Bekommen wir alle bald bezahlte Werbeanzeigen als Push-Notification aufs Handy? Matchinguu will das Wirklichkeit werden lassen

Torben Lux2.10.2015
Erleben wir bald die große Vermarktung von Push Notifications? (Screenshot aus einer Matchinguu-Präsentation.).

Das Startup aus München erreicht angeblich schon zehn Millionen Unique User

Erleben wir bald die große Vermarktung von Push Notifications? (Screenshot aus einer Matchinguu-Präsentation.).

Erleben wir bald die große Vermarktung von Push Notifications? (Screenshot aus einer Matchinguu-Präsentation.).

Push Notifications auf dem Smartphone sind derzeit im Marketing ein äußerst heißes Thema. Während große Konzerne wie Apple, Google und Facebook um die Kontrolle über die Infrastruktur für die Push-Nachrichten kämpfen, will das Münchner Startup Matchinguu nun Werbeplätze in den Benachrichtigungen verkaufen. Kann das funktionieren? Wir haben uns das Prinzip angesehen und Mobile- und Vermarktungsexperten um ihre Einschätzung gebeten.

 

Das Geschäftsmodell von Matchinguu basiert auf der Aggregation von „Push-Nachrichten-Inventar“: Das Münchner Unternehmen geht Partnerschaften mit Publishern ein und verkauft Werbeplätze in deren Apps an Mediaagenturen und Advertiser. Die Kunden von Matchinguu sollen über das Ad Network vor allen Dingen lokale Kampagnen, direkt am Point-of-Sale durchführen können. Weil die Apps über den GPS-Empfänger des Smartphones den Nutzer genau orten können, kann Matchinguu ihnen im Idealfall eine Werbemittel genau dann ausspielen, wenn dieser sich in der unmittelbaren Nähe zur Filiale oder einem Partnerhändler befindet. Das Potenzial dieses Modells ist an einigen Beispielen schnell verdeutlicht. So könnte eine Fast-Food-Kette einem Smartphone-Besitzer Menü-Gutscheine anbieten, wenn dieser sich vor oder in einem der Restaurants befindet. Oder eine Klamottenmarke stellt die neueste Kollektion vor, sobald man ein Geschäft betritt. In der Theorie lassen sich unzählige weitere und vor allem sinnvolle Beispiele finden, die vor allem für lokale, absatzorientierte Werber interessant sein dürften.

In der Praxis ist diese Verknüpfung von online und offline, von Smartphone und Point of Sale, bisher nur sehr begrenzt möglich und eher ein Wunschtraum. Entweder ist der Advertiser im selben Moment Publisher, also darauf angewiesen, dass Kunden die unternehmenseigene App installiert haben und Push Notifications für diese Anwendung zulassen (mal ganz unabhängig vom technischen Aspekt und der Voraussetzung, dass die App das notwendige hyperlokale Targeting umsetzen können muss). Oder er setzt auf die in Deutschland bisher nur spärlich verbreitete Technologie der Beacons. Die kleinen Hardware-Sender, die sich per Bluetooth mit Smartphones verbinden, können Kunden beispielsweise am Eingang eines Supermarktes die aktuellen Angebote übermitteln. Aber auch hier gibt es wieder Voraussetzung, die für eine Ansprache erfüllt werden müssen. Hat der Kunde die entsprechende App zum Empfangen von Beacon-Signalen installiert? Ist Bluetooth auf dem Smartphone aktiviert? In den USA ist man (mal wieder) schon etwas weiter – Apple und große Gastronomieketten experimentieren bereits intensiv mit der Technologie. 

Der Traum von mobiler, individueller Werbung am Point of Sale

Die Vermarktung von Push Notifications könnte dazu jetzt eine echte, hardwarelose Alternative darstellen. Dass das ein sehr relevantes Thema werden dürfte, sollte spätestens klar werden, wenn Google und Facebook diesen Markt ins Visier nehmen. Einige wenige Unternehmen haben das auch noch früher verstanden. Die Ende 2010 gegründete Mobile Advertising Platform Airpush beispielsweise hatte die Vermarktung von Push Notifications von Anfang an im Portfolio und wurde 2014 von Forbes auf den zweiten Platz von „Amercia’s most promising companies“ gewählt. Auch andere Anbieter, die wohl vor allem auf Android-Betriebssystemen Push-Mitteilungen mit Werbung versehen, tauchen auf. Aus unserem Netzwerk ist allerdings zu hören, dass es heute schon nicht mehr so gut um Airpush bestellt sein soll. Google soll eine Lücke, die das Unternehmen für das Ausspielen der Werbung über Android ausgenutzt hat, geschlossen haben.

Diese Nische will Matchinguu jetzt umkrempeln. Im deutschen Markt ist die Praxis offenbar noch nicht in der Breite angekommen. Der Plan des Münchener Startups: Werbekunden sollen in Zukunft Kampagnen im App-Publisher-Netzwerk von Matchinguu buchen können, die dann als Push Notification auf dem Android- oder iOS-Smartphone der User landen; per GPS hyperlokal ausgesteuert direkt am entsprechenden Point of Sale (PoS). Die drei Gründer Felix Heberle (Ex-Manager bei ProSiebenSat.1), Jaron Schaechter (mehrere Stationen bei Agenturen, auch als Gründer, Ex-Aufsichtsrat bei Skiinfo AS) und Entwickler Jürgen Frey (Allianz, Telekom, Ericsson) können offenbar an einem großen Netzwerk partizipieren. 

So soll jetzt vor allem Inventar aufgebaut werden. Jaron Schaechter, COO und Mitgründer des jungen Startups,sagt: „Wir führen aktuell intensive Gespräche mit einigen potenziellen Publishern. Zwei sind bereits an Board: die TV-Programm-App On Air und die weltweit am häufigsten heruntergeladene Ski-App Skiinfo (Anm. d. Red.: Die dürfte Jaron Schaechter noch ganz gut von früher kennen).

Jaron Schaechter, COO von Matchinguu

Jaron Schaechter, COO von Matchinguu

So kommen wir auf rund zehn Millionen Unique User.“ Das ambitionierte Ziel sei, diese Zahl bis zum Ende des Jahres auf 15 bis 20 Millionen zu erhöhen. Schaechter ergänzt: „Denn je größer das Netzwerk und damit die Abdeckung an Smartphone-Nutzern, desto größer ist auch die Chance, einen Nutzer mit einer Push Notification zu erreichen. Hat jemand mehrere Apps aus unserem Netzwerk installiert, aber nur bei einer die Push Nachrichten zugelassen, reicht das schon, um ihm die Werbung ausspielen zu können.“

Die Gefahr von genervten Nutzern und unterdrückten Mitteilungen

Im ersten Moment klingt die Vermarktung von Push Notifications nicht nach einem nutzerfreundlichen Geschäftsmodell und hat das Potenzial, auf Nutzerseite auf ordentlich Gegenwind zu stoßen. Und trotzdem scheint das Interesse in der Branche da zu sein. Beim DLD in Tel Aviv Anfang September wählte eine Jury aus unter anderem Romain Huet von Twitter, Tom Grey von Google und Merav Rotem Naaman von Nautilus/AOL Matchinguu zum Gewinner des Startup-Pitches. 

Zwar war dieser mit „nur“ etwas Guthaben für Google Cloud dotiert, Jaron Schaechter ist trotzdem stolz. Er und das Team von Matchinguu seien direkt danach unter anderem von den Media-Agentur-Schwergewichten Mediacom und Mindshare angesprochen worden. Zum Thema Nutzerfreundlichkeit fügt Schaechter hinzu: „Die gebotene Vorsicht ist uns natürlich bewusst. Wir wollen ein langfristiges Geschäftsmodell aufbauen und werden die Frequenz daher garantiert nicht zu hoch fahren. Unser Anspruch ist, pro User möglichst wenig, dafür super zielgerichtete Werbung auszuspielen.“ Dafür sollen selbstlernende Mechanismen und Algorithmen sorgen. 

Ob Werbung über Push Notifications wirklich ein langfristiges Geschäftsmodell sein kann, hängt am Ende nicht nur mit der Nutzerakzeptanz zusammen. Nico Shenawai, der gemeinsam mit Christoph Schäfer gerade die Geschäftsführung von Performance Media verlassen hat (das Duo will Gerüchten zufolge wieder im Adtech-Bereich gründen), sieht noch weitere kritische Punkte. Im Gespräch mit Online Marketing Rockstars sagt er: „Zuallererst muss man sich doch immer drei Fragen stellen. Kann ich die Ziel-KPIs des Kunden, egal auf welcher Bewertungsgrundlage, erfüllen? Lässt sich dder vom Publisher angepeilte eTKP realisieren? Und: Bewegt sich meine eigene Marge in einer Dimension, dass sich das Ganze auch noch lohnt? Das alles zu vereinbaren ist gar nicht so einfach.“ Aber auch der Online-Marketing-Experte Shenawai spricht Matchinguu gewisses Potenzial zu. „Die Idee ist natürlich, gerade für den Performance-Markt

Nico Shenawai

Nico Shenawai

sehr spannend. In Kombination mit dem PoS sind Push Notifications sicher eine sehr aufmerksamkeitsstarke, abverkaufsorientierte Werbeform mit starken Cost-per-Order-Werten. Der erfolgskritische Faktor wird glaube ich sein, die Kontaktdosis richtig einzustellen und vor allem sehr transparent zu arbeiten. Die Leute müssen wissen, woher die Push Nachricht gerade kommt und wie man sie dann doch per Opt-Out abstellen kann. Sonst entsteht sehr schnell eine negative Markenwahrnehmung, vor allem für Advertisier und Publisher.“

Erste Umsätze und der Plan einer weiteren Finanzierungsrunde

Jaron Schaechter würde wohl kaum widersprechen. Das junge Startup befindet sich noch an einem Punkt, wo es genau solche Risiken zu testen und abzuwägen gilt. Zu diesem Zweck konnte in einer Seed-Finanzierung immerhin schon ein sechsstelliger Betrag eingesammelt werden. Investoren sind unter anderem Telefónicas Startup Accelerator Wayra, ein paar Agenturen und die Gründer selbst. Matchinguu sei jetzt noch zu zwei Dritteln im Besitz der Mitarbeiter. Und wie soll es jetzt weiter gehen? „Erste Priorität ist jetzt wie gesagt, Publisher an Board zu holen“, betont Schaechter. „Den Proof of Concept inklusive Umsätzen haben wir durch Kampagnen mit Telefónica und einem großen Payment-Dienstleister hinter uns. Als finaler Test laufen bis zum Ende des Jahres zwei echte Kampagnen für unterschiedliche Kunden, einmal auf Reichweite, einmal auf App-User-Akquisition. 2016 öffnen wir uns dann weiter für Neukunden und peilen grob die nächste Finanzierungsrunde für das erste oder zweite Quartal an.“ Dann soll eventuell auch ein Umzug in die USA anstehen, um in den dortigen Markt einzusteigen.

Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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