Otto Wilde: Der clevere Masterplan hinter dem smarten 4,5-Millionen-Euro-Grill

Wie das BBQ-Startup Otto Wilde mit einer Plattform-Strategie vom Nischenanbieter zur führenden D2C-Grillmarke werden will

BBQ
Inhalt
  1. Nische, Nische, Nische
  2. Suche nach dem perfekten Steak
  3. Viel Platz für eine neue Marke
  4. Technik oder Heritage
  5. „Aggressivität sorgt für Aufmerksamkeit“
  6. Zunehmende Professionalisierung
  7. Ungewollt in die Produktpipeline
  8. Events und Showrooms
  9. Sohn oder Bruder oder Mann

Kickstarter-Rekorde sind rar geworden. Darum lohnt sich der Blick auf die gerade beendete Kampagne von Otto Wilde. Zwei Stunden nach dem Start Mitte Mai vermeldete das Startup aus Düsseldorf die erste Umsatzmillion. Einen Monat später waren knapp 4,5 Millionen Euro eingenommen und fast 2.900 Einheiten des neuen Grills „Otto’s G32“ verkauft – erfolgreichstes deutsches Kickstarter-Projekt ever, Platz in der Hall-of-Fame der Kickstarter-Top-50.

Dabei klingt das Produkt, um das es geht, zunächst unspektakulär: „Otto’s G32“ ist ein Gasgrill. Davon gibt es bereits genügend und in jeder Preisklassen. Mit Weber-Stephen, geschätzter Jahresumsatz eine Milliarde US-Dollar, dominiert ein Player den Markt. Trotzdem ist es Otto Wilde dank exklusiver Produkte und gutem Storytelling gelungen, sich als Premium-BBQ-Brand in der DACH-Region, den USA und Australien zu etablieren.

Nische, Nische, Nische

Der wichtigste Trick der Düsseldorfer aber: Otto Wilde setzt radikal auf Nische. Anders als bei den Highend-Produkten der Mitbewerber lässt sich der neue Grill per App steuern. Außerdem ist „Otto’s G32“ ein Fuß in der Tür zu einem noch viel größeren Markt. Er soll die Basis für ein komplettes Outdoor-Küchensystem werden. Ab 2021 will man den Kunden diverse Zusatzmodule vom Staufach bis zum Kühlschrank verkaufen.

Natürlich wird sich auch das erste Produkt der 2015 gegründeten Firma in die Outdoor-Küche integrieren lassen: „Otto’s OFB“, ein ab 800 Euro teurer, 900 Grad Celsius heißer Oberhitze-Grill. Mit dem lässt sich Fleisch in Sekunden eine Kruste verpassen – das perfekt zubereitete Steak. Diese Idee, so erzählen es die Gründer, stand am Anfang von Otto Wilde.

Suche nach dem perfekten Steak

Kein Startup kommt ohne Gründer-Story aus. Die von Otto Wilde geht so: Familie Wilde und Freude saßen daheim zusammen beim Grillen, als die Frage aufkam, welches Gerät es eigentlich brauchen würde, Fleisch zu Hause so auf den Punkt zu grillen, wie es sonst nur den Profis im Steakhouse gelingt. Der spätere Mitgründer und Hobbykoch Alexander Luik habe sich damals mit dem Thema Oberhitzegaren befasst. So sei man auf die Idee mit dem sehr heißen Grill für den Heimgebrauch gekommen, erzählt Otto-Wilde-Co-Founder Nils Wilde im Gespräch mit OMR.

Die Gründer von Otto Wilde: Ulrich aka Otto Wilde, Alexander Luik, Julia Westermann, Nils Wilde (v.l.)

Die Gründer von Otto Wilde: Ulrich aka Otto Wilde, Alexander Luik, Julia Westermann, Nils Wilde (v.l.)

Beim besagten BBQ dann hätte sein Vater Uli Wilde, ein ehemaliger Bergbauingenieur gesagt: „Ihr könnt das alles nicht, ihr habt ja nichts Ordentliches studiert als BWLer. Ich bin Ingenieur, ich bau euch das“, so Wilde. Darauf sei der Vater dann in seinem Hobbykeller verschwunden und hätte den ersten Prototypen zusammengeschweißt.

Viel Platz für eine neue Marke

Tatsächlich ist diese ziemlich perfekte Startup-Legende nicht die ganze Geschichte: Den Plan für eine neue Firma hatten Nils Wilde und Alexander Luik bereits vor dem Grillabend gehabt. Auch die Kategorie stand lange fest. Beide waren zuvor Co-Founder von Springlane, einem E-Commerce-Shop für Küchenzubehör.

„Wir haben über Springlane gesehen, dass im Grillmarkt die höchsten Margen möglich sind und es eine relativ geringe Online-Durchdringung gibt“, sagt Wilde. Grillen sei zudem die am schnellsten wachsende Kategorie bei Springlane gewesen. Zugleich hätte die Konkurrenz ihre Produkte weitgehend über den stationären Handel vertreiben. Genug Raum also nicht nur für einen Highend-Steakgrill, sondern für eine komplette Direct-to-Consumer-Brand.

Technik oder Heritage

Neben Vater Uli Wilde als Ingenieur, Sohn Nils als Product-Guy und Luik als Marketing-Mann stieß noch Nils Schwägerin Julia Wilde, die einen Berater-Hintergrund hat, zum Gründerteam. Eine Berliner Markenagentur entwickelte aus diesem Friends-and-Family-Setting und dem dritten Vornamen des Vaters die Brand „Otto Wilde“.

„Dank der Agentur hatten wir verschiedene Routen“, sagt Luik. Etwa auch, Otto Wilde über den Aspekt Technik zu verkaufen. Doch man habe sich schnell für die Family-Brand entschieden, so Nils Wilde: „Das vereint viel. Als Familie zeichnet uns aus, dass wir super pragmatisch sind. Wir probieren gerne Sachen aus.“ Otto Wilde, „das ist Family und Tüfteln.“

„Aggressivität sorgt für Aufmerksamkeit“

Einen großen Bekanntheitsschub brachte 2017 der Auftritt bei „Die Höhle der Löwen“. Neben dem Familien-Thema hatte die Redaktion der Show gereizt, dass die Gründer zwei Millionen Euro für 20 Prozent am Unternehmen forderten, ihr Startup also mit 10 Millionen Euro bewertet hatten – die damals höchste Summe in der Sendung. „Die Forderung war aggressiv gewählt“, räumt Luik in der Rückschau ein. Es gab kein Geld von den Löwen (inzwischen hat ein Kölner Immobilienunternehmer in Otto Wilde investiert) und auch keine Abverkäufe. Bei einem mehrere Hundert Euro teuren Grill rechneten die Gründer ohnehin nicht mit Impulskäufen. Dafür nahmen sie jede Menge Aufmerksamkeit für die Marke mit – klares Ziel des Auftritts.

Auch sonst verstehen sich die Gründer darauf, den Marketing-Effekt von Zahlen nutzen: Nachdem sie für den ersten Grill ein Funding-Ziel von 90.000 Euro genannt hatten (und am Ende 300.000 Euro einsammeln konnten), setzen sie bei der der Kickstarter-Kampagne für „Otto’s G32“ (Super-Early-Bird-Stückpreis über 1.000 Euro) das Funding-Ziel auf nur 30.000 Euro – um dann verkünden zu können, dieses in nur einer Minute geknackt zu haben.

Zunehmende Professionalisierung

In den vergangenen vier Jahren ist die Firma über das Family-und-Tüfteln-Stadium hinausgewachsen. Von „Ottos OFB“ wurden seitdem über 15.000 Einheiten abgesetzt, 30 Personen sind bei dem Startup beschäftigt. Die Entwicklung des smarten Grills wurde zwar noch intern koordiniert, war aber nicht mehr ohne externe Partner möglich. Mit der Fertigung wurde ein chinesisches Unternehmen beauftragt.

Mit dem Wachstum der Firma entferne man sich zunehmend vom Branding als Familien-Startup, sagt Nils Wilde. Wobei der Clip zur Kickstarter-Kampagne eher das Gegenteil zeigt: Dort spricht Luik von „our father’s engineering skills“, Uli aka Otto Wilde raunt mit deutschen Akzent: „Well, I did it again“. Luik nennt es eine „Hommage an das erste Video“ von 2016. Der immense Kickstarter-Vorverkaufserfolgs des neuen Modells dürfte außerdem damit zu tun haben, dass Otto Wilde um seine Brand eine Community aufgebaut hat. 44.000 Abonnenten hat die Brand bei Instagram – immerhin ein knappes Sechstel der Abonnentenzahl des übermächtigen Konkurrenten Weber.

Ungewollt in die Produktpipeline

Diese Community wird von den Gründern gepflegt. Sie beantworteten selbst alle Nachrichten und würden immer wieder mit Kunden telefonieren, sagt Luik. Auf die Frage nach Produktwünschen hätten sie in diesen Telefonaten immer wieder die gleiche Antwort bekommen: „Ich hätte gerne einen richtig geilen Gasgrill“.

So ein Produkt hatten die Gründer ursprünglich gar nicht im Blick gehabt, erzählt Luik. Einfach, weil sie konventionelle Gasgrills nicht spannend gefunden hätten. Also suchten sie einen Weg, sich eine unbesetzte Nische in diesem Segment zu identifizieren und zugleich die strategische Weiterentwicklung ihrer Brand voranzutreiben.

„Wir sehen uns als Firma, die die komplette Journey des Kunden im Grillbereich abdeckt – vom Balkongrill bis zur kompletten Outdoor-Küche“, sagt Luik dazu. Der Gasgrill soll nun eine zentrale Rolle bei dem spielen, was die Gründer als „Plattform“ bezeichnen, auf der neue Produkte von Grills über Möbel bis zu Zubehör aufbauen wollen.

Events und Showrooms

„Wir haben es geschafft, aus einem einmaligen Kauf einen CRM-Case zu schaffen“, sagt Luik über die geplanten Ausbaustufen der Brand. Es gebe sehr viele Upsell- und Cross-sell-Möglichkeiten. Vor der Corona-Krise etwa haben man im DACH-Stammmarkt bereits ein profitables Event-Business mit 50 bis 60 Veranstaltungen im Jahr betrieben.

„Wir müssen unsere Produkte ja erlebbar machen“, so Nils Wilde. Darum plane man nun – analog zu Kücheneinrichtern – mit dem neuen Plattform-Produkt ein Netz aus Schauflächen, beispielsweise in Grillfachgeschäften aufzubauen. Kern wird jedoch der Direktvertrieb bleiben, Otto Wildes mit Abstand größter Vertriebskanal. „Am Ende sehen wir uns als die stärkste D2C-Marke im Grillbereich“, sagt Luik.

Sohn oder Bruder oder Mann

Auch wenn Mitgründer, Namensgeber und Vater Uli beim Smartgrill-Unternehmen Otto Wilde inzwischen vor allem mit seiner Expertise als Nutzer gefragt ist, könnte das Family-Branding doch wieder größere Bedeutung bekommen: „Ich höre in den USA, dass wir das noch viel zu wenig vermarkten“, sagt Luik.

Wobei das mit Blick auf das eher puritanisch verfasste BBQ-Homeland vielleicht auch ganz gut so ist. Der erweiterte Familienbegriff von Otto Wilde führe in Aktikeln über das Startup nämlich immer wieder zu falschen Darstellungen der Verwandtschaftsverhältnisse. „Ich war schon der Sohn, der Bruder und der Mann von Julia“, sagt Alex Luik. Einmal habe sogar jemand geschrieben, Julia sei mit Otto und Nils verheiratet. „Wir hatten da schon richtig perverse Konstellationen.“

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Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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