Abkürzung in die Charts? Warum Warner Music Meme-Accounts für 85 Millionen US-Dollar kauft

Martin Gardt21.8.2020

Eines der größten Music-Labels der Welt kauft für viel Geld eine Firma hinter ein paar Viral-Accounts – das steckt dahinter

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Wie entstehen im Streaming-Zeitalter noch Chart-Hits? Ein Musikstar hilft in jedem Fall. Aber um unbekannte Künstler groß zu machen, braucht es eine andere Strategie. In Deutschland ist eine ganze Generation von Rappern über Youtube groß geworden und virale Tiktok- oder Instagram-Erfolge liefern immer wieder Nummer-1-Hits. Das Major-Label Warner Music Group reagiert auf diese Entwicklung jetzt mit dem Kauf von „IMGN Media“. Das Unternehmen ist vor allem für Meme-Accounts auf den genannten Plattformen bekannt. Aber macht der Move für 85 Millionen US-Dollar wirklich Sinn?

Meme-Accounts sind schon seit einigen Jahren etablierte Reichweiten-Bringer auf den großen Plattformen. Schon 2017 hatten wir etwa über „FuckJerry“ geschrieben. Elliot Tebele hat aus seinem Meme-Account mittlerweile eine Social-Media-Agentur gebaut und war vor allem durch die Promo für das wahnsinnig gescheiterte Fyre Festival aufgefallen

Ähnlich klingt die Geschichte von IMGN Media. 2015 als „Comedy.com“ von den beiden Israelis Barak Shragai und Dor Mizrahi in New York gegründet, sammelt das Unternehmen über die Jahre witzige Instagram-Accounts, um darüber Werbekampagnen zu spielen. 2016 übernimmt IMGN den damals schon erfolgreichen Meme-Account Daquan. Heute hat der über 15 Millionen Follower auf Instagram und erreicht mit jedem Video Millionen Abrufe. Neben dem erfolgreichsten seiner Kanäle, steht IMGN auch hinter Accounts wie „So Satisfying“ (214.000 Abonnenten auf Instagram), dem Gaming-Account „TryHard“ (knapp 500.000 Abonnenten) und vielen weiteren. Eigenen Angaben zufolge erreicht das Meme-Konglomerat heute insgesamt über 40 Millionen Follower und verzeichnet über drei Milliarden Views pro Monat. 

Pop-Kultur in Häppchen

Um den Grund für die Übernahme durch Warner Music zu ergründen, lohnt vor allem der Blick auf Daquan. Der 2014 von einem anonymen Kanadier gegründete Kanal postet auf Instagram eine Mischung aus Videos und Bildern. „Daquan ist ein fiktionaler Charakter, der zu einer Internet-Ikone geworden ist. Er definiert, was im Trend liegt, indem er Content kreiert und kuratiert und dabei einen einzigartigen Ton und Humor trifft, der täglich von Millionen Fans gesehen und geteilt wird“, erzählte der Daquan-Macher Forbes bereits 2018. Meist bedient er sich bei Toktok, Twitter, anderen Instagram-Accounts und packt einen mehr oder weniger witzigen kommentierenden Text drüber. 

„Wir nehmen unsere redaktionelle Rolle sehr ernst und haben großen Respekt vor unserem Publikum“, sagt IMGN-CEO Barak Shragai gegenüber Brand Storytelling. „Bei uns gibt es drei Regeln für den Erfolg: Es muss relevant sein (mit aktuellen Themen zusammenpassen). Es muss zur Zielgruppe passen (in einer Botschaft, die Relevanz hat). Und es muss auf den Punkt formuliert sein (Text und Design müssen Aufmerksamkeit erzeugen).“ Der anonyme Macher des Daquan-Accounts verbringe oft Stunden damit, über den perfekten Text zu einem Meme nachzudenken. „Wir bekommen Tausende Content-Hinweise jeden Tag von Leuten, die groß rauskommen wollen“, erzählt der Daquan-Macher. „Viele Prominente schicken mir Direktnachrichten und fragen nach Reposts“. 

Brands springen auf

Dementsprechend oft landet Content mit bekannten Gesichtern auf dem Daquan-Kanal. Rapper Drake, Basketball-Star LeBron James, Rapper Lil Uzi Vert tauchen immer wieder auf – genauso wie Inhalte aus bekannten Games wie Grand Theft Auto oder Fortnite. Auch ein deutsches Meme rund um den Rapper Xatar und einen Köftespieß machte auf Daquan die Runde – deshalb nutzte dieser das zuletzt zur Eröffnung seines Restaurants in Köln

85 Prozent der Abonnenten von IMGN-Kanälen seien aus der Generation Z oder junge Millenials. „Gen Z ist die am schwersten zu erreichende Zielgruppe und das ist, was IMGN am besten kann“, sagt Gründer Shragai. Das sei der Grund, warum Brands heute von sich aus auf das Unternehmen zukommen würden, um über die Meme-Kanäle Reichweite zu erzielen. „Marken müssen bereit sein, Risiko einzugehen und sich selbst nicht zu ernst nehmen“, so Shragai. Kunden von IMGN sind unter anderem Netflix, Electronic Arts, Burger King oder Microsoft. Wie wichtig Memes heute für Brands aus allen Branchen sein können, hat OMR-Gründer Philipp Westermeyer bei seiner Keynote beim OMR Festival 2019 schon erzählt.

Die junge Zielgruppe verstehen

Schon früh habe das Team von IMGN erkannt, wie sehr sie Songs zum Erfolg verhelfen können: „Wir messen unglaubliche Ergebnisse im Musik-Bereich“, sagt etwa der anonyme Daquan-Macher. „Memes und virale Sketche beeinflussen signifikant, wie Menschen ihre Playlisten zusammenbauen und was sie bei Spotify und Youtube suchen.“ Diesen Effekt hat wohl auch Warner Music durch die Zusammenarbeit mit IMGN erkannt und das Unternehmen deshalb unter den eigenen Schirm geholt. Zwar soll die Meme-Firma weiterhin eigenständig agieren und auch mit anderen Brands arbeiten dürfen, es ist aber vorhersehbar, dass in Zukunft Memes auf Daquan & Co. vor allem mit Songs von Warner-Künstlern unterlegt werden dürften. 

Daquan betreibt außerdem eine eigene Spotify-Playlist, die wöchentlich aktualisiert wird und auf über 30.000 Follower kommt. Auch die dürfte in Zukunft ein paar mehr Warner-Songs aufnehmen. Es gibt noch einen weiteren Faktor, warum der Kauf von IMGN für Warner Sinn macht: Es eröffnet einen Datenpool, um die junge Zielgruppe besser verstehen zu können. Über die Meme-Accounts kann das Unternehmen in Zukunft schnell erkennen, welche Songs direkt bei der angepeilten Zielgruppe ankommen – und mit welchen Content-Ideen diese noch mehr gepusht werden können.

Den teuren Mittelsmann überspringen

Das Musik-Label dürfte einen Teil des investierten Geldes aber auch mit den Erlösströmen von IMGN zurück verdienen. Schätzungen zufolge setzt IMGN einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr um – Gründer Shragai sprach zuletzt 2019 von einem jährlichen Wachstum von über 350 Prozent. Vor der Übernahme hatte das Unternehmen insgesamt sechs Millionen US-Dollar an Investitionen aufgenommen. „Warner Music Group bietet uns nicht nur ein Investment und Unterstützung, sondern auch eine unternehmerische Umgebung, in der wir weiter wachsen können“, sagte Shragai zum 85-Millionen-Deal.

Warner Music könnte mit dem Zukauf aber nicht nur neue Umsatz-Potenziale heben, sondern auch Geld sparen. Meme-Accounts können ein guter Weg sein, um weniger auf teure Influencer angewiesen zu sein. Nehmen wir nur mal die Tiktokkerin Charli D’Amelio (über 80 Millionen Follower auf der Plattform). Sie hat in der Musik-Industrie zuletzt des Öfteren für Aufsehen gesorgt, weil sie mitgeholfen hat, gleich mehrere Songs an die Spitze der Charts zu pushen – einfach, indem sie die Songs in ihre Tiktok-Videos eingebunden hat. Allerdings verlange sie mittlerweile mindestens 25.000 US-Dollar pro Tiktok-Beitrag. 

Nummer-1-Hits dank Social Media

Egal ob Influencer oder Meme-Account: Die Musikindustrie braucht die Social-Kanäle, um die junge Zielgruppe zu erreichen und muss das Spiel mitspielen, weil andernfalls zumindest ihre Nachwuchskünstler keine Chance auf das Rampenlicht haben. „Wir haben sofortiges Wachstum auf den Streaming-Plattformen für Trevor Daniel gesehen, als sein Song Falling in einem Simpsons-Meme aufgetaucht ist“, sagt Todd Moscowitz, Gründer von Alamo Records gegenüber Complex. „In Sachen Streaming haben wir Uplifts von 122 bis zu 600 Prozent gesehen, direkt nachdem ein Song in einem Meme live gegangen ist“, fügt Jackson Weingart, Head of Digital bei Alamo hinzu.

Lil Nas X mit seinem Song „Old Town Road“ ist wohl das bekannteste Beispiel für einen Musiker, der durch Memes und Tiktok-Einbindungen erst durch die Decke gegangen ist (hier haben wir das Phänomen ausführlich beleuchtet). Der Hit war über 17 Wochen auf Platz 1 der Billboard Hot 100 Charts in den USA und damit einer der größten Chart-Hits aller Zeiten. Bekannt geworden ist das Lied, weil 2019 unzählige Tiktokker an der „Yee Haw Challenge“ teilgenommen und sich mit Start des Beats von „Old Town Road“ in Cowboys und -girls verwandelt haben.

Dass das Modell funktioniert, Social-Accounts zu nutzen, um Songs groß zu machen, zeigt auch die Geschichte von Flighthouse. Wir hatten Anfang des Jahres schon ausführlich über das „MTV der Generation Z“ geschrieben. Die Create Music Group hatte schon 2017 den Account von einem Teenager-Bruderpaar für eine fünfstellige Summer gekauft, als der Kanal noch bei Tiktok-Vorgänger musical.ly lief und eine Million Follower hatte. Heute kommt der Tiktok-Account von Flighthouse auf knapp 27 Millionen Follower. Mit Musik-Rate-Shows, in denen bekannte Tiktokker auftreten zieht die Create Music Group Reichweite. Und die Musik in den Shows stammt meist von Künstlern, die das Unternehmen in Sachen Marketing betreut. Das klingt nach einem Konzept, das sich auch Warner Music mit seinem neuen Meme-Unternehmen abschauen könnte.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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