„Die Wölkchenbäckerei“: Diese Backbloggerin hat via Instagram fast 100.000 Bücher verkauft

Wie Güldane Altekrüger mittels Community Building Nr. 1 der Bestseller-Liste wurde

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Güldane Altekrüger

Güldane Altekrüger ist eine Bilderbuch-Self-Made-Woman: Innerhalb eines Jahres hat sie sich zunächst über Social Media mit Rezepten für kalorienarme Backwaren eine relevante Eigenreichweite aufgebaut, dann Texte und Fotos für ein komplettes Backbuch erstellt, das gesamte Buch ohne jegliche Grafik-Vorkenntnise alleine layoutet, es in Eigenregie und ohne Verlag auf den Markt gebracht, um damit am Ende einen Bestseller zu landen. OMR hat mit der Hamburgerin gesprochen und analysiert, wie ihr Erfolg zustande gekommen ist.

Aus Diätgründen auf Kuchen und Backwaren verzichten – das will Güldane Altekrüger nicht so recht einsehen. Als sie sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes das Ziel setzt, 25kg abzunehmen, beginnt sie aus diesem Grund damit, eigene Backrezepte zu entwickeln. Statt Butter und normalem Raffinadezucker verwendet sie Apfelmus, Magerquark, Bananen und Birkenzucker und backt damit Schokotartes und Marmorkuchen, bei ihren Brötchen ersetzt sie einen Teil des Mehls durch Haferkleie und verwendet Flohsamenschalen statt Hefe.

„Mit der Weight Watchers App hat alles angefangen“

Als zahlende Nutzerin der Weight Watchers (WW) App tauscht sie sich in dieser mit anderen Nutzern über ihre Experimente aus. „Damit hat alles angefangen“, so Altekrüger im Gespräch mit OMR. Die WW-App hat einen eigenen Community-Bereich, der wie eine Nischen-Version von Instagram anmutet. Die Nutzer können Fotos posten, liken und kommentieren sowie sich gegenseitig folgen; Hashtags gibt es ebenfalls. Die WW-User können mit den Posts ihre Fortschritte dokumentieren, sich gegenseitig anfeuern und neue Motivation erhalten. Lediglich die Möglichkeit, Direktnachrichten zu schicken, fehlt.

Offenbar zieht die App damit eine sehr relevante Reichweite auf sich. 16,4 Millionen Mal weltweit ist sie nach Schätzungen des Berliner App-Analytics-Tools Priori Data bereits heruntergeladen worden. Das mag im Vergleich zu den großen Social-Plattformen mit Hunderten Millionen von Nutzern zunächst nach wenig klingen. Aber schließlich müssen die App-Nutzer nach einer Testphase auch ein kostenpflichtiges Abo zum Monatspreis von mindestens 15 Euro abschließen. Und die zahlenden Nutzer nutzen die App in der Regel sehr intensiv und mehrmals am Tag. In der thematischen Nische bildet die WW Community damit offenbar eine hochrelevante Reichweite ab.

„Auf einmal hatte ich 20.000 Follower“

Tippen die Nutzer der WW-App den Community-Tab an, landen sie zuerst auf dem Reiter „Beliebt“, der Posts mit viel Engagement anzeigt (anonymisierter Screenshot)

Der WW-Community-Feed ist unterteilt in die drei Reiter „Beliebt“, „Neu“ und „Abonniert“. Nutzer, deren Posts es in den „Beliebt“-Bereich schaffen, verzeichnen oft drei- bis vierstellige Kommentar- und Like-Zahlen. Gar nicht so erstaunlich also, dass sich auf der Plattform offenbar eigene Influencer etablieren. Ein paar von ihnen kennzeichnen ihre Posts sogar per Hashtag als Werbung – wobei nicht klar ist, ob sie wirklich für ein Product Placement bezahlt wurden, oder die Kennzeichnung nur aus vorauseilendem Gehorsam wegen des „Vreni Frost Urteils“ vorgenommen haben.

Güldane Altekrüger postet ihr erstes Rezept (Maisbrötchen) vor rund einem Jahr in der WW-App; es folgen diverse weitere. Bei der Community kommen am Anfang offenbar vor allen Dingen Rezepte für solche Backwaren gut an, die einem während einer Diät in der Regel versagt bleiben: Tortillachips etwa, oder Möhrentorte. Mit einem Krustenbrötchen-Rezept schafft Altekrüger es dann offenbar in den „Beliebt“-Reiter des Community-Bereiches. „Es ging dann rasend schnell, dass ich 15.000 Follower hatte, dann bald 20.000. Das ist wirklich Wahnsinn, was da passiert ist.“ Heute folgen Altekrüger in der App 33.000 Nutzern.

Neue Reichweitenpotenziale auf Instagram

Ein Rezept-Post von Güldane Altekrüger in der WW-App

„Irgendwann haben mir dann Leute angefangen zu schreiben, dass sie nicht mehr bei Weight Watchers sind, aber trotzdem gerne die Rezepte hätten, und dass ich mich doch einmal bei Instagram anmelden solle“, sagt Altekrüger. Im März des vergangenen Jahres richtet sie deswegen auf Facebooks Bilderplattform unter dem Namen „Die Wölkchenbäckerei“ ein eigenes Profil ein. „Vorher hatte ich mit sozialen Medien so gar nichts am Hut“, so die heute 43-Jährige.

Am Anfang habe sie für ihre Posts einfach die Hashtags von anderen Leuten kopiert, „weil ich dachte, dass man das so macht“. Sie sei Instagram überhaupt nicht strategisch angegangen, sondern habe einfach ausprobiert. „Das hat mir ja auch einfach Spaß gemacht.“ Blickt man heute auf die von ihr verwendeten Hashtags, so stößt man auf eine wiederkehrende Mischung aus eigenen Hashtags wie #woelkchenbaeckerei und #abnehmenmitkuchenundbrot (der Titel ihres späteren Buches) und Weight-Watchers-nahen Hashtags wie #ww (4,1 Millionen Posts auf Instagram) und #wwdeutschland (258.000 Posts).

„Ich hab mir dann einfach ein Grafikprogramm heruntergeladen“

Auf Instagram wächst die Zahl ihrer Follower ähnlich schnell wie in der WW-App. Besonders viel Engagement verzeichnen augenscheinlich Posts, die auch im Bild deutlich erkennbar als Rezept deklariert sind. „Bei manchen Fotos haben mich die Leute immer wieder gefragt, wann das Rezept kommt, deswegen wollte ich gut sichtbar kennzeichnen“, so Altekrüger. Jene Nutzer, die sich unter anderen Posts nach dem Rezept erkundigt hatten, informiert sie unter deren Kommentar über den neuen Post, so bald dieser online ist. Auch Fragen bemüht sie sich stets zu beantworten. Bis heute baut sie die Zahl ihrer Follower auf diese Weise auf mehr als 36.000 aus.

Im vergangenen Sommer kommt sie erstmals auf die Idee, ein Buch zu veröffentlichen: „Die Leute haben mir immer wieder geschrieben, dass sie beim Backen nicht weiter mit Screenshots meiner Rezepte hantieren wollen.“ Altekrüger hatte bis dahin als Event-Managerin im Bereich klassischer Musik gearbeitet, trägt sich aber zu diesem Zeitpunkt in ihrer Elternzeit mit dem Gedanken, sich beruflich umzuorientieren. Sie lädt das kostenlose Open-Source-Grafikprogramm Gimp herunter und beginnt mit der Arbeit an einem Buch. „Vorher dachte ich, dass es schon schwer ist, gute Fotos zu machen. Aber Grafik und Satz waren noch schwieriger.“ Wenn ihre Kinder im Bett sind, layoutet sie bis in die Morgenstunden.

„Das war schon ein Nervenkrieg“

Im Frühherbst ist das Buch fertig. Weil die Hobbybäckerin nicht daran glaubt, dass die etablierten Verlage an ihrem Werk Interesse haben könnten, sucht sie sich eine günstige Druckerei und gibt erst einmal 1.000 Exemplare in Auftrag. Sie besorgt sich selbst eine ISBN und lässt sich im Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) eintragen, damit das Buch über den Buchhandel beziehbar ist. Parallel zur Abwicklung der Buchproduktion besucht sie einen HTML-Kurs, damit sie sich eine Website bauen kann. „Das war schon auch ein wenig verrückt und ein Nervenkrieg“, so Altekrüger heute rückblickend.

Im November ist das Buch fertig: „Abnehmen mit Brot & Kuchen“, 51 Rezepte, 128 Seiten, zum Preis von 16,95 Euro. Zum Start verkauft die Hobbybäckerin alleine über zwei Vertriebskanäle: ihre eigene Website (hier erhalten die Käufer eine Widmung, müssen aber per Vorkasse bezahlen) und Amazon. Altekrüger erlebt einen riesigen Run: Gleich am Erscheinungstag schießt das Buch auf Platz 1 von Amazons Bestsellerliste – zunächst im Bereich Backen, dann Gattungs-übergreifend.

„Abnehmen mit Brot und Kuchen“ auf Platz 1 von Amazons übergreifender Bücher-Bestseller-Liste (Screenshot)

Amazon schließt den Account

Anfangs verpacken und verschicken die Hamburgerin und ihr Mann die Bücher noch selbst von ihrer Privatwohnung aus. Nach vier Tagen ist die erste Auflage ausverkauft und das Buch hat mehr als 100 Fünf-Sterne-Rezensionen angesammelt. Zwischenzeitlich sperrt Amazon kurzzeitig ihr Verkäuferkonto, offenbar weil der Plattformbetreiber angesichts der überraschend hohen Verkaufszahlen eines Nobody-Verkäufers Betrug oder Manipulation wittert.

Knapp zwei Wochen später veröffentlicht die Bild-Zeitung deutschlandweit einen Bericht über Altekrügers überraschenden Erfolg. Die Boulevardzeitung veröffentlicht regelmäßig Bestseller-Listen in Zusammenarbeit mit Amazon. Möglicherweise ist die Redaktion so auf Altekrügers Geschichte gestoßen.

Facebook-Fangruppe mit 3.000 Mitgliedern

Einer von vielen Facebook-Gruppen-Posts zu Güldane Altekrügers Buch (anonymisierter Screenshot)

Gleichzeitig erlebt das Buch offenbar einen Hype über Social Media – nicht nur bei Instagram und Weight Watchers, sondern auch auf Facebook, obwohl Altekrüger selbst dort nicht ähnlich aktiv ist wie auf Instagram. In Facebook-Abnehmgruppen posten Leute Fotos von nach ihren Rezepten gebackenen Kuchen und Brötchen oder suchen das Buch, auch, weil es zwischenzeitlich nicht käuflich verfügbar ist. Ohne Altekrügers Zutun gründet sich sogar eine Wölkchenbäckerei-Fangruppe auf Facebook, die aktuell 3.000 Mitglieder hat.

Die Auswirkungen des Rummels um das Buch bekommen auch andere im Internet zu spüren. Benjamin Cordes betreibt gemeinsam mit seinem Freund Stefan Spiegel die Seite Kaisergranat.com, auf der sie Kochbücher rezensieren – ein Nebenprojekt von zwei hauptberuflichen Journalisten. Über eine Schnittstelle zum Verzeichnis lieferbarer Bücher importieren sie Informationen über Neuerscheinungen in einen Index auf ihre Website – auch über das Buch von Altekrüger. Google rankt ihre Seite zum Autoren- und Buchnamen somit auf der ersten Suchergebnisseite, vielleicht auch, weil über ein in Eigenregie verlegtes Buch sonst kaum andere publizieren und die Konkurrenz nicht sehr groß sein dürfte .

Wie ein Kochbuch-Affiliate von dem Rummel profitiert

Kurz vor Weihnachten bekommen die Kaisergranat-Macher deswegen plötzlich und massenhaft E-Mails – von Nutzern, die Altekrügers Buch kaufen wollen, aber im regulären Handel nicht fündig geworden sind oder nicht auf Amazon kaufen wollen, sowie von Händlern, die das Buch bestellen wollen. „Wir mussten erst einmal verstehen, was da passiert“, so Cordes gegenüber OMR.

Den Seitenbetreibern liegt wenig an Diätprogrammen; deutlich lieber befassen sie sich mit Backbüchern von Donna Hay oder High-End-Kochbüchern, die sich alleine mit Brühen auseinandersetzen. Auch wenn er nach eigener Darstellung mehr Ahnung von Kochbüchern hat als von Online Marketing, ist Cordes trotzdem klar, dass sich hier eine Chance bietet. Er stockt die karge Landingpage über „Abnehmen mit Brot und Kuchen“ mit einer Inhaltsangabe auf; Affiliate-Links führen zur Buchverkaufsseite und einer Backform auf Amazon. Für jeden Verkauf erhalten beide eine Provision. Seitdem generieren Cordes und Spiegel einen Großteil der Umsätze, die sie mit der Seite erwirtschaften, mit Hilfe von Altekrügers Buch. „Manchmal werden an einem Tag mehrere Exemplare des Buches über unsere Seite bei Amazon gekauft.“

Auf PR-Tour durch die Talkshows

Altekrüger selbst hat sich mittlerweile vertriebsseitig professioneller aufgestellt. Die Hamburgerin hat einen eigenen Verlag gegründet und ist mit ihrem Buch mittlerweile bei Grossisten und Großhandelsketten gelistet. Das dürfte nicht alleine deswegen gut sein, weil die Backbloggerin in den Monaten nach dem Bild-Bericht von Medium zu Medium gereicht wird und so die Nachfrage noch weiter angestachelt wird. Sie tritt bei RTL Punkt 12, im Frühstücksfernsehen von Sat 1, der Nachmittagssendung der ARD, bei Radio Hamburg und der MDR-Talkshow Riverboat auf. In ihren Instagram Stories gewährt sie ihrer Community dabei immer wieder einen Blick hinter die Kulissen.

Mitentscheidend für den Erfolg war womöglich auch Altekrügers Veröffentlichungs-Timing: „Nach dem Jahreswechsel verschwinden von einem Tag auf den andern die Kochbücher aus den Bestsellerlisten und Ernährungs- und Abnehmratgeber nehmen deren Platz ein“, so Benjamin Cordes von Kaisergranat. Mittlerweile rangiert „Abnehmen mit Brot & Kuchen“ nicht nur bei Amazon, sondern auch auf der Bestsellerliste der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und bei Media Control auf Platz 1 im Sachbuchbereich. „Wir haben bislang zwischen 98.000 und 99.000 Exemplare verkauft“, sagt Altekrüger zu OMR.

Nächster Halt: Youtube-Kanal

Ihr Mann, bislang Fuhrparkmanager in Hamburg, hat seinen Job aufgegeben, um sie Vollzeit unterstützen zu können. „Er ist sehr gut darin, Strukturen und Prozesse aufzubauen. Ich alleine mit meinem Kreativkopf hätte das nie hinbekommen.“ Beide haben noch einen weiteren Mitarbeiter eingestellt. Offenbar nimmt die Community-Pflege viel Zeit in Anspruch: „Es kommen immer noch viele Anfragen wie ‚Warum gehen meine Brötchen nicht auf?'“

Als nächstes will Altekrüger eine Lese- & Workshop-Tour durch Buchhandlungen durchführen. Ebenfalls geplant ist ein Youtube-Channel. „Die Idee hatte ich vorher auch schon; jetzt gibt es dazu noch mehr Nachfragen“, so die Hobbybäckerin. In den Videos will sie Tipps geben und Gäste einladen, aber auch andere Personen an deren Wirkungsstätte besuchen. „Das Konzept steht, aber noch ist nichts gedreht.“ Produziert werden soll erst einmal, wie soll es anders sein zu Hause – „aber bald werde ich hoffentlich auch ein Atelier und eine Showküche zur Verfügung haben.“

Bald das zweite Buch?

Ihr Ziel, 25kg abzunehmen hat sie noch nicht ganz erreicht, dafür „immerhin“ überaus beachtliche 18kg. Und in ihren Instagram Stories hat Altekrüger am vergangenen Wochenende eine Vorschau auf das erste potenzielle Rezept für ein zweites Buch gegeben.

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Roland Eisenbrand
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Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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