Google will Youtube zum (Tele-)Shopping-Hub machen – und so wird es aussehen

Handelsschwergewichte wie Walmart, Target und Sephora testen die Funktionen bereits

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„The world’s biggest video storefront“ – so nennt eine Managerin der Agenturgruppe Publicis Youtube in einem aktuellen Werbevideo von Google. Der Online-Werbegigant versucht gerade mit aller Macht, seine Video-Plattform als Verkaufsplattform zu positionieren. Künftig könnten möglicherweise alle Videos und Livestreams auf Youtube „shoppable“ werden; die Nutzer:innen können dann auf Produkte klicken und sie direkt auf Youtube einkaufen. Wir zeigen, wie das aussehen wird und erklären die Hintergründe.

„Wir wollen Amazon das Leben schwer machen“, zitiert Bloomberg den Youtube-Manager David Katz in einem aktuellen Artikel. Der Hintergrund: Youtube und auf der Plattform verfügbare Unboxing-, Tutorial-, Haul- und „Shop with me“-Videos, mit denen sich Nutzer:innen über Produkte und wie (gut) diese funktionieren, informieren, stehen zwar häufig am Anfang von Kaufentscheidungen. Doch gekauft werden die Produkte dann auf anderen Plattformen; am häufigsten wohl auf Amazon.

Star-Creator trommeln für das Feature

Nach dem Willen Googles soll sich das nun ändern: Künftig sollen die Kund:innen direkt auf Youtube kaufen können.  Im Oktober, bei der Advertising Week in New York, stellte Youtube im Rahmen eines Keynote-Vortrags mit Unterstützung von Youtube-Star Liza Koshy vor. In den zurückliegenden Monaten habe Google auf Youtube erste Tests durchgeführt, zuerst mit On-Demand-Videos, dann mit Livestreams, wie das Unternehmen außerdem in einem Blog-Artikel erklärte. Sowohl Creator wie Simple Nailogical (eine „Nail Artist“ mit 7,68 Millionen auf ihrem Hauptkanal) und Hyram (ein „Skincare Influencer“ mit 4,59 Millionen Abonnenten) sowie die Handelsketten Walmart, Target und Sephora hatten zuletzt die Liveshopping-Stream-Funktion von Youtube ausprobiert.

Aus den Mitschnitten dieser Livestreams auf Youtube wird ersichtlich, wie die Shopping-Funktion auf Youtube aussieht: Die Produkte sind nicht durch Popups o.ä. direkt im Videos markiert, sondern etwas unterhalb des Bildes. Tippt der Nutzer das Video an, erscheint ein Button „Produkte ansehen“ (in eingebetteten Videos ist diese nicht sichtbar). Die Schaltfläche öffnet dann eine größere Ansicht der Produkte, aus der heraus die Nutzer:innen sich auf die Artikel-Detailseite des jeweiligen Shops klicken können. Das laufende Video/der aktuelle Stream bleibt dabei immer zumindest in einer Kleinstansicht sichtbar.

135.000 Visits über das „Product Shelf“

Youtube Shopping in der freien Wildbahn: Der Mitschnitt eines Livestreams mit Creatorin Raven Elyse im Youtube-Kanal von Walmart zeigt, wie die Einbindung von Produkten auf der Plattform aussieht

Youtube Shopping in der freien Wildbahn: Der Mitschnitt eines Livestreams mit Creatorin Raven Elyse im Youtube-Kanal von Walmart zeigt, wie die Einbindung von Produkten auf der Plattform aussieht

Die Vermutung liegt nahe, dass der Shopping-Funktion eine anderes Feature zugrunde liegt, das von Youtube schon vor drei Jahren eingeführt wurde qund uasi genauso aussieht: das „Merch Shelf“. Mit diesem können Creator in und unter ihren Videos Merchandise-Produkte verkaufen. 2018 startete Youtube die Funktion in Partnerschaft mit dem T-Shirt-On-Demand-Anbieter Spring (ehemals T-Spring); heute sind diverse Merchandise-Plattformen und -Anbieter an Youtube angeschlossen. Zunächst war nur der Verkauf von physischen Produkten erlaubt; seit diesem März ist auch der Verkauf von digitalen Gütern wie beispielsweise eBooks und Lightroom Presets möglich.

Mit dem neu eingeführten „Product Shelf“ können Creator nun Produkte Dritter (Marken und Händler) in derselben Form in ihre Inhalte einbinden und so kaufbar machen. Aber auch Händlern soll das Tool offensichtlich für ihre eigenen Kanäle zur Verfügung stehen – das zeigen die Tests mit Walmart, Target und Sephora. Walmart hat offenbar bereits in der „Holiday Season“ (die in den USA traditionell mit Thanksgiving Ende November beginnt und mit Neujahr endet) des Jahres 2020 namhafte Creator dazu eingeladen, Koch- und Back-Videos für Walmart zu produzieren, und in diese das „Product Shelf“ integriert. Nur über das „Verkaufsregal“ alleine seien 135.000 Website-Besuche generiert worden, wie Walmart-Manager Jill Toscano in einem Werbevideo von Youtube erklärt.

Was das kosten wird? – 🤷

Wie die genauen Modalitäten und Konditionen dieses Features sind, ob Youtube etwa einen Prozentsatz der mit dem „Product Shelf“ generierten Umsätze einbehält – das ist bislang offenbar unklar. Gegenüber dem US-Branchendienst Tubefilter erklärte Youtube-Manager Dave Katz, das Unternehmen sei „gerade noch dabei, alle Aspekte der Monetarisierung und dessen, wie Youtube dieses Geschäftsmodell aufbaut, auszutüfteln“. In der Vergangenheit hatte Youtube bereits mehrfach (in den Jahren 2015 und 2020) „Shoppable Ad“-Formate vorgestellt – also bezahlte Werbeanzeigen, aus denen die Zuschauenden heraus direkt einkaufen konnten. Alleine damit ist es Google bislang augenscheinlich aber nicht gelungen, Youtube als relevante Shopping-Plattform zu etablieren.

Wie die Einbindung von Produkten bei Youtube in der Breite operativ stattfinden wird, ist aktuell ebenfalls nicht öffentlich bekannt. Die naheliegende Vermutung: Youtube muss den jeweiligen Marken und Händlern, die mit ihrer Ware auf Youtube vertreten sein sollen, Anbindung zu einer Schnittstelle (API) geben. An diese API schließen die Unternehmen dann ihren Produktdaten-Feed an, der Informationen zu den Produkten (Bilder, Beschreibung) sowie deren Preise liefert. Weil viele Händler und Hersteller ihre Daten-Feeds schon an Google Shopping angeschlossen haben, könnte der Anschluss an Youtube hier möglicherweise lediglich durch das Setzen eines weiteren Häkchens geschehen.

Werden Produkte automatisiert markiert werden?

Künftig könnte Youtube Produkte in Videos sogar automatisch erkennen und markieren. Seit März 2021 experimentiert die Videoplattform in den USA mit einer Funktion, mittels derer zwischen den empfohlenen Videos eine automatisiert erstellte Liste der erkannten (sowie verwandten) Produkte einblendet wird. Das Ziel dabei sei, dass die Nutzer:innen mehr Videos anschauen und mehr Informationen zu den Produkten vorfinden, die sie interessieren. Davon, dass über diese Funktion direkte Verkäufe generiert werden sollen, war zumindest bei Bekanntgabe des Tests nicht die Rede.

Vor Kurzem kündigte Youtube zudem eine weitere Neuerung rund um das Thema Shopping an: den Start von Youtube.com/Shopping. Wie Tubefilter schreibt, soll diese Seite künftig ein „Discovery Hub“ für alle „Shoppable Videos“ auf Youtube beherbergen. Im September 2019 hatte die Plattform bereits unter Youtube.com/Fashion ein ähnliches Vertical zum Thema Mode eingerichtet.

Youtubes "Fashion Hub"

Youtubes „Fashion Hub“ vermittelt eine Ahnung davon, wie viel Shopping-Freude der angekündigte „Shopping Hub“ wecken könnte

MrBeast soll für einen Push sorgen

Fraglich ist, ob es Youtube gelingen wird, die Nutzer:innen dazu zu bringen, dieses Hub künftig direkt anzusteuern. Das weitaus große Potenzial in Sachen Shopping dürfte für Youtube in der Einbindung von Creatorn liegen. Denn schließlich sind es in der Regel deren Inhalte, für die Nutzer:innen auf die Plattform kommen, und die deutlich höheren Abrufzahlen verzeichnen als jene der Hersteller und Händler.

Wenig erstaunlich also, dass Youtube das Einkaufen auf der eigenen Plattform in der kommenden Woche mit einer großen „Holiday Stream and Shop“-Promo-Aktion propagiert und dabei an jedem Tag andere, bekannte Creator Shopping-Livestreams durchführen lässt. Zum Start präsentieren die Merrill Twins (6,02 Millionen Abonnenten) in einer Art Shopping-Show in Partnerschaft mit Walmart, Samsung und Verizon Weihnachtsgeschenkideen. In den folgenden Tagen werden dann Stars wie MrBeast (mit zwei Kanälen fast 100 Millionen Abonnenten in Summe), Gordon Ramsey (18,3 Millionen Abonnenten) und Manny Mua (4,85 Millionen Abonnenten) Shopping-Streams durchführen. Laut Tubefilter sollen dabei neue, eigene Produkte der Youtuber zu Sonderkonditionen verkauft werden.

Auch in Deutschland ist die Funktion verfügbar

Das "Product Shelf" im Youtube-Kanal von Liebscher & Bracht

Das „Product Shelf“ im Youtube-Kanal von Liebscher & Bracht (Hervorhebung durch OMR)

Dass Youtube nun mit Schwergewichten wie MrBeast für Shopping trommelt, zeigt, wie überzeugt die Plattform von der Shopping-Funktion ist und wie ernst sie ihre E-Commerce-Offensive meint. Aber nicht nur die Stars sollen ein „Product Shelf“ unter ihren Videos einbinden können, sondern Youtube will die Funktion offensichtlich auch in die Masse tragen. Nach Darstellung von Tubefilter erhalten in den USA, in Indien sowie Brasilien aktuell Hunderte mittelgroßer Creator aus dem Beauty- und Tech-Bereich Zugriff auf die Funktion.

Aber auch für deutsche Youtube-Kanäle ist die Funktion bereits verfügbar. Das Team hinter dem Kanal „Liebscher & Bracht“, in dessen Videos um Schmerztherapie geht, nutzt das  Youtube Product Shelf seit dem August, wie Online-Marketing-Manager Simon Pieren gegenüber OMR erklärt. Liebscher & Bracht habe – neben dem bereits bestehenden, auf Shopware basierenden Online-Shop – einen weiteren Mini-Shop auf Shopify-Basis eingerichtet, um das Feature nutzen zu können. Das Unternehmen verkauft darüber beispielsweise Faszien-Rollen-Sets – „sehr erfolgreich“, wie Pieren erklärt. „Die Umsätze via YouTube konnten wir dadurch steigern, und die Conversion Rate im Shop ist aktuell auch höher als sonst.“

Wer wird digitaler Teleshopping-Sieger?

Youtube ist bei Weitem nicht die einzige Plattform, die gerade versucht, Video, Shopping und Influencer Marketing miteinander zu verknüpfen. Konkurrent Amazon betreibt in den USA seit 2018 unter Amazon.com/Live im Heimatmarkt USA selbst Teleshopping. Außerdem hat Amazon ein eigenes Influencer-Programm, über das die Teilnehmer:innen bei erfolgreich vermittelten Verkäufen Provisionen kassieren können – auch mittels Teleshopping auf der Amazon-Plattform.

Meta setzt seit rund drei Jahren ebenfalls stark auf das Thema Social Commerce und hat auf Facebook und auf Instagram eine Vielzahl von Shopping-Funktionen eingeführt: eigene Shops für Unternehmen und Creator, sowie die Möglichkeit, Produkte in Inhalten zu markieren – seit einiger Zeit auch in Livestreams. Auch Tiktok hat, u.a. in Kooperation mit Shopify, Shops und Shopping-Funktionen gelauncht. Auch Snapchat unternimmt große Schritte in Sachen Commerce. Gerade hat auch Pinterest Livestreams unter dem Namen „Pinterest TV“ gelauncht.

Zwei Milliarden US-Dollar Umsatz an einem Tag?

Während digitales Teleshopping in China schon eine riesige Industrie ist (gerade soll der chinesische Influencer „Lipstick Brother“ an nur einem Tag atemberaubenderweise Produkte im Gegenwert von zwei Milliarden US-Dollar verkauft haben), wird sich noch zeigen müssen, ob die westliche Kultur ebenfalls im selben Maß dafür offen ist. Und ob die Verbraucher:innen von jenen Creatorn, von denen sie Reviews anschauen und deren Produktempfehlungen sie vertrauen, auch wirklich die Produkte direkt kaufen will.

Update, 15.11.2021, 22:30 Uhr: Wir haben den Artikel um Informationen über das „Product Shelf“ im Youtube-Kanal von Liebscher & Bracht ergänzt.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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