500.000 Uniques im Monat mit Schnittmustern: So kauft Pattydoo Burda den Schneid ab

Wie ein Berliner Paar über Youtube und Facebook sein Geschäft aufbaute

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Ina Fischer und Christian Jähnel (Foto: Pattydoo)

Ein Startup aus Berlin, dessen Website und Shop im Monat 500.000 Besucher verzeichnet, das zehn Mitarbeiter beschäftigt und mit einem digitalen Produkt profitabel einen mutmaßlich sechs- bis vielleicht sogar siebenstelligen Jahresumsatz erwirtschaftet, müsste eigentlich in der Digitalszene bekannt sein. Doch bislang ist Pattydoo weitgehend unter dem Radar geflogen. OMR beleuchtet nun, wie das Gründerpaar Ina Fischer und Christian Jähnel erfolgreich ein Unternehmen rund um den Verkauf von Schnittmuster-PDFs aufgebaut hat.

„Meine Frau und ich hatten mit Anfang, Mitte 30 beide lange Jahre in großen Agenturen und Firmen gearbeitet und zu diesem Zeitpunkt zwar nicht unbedingt einen Burn-out, aber einen Bore-out. Wir hatten einfach keine Lust mehr, der Ofen war aus“, erzählt Christian Jähnel von Pattydoo in einer Folge des Podcasts TomsTalkTime. „Wir haben also zusammen im Wohnzimmer rumgesponnen, was wir machen könnten, und was wir wirklich von Herzen gerne machen.“

Erstes Youtube-Video am heimischen Esstisch

Jähnels Frau Ina Fischer hatte als junges Mädchen schon gerne genäht, später eine Schneiderlehre gemacht, Bekleidungstechnik studiert und unter anderem für die Modemarke Tom Tailor gearbeitet. Jähnel selbst hatte als Motion Designer in Agenturen gearbeitet und viel Erfahrung in der Film- und Animationsproduktion gesammelt.

„Wir haben also beides zusammengeschmissen und gesagt, wir machen einen Blog mit Nähvideos.“ Im April 2012 geht die Seite der beiden unter der Adresse Pattydoo.de ins Netz. Der Name ist eine Mischung aus den Wörtern „Pattern“ (also Muster) und „do“. Ina Fischer ist das „Gesicht“ von Pattydoo. Einen Monat später stellen Fischer und Jähnel in ihrem Youtube-Kanal das erste Video online, aufgenommen in ihrem Wohnzimmer. Jähnel filmt seine Frau damals noch mit dem Handy. „Sie stand am Esstisch und ich auf einer Matratze, weil der Parkettboden so knarzte.“

Positives Feedback von Anfang an

Aber nicht allein die Form, sondern der Inhalt dürfte für die Zuschauer entscheidend sein: Die Nähexpertin erklärt in dem Video ihren Zuschauerinnen und Zuschauern, wie man unterschiedliche Stoffe fürs Nähen vorbereitet. Bis heute ist das Video mehr als 192.000 mal abgerufen worden.

In ihren Blog-Artikeln weist Fischer zu dieser Zeit noch auf andere kostenlose Schnittmuster im Netz hin. Sie geht zu Blogger-Konferenzen, netzwerkt mit anderen DIY-Bloggern und baut offenbar auf diese Weise langsam, aber beständig Reichweite auf. „Wir haben dann nach kurzer Zeit von den Leserinnen und Youtube-Zuschauerinnen so viel gutes Feedback bekommen, dass wir einfach weitergemacht haben“, so Jähnel.

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Hunderte von Sales innerhalb von zwei Tagen

Nach und nach entstehen so immer mehr Näh-Tutorials in Videoform. „Mit unserem Content vermitteln wir Wissen for free. Viele verstehen nicht, warum wir das kostenlos machen“, so Jähnel gegenüber OMR. „Aber wir hören jeden Tag von Lesern und Kunden, dass sie mit uns Nähen gelernt haben. Die Leute schauen die Videos auf dem Handy, das direkt neben der Nähmaschine liegt.“

Am Anfang stellen sie alle Inhalte komplett kostenlos zur Verfügung. „Aber wir mussten damit ja auch irgendwann Geld verdienen und haben dann überlegt, wie wir das anstellen können.“ Die Lösung: der Verkauf von Schnittmuster-PDFs, die die Nutzer zu Hause ausdrucken können – „ein sehr niedrigpreisiges Produkt“, so Jähnel. Das erste kostenpflichtige Muster stellen sie an einem Freitag online. „Wir hatten lange daran gearbeitet. Als es endlich online war, haben wir den Rechner zugeklappt und sind dann in ein Hotel zu einem Wellness-Wochenende gefahren“, erzählt Jähnel im TomsTalkTime-Podcast. Am Samstagabend schalten sie doch einmal das Smartphone ein, um kurz nachzuschauen, ob sich das Produkt verkauft. „Wir sind fast vom Stuhl gefallen: Die Verkaufszahlen gingen in die Hunderte.“

Nach einem Jahr kommt genügend Geld rein

Am Anfang kann das Paar nur einen Teil ihrer Zeit in Pattydoo investieren. Jähnel arbeitet in dieser Zeit als Freiberufler, seine Frau fährt ihre hauptberufliche Tätigkeit auf Teilzeit herunter. Im permanenten Dialog mit der rund um Pattydoo entstehenden Community entwickeln sie ihr Produkt weiter. Nach einem Jahr können beide von Pattydoo leben und geben ihre anderen Jobs auf. Das Content- und Produktportfolio bauen sie langsam, aber sehr beständig immer weiter aus.

„Wir suchen immer wieder nach neuen Trends, die wir aufgreifen können, und schauen, was unsere Kunden und Kundinnen gerne nähen. In der Herbstzeit sind beispielsweise Hoodies zum Selbernähen in“, so Jähnel. Auch das Angebot ihrer Website erweitern sie immer wieder. Im März 2014 geht der „Pattydoo Designer“ online: Damit können die Nutzer ihre Schnittmuster selbst gestalten und beispielweise sehen, wie ein Kleidungsstück mit dem Stoff aus einem Partnershop aussieht.

Bei Google auf Platz 1 zu ‚nähen lernen’

Auch bei der Monetarisierung experimentiert das Betreiberpaar immer wieder: Auf der Website findet sich Werbung von diversen Stoff-Shops, sie posten wie andere große Youtuber auch Affiliate Links unter ihren Youtube-Videos und gehen Product-Placement-Partnerschaften, beispielsweise mit einem Nähmaschinenhersteller, ein. Zuletzt haben sie gedruckte Schnittmuster als neues Geschäftsfeld entdeckt. „Wir haben da einen Großhandelspartner gefunden, der sich um den Vertrieb kümmert“, so Jähnel gegenüber OMR. „Wir sind da mit ein paar Tausend Stück gestartet, die waren ganz schnell weg.“

Die Reichweite von Pattydoo kann sich mittlerweile sehen lassen. Mit durchschnittlich einer halben Million Unique Usern pro Monat ist Pattydoo nach Jähnels Darstellung der meistgelesene Näh-Blog in Deutschland. Dazu trägt auch eine gute Sichtbarkeit bei Google bei. „Wir sind bei wichtigen Keywords wie ‚nähen lernen’ auf Platz 1“, so Jähnel.

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Pattydoo.de laut Sistrix

13,7 Millionen Views bei Youtube

Eine kurze Überprüfung ergibt, dass Pattydoo hier sogar mit einem „Featured Snippet“ ausgespielt wird. Ein Blick in das SEO-Tool Sistrix zeigt, dass Pattydoo auch bei Suchkombinationen wie „tasche nähen“, „nähanleitung tasche“, „schnittmuster taschen“ und „schnittmuster kinder“ auf dem ersten Platz rankt. „Wenn man guten Content bietet, kommt bei Google kein anderer an einem vorbei“, meint Jähnel.

Das Ergebnis einer Google-Suche nach „nähen lernen“ zeigt ein Featured Snippet von Pattydoo (Screenshot)

Auch die Entwicklung des Youtube-Kanals kann sich sehen lassen. Mit mittlerweile 83 Youtube-Videos hat der Kanal bislang 13,7 Millionen Views generiert; die beiden erfolgreichsten Videos wurden 2,7 und 2,4 Millionen Mal abgerufen. Fast 140.000 Nutzer haben den Kanal abonniert. Die Videos sind heute auch deutlich professioneller produziert als am Anfang. „Der Kanal hat früh den Suchmaschinencharakter von Youtube entdeckt und für die Nachfrage produziert“, so Youtube-Experte Christoph Burseg von Veescore. „Damit haben sie für Single-Keywords wie ‚cardigan’, ‚kosmetiktasche’, ‚blazer’, ‚beanie’, ‚reißverschluss nähen’ und viele andere mehr Top-Rankings. Das ist schon sehr beeindruckend.“

Die beliebtesten Videos im Youtube-Kanal von Pattydoo

Facebook-Gruppe mit fast 85.000 Mitgliedern

Außer über einen Newsletter, der laut Christian Jähnel mehr als 100.000 Abonnenten verzeichnet, kommunizieren Pattydoo und die rund um das Unternehmen entstandene Community auch viel über Facebook. Neben einer eigenen Fanpage mit knapp 90.000 Fans haben Fischer und Jähnel dort auch eine eigene Facebook-Gruppe eingerichtet. Mit fast 85.000 Mitgliedern dürfte es die größte deutsche Nähgruppe auf Facebook sein. Die Kundinnen posten dort Fotos von Kleidungsstücken, die sie selbst auf Basis von Pattydoo-Schnittmustern genäht haben, tauschen sich aus und stellen und beantworten sich gegenseitig Fragen. „Die Kunden generieren dort selbst Content; das kurbelt auf natürliche Weise die Nachfrage nach den gezeigten Schnittmustern an“, sagt Jähnel.

Heute ist Pattydoo ein kleines Unternehmen mit eigenem Büro und Studio zum Drehen und Fotografieren. 2013 hat das Paar eine GmbH gegründet. „Wir haben den Umsatz jedes Jahr verdoppelt“, so Jähnel gegenüber OMR. Konkrete Angaben zur Umsatzhöhe will er nicht machen. Mittlerweile beschäftigen Fischer und Jähnel zehn Mitarbeiter – zu der Vermutung, dass der Umsatz sich dementsprechend mindestens im sechsstelligen Bereich bewegen muss, hält sich Jähnel bedeckt.

„Die Kundinnen sollen ein positives Produkterlebnis haben“

Ein Großteil der Mitarbeiterinnen seien Mütter, die die familienfreundlichen Arbeitszeiten begrüßen. „Es ist schwer, die richtigen Leute zu finden. Uns ist es wichtiger, dass sich die Mitarbeiter in der Szene gut auskennen, als dass sie gleich Marketingexperten sind“, so der Pattydoo-Mitgründer.

Weil das Unternehmen mittlerweile zwischen 50 und 100 E-Mails pro Tag erreichen, beschäftigt Pattydoo eine Mitarbeiterin nur für den Kundenservice. Hinzu kommen eine eigene Schnitt-Direktrice und zwei Mitarbeiter in der Grafik. „Wir haben eine Mitarbeiterin, die die eher technischen Schnittmuster aus der CAD-Datei in ein übersichtliches und grafisch schönes Dokument umwandelt“, so Jähnel. „Die Kunden sollen da ja auch ein schönes Erlebnis haben; da investieren wir gerne.“

Fast doppelt so viel Besucher wie Burda Style

Auf die Frage, was für den Erfolg von Pattydoo entscheidend gewesen sei, nennt Jähnel gegenüber OMR drei Aspekte: zum einen die Präsenz auf Youtube. „Wir haben da viel Lehrgeld bezahlt. Heute sehe ich bei anderen Kanälen gleich, was die falsch machen.“ Ebenfalls mit erfolgsentscheidend: „Meine Frau ist gelernte Schneiderin und damit Profi“ – ein großer Vorteil im Hinblick auf die Qualität des Contents und der Produkte. Zuguterletzt unterscheide sich Pattydoo laut Jähnel auch in der Preisgebung von der Konkurrenz. Die Schnittmuster kosten zwischen drei und vier Euro. „Sechs oder sieben Euro für ein digitales Produkt finde ich zu teuer; das darf nicht viel kosten.“

Fischers und Jähnels Erfolgsgeschichte erinnert an jene von Aenne Burda. Die Verlegerin hatte ab 1949 unter dem Namen Burda Moden eine Zeitschrift mit Schnittmustern herausgebracht, die ein weltweiter Erfolg wurde und den Aufstieg des Verlagshauses Burda begründete. Zwischenzeitlich soll Burda Moden die größte Modezeitschrift Europas gewesen sein. Heute verkauft der Burda Verlag unter der Marke „Burdastyle“ Schnittmuster. Auf der dazugehörigen Website werden im Shop mehrere Tausend Produkte angeboten. Die Seite verzeichnete laut Agof Digital Facts zuletzt 280.000 Unique User. Möglicherweise ist Pattydoo also im historischen Kerngeschäft des renommierten Verlagshauses an Burda vorbeigezogen.

Von der Branche unterschätzt

Bislang hätten er und seine Frau noch keine Übernahmenangebote erhalten, so Jähnel. „Ich glaube, wir werden gar nicht so wahrgenommen.“ Ihm ist das offenbar nicht Unrecht. „Ich haben einen Freund, der sein Unternehmen an einen großen deutschen Verlag verkauft hat.“ So richtig glücklich klinge dieser nicht mit dieser Erfahrung. „Es gibt ja auch so etwas wie einen ‚Zufriedenheitsfaktor’, und der ist bei uns auf jeden Fall da“, so Jähnel.

Das dürfte aber nicht bedeuten, dass sich die Pattydoo-Macher auf dem bisher erreichten ausruhen wollen. Gerade haben sie auf Youtube mit den „Nähgeschichten“ ein neues Format gelauncht. „Das ist ein bisschen Entertainment-lastiger“, so Jähnel.

Ohne Sattelschlepper ins Ausland

Möglicherweise hat Pattydoo ja sogar das Potenzial zur Internationalisierung. Aenne Burda hatte in den 80er Jahren ihre Zeitschrift per Sattelschlepper in die Sowjetunion fahren lassen; in den 90er Jahren war Burda Moden die erste westliche Zeitschrift, die auch in China erschien. Von Pattydoo existiert zumindest bereits eine englischsprachige Version. Die beiden am häufigsten gesehen Youtube-Videos sind bereits englisch be- und untertitelt. Und Schätzungen von SimilarWeb zufolge stammt aktuell schon ein geringer Prozentsatz des Traffics von Pattydoo aus den USA und Tschechien.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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