Größer als BILD, Web.de & Co. – Aber wie viel ist die Reichweite von gutefrage.net wirklich wert?

Torben Lux6.11.2015
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Markus Pöhlmann, seit Juni Geschäftsführer vom Holtzbrinck-Portal, im exklusiven Interview

gutefrage.net-Geschäftsführer Markus Pöhlmann.

gutefrage.net-Geschäftsführer Markus Pöhlmann.

20 Millionen Unique User sollen das digitale Gesamtangebot von gutefrage.net im Juli laut der AGOF genutzt haben. Damit liegt das vom Holtzbrinck Verlag gegründete Portal auf dem dritten Platz in diesem Ranking – vor Angeboten wie wetter.com, bild.de, web.de und Focus Online. Ein ausschließlich durch User Generated Content gewachsenes Reichweiten-Monster, was viele vermutlich als solches gar nicht auf dem Schirm haben. Trotzdem hat das Fragen-Portal einige Herausforderungen zu bewältigen: von rückläufiger Reichweite, sinkendem SEO-Traffic über SEO-Spammer bis zur zunehmenden Verbreitung von Adblockern. Online Marketing Rockstars hat mit Geschäftsführer und COO Markus Pöhlmann über die aktuellen Herausforderung und Pläne für die nahe Zukunft gesprochen und gefragt, was die Reichweite eigentlich wert ist.

 

Markus, wir hören hier und da Kritik an der Qualität des Contents auf gutefrage.net. Fragen doppeln sich häufig, ganz abgesehen vom teilweise fragwürdigen Inhalt. Ist Eure riesige Reichweite dadurch vergleichsweise wenig wert? Markus Pöhlmann: „Das kann man so definitiv nicht sagen. Wir hören von vielen Seiten immer wieder, dass unsere Inhalte hilfreich sind und unser Traffic gut konvertiert. Zur Qualität des Contents: Es gibt inzwischen 60 Millionen Antworten auf 15 Millionen Fragen, täglich kommen etwa 30.000 dieser Content-Items hinzu. Es sind also riesige Datenmengen. Und trotzdem sorgt das etwa 80-köpfige Moderationsteam dafür, dass 75 Prozent der unangebrachten Beiträge innerhalb von 15 Minuten gelöscht werden. Im Monat sind es insgesamt 50.000 Antworten, die gelöscht werden und 3.000 Nutzer, die blockiert werden. Das ist schon eine Leistung finde ich. Natürlich gibt es bei so vielen Fragen auch Dopplungen oder Ähnlichkeiten.“ 

Wie genau vermarktet sich gutefrage.net? „Die Vermarktung läuft aktuell im Display-Bereich über Interactive Media. Dazu kommen Adsense und native Formate, die wir selber machen. Display und Adsense machen rund 75 Prozent der Umsätze aus. Wir sind von den Entwicklungen des Marktes natürlich nicht ausgenommen. Der CPC sinkt tendenziell über alle Gattungen hinweg. Deshalb müssen wir, wie so viele andere auch, neue Formate finden, mit denen wir die Einbußen auffangen können. Das können zum Beispiel Company-Profile sein, mit denen wir schon jetzt einen Teil des restlichen Umsatzes machen. Im nächsten Jahr soll dann noch eine Art Selbstbuchungstool an den Start gehen. Da sind wir zwar noch in einer frühen Konzeptionsphase, das Grundgerüst steht aber.“

Und was kann ich dann buchen? „Da geht es um gesponserte Antworten als natives Format auf gutefrage.net. Wenn als Beispiel also unter einer Frage diskutiert wird, welches der beste Wecker mit bestimmten Eigenschaften ist, kann ein Anbieter dann dort seine Antwort mit entsprechendem Produkt platzieren. Dass unser Traffic gut konvertiert, habe ich ja schon am Anfang erwähnt. Das Produkt macht also absolut Sinn. Weiteres Potenzial sehen wir noch in unserer App. Da haben wir in etwas weniger als einem Jahr jetzt immerhin 300.000 Downloads und die ist bisher komplett unvermarktet.“

Im Bundesanzeiger stehen noch die Zahlen von 2013. Wie steht es heute finanziell um gutefrage.net? „Vorweg vielleicht eins: Auch wenn wir die Tochter eines großen Verlags sind, agieren wir als komplett eigenständige GmbH. Und haben so auch ganz klar den unternehmerischen Auftrag, das Geschäft auszuweiten und zu wachsen. Viel kann ich leider trotzdem nicht zu den Zahlen sagen. Außer, dass wir ein siebenstelliges Ergebnis bei einem achstelligen Umsatz machen. Gutefrage.net ist sehr profitabel.“

Du hast gesagt, dass die Monetarisierung hauptsächlich über Display und Adsense erfolgt. Wie geht Ihr mit der Adblock-Problematik um? „Ganz klar, das ist ein wichtiges Thema, was wir uns ganz genau und differenziert anschauen. Wir haben da schon vieles getestet, von Whitelisting bis Adblocker-Blocker. Wir wollen das aber nicht kurzfristig auf der technischen Seite lösen, sondern vernünftige, native Formate entwickeln, die weniger Angriffsfläche bieten.“

Wie hoch ist die Adblocker-Quote bei gutefrage.net? „Dazu kann ich leider nichts sagen.“

Hat die von Dir schon erwähnte Art von Duplicate und User Generated Content Auswirkungen in der Sichtbarkeit bei Googles Suchergebnislisten? Wir haben mal in ein paar Tools geschaut – da geht die Tendenz für gutefrage.net ganz deutlich nach unten. „Die grobe Tendenz stimmt, allerdings sehe ich häufig, dass Tools dieser Art sehr übertreiben. Ein Grund für diese Entwicklung, die in unseren Augen absolut in Ordnung ist, dürfte ein Schritt sein, den wir vor zwei Jahren gegangen sind und immer noch gehen. Wir haben unsere indexierten URLs massiv reduziert – von anfangs 40 Millionen auf jetzt rund 10 Millionen. Das hat natürlich den Hintergrund, dass wir eine riesige Duplicate Content-Herausforderung haben, der wir so begegnen. Wir wollen nicht 40 Millionen URLs mit identischem oder extrem ähnlichem Inhalt, sondern lieber zehn Millionen URLs, die sich deutlich abgrenzen und jeweils besser ranken. Die Anzahl wird vermutlich auch noch weiter sinken. Das drückt natürlich das Gesamtbild für gutefrage.net, ist aber langfristig die richtige Strategie, da bin ich überzeugt. Im ersten Schritt haben wir viele Fragen auf Noindex gesetzt oder Themen zusammengefasst. Der nächste Schritt wird dann sein, mit einer semantischen Technologie, an der wir schon länger Inhouse arbeiten, den Fragen-Intent automatisch zu verstehen und Fragen direkt zusammenzufassen. Das muss aber natürlich perfekt funktionieren. Die Nutzer dürfen nicht denken: ‘So habe ich das doch gar nicht gemeint’. Ein Großteil der deindexierten URLs brachte im Vorfeld übrigens in nur sehr, sehr geringem Ausmaß Traffic.“

Die Maßnahme ging insgesamt aber sicher trotzdem auf den Traffic, oder? Auch hier deuten das einige Tools an. „Das stimmt, unsere Reichweite ist seit 2013 ein wenig rückläufig. Aber auch hier nicht so deutlich, wie es Tools anzeigen. Das beweist ja schon der Blick in die Zahlen der AGOF oder IVW. Außerdem beschränkt sich der leichte Rückgang nur auf die Desktop-Zahlen. Mobile, was inzwischen über 50 Prozent unseres Traffics ausmacht, konnte in diesem Zeitraum sogar zulegen. Ansonsten unterscheidet sich das Verhalten unserer Nutzer Mobile übrigens kaum zu Desktop. Die Aufenthaltsdauer ist im Durchschnitt sehr gering, weil 90 Prozent gezielt eine Frage bei Google suchen, die Antwort bei uns finden und wieder abspringen. Dafür gibt es wiederum die Heavy-User, die teilweise Stunden auf der Plattform verbringen und Fragen der Community beantworten.“

Könnte ein Kniff für mehr Traffic und bessere Sichtbarkeit vielleicht sein, doch eigenen Content zu machen und nicht mehr ausschließlich User Generated zu sein? „Wir kennen die Modelle, wo User Generated Content mit eigenem, redaktionellem Content angereichert wird. Motor-Talk.de, das vor kurzem von mobile.de gekauft wurde, macht das zum Beispiel sehr gut. Bei Helpster haben wir ja ausschließlich redaktionellen Content, NetDoktor auch in Teilen. Dadurch wissen wir, was für ein aufwendiges Unterfangen das ist. Das kann man nicht einfach so nebenbei machen. Mit gutefrage.net kommen wir ja wirklich rein aus dem User Generated Content Bereich. Da wissen wir, was wir können und fokussieren uns darauf. Für gutefrage.net gibt es also keine Pläne in die Richtung.“  

Mit chefkoch.de beispielsweise gibt es Nischenportale mit ebenfalls enormen Reichweiten. Ist das für euch direkte Konkurrenz? „Motor-Talk.de passt als Beispiel auch hier wieder gut. Beide Seiten machen einen richtig guten Job, den wir uns natürlich anschauen. Trotzdem haben auch sie ähnliche Probleme, wie wir. Da ist es denke ich von Vorteil, wie gutefrage.net sehr breit aufgestellt zu sein und sich nicht auf ein Thema zu beschränken. Wobei wir natürlich nicht mit chefkoch.de mithalten können, wenn es um Rezepte geht. Das scheitert ja schon daran, dass wir keine Funktion für eine Rezeptliste oder ähnliches haben. Richtig spannend wird es, wenn diese Nischenseiten für ihr Thema funktionierende Monetarisierungsideen haben. Und wir dann schauen können, ob sich das auch bei uns, über alle Nischen sozusagen, ausrollen lässt.“

Ein Thema, was Euch sicher von Beginn an beschäftigt hat, sind Spam-Accounts. Also Profile, die extra zu SEO-Zwecken angelegt werden und teilweise eigene, kleine Netzwerke bilden. „Ja, das Thema ist uralt und kein Geheimnis, gerade unter SEOs. Unser Moderationsteam habe ich ja schon erwähnt. Das ist ziemlich gut im Erkennen solcher werblichen Accounts. Und wir haben auch eine sehr leistungsfähige, aufmerksame Community, die Sachen ziemlich schnell meldet. Grundsätzlich haben wir gar nichts dagegen, wenn Links platziert werden, solange sie dem Fragesteller wirklich helfen. Das gehört zu User Generated Content irgendwie dazu. Wir haben deshalb auch immer noch nichts daran geändert, dass es bei uns Do-Follow-Links gibt.“

Aber wäre das nicht ein einfacher, effektiver Hebel, um zumindest Linkbuildung direkt auszuschließen? Oder ist der Trafficanteil so relevant, der dann wegbrechen würde? „Nein, der Traffic von Link-Spammern ist absolut nicht relevant. Sollte es mal wirklich überhand nehmen, werden wir sicher darüber nachdenken, es doch umzustellen. Wir haben es auf jeden Fall ganz genau im Blick.“

Was gehört neben gutefrage.net noch alles zur im Juni geschaffenen Digital Content Group? Wie teilst Du Dir als COO die Aufgaben und Verantwortungen mit dem CEO Dr. Florian Geuppert? „Zu der neuen Content Group gehören acht Plattformen. Es gibt den allgemeinen Community-Bereich mit gutefrage.net, Helpster, Cosmiq und Pointoo. Außerdem decken wir das Thema Gesundheit mit den Portalen NetDoktor, med1 und mydoc.de ab. Und zu guter Letzt haben wir auch noch die Self-Publishing-Plattform epubli im Portfolio. Insgesamt hat die Gruppe jetzt etwa 150 Mitarbeiter in München und Berlin. Ich bin dabei schwerpunktmäßig für die Themen Produktmanagement, Technik und Community zuständig, Florian leitet Vermarktung, Marketing und Finanzen.“

Laut den AGOF-Zahlen vom Juli liegt gutefrage.net im Ranking „Digitales Gesamtangebot“ mit 20,08 Millionen Unique User nur knapp hinter Ebay und vor wetter.com, Bild, Web.de und Focus Online. Rechnet man die anderen Portale der Gruppe noch zur Reichweite dazu, rutscht gutefrage.net vor Ebay auf den zweiten Platz. Habt Ihr schon darüber nachgedacht, die Reichweiten zu bündeln? „Das stimmt. Und es gab auch schon mal die Diskussion, die Portale zusammenzuführen. Am Ende haben wir uns aber ganz bewusst dagegen entschieden. Helpster beispielsweise ist ein redaktionelles Portal, gutefrage.net dagegen besteht nur aus User Generated Content. Das passt nicht so wirklich zusammen. Vielleicht entscheiden wir uns in Zukunft da auch mal anders. Aber das Entscheidende ist für uns im Moment gar nicht mehr, die Größe möglichst spektakulär zu machen.“

Ziemlich genau zwei Monate vor Start der neuen Gruppe hatte sich Holtzbrinck von der Dating-Plattform Parship getrennt. Du warst zu dem Zeitpunkt als Geschäftsführer der NetDoktor.de GmbH ja auch schon im Unternehmen. Was war der Grund für die Trennung? In welchem Bereich lag der Verkaufspreis? „Es hat in den letzten Jahren bei Holtzbrinck Digital, wo wir mit der neuen Digital Content Group angesiedelt sind, eine Art Refokussierung auf Kernbereiche gegeben. Parship war und ist für sich genommen natürlich eine sehr interessante und attraktive Plattform, passte aber nicht mehr zum Kernfokus. Zu Verkaufspreisen kann ich leider nicht so viel sagen, da halten wir uns traditionell als inhabergeführtes Familienunternehmen immer etwas bedeckter. Nur soviel: Parship hatte im Vorjahr ein Wachstum von 35 Prozent erzielt und war bei 60 Millionen Euro Umsatz profitabel. Da werden viele sicher ein paar Metriken anlegen können, um die ungefähre Größenordnung des Verkaufs herauszufinden.“ 

Danke für das Gespräch, Markus. 

Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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