Aldi, Instagram und Beyoncé: Wie die Non-Profit-Organisation Veganuary Veganismus pusht

Marketingkooperationen und Promi-Testimonials sollen für Aufmerksamkeit sorgen

Veganuary

Der Januar ist der Monat der guten Vorsätze. Weniger trinken, nicht mehr rauchen und immer häufiger auch: vegan essen. Hier setzt die 2014 gegründete Non-Profit-Organisation Veganuary an, die Teilnehmer jedes Jahr im Januar dazu aufruft, 31 Tage lang auf Produkte tierischen Ursprungs zu verzichten. Die Veganismus-Aktivisten machen vor, wie selbst eine kleine Initiative mit überschaubarem Budget dank kluger Kooperationsstrategie und Verzicht auf Dogmatismus jede Menge Reach generiert.

Beyoncé und Joaquin Phoenix machen mit

Seit dem Start 2014 konnte Veganuary die Teilnehmerzahl mit jedem Jahr mehr als verdoppeln. 2019 verpflichteten sich weltweit rund 250.000 Personen zu einem veganen Fastenmonat. Interessierte melden sich auf der Website an und erhalten in der Folge jeden Tag eine E-Mail mit Rezepten, einen Ernährungsplan und Einkaufshilfen, außerdem ein „Promi-Kochbuch“ als PDF mit Gerichten, die von Unterstützern der Kampagne wie Beyoncé und Joaquin Phoenix inspiriert sind.

Für 2020 hofften die Macher auf 350.000 Anmeldungen – und konnten diese Marke bereits am 4. Januar knacken. Aktuell haben laut der Initiative 370.000 Personen ihren Pledge auf der Veganuary-Website abgegeben (Stand 9.1.2020). Die Organisation rechnet damit, dass tatsächlich zehnmal so viele Menschen mitmachen. Das Wachstum des Aktionsmonats verdankt Veganuary nicht nur dem Zeitgeist, sondern konsequentem Community-Building. Bei jeder Gelegenheit rufen die Macher der Kampagne die Teilnehmer dazu auf, Posts und E-Mails von Veganuary zu teilen.

Über die Jahre konnte Veganuary so eine vorzeigbare Social-Media-Reichweite aufbauen. Der Instagram-Kanal hat 256.000 Abonnenten. Der Hashtag #veganuary kommt auf bald 850.000 Beiträge. Bei Facebook folgen 289.000 der britischen Organisation. Die zugehörige Gruppe ist rund 50.000 Mitglieder stark.

Die Frau hinter der Internationalisierung der Kampagne

Das sind die Zahlen der globalen Veganuary-Sites; der deutsche Facebook-Account bringt es bislang nur auf knapp 5.000 Follower. Dabei konnte Veganuary bereits eine Reihe lokaler Prominente als Supporter gewinnen: Youtuber Rezo, Comedian Kaya Yanar, die Schauspielerinnen Jana Pallaske und Anne Menden sowie DSDS-Sternchen Marie Wegener und Andreas Luthe, Torwart des Bundesligisten FC Augsburg. Wie stark sie sich engagieren wollen, ist den Promis weitgehend freigestellt. Einige belassen es bei einer Grußbotschaft, andere stellen sich für TV-Beiträge zur Verfügung. Daneben gibt es auf der deutschen Instagram-Site von Veganuary die eigene Video-Reihe „Senf dazu“.

Ria Rehberg

Ria Rehberg, CEO von Veganuary. (Quelle: Timo Stammbeger)

17.500 Abonnenten folgen @veganuarydeutschland – eine durchaus vorzeigbare Zahl, bedenkt man, dass der hiesige Ableger mit seinen Social-Media-Auftritten erst Anfang Dezember gestartet ist. Mit dem Veganuary2020 wagte sich die Organisation erstmals an die Internationalisierung des Aktionsmonats. Zwar hätten in der Vergangenheit bereits Menschen aus 159 Ländern mitgemacht, heißt es von der Initiative. Doch erstmals wurde die Kampagne nun neben dem Vereinigten Königreich auch offiziell in Deutschland, Südafrika, Indien, den USA, Chile und einigen weiteren Ländern ausgerollt.

Verantwortlich für die Expansion ist Ria Rehberg. Im April 2019 hat die 31-jährige Deutsche die Geschäftsführung von Veganuary übernommen. Und die Mission der einstigen Mitbegründerin des deutschen Ablegers der internationalen Tierrechtsorganisation Animal Equality ist klar: „Wir sehen den Kern von Veganuary in der Kooperation mit Unternehmen“, sagt die Veganuary-CEO gegenüber OMR.

Reichweite der Partner als Hebel

Um trotz limitierter Ressourcen größtmöglichen Impact zu erzeugen, setzt Veganuary auf Kooperationen. Die Organisation versucht möglichst große Unternehmen davon zu überzeugen, im Januar Aktivitäten zum Thema Veganismus zu bündeln: neue Produkte auf den Markt bringen, Themenwochen veranstalten oder die Mitarbeitenden dazu zu bewegen, sich dem Veganuary anzuschließen und darüber auf den firmeneigenen Kommunikationskanälen zu posten. Geld verdient die Organisation dadurch zwar nicht, profitiert aber von der Reichweite und Marketingkraft der Firmen, die weit über den Kreis des Veganismus und dessen Sympathisanten hinausreicht.

Veganuary tut entsprechend viel, um die Botschaft und das eigene Logo in die Kanäle der Firmen zu bringen. Es gibt sogar ein downloadbares „Business-Toolkit“, das Veganuary zudem selbst massenhaft an Unternehmen verschickt hat. Darin findet sich neben Fakten zur Aktion, Informationen über den wachsenden Markt für vegane Produkte auch gleich ein Link zu den Brand-Guidelines und Vorlagen für Social-Media-Posts und POS-Aktionen.

Screenshot Veganuary Business Toolkit

Auszug mit POS-Beispielen aus dem Business Toolkit, das Veganuary Firmen zur Verfügung stellt (Screenshot: OMR)

Dieser DIY-Guide ist das Ergebnis einer Überforderung. Schon vor der Entscheidung zur Internationalisierung war Rehbergs Team – 20 Leute plus ein paar Freelancer – zu klein, um jedes der 500 Firmen, die sich mittlerweile allein in Großbritannien dem Veganuary angeschlossen haben, zu betreuen. „Wir haben nicht die Kapazität, uns mit allen Unternehmen einmal die Woche zu treffen“, sagt Rehberg. Darum das Toolkit, darum der Fokus auf ausgesuchte Partner.

Wie die den Veganuary dann umsetzen, bleibt den Unternehmen weitgehend selbst überlassen. Wirkliche Verträge gebe es nicht, so Rehberg, allenfalls NDAs. Ihr geht es nicht um Deals, sondern authentisches Engagement und Impact. Und dafür stellt auch Veganuary dann seine Kanäle zur Verfügung. Produkt-Launches und Aktionen der Supporter werden breit in den Social-Media-Feeds, Gruppen und Newslettern der Organisation gestreut, wovon wiederum die teilnehmenden Firmen profitieren: durch einen streuverlustfreien und quasi kostenlosen Zugang zu einer rasant wachsenden Zielgruppe.

Kuscheln mit Konzernen

Das aktive Anschmiegen an die Unternehmen scheint die richtige Strategie: Nach Angaben von Veganuary kamen während des Aktionsmonats 2019 im Vereinigten Königreich 200 neue Produkte in die Supermarktregale und vegane Gerichte auf Speisekarten. Im Ranking der Länder, in denen jährlich die meisten Tierprodukt-freien Produkte launchen, schob sich Großbritannien im selben Jahr erstmals vor den bisherigen Spitzenreiter Deutschland.

Diese Entwicklung war nicht abzusehen, als das vegan lebende britische Paar Jane Land und Matthew Glover den Aktionsmonat vor sechs Jahren dem Vorbild des Movembers (hier im OMR-Porträt). Angefangen hat das vegan lebende Paar mit einer simplen Website und Facebook-Ads im Wert von 100 Pfund; heute ist aus Veganuary ist eine global aktive Charity-Organisation geworden, die sich bislang vor allem aus privaten Spenden finanziert hat. Mit entsprechend beschränkten Möglichkeiten.

Der erste TV-Spot von Veganuary war nur möglich, weil die Kreativagentur Kolle Rebbe, die Produktionsfirma Optix und das Audio-Design-Studio German Wahnsinn pro bono gearbeitet haben. Die Ausstrahlung auf Werbeplätzen, die die Sender der RTL-Gruppe extrem rabattiert zur Verfügung stellten, wurde per Crowdfunding-Kampagne finanziert. Doch die prekäre finanzielle Lage scheint sich zu ändern: 2020 gibt es mit Beyond Meat erstmals ein Unternehmen als offiziellen Teil-Sponsor der britischen Kampagne.

Die Zusammenarbeit mit starken, möglichst globalen Marken ist für die britische Non-Profit-Organisation zentral – auch wenn kein Geld fließt. Im Mutterland kooperiert man unter anderem mit Starbucks und der Supermarktkette Marks & Spencer. Zum Deutschlandstart sind als große Brands die Drogerieketten DM und Rossmann sowie Dr. Oetker auf den Veganuary aufgesprungen. Und die Discounterbrüder Aldi Nord und Aldi Süd, wo jetzt vegane Produkte und eine Aktionswoche auf Schweineschnitzel aus Massentierhaltung treffen.

Tausche Prinzipien gegen Reichweite

Die Offenheit bei der Wahl der Verbündeten bringt Veganuary Kritik ein. Rehberg begegnet dem mit pragmatischem Kalkül: „Mich interessieren Kooperationen, bei denen die meisten Menschen erreicht werden.“ Wenn man den Marketing-Apparat eines global aufgestellten Discounters in den Dienst der fleischlosen Zukunft stellen kann, erreicht man halt mehr Konsumenten als über den karmakorrekten Bioladen von Nebenan. „Aldi wird es weiterhin geben und Millionen Menschen werden dort einkaufen“, sagt Rehberg, „da ist es mir lieber, wenn sie dort pflanzliche Alternativen zu Tierprodukten kaufen.“

Außerdem, so die Veganuary-Chefin, habe man in Großbritannien gesehen: Viele Firmen würden auch im Folgejahr am Aktionsmonat teilnehmen und ihr Engagement meist ausweiten. Nicht allein aus Überzeugung, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül. Gregg’s, die größte britische Bäckereikette nahm im Januar 2019 eine vegane Version ihres Bestsellers Sausage Roll ins Programm, die zur erfolgreichsten Produkteinführung seit Jahren wurde. Der Bäcker beförderte den Hype mit

cleveren Social-Media-Posts

und der

Umsatz der Kette stieg in den folgenden Wochen um fast zehn Prozent

.

Was vom Fastenmonat übrig bleibt

Aber wie nachhaltig ist der vegane Monat? Das Fazit ist durchwachsen. Eine 2019 im Auftrag von Veganuary vom Marktforscher Kantar durchgeführte Erhebung zeigte: Viele Briten nehmen nach dem Monat wieder Fleisch zu sich – aber immerhin weniger als zuvor. In einer etwas waghalsigen Rechnung kommt das Institut so auf 3,6 Millionen weniger gegessene Tiere dank Veganuary.

Diesseits aller Zahlenspiele ist klar: vegan boomt und Veganuary ist gerade dabei, zu einer Brand zu werden, die für die Entscheidung für einen besseren Lifestyle steht. Rehberg weiß um dieses Potenzial, sagt aber: „Wir wollen kein Unternehmen werden.“ Veganuary soll Non-Profit bleiben. Zunächst einmal will Rehberg den Veganuary in den bereits bespielten Märkten etablieren und die Kampagne in weiteren Ländern ausrollen. Vor allem aber soll Veganismus vom Neujahrsvorsatz zur Gewohnheit werden und letztlich, hofft Rehberg darum, „dass es irgendwann Veganuary nicht mehr geben wird“.

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Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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