„Versuche, nicht zu schreien…“ – 42.000 Menschen fallen auf diesen Affiliate-Spam rein

Torben Lux4.9.2018

Eine kleine Facebook-Seite lockt Nutzer mit Fake-Versprechen in ein Gewinnspiel, um Adressen zu generieren

Facebook Messenger Affiliate Spam OMR
Facebook Messenger Affiliate Spam OMR

Facebook-Gewinnspiele gibt es wie Sand am Meer. Immer wieder setzen krude Marketer dabei auf die Unachtsamkeit der User, versprechen absurde Preise wie einen Mercedes AMG – und bauen so eine reichweitenstarke Page auf oder verbreiten ihren Affiliate-Link, um Provisionen zu kassieren. Bei einer aktuellen Masche gehen die Macher ebenfalls dreist vor und locken mit kostenlosen Gutscheinen, um mittels Facebook Messenger Adressen einzusammeln. OMR erklärt die Strategie, auf die schon 42.000 Menschen reingefallen sind, und verrät, welche Lead-Company offenbar dahintersteckt.

„Gib den ersten Buchstaben vom Namen deines Vaters an und überprüfe diesen Beitrag erneut. Versuch, nicht zu schreien…“ – so lautet die Bildunterschrift zu einem Foto der Facebook-Seite „WorldWide“, das am 13. August hochgeladen wurde. Zu sehen ist eine Luftaufnahme von Paris bei Abenddämmerung. Fast 43.000 Kommentare, rund 2.500 Likes und über 250 Shares hat das Foto bis jetzt gesammelt. Viele User glauben also tatsächlich an die geheimnisvolle Ankündigung und sind offenbar neugierig: Was passiert beim Kommentieren? Werde ich wirklich schreien? 

Fast im Minuten-Takt kommen weitere Kommentare hinzu. Nutzer erhalten direkt danach eine Nachricht vom Messenger-Bot der Seite.

Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich passiert nichts Unglaubliches, wenn Nutzer das Foto kommentieren. Und es spielt auch keine Rolle, ob der Kommentar den Anfangsbuchstaben eines Namen enthält. Die mysteriöse Bildunterschrift dient lediglich als Trigger, damit überhaupt ein Comment abgesetzt wird. Denn dieser – egal mit welchem Inhalt – aktiviert den Chatbot der Facebook-Seite. 

Über ein Bilderrätsel im Messenger zum angeblich kostenlosen Gutschein

Obwohl die erst am 11. Juli 2018 erstellte Facebook-Seite nicht einmal 600 Fans hat, erhält das Foto eine riesige Reichweite. Der Grund dafür ist einfach: Neben einer aktiven Anzeige, die den Post bewirbt, um ein Grundrauschen zu erzeugen, spülen die Kommentare der User den Beitrag immer wieder aufs Neue in die Timelines ihrer Kontakte – ein Hauch von Viralität entsteht, typische Mechanismen für „Gewinnspiele“ dieser Art. 

Nach dem Kommentieren geht das kleine Spielchen für die User im Messenger weiter. Ein Foto mit einer bekannten optischen Täuschung landet im Postfach, auf dem zwei Mädchen zu sehen sind, die zwischen zwei Spiegeln sitzen. Es kann der Eindruck entstehen, dass deutlich mehr junge Frauen zu sehen sind. „Wie viele Mädchen siehst du auf dem Foto? 87% liegen falsch“, heißt es in der Nachricht. Und weiter: „Viel Glück ? Noch verfügbar: 79/100 KLICKE auf die richtige Antwort“. 

Egal, welchen Lösungsvorschlag der User wählt – die Antwort des Messenger-Bots ist immer dieselbe.

Die Angabe, wie viele die Frage falsch beantworten und die reduzierte Verfügbarkeit (von was eigentlich?), sollen das Engagement erhöhen und die Nutzer dazu bringen, teilzunehmen. Drei Antwortmöglichkeiten werden vorgegeben: zwei, vier oder zwölf Mädchen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Antwort der User wählt. Die Reaktion des Messenger-Bots ist immer dieselbe: „Richtig! Hier klicken, um den kostenlosen Gutschein zu bekommen Bitly-Link Viel Spaß“. 

Was sich hinter dem Bitly-Link verbirgt

Nach einem Klick auf den per URL-Shortener Bitly gekürzten Link landet der User auf der eigentlichen Landingpage. Nicht zu übersehen: eine Gutschein-Karte vom Eletronik-Händler MediaMarkt, mal im Wert von 500 Euro, mal im Wert von 750 Euro. Vier einfache Fragen sollen vermutlich suggerieren, dass der Geschenk-Coupon einfach zu erhalten ist. Ein kleiner Schriftzug zeigt, dass angeblich noch zwölf Gutscheine übrig sind. Diese Anzeige ist allerdings statisch und dient erneut nur dazu, dass Engagement zu erhöhen. 

Die Landingpage suggeriert, dass ein Gutschein in Höhe von 750 Euro auf den Nutzer wartet, wenn er vier Fragen beantwortet.

Statt der vierten Frage wird dem Nutzer an der Stelle bereits gratuliert: „Alles, was Sie jetzt tun müssen ist, ihre echten Daten auf der nächsten Seite fehlerfrei eingeben, um ihren Gutschein zu gewinnen. Bisher ist die Gewinnrate im August 95%. Bitte seien Sie Aufmerksam, um zu diesen 95% Gewinnern zu gehören.“ Per Call-to-Action („Jetzt kostenlos ihren Gutschein erhalten“) landet der Nutzer auf der nächsten Landingpage im Funnel – hier fragt der Seitenbetreiber persönliche Daten ab.

Ein Affiliate – mehrere Kampagnen

Je nachdem, welche Höhe der Gutschein auf der ersten Landingpage hat, ändern sich Anbieter und Aufmachung auf der zweiten Zielseite. Im 500-Euro-Funnel ist die Naturvel Pte. Ltd. aus Singapur als Betreiber im Impressum aufgeführt. Eine Google-Suche nach dem Firmennamen fördert neben weiteren Landingpages von Gewinnspielen (zum Beispiel: du-bist-dabei.com) auch ein Foto eines Briefkastens in Darmstadt zutage. Neben der Naturvel Pte. Ltd. sind dort unter anderem die Planet49 GmbH und die seit 2012 aktive Neufirmierung des Unternehmens, eGentic GmbH, aufgeführt. Die Company ist seit Jahren im E-Mail-Adressen-Handel und Lead-Generation-Bereich unterwegs – und hatte mit dem ursprünglichen Namen ein Image-Problem

Update, 5. September 2018, 15:20 Uhr: Istvan Volford, Country Manager Germany bei der eGentic GmbH, kommentiert die fragwürdige Strategie des Betreibers der Facebook-Page: „Da wir unsere Leads von ganz vielen unterschiedlichen Affiliates beziehen, können wir nicht immer garantieren, dass alle Flows, die auf unsere Seiten führen, ‚sauber‘ sind. Sobald wir solche irreführenden Maschen entdecken, wird der entsprechende Affiliate Partner deaktiviert. So ist es auch in diesem Fall geschehen.“

Im 750-Euro-Funnel ist eine CEOO Marketing GmbH aus der Schweiz als Betreiber geführt, ebenfalls ein auf Lead-Generierung spezialisiertes Unternehmen. Die Ergebnisse in der Google-Suche zeigen, dass viele Teilnehmer von Gewinnspielen der Firma wenig begeistert zu sein scheinen. Dennoch haben beide Unternehmen namhafte Kunden für ihre Dienstleistungen. Bei der Naturvel Pte. Ltd. sind als Hauptsponsoren unter anderem Mydays, Qatar Airways Deutschland, Jochen Schweizer aufgeführt; zu den sogenannten Qualifizierungssponsoren gehören unter anderem Sky Österreich, Vattenfall Europe Sales und Burda Direct. Zu den Kunden von CEOO Marketing zählen unter anderem Dänisches Bettenlager, Bauer Vertriebs KG und Madsack Market Solutions.

Wie viele Nutzer geben am Ende ihre Daten ein?

Obwohl die Landingpages von unterschiedlichen Betreibern stammen, steckt nur ein Affiliate hinter der Facebook-Seite. Sein Ziel: Mit den oben beschriebenen Tricks Nutzer dazu zubringen, die kompletten persönlichen Daten einzugeben. Je nach Art und Anbieter des Gewinnspiels erhält der Affiliate pro vollständigem Lead eine Provision. Im Fall der Gutscheine für Elektronikmärkte dürfte sich diese im niedrigen einstelligen Euro-Bereich pro Datensatz bewegen. 

Wie viel der Affiliate am Ende mit der Facebook-Seite und dem Vermitteln von Gewinnspiel-Teilnehmern verdient, bleibt Spekulation. Der aktuell per Messenger-Bot verschickte Bitly-Link wurde bisher rund 2.350 Mal geklickt, ein zuvor genutzter und inzwischen offenbar nicht mehr aktiver Link kommt auf fast 6.600 Klicks. Von den aufgerundet 9.000 Usern, die auf der Gutschein-Landingpage gelandet sind, dürften schätzungsweise 0,5 Prozent (45) bis drei Prozent (270) tatsächlich ihre Daten eingegeben und dem Affiliate einen Lead beschert haben. Bei einer Provision von beispielsweise drei Euro pro Lead lägen seine Einnahmen also zwischen 135 und 810 Euro – abzüglich der Facebook-Ads und eventuellen weiteren Kosten nicht mehr als ein nettes Taschengeld. 

Bei der Art und Weise des Vorgehens kann man allerdings davon ausgehen, dass dieses Projekt nicht das einzige des Betreibers ist. Hinweise, wer hinter der Facebook-Seite steckt, lassen sich übrigens nicht finden. Der Link zu den Landingpages werden jeweils über die Domain hqcmedia.com umgeleitet – laut Similar Web eine Seite der HQC Group S.A. aus Panama

Danke an Andre Wolf von Mimikama, der die Seite entdeckt hat.

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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