasper Ramm
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