Wir haben nachgesehen, wie große deutsche Portale in ihrer Anfangszeit aussahen – und konnten uns den ein oder andern Lacher nicht verkneifen

"Bin ich schon drin?" – So warb Boris Becker in den späten 90er Jahren für den Internetzugang von AOL in Deutschland

Online Marketing Rockstars blicken zurück auf die Geschichte der deutschen Online-Branche

"Bin ich schon drin?" – So warb Boris Becker in den späten 90er Jahren für den Internetzugang von AOL in Deutschland

„Bin ich schon drin?“ – So warb Boris Becker in den späten 90er Jahren für den Internetzugang von AOL in Deutschland

Responsive, Flat Design, Card Design, schickere Typografie – ein Webdesign-Trend jagt den nächsten. Vom pixeligen, unbeholfenen Layout der frühen Websites ist das Netz heute weit entfernt. Wer mit der „Wayback Machine“ auf archive.org in der Zeit zurück reist und sich ansieht, wie heute große Portale in ihrer Anfangszeit aussahen, bekommt möglicherweise einen kleinen Kulturschock. Schaut Euch bei uns an, wie grotesk die zehn reichweitenstärksten deutschen Websites auf die Augen heutiger User wirken.

T-Online (Februar 1997)

Dem einen oder anderen mag dieser Screenshot mit dem Wissen der heutigen Zeit ein kleines Schmunzeln entringen. Das Portal T-Online, heute ein Wust aus Content und Werbung, präsentiert sich damals noch relativ übersichtlich. An zentraler Stelle trommelt die Telekom dort damals für die Teilnahme ihres Teams an der Tour de France. Zu diesem Zeitpunkt sieht noch alles nach Heile Welt aus: Im Vorjahr hat der Däne Bjarne Riis im Trikot des „Team Telekom“ die Tour de France gewonnen, im Sommer 1997 wird der junge Jan Ulrich den Erfolg wiederholen. Was in dieser Zeit wirklich geschehen ist, kommt erst zehn Jahre später, im Rahmen der „Dopingaffäre Team Telekom“ heraus. Der Sponsor beendet daraufhin schlagartig sein gesamtes Engagement im Radsport. Mit seinem Portal T-Online liegt das Unternehmen dafür noch heute auf dem ersten Platz der Reichweitenrankings von Agof und IVW. Dies dürfte zu einem nicht unerheblichen Maß daran liegen, dass das Portal bei vielen Deutschen mit einem Telekom-Internetzugang über lange Jahre als Startseite voreingestellt war und nicht wenige dort noch heute über eine E-Mail-Adresse verfügen. Zuletzt gab es jedoch Gerüchte über Verkaufsgespräche mit Axel Springer.

Ebay.de (Oktober 1999)

Auch dieser Screenshot hat gleich aus mehreren Gründen Schmunzelpotenzial. Zum einen, weil Ebay mit der darauf sichtbaren Auktion des gelben Pullunders von Hans-Dietrich Genscher landesweit Presse bekam. Der ehemalige Außenminister soll das Kleidungsstück getragen haben, als die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland fiel. Angeblich soll der Pullunder einen Auktionspreis von 2.000 D-Mark erzielt haben. Aus Online-Branchensicht ist aber sicherlich das gemeinsame Logo von Ebay und Alando noch amüsanter. Alando war die erste Gründung der Samwer-Brüder: Nachdem sie der Überlieferung zufolge von Ebay USA auf ihre Anfrage, ob sie nicht das Deutschlandgeschäft des Unternehmens aufbauen könnten, keine Antwort erhielten, kopierten sie die US-Seite einfach. Vier Monate später verkauften sie Alando, ihre Version des Online-Auktionshauses, für 50 Millionen US-Dollar an Ebay. Der Coup legte den Grundstein für den späteren Aufstieg der drei Jungunternehmer. Das Buch von Joel Kaczmarek über die Samwer-Brüder gibt einen kleinen Eindruck davon, welche Skurrilitäten sich in dieser Zeit ereignet haben müssen. Ebay ist noch heute zweitreichweitenstärkste Seite in Deutschland.

Bild.de (1996)

Bild Online gelang es mit dem Start 1996 die eigene CI unverkennbar ins Netz zu übertragen. In den folgenden Jahren erlebte die Springer-Marke im Netz dann eine kleine Achterbahnfahrt. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase brachte das Medienhaus die Marke Bild in ein Joint-Venture mit der Telekom ein und das Portal war lange Jahre unter bild.t-online.de zu erreichen. Erst im Jahr 2008 beendete Springer die Zusammenarbeit.

gutefrage.net (Januar 2006)

Unter dem Dach von Holtzbrinck entwickelte New-Economy-Veteran Jens Doka, heute für die Digitalsparte von Pro-Sieben-Sat1 tätig, die Q&A-Community gutefrage.net. Noch heute ist das Portal ein Traffic-Bringer – vor allen Dingen Google spült wegen der guten Suchmaschinenoptimierung regelmäßig Tausende von User auf die Seite.

Chip Online (Mai 1998)

Das Wort „NetSurfing“ würde heute wohl niemand mehr ironiefrei verwenden, aber damals wie heute gilt: Chip ist die am stärksten frequentierte Anlaufstelle für den IT-Nerd-Mainstream im Netz. Schön auf diesem Screenshot auch die Werbung für den heute noch Maßstäbe setzenden Website-Editor Frontpage 98 (leider ist die Bilddatei auf Archive.org nicht mehr verfügbar).

Web.de (Oktober 2002)

Das Portal Web.de ist nach Betreiberangaben 1999 ins Netz gegangen; der erste Screenshot in der Wayback Machine datiert auf das Jahr 2002.

Computerbild (Januar 1998)

Springers IT-Marke findet im Web zuerst bei AOL ein zu Hause – das erklärt auch den Hinweis „Nur für AOL-Mitglieder verfügbar!“ zu einigen Navigations-Buttons in diesem Screenshot. Ab 1999 ist die Medienmarke online unter eigener Domain zu erreichen.

Focus (Juni 1997)

„Fakten, Fakten, Fakten“ – damit will Focus auch in der Frühzeit des Webs punkten. Wie der Screenshot zeigt, waren damals die typographischen Möglichkeiten auf allen Websites noch recht eingeschränkt, da im Webdesign nur mit den auf den Rechnern der User vorinstallierten Fonts gearbeitet werden konnte.

Chefkoch (Juni 2000)

Chefkoch dürfte heute eines der wenigen Digitalprojekte sein, dass dem Hamburger Verlag Gruner+Jahr wirkliche Freude bereitet. Gestartet ist das Projekt bereits 1998; G+J kaufte das Betreiberunternehmen erst 2008 auf. In den folgenden Monaten musste das Verlagshaus erst einmal gerichtliche Auseinandersetzungen in Urheberrechtsschutzfragen mit einem anderen, eher zwielichtigen Online-Kochbuchbetreiber, durchstehen. Heute bezeichnet sich Chefkoch als größte Plattform rund ums Kochen in Europa; Gruner hat die Marke um eine App und eine Print-Ausgabe erweitert.

RTL.de (April 1997)

RTL war in den ersten Jahren im Netz mit der eigenen Marke noch ein eher kleines Licht – kein Wunder, wirft man einen Blick auf das eingeschränkte Angebot auf diesem Screenshot. Natürlich gab es damals aber auch noch nicht die technische Infrastruktur, um online mit Video-Inhalten ein größeres Publikum zu erreichen. Heute hat der Kölner Sender sein Video-Angebot RTL Now auf die eigene Domain überführt und liegt damit im Reichweiten-Ranking auf Platz 10.

„BONUSTRACKS“: Google, Facebook und Youtube

Weil die US-Konzerne Google und Facebook die Reichweite ihrer Plattformen nicht von Agof oder IVW erfassen lassen, diese aber trotzdem zu den reichweitenstärksten Zielen im Netz gehören, haben wir für Euch auch noch frühe Screenshots von deren Angeboten ausgegraben. Google begann im Jahr 2001 mit dem Verkauf von Adwords in Deutschland und bewarb das Produkt auf der Startseite als „do-it-yourself Marketingsystem“. Facebook bot ab 2008 eine deutschsprachige Version an. Von Youtube haben wir leider keinen frühen Screenshot der deutschen Version gefunden. Interessant an dem Screenshot der Hauptplattform aus dem Jahr 2005 ist aber, dass er das Gerücht bestätigt, dass die Gründer des Unternehmens zuerst eine Dating-Plattform entwickeln wollten.

Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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