Gehackt, gehijacked, gesquattet – Der geheime Schwarzmarkt für Twitter-Accounts

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Zeitschrift Chip sollte mindestens fünfstellige US-Dollar-Summe für Twitter-Handle bezahlen

Twitterdieb_550 Kann ein Twitter-Account einen fünf-, vielleicht sogar sechsstelligen Geldbetrag wert sein – etwa, weil er den Namen einer Marke trägt? Zumindest fordert der Inhaber des Twitter-Handles @chip von dem gleichnamigen deutschen Magazin „deutlich mehr als 30.000 US-Dollar“, falls dieses seinen Account übernehmen wolle. Kein Einzelfall: Wie Rockstars-Recherchen gezeigt haben, existiert rund um Twitter-Handles ein eigener kleiner Schwarzmarkt. Um an die wirklich wertvollen Accounts zu kommen, wenden die Verkäufer teilweise dubiose bis illegale Methoden an.

Florian Konrad Schmitz

Florian Konrad Schmitz

Auf diese Nachricht dürfte Florian Konrad Schmitz, Head of Social Media bei der Computer-Zeitschrift Chip, durchaus verdutzt bis erheitert reagiert haben: „Viele Leute und Unternehmen haben mir schon Kaufangebote für @chip gemacht, und ich habe schon Angebote von über 30.000 US-Dollar ausgeschlagen. Offensichtlich waren die nicht sehr überzeugend. Lass mich wissen, wie interessiert Du wirklich bist“, schrieb ihm der US-Amerikaner Chip Clofine. Schmitz hatte bei dem Inhaber des besagten Twitter-Acounts angefragt, ob es eine Möglichkeit für das deutsche Medium gebe, diesen zu übernehmen.

Twitter-Handles werden einmalig vergeben – und sind deswegen wertvoll

So genannte Brand-Handles sind für Marken durchaus attraktiv – sie mögen zwar vielleicht nicht gleichermaßen wertvoll sein wie Webdomains, die aus dem jeweiligen Markennamen bestehen, sind aber im Prinzip durchaus mit diesen vergleichbar. Denn während der User-Name bei Twitter geändert und frei gewählt werden kann, werden die Handles nur einmal vergeben. Unter der Adresse Twitter.com/Handle ist das Profil des jeweiligen Users aufrufbar. Mit Nutzung des @-Zeichens können andere Twitter-Nutzer dann direkt öffentliche Nachrichten an den jeweiligen Account senden – mit Tweets an @OMRockstars beispielsweise an Online Marketing Rockstars.

Ähnlich wie User, wenn sie die Website eines bestimmten Unternehmens aufrufen wollen, aber deren URL nicht kennen, einfach den Markennamen plus entsprechendes Länderkürzel in ihre Browser-Zeile eingeben, markieren die Nutzer bei Twitter häufig Marken in ihren Tweets einfach mit einem @-Zeichen, ohne möglicherweise zu überprüfen, ob die Marke wirklich Inhaber des entsprechenden Handles ist. Dabei gibt es das Phänomen des „Twitter Squatting“, vergleichbar mit dem „Domain Squatting“, bei dem sich Online-Marketer Website-Adressen sichern, weil sie darauf spekulieren, diese an andere gewinnbringend weiterverkaufen zu können. Bei Twitter sind beispielsweise die Handles von Lego, JohnnyWalker und Häagen Dazs bis heute nicht in den Händen der jeweiligen Markeninhaber. Twitter selbst behält sich zwar das Recht vor, Twitter-Accounts mit Markennamen an den Inhaber der Markenrechte zu übertragen – in der Praxis ist es für letztere offensichtlich aber nicht leicht, solche Rechte geltend zu machen.

Versicherung wird Opfer eines Parodie-Accounts

Für die Marken besteht damit nicht nur das Risiko, dass sie an sie gerichtete Tweets nicht wahrnehmen und damit möglicherweise als kundenunfreundlich gelten oder Shitstorms erst spät bemerken – sondern auch, dass Fremde sich als Vertreter der Marke ausgeben und damit Schaden anrichten. Das Unternehmen Coventry First beispielsweise, das mit Lebensversicherungsverträgen handelt, wurde im Jahr 2011 Opfer eines Twitter-Parodie-Accounts. Der Inhaber des Handles @CoventryFirst postete Nachrichten wie „Fürchterliches Wochenende… Keine Flugzeugabstürze (die bringen viel Kohle), keine Erdbeben…“ Obwohl die Zahl der Follower des Accounts im einstelligen Bereich rangierte, versuchte das Unternehmen gerichtlich gegen diesen vorzugehen. Der Account-Inhaber lenkte ein, änderte den Handle sowie seinen Namen versah seine Profil-Seite mit einem Disclaimer.

Nicht immer sichern sich die Squatter den Twitter-Handle einer Marke, um unter diesem einen Parodie-Account zu betreiben. Häufig besteht ihre Absicht offensichtlich alleine darin, den jeweiligen Account gewinnbringend zu verkaufen. Von größeren Deals mit Marken-Accounts bei Twitter ist zwar bislang nichts öffentlich bekannt geworden. Dies dürfte jedoch zum größten Teil daran liegen, dass Twitter den Handel mit Handles ausdrücklich untersagt. Bei Zuwiderhandlung droht die Löschung des jeweiligen Accounts und damit ein potenzieller Verlust von bereits erworbener Reichweite. Als beispielsweise im Jahr 2009 bekannt wurde, dass der TV-Sender CNN den Account „CNN Breaking News“ (@CNNbrk) mit knapp einer Million Follower übernommen hatte, beeilte sich das Unternehmen zu versichern, dass es den Account nicht gekauft, sondern mit dem Inhaber einen „Beratungsvertrag“ abgeschlossen habe.

Neue Domain registriert – auf einmal ist der Twitter-Handle weg

Andre Alpar

Andre Alpar

Twitter existiert seit dem Jahr 2006, die Handles mit Namen großer Marken dürfte mittlerweile größtenteils vergeben sein. Wie interessant neue Marken entsprechend für Twitter-Squatter sind, musste der deutsche Online-Marketing-Experte Andre Alpar leidvoll erfahren. Als Alpar mit einem Partner Anfang 2013 den Zigarren-Shop Noblego ins Netz brachte, war bald der gleichnamige Twitter-Handle von einem fremden User belegt. Das erstaunliche: Den Namen Noblego gab es bis dahin nicht; er war frei erfunden. Als Alpar die Domains für den Shop sicherte, war der gleichnamige Twitter-Account noch frei – wenige Stunden später jedoch nicht mehr. Die gleiche Erfahrung machte Alpar später erneut mit anderen Twitter-Accounts – beispielsweise, als seine Agentur AKM3 von der Publicis Groupe gekauft wurde. Möglicherweise wird die Agentur wegen der Übernahme umfirmieren und hat sich deswegen bereits die Domains der künftigen potenziellen Namen gesichert – bald danach waren die entsprechenden Twitter-Accounts an einen fremden User vergeben. Gepostet wird über die gesquatteten Accounts, wie beispielsweise Twitter.com/Noblego, bislang nicht. Kontaktanfragen durch die Firma Noblego beantwortete der Inhaber ebenfalls nicht. Auch Versuche Alpars, bei Twitter direkt eine Übertragung der Accounts zu erreichen, fruchteten bisher nicht.

Für einige Top-Level-Domains, wie beispielsweise .com, lassen sich im Internet Informationen darüber, welche Website-Adressen neu registriert wurden, finden und auch kaufen. Andre Alpars Erfahrungen deuten darauf hin, dass Squatter die Neuregistrierungen im Domain-Bereich scannen und sich automatisiert entsprechende Twitter-Accounts sichern, vermutlich in der Hoffnung, dass sich irgendwann einmal der ganz große Deal daraus ergeben könnte. Im Netz ist jedenfalls mehrfach (1, 2) von ähnlichen Erfahrungen anderer User zu lesen. Dienste wie Tweetclaims, Knowem.com und Claim.io haben aus diesem Umstand ein Geschäft gemacht und ermöglichen es Startup-Gründern gegen Gebühr, vorab zu prüfen, ob der neu erdachte Name als Account bei Twitter und anderen Social Networks verfügbar ist.

Hacker kapert komplettes virtuelles Leben um Herausgabe des Twitter-Accounts zu erpressen

Aber nicht nur Marken-Handles wecken bei anderen Begehrlichkeiten: In der US-Tech-Szene gilt es als schick, kurze Twitter-Handles zu besitzen, eventuell mit dem eigenen Vornamen. Denn die sind rar, und der Inhaber kann sich als Early-Adopter inszenieren. Der US-amerikanische Entwickler Naoki Hiroshima beispielsweise hatte sich frühzeitig den Twitter-Account @N gesichert und erhielt in den vergangenen Jahren eigenen Angaben zufolge diverse Kaufangebote bis zu einer Höhe bis zu 50.000 US-Dollar. Stets lehnte Hiroshima ab. Anfang 2014 schließlich wurde der Entwickler jedoch dazu gezwungen, den Handle freizugeben. Ein Hacker hatte enormen Aufwand betrieben, um in den Besitz des Accounts zu gelangen: Über ein Telefonat mit Paypal, bei dem er sich als Hiroshima ausgegeben hatte, war er an Informationen über dessen Kreditkarte gelangt. Damit kaperte der Hacker den Webspace und die E-Mail-Adresse von Hiroshima – und erpresste diesen damit, den @N-Handle freizugeben. Hiroshima gab nach, machte den Vorgang aber über ein Posting auf dem Blog-Portal Medium öffentlich. Einige Wochen später übertrug Twitter den Account an ihn zurück.

Bereits im Jahr 2012 waren mehrere Vorfälle bekannt geworden, bei denen Twitter-Accounts von Hackern gekapert worden waren und danach in Online-Foren zum Kauf angeboten wurden, darunter die Handles @weave und @blanket. Auch heute noch werden im Log-in-Bereich von Seiten wie HackForums.net und ForumKorner.com Twitter-Accounts zum Kauf angeboten.

Angebote zum Kauf von Twitter-Accounts bei ForumKorner

Auftrag zum Account-Hacken via Forum

Auf HackForums.net bittet ein User die Mitglieder darum, sich in seinen Account einzuloggen; er habe das Passwort vergessen. Ein anderes Mitglied bietet ihm an, sich in das Konto einzuhacken – gegen Zahlung einer Gebühr in Bitcoins.

Screenshot von Hackforums.net

Bei Google lassen sich mit dem Suchbegriff „Twitter Password Cracker“ diverse Seiten finden, auf denen Tools angeboten werden, mit denen Twitter-Accounts gekapert werden können.

Screenshot einer Suche nach "Twitter Password Cracker" bei Google

Screenshot einer Suche nach „Twitter Password Cracker“ bei Google

Florian Konrad Schmitz von Chip hat übrigens davon abgesehen, Chip Clofine ein weiteres Angebot zu unterbreiten. Das ist aus vielerlei Hinsicht nachvollziehbar. Die Reichweite von Twitter dürfte in Deutschland insbesondere im Vergleich zum Social-Platzhirsch Facebook relativ niedrig sein. Offizielle deutsche Nutzerzahlen kommuniziert Twitter zwar nicht. Ein Anhaltspunkt für die Verbreitung der Plattform in Deutschland gibt aber eine Auswertung der Marktforschungfirma Gnip für die New York Times. Laut dieser liegt Deutsch unter allen bei Twitter genutzten Sprachen auf dem 14. Platz.

Twitter
Roland Eisenbrand
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Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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