Youtuber und Waffenhändler: Das fragwürdige Millionen-Geschäft von Jörg Sprave

Florian Heide6.10.2022

In seinen Videos warnt er vor Plünderungen im kommenden Winter. Das ist gut fürs Geschäft.

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Youtuber und Waffenhändler Jörg Sprave zeigt, mit welchen Waffen sich Prepper seiner Meinung nach ausstatten sollten. Quelle: Youtube/Slingshot Channel

Jörg Sprave muss sich in Zurückhaltung üben. Er darf keine Videos mehr produzieren, die die Nachfrage weiter anheizen – das haben ihm die eigenen Mitarbeitenden auferlegt. „Sonst kommen wir gar nicht mehr hinterher“, sagt der Mann mit der markanten tiefen Stimme im Gespräch mit OMR.

Im Schnitt versenden sie pro Monat zwischen 1.000 und 2.000 Waffen vom Essener Lager von Gogun aus. Es handelt sich dabei um Armbrüste, Bögen, Luftgewehre, ausschließlich sogenannte „erlaubnisfreie Waffen“. Das sind Waffen, die in Deutschland jede Person ab 18 Jahren kaufen darf. Sprave und sein Team verkaufen sie über ihren eigenen Online-Shop Gogun. Obwohl Sprave Geschäftsführer ist, hat er mit dem Tagesgeschäft wenig zu tun. Er kümmert sich vor allem ums Marketing auf Youtube.

Dank ihm läuft das Geschäft hervorragend. Rund 16 Millionen Euro Umsatz erwartet Gogun nach eigenen Angaben in diesem Jahr. Wie lukrativ das Geschäft zuletzt war, zeigen auch Zahlen aus dem Bundesanzeiger. Allein 2020 macht Spraves Firma einen Überschuss von zwei Millionen Euro – knapp vier Mal so viel wie im Vorjahr.

Vom Youtuber zum Medienphänomen

Was als eher skurriler Youtube-Channel mit selbstgebauten Holzwaffen begann, ist heute zum einzigen Marketingkanal für ein Millionen-Business geworden. Und das hat auch mit einer Wandlung zu tun. Der Wandlung von Jörg Sprave – zu der, wie er sagt, auch eine Änderung der Youtube-Richtlinien beigetragen hat. 

2008 startet Sprave den Youtube-Kanal „JoergSprave“ oder auch „The Slingshot Channel“, in dessen Videos er meist klobige, selbstgebaute Holzwaffen mit ordentlich Wums vorführt. Die Videos sind einfach produziert, er spricht auf Englisch, steht vor der Kamera, zeigt seine Werke, zieht überlange Gummibänder auf. Es sind vor allem skurrile Kreationen wie die Klobürsten schießende Bazooka oder die Pumpgun, die Oreo-Kekse verballert, die ihn zu einem Gern gesehenen Gast in traditionellen Medien machen.

2013 berichten unter anderem Vice, Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung über den „Klobürsten-Kanonier“, der längst zum Youtube-Star avancierte. Selbst auf der TV Total-Couch findet er sich wieder. Es ist eine Zeit, in der Sprave sich als Künstler versteht. Und in der er noch ausschließt, seine Waffen jemals zu verkaufen. „Da zieh ich die Grenze“, lässt er sich im Spiegel zitieren. Schließlich seien die Waffen gefährlich.

Als der Merch-Store zum Waffenshop wird

Um das Jahr 2017 häufen sich bei Youtube die Beschwerden. Werbetreibende kritisieren, dass Ihre Werbung in Videos mit „unangemessenen Inhalten“ ausgespielt werde. Große Konzerne wie Pepsi und Starbucks frieren über Wochen die Werbebudgets ein, um die Plattform zu einer schärferen Kontrolle ihrer Inhalte zu zwingen. Youtube ändert daraufhin seine Monetarisierungsrichtlinien. Das erschwert vielen Creator*innen, mit ihr wie bisher Geld zu verdienen.

Auch Sprave sei davon betroffen gewesen. Er lebt von den Werbeeinnahmen, zwischen fünf- und sechstausend Euro sollen es pro Monat gewesen sein. Nach der Richtlinienänderung seien es schlagartig nur noch eintausend Euro gewesen. Sprave wehrt sich gegen die Demonetarisierungswelle, gründet unter großem Medienecho noch im selben Jahr eine Youtuber-Gewerkschaft. Geholfen habe es nicht. „Am Ende sah ich mich gezwungen, mein Konzept zu ändern und mich mehr auf den Verkauf von Waffen zu fokussieren“, sagt er.

Tatsächlich hat Sprave schon vor 2017 Waffen verkauft. In seinem Merch-Shop, dem The Slingshot Channel Store, gibt es schon ab 2014 Schleudern für 25 Euro zu kaufen, ab 2016 mindestens auch eine Armbrust für 1.300 Euro. Für den Künstler kein Widerspruch zu seiner früheren Aussage, nie seine Waffen verkaufen zu wollen. Schließlich seien die Schleudern nicht von ihm selbstgemacht, sondern nur der Prototyp. Die Waffen im Store seien von Ingenieuren entwickelt und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die für Waffenprüfungen zuständig ist, zugelassen gewesen.

Mit Nachdruck verkauft Sprave die Waffen vor 2017 aber tatsächlich noch nicht. Der kommt erst nachdem die Youtube-Einnahmen einbrechen. Da wird aus dem einstigen The Slingshot Channel Store offiziell der Online-Waffenhandel Gogun und aus Sprave ein früher Vertreter der deutschen Creator Economy.

Nur tödliche Waffen im Angebot

Heute bezeichnet sich Jörg Sprave als „Video-Creator, Entertainer, Influencer und internationaler Waffenhändler“. Sprave ist nur einer von vielen Waffenhändlern in Deutschland. Aber kein anderer hat so eine große Reichweite wie er. Seinem Youtube-Kanal folgen heute fast drei Millionen Menschen. Laut dem Analysedienst Socialblade wurden seine Videos bisher über 500 Millionen Mal aufgerufen.

Spraves Youtube-Channel ist der einzige Marketing-Kanal von Gogun. In dem Shop gibt es unter anderem Zwillen, Armbrüste, Luftgewehre mit Zielfernrohr und sogar eine doppelläufige Schrotflinte zu kaufen. Er bezieht sie direkt von den Herstellern, meist aus Taiwan, aber auch aus den USA, Deutschland und Schweden.

Mit vielen von ihnen arbeite er gemeinsam an Weiterentwicklungen, wie etwa neuen Magazinen für Armbrüste, sodass er für diese Kombinationen exklusive Vetriebsrechte innehabe, erzählt er im Gespräch mit OMR. Jede Waffe wird laut Sprave für das 2,8-fache des Einkaufspreises wieder verkauft. Die günstigste Armbrust kostet beispielsweise 200 Euro, andere Modelle können aber auch bis zu 1.650 Euro kosten.

Schreck- oder Gasschusspistolen führt Sprave auf Gogun nicht. „Ich halte nichts von Waffen, die nicht tödlich sind“, sagt er. Die Begründung klingt wie aus einem Action-Thriller: „Man kann sowas nur in den verzweifeltsten Situationen verwenden. Und wenn man sie schon verwenden muss, dann müssen sie auch wirken.“

Die Wirrungen des Waffenrechts machen es möglich

Dass tödliche Waffen wie eine doppelläufige Schrotflinte überhaupt legal sind, hat mit den Besonderheiten des deutschen Waffenrechts zu tun. Denn das unterscheidet in erlaubnisfreie Waffen, erlaubnispflichtige Waffen und verbotene Waffen.

Während der Kauf und Besitz erlaubnispflichtiger Waffen wie Jagdgewehren oder Pistolen strengen Regularien unterliegen, sind „Waffen, welche weder besonders deliktrelevant noch besonders gefährlich sind“ von der Erlaubnispflicht freigestellt, erklärt das Bundesinnenministerium auf Anfrage von OMR.

Mit anderen Worten: Es handelt sich um Waffen, die im Ernstfall zwar töten könnten, bei Verbrechen aber so selten zum Einsatz kommen, dass sie von jeder Person über 18 Jahren gekauft werden dürfen, die das Alter und den Wohnsitz nachweisen kann. Auch aufgrund dieser Gesetzeslage gibt es immer wieder Berichte, in denen bei versuchten Amokläufen beispielsweise Armbrüste bei den Tätern gefunden werden.

„Nicht alles, was gefährlich ist, ist verboten“

Jörg Sprave kennt die Gesetze bestens. In seinen Videos weist er sogar explizit auf sie hin – und darauf, wer nicht für den Kauf in Frage kommt. Was er tut, ist legal. So sehen das auch die Experten, die OMR dazu befragt hat. „Werbung für nicht erlaubnispflichtige Waffen unterliegt bestimmten Anforderungen, ist aber grundsätzlich nicht verboten“, sagt etwa Anwalt und Medienrechtler Martin Gerecke. 

Selbst, dass er in Videos erklärt, wie sich erlaubnisfreie zu scharfen Waffen umbauen lassen – und die Teile dafür in seinem Shop verkauft – ist legal. Waffenexperte Lars Winkelsdorf sagt dazu: „Eine Umbauanleitung richtet sich erstmal an diejenigen, die eine solche scharfe Waffe ohnehin besitzen dürfen“. 

Wie viele Bürger*innen mit solchen legalen Waffen ausgestattet sind, weiß das Bundesinnenministerium nicht. Über das Nationale Waffenregister erhebt es nur Daten zu erlaubnispflichtigen Waffen und deren Besitzer*innen, teilt es in der Anfrage mit.

Aus Kunst wird Kommerz

Auf Youtube nimmt Sprave, seit er Waffenhändler ist, eine neue Rolle ein. Vor allem die jüngeren Videos hinterlassen einen merkwürdigen Beigeschmack. Zwar zeigt er sich noch immer gerne als der skurrile Waffenbastler, der auch mal mit einem selbstgebauten CO2-Pistolen-Holzrad Hähnchenschenkel durchlöchert. Er sagt aber selbst: „Ich mache das nur noch, weil es die Community von mir erwartet.“

Der Zweck des Kanals sei in der Zwischenzeit ganz klar ein kommerzieller. Noch immer sind die Videos einfach produziert, es gibt kaum Schnitte, niemand hält die Kamera, Sprave steht aufrecht und spricht – mittlerweile vermehrt auch auf Deutsch – geradewegs zu den Zuschauenden.

Jedoch, die Waffen haben sich verändert. Statt mit der Kartoffel-Bazooka ballert Sprave jetzt aus schweren Pfeilgewehren auf Gelatineblöcke. Oder er zerschießt ganze Betonsteine mit tödlichen Luftgewehren. Vieles davon sind Waffen, die es in seinem Gogun-Shop zu kaufen gibt.

Armbrüste zum Schutz gegen Plünderer

Spraves Community besteht laut eigener Aussage nahezu ausschließlich aus Männern, meist zwischen 25 und 35. Viele kommen aus den USA, seit er aber auch vermehrt deutsche Videos machen, steigt die Zahl der deutschsprachigen Zuschauer*innen. In seinen Kommentarspalten tummeln sich Waffenfans, zynische Kritiker*innen, zuweilen auch verängstigte Bürger*innen, denen die Schieflage der Welt zu schaffen macht. Für sie geht Sprave noch weiter.

Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs etwa warnt er in einem Video vor einer möglichen russischen Invasion. Darin fordert er ein Recht auf scharfe Schusswaffen für alle Deutschen. Seine eigenen Waffen bewirbt er darin nicht, fast 400.000 Klicks verschafft es ihm dennoch. Im vergangenen August empfiehlt er Menschen, die sich vor einem Krisenwinter mit Blackouts fürchten oder vor Plünderern schützen wollen, sich mit taktischen Repetierarmbrüsten auszustatten.

Zwar glaubt Sprave selbst nicht daran, dass es zu den Worst Case Szenarien kommt. Das betont er in Videos und auch im Gespräch mit OMR. Dennoch zeigt er keine Scheu damit neue Zielgruppen für seine Waffengeschäfte zu erschließen. Mit Erfolg: Die Besucherzahlen von Gogun haben sich laut Analysetool Similarweb im August im Vergleich zum Vormonat mehr als verdoppelt.

Youtube hält sich bedeckt

Doch, wenn schon nicht gegen das Gesetz, verstößt Sprave mit seinen Videos nicht zumindest gegen die Youtube-Richtlinien zu Schusswaffen? Immerhin heißt es dort: „Inhalte, die dazu dienen, Nutzer zum Kauf von Schusswaffen zu animieren oder ihnen die Herstellung von Schusswaffen, Munition und Zubehörteilen sowie die Installation dieser Zubehörteile zu erklären, sind auf YouTube nicht erlaubt“.

In einer Anfrage an Youtube will OMR genau das wissen. Weshalb verstößt Spraves Werbung für Waffen nicht gegen die Youtube-Richtlinien? Ist es für die Plattform in Ordnung, wenn er erklärt, wie man ein Luftgewehr zu einer scharfen Waffe umbaut?

Konkrete Antworten auf den Fall Sprave erhalten wir nicht. Von Seiten eines Youtube-Sprechers heißt es lediglich, falls Creator gegen die Community-Richtlinien verstoßen, bitte man „die User um Meldung“. Sprave ist auch Teilnehmer am Youtube Partnerprogamm und damit an den Werbeumsätzen aus seinen Ads direkt beteiligt, das geht aus Screenshots hervor, die er OMR zur Verfügung gestellt hat.

Pro Monat verdient er zwischen drei- und fünftausend Euro damit. Dazu kommen Einkünfte aus Werbepartnerschaften wie beispielsweise mit Online-Casinos oder Outdoor Smartphone-Herstellern. Die Vermarktbarkeit von Content hänge davon ab, „in welchem Umfeld Marken erscheinen wollen“, erklärt der Youtuber-Sprecher. Anders gesagt: Solange Marken bei Youtubern wie Sprave werben wollen, geht das auch.

„Ich will damit viel Geld verdienen“

Sprave zeigt sich im Gespräch mit OMR überraschend offen. Und nicht als Mensch ohne Gewissen. Er vermittelt im Gegenteil sogar den Eindruck, für sich selbst sorgfältig abgewogen zu haben, wie weit er mit seinem Youtube-Marketing gehen kann. Trotz oder gerade in Krisenzeiten. „Es gibt die Gefahr, dass meine Waffen missbraucht werden können“, sagt er. „Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass dadurch Leben gerettet werden können.“

Nichtsdestotrotz wurde aus Sprave dem „Klobürsten-Kanonier“ längst Sprave der Unternehmer. Und als solcher hat er einen Entschluss gefasst. „Ich will damit viel Geld verdienen“, sagt er. Das tut er mittlerweile, weit mehr als 2013. Glücklich ist er darüber nicht immer. Manchmal, sagt er, vermisse er die Zeit als Künstler.

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Florian Heide
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Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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