Predictions 2022: Die Vorhersagen von Scott Galloway, Ben Evans, John Battelle & Co.

Martin Gardt6.1.2022

Digital-Profis und unzählige Unternehmen sagen die Zukunft voraus – wir zeigen die zentralen Tech-Predictions

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Ihr kennt das: Jahre enden mit Bestenlisten und starten mit Vorhersagen. Auch 2022 prophezeien bekannte Figuren und Unternehmen aus der Tech-Szene mögliche Entwicklungen für die kommenden zwölf Monate. Wir haben viele Predictions gelesen und fassen die spannendsten hier für Euch zusammen.

Als Plattform lehnen wir uns selbst nicht aus dem Fenster – OMR-Vorhersagen werdet Ihr also nicht sehen. Dafür hat Philipp Westermeyer gerade gestern Digital-Experte Pip Klöckner im OMR Podcast nach seinen Erwartungen für 2022 befragt. Wenn Ihr seinen Blick auf das kommende Börsenjahr, die Entwicklung bei Rocket Internet und das Metaverse genauer anschauen wollt, lest den Artikel und hört in den Podcast rein.

Das sagt der Predictions-König

Unser Lieblings-Marketing-Professor Scott Galloway hat seine Popularität auch seinen mutigen Tech-Vorhersagen zu verdanken. Dementsprechend schmückt er sich gerade auch mit seinen korrekten Einschätzungen zum Abgang des Twitter-Gründers Jack Dorsey, dem Boom von Bitcoin, der Verdopplung des Roblox-Börsenkurses und dem Time-Warner-Verkauf von AT&T. Aber auch Galloway liegt natürlich nicht immer richtig, wie Kollege Roland schon im vergangenen Jahr ausführlich gezeigt hat. 2021 hat er sich mit seiner Vorhersage verschätzt, dass Apple Peloton kaufen würde – hält das aber weiterhin für den richtigen Schritt.

Die aus meiner Sicht für das Digitalmarketing spannendste Vorhersage Galloways für 2022 ist die eines Fails. Aus seiner Sicht wird das „Zuckerverse“ – also das von Facebook-Meta-Gründer geplante Metaverse – krachend scheitern. „Viele unserer Tech-Milliardäre […] sind darauf konzentriert, dieses Universum zu verlassen und ein alternatives zu kreieren. Das ist nicht visionär. Im Gegenteil: Es fehlt Führung, die es bräuchte, die Probleme auf diesem Planeten anzugehen“, schreibt Galloway. Er würde gern auf einen Metaverse-Gott Mark Zuckerberg verzichten und sieht Facebooks VR-Headset Oculus nicht als Portal in ein neues Universum – Apple und Epic traut er in dem Bereich mehr zu.

Eine weitere Vorhersage von Scott Galloway: Unternehmensbewertungen werden sich wieder mehr an Geschäftsmodellen und realen Entwicklungen orientieren. Sogenannte Meme-Stocks wie GameStop und AMC fallen 2022 in seiner Glaskugel wieder auf unter zehn US-Dollar pro Aktie. Und die Aktienkurse von Elektro-Auto-Firmen wie Tesla, Rivian und Lucid sollen sich halbieren. Alle drei hätten eine Bewertung von über einer Million US-Dollar pro verkauftem Auto (BMW liegt bei 30.000) – diese Entkoppelung von echter Produktivität werde nicht lange gut gehen.

Auch Ben Evans hat Fragen zum Metaverse

Tech-Analyst Benedict Evans (lange Zeit Partner bei Andreessen Horowitz) baut seine Vorhersagen etwas defensiver in einer Art Fragenkatalog auf. Das ändert aber nichts an den spürbaren Fragezeichen, die auch eher im Bereich Metaverse, VR und AR noch hat: „Es ist einfach, ein cooles Konzept-Video zu machen. Aber darüber detailliert zu sprechen, wäre, wie 1999 oder sogar noch 2005 Vorhersagen über das mobile Internet zu treffen.“ Wie ein echtes Metaverse genau aussehen kann, werde sich nicht 2022 zeigen. AR und VR könnten das Smartphone als zentrales digitales Device irgendwann ablösen – oder einfach einen Nischenmarkt begründen. Mein Eindruck: Ben Evans geht aktuell noch von Letzterem aus.

Neben weiteren Fragen zu Crypto, China, Regulierung, Privatsphäre und Games, die Ihr Euch auf jeden Fall anschauen solltet, finde ich besonders seine Betrachtung am Ende spannend. Hier beschreibt er, wie große Industrien aktuell aufgewirbelt werden, die in der Technologie-Branche schon vor zehn bis 20 Jahren diskutiert wurden. Marken, FMCG, Werbung, Marketing, TV, Handel und E-Commerce verändern sich so stark, dass niemand vorhersagen könne, wie das Ganze ausgeht. Evans zentrale Feststellung: Obwohl Technologie die Geschäftsmodelle verändert, sind die aktuellen zentralen Fragen nicht technischer Natur. Netflix stelle sich TV-Fragen, im E-Commerce dominieren Retail-Strategie-Fragen (Stichwort: In-Store-Pickup, etc.) und ob die Transformation von Marketing und Distribution dazu führe, dass es künftig mehr oder weniger Marken gebe, sei aktuell auch nicht klar. Technologie ändere die Spielregeln, aber die jeweilige Branche spiele am Ende das Spiel.

Web3, NFTs, Krypto

Viele der Vorhersagen für das kommende Jahr drehen sich um das derzeitige Hype-Thema Web3 (kurz gesagt: Crypto, NFT, Blockchain). Der US-VC Chris Cantino, Partner bei Color Capital, hängt sich dabei wohl am weitesten aus dem Fenster. In einem ausführlichen Twitter-Thread erklärt er, dass sich der Wert von NFTs im kommenden Jahr vervielfachen werde. Die Gründe: immer mehr Geld im Ökosystem, geringere Transaktionsgebühren, kreativere Anwendungen als reine Spekulation und sinkende Einstiegshürden durch verbesserte User-Experience-Lösungen. Gleichzeitig werde die Hälfte der derzeit zehn wertvollsten NFT-Projekte an Wert verlieren, weil der Wettbewerb weiter wachse. Weitere Erwartungen von Cantino: Es werden D2C-Marktplätze für NFTs entstehen (erste Beispiele wie Larva Labs gebe es schon). Diese würden den Kauf deutlich vereinfachen. Und: Branded NFTs (oft mit Cringe-Faktor) werden 2022 großer Trend. Sein Tipp: Erfolgreich wird nur, wer diese auch mit einem Zweck verknüpft und nicht einfach Bilder in die Blockchain packt.

Auch die Krypto-Handelsplattform Coinbase glaubt an einen Marketing-Faktor von NFTs. Chief Product Officer Surojit Chatterjee schreibt in seinen Predictions, dass große Marken wie Coca-Cola, Dolce & Gabbana und Charmin mit ihren NFTs bereits den Weg weisen. „NFTs und das Metaverse werden das neue Instagram für Brands“, so der Coinbase-CPO. Und wie bei Instagram werde es Brands geben, die in der NFT-Welt überhaupt erst entstehen. Chatterjee glaubt auch daran, dass Prominente noch stärker in den Bereich gehen, um ihre Personal Brands zu stärken.

Dezentralisierte Social-Plattformen

Eine Vorhersage, die nicht direkt mit Web3, NFTs & Co. zusammenhängt, aber in die gleiche Kerbe schlägt, ist der Glaube an dezentralisierte soziale Netzwerke. Daran glaubt nicht nur Chris Cantino, sondern auch sein VC-Kollege Fred Wilson. „Twitter wird seine API öffnen und jedem erlauben, Twitter-Clients zu starten, die mit dem eigenen konkurrieren“, so Wilson. Ähnliches hatte der damalige Twitter-CEO Jack Dorsey bereits im Dezember 2019 im Rahmen der Bluesky-Initiative angedeutet.

In der Web3-Welt gebe es mit Context laut Chris Cantino ein weiteres Beispiel. Hier können Nutzende zum Beispiel NFT-Sammler:innen oder -Künstler:innen folgen und deren Käufe und Verkäufe über alle Plattformen hinweg nachvollziehen. Übertragen auf Social Media wäre eine Social-App denkbar, in der Nutzende die Inhalte ihres Lieblingsstars über alle Plattformen hinweg sehen können. Der Content-Feed wäre getrennt von dem Ort der Veröffentlichung. Ob neben Twitter weitere Player wie Facebook oder Tiktok an einer solchen Entwicklung wirklich Interesse hätte, ist allerdings fraglich.

Der Wired-Gründer zu Big Tech, Streaming und Tiktok

Auch Wired-Gründer und Tech-Experte John Battelle glaubt an eine große Ankündigung von Twitter 2022. Seine Erwartungen richten sich aber eher in Richtung stärkerer Integration von Krypto-Anwendungen und die Twitter-ID als portable Identität, die auch in anderen Apps genutzt werden kann. Etwas spannender finde ich aber seine Vorhersage über die Wachstums-Wege der GAFA-Firmen. Bedroht durch Regulierung und Kontroversen würden die in ganz neue Märkte gehen. „Meta und Apple werden Gaming-Unternehmen kaufen, Amazon Enterprise-Software-Firmen und Google wird eine Content Library kaufen.“

Damit dürfte Battelle einen Streaming-Service etwa für Bewegtbild meinen. Google sei schon immer verwirrt gewesen, wie die beste Entertainment-Strategie aussieht. Youtube und das Search Business funktionieren dafür einfach zu gut. 2022 sei es aber an der Zeit, das Entertainment-Game zu stärken. Apropos Streaming-Markt: Der mache 2022 erstmal eine Pause, so Battelle. Der Markt werde sich konsolidieren, weil der Kampf um die Aufmerksamkeit schon jetzt gnadenlos sei. Darüber hinaus müsse das Werbe-Business einen Weg in die Streaming-Welt finden, damit weitere Plattformen eine Chance haben.

Seine kontroverseste Vorhersage dürfte jedoch der Niedergang von Tiktok in den USA sein. „Jeder sagt, dass 2022 das Jahr von Tiktok wird. Aber ich glaube, da liegen alle extrem falsch. Das wird keine positive Geschichte“, schreibt Battelle. Erstens werde die Skepsis gegenüber dem Einfluss des Chinesischen Staates wachsen. Und zweitens hätten die großen US-Plattformen viel über den Algorithmus gelernt. „Youtube, Insta, Snap und andere werden das ganze Jahr über Marktanteile wegnehmen.“

Schnellfeuer an weiteren Predictions

Es gibt da draußen natürlich noch Hunderte weitere Predictions, die wir hier nicht im Teil auseinander nehmen können. Daher hier weitere spannende Ideen, die ich gesehen habe in einer kurzen Auflistung:

GAFAMetaverseNFTOMR PodcastPredictionsScott Galloway
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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