TikTok-Tricks: Mit diesen drei Engagement-Hebeln hacken TikTokker die Für-Dich-Seite

Wie findige Content Creator auf der Plattform Millionen von Views generieren

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Es ist fast schon so etwas wie ein kleiner Goldrausch, der rund um die Social-Video-App TikTok entstanden ist: Mit wachsenden Nutzerzahlen versuchen immer mehr Influencer, Creator und Marketingmacher die Reichweite der Plattform anzuzapfen. Nicht wenige von ihnen bedienen sich dabei Tricks, um vom Algorithmus der Plattform bevorzugt behandelt zu werden. OMR dokumentiert drei aktuell erfolgreiche „TikTok Growth Hacks“ und zeigt Beispiele.

Die Zahlen, die TikTok vorzuweisen hat, sind beeindruckend: 1,65 Milliarden Mal soll die App weltweit und betriebssystemübergreifend nach Schätzungen von Sensor Tower bislang bereits heruntergeladen worden sein; 738 Millionen Mal alleine im vergangenen Jahr. Einer von TikTok selbst im Markt verbreiteten Präsentation zufolge, die die US-Marketingzeitschrift AdAge im Oktober 2019 öffentlich gemacht hat, soll TikTok damals nach eigenen Angaben 800 Millionen Monthly Active Users verzeichnet haben, 300 Millionen davon außerhalb Chinas.

Fast eine Stunde am Tag für TikTok

Fast noch beachtlicher aber ist die angebliche Nutzungsintensität. Einem TikTok-Sales-Deck zufolge, das Digiday im November 2019 veröffentlicht hat (Paywall), sollen europäische TikTok-Nutzer täglich (!) zwischen 41 Minuten (Spanien) und 53 Minuten (Großbritannien) in der App verbringen. Seit einigen Wochen redet die Betreiber der Plattform jenen Nutzern, die mehr als eine Stunde am Stück in der App verbracht haben, ins Gewissen und ruft sie mittels automatisiert ausgespielter Videos dazu auf, doch mal eine Pause einzulegen.

Eine Folie mit Nutzungsdaten aus einer Sales-Präsentation von TikTok, die Digiday im November 2019 veröffentlicht hat

Je nach europäischem Land kommen so auf TikTok zwischen sechs (Spanien) und 13,4 Milliarden Videoviews pro Monat zusammen – ein enormes Aufmerksamkeitspotenzial. Der Hunger der Plattform nach neuen Videos ist also groß. Influencern und Marketern bietet sich dementsprechend aktuell noch die Chance, auf TikTok kostenlose organische Reichweite und Sichtbarkeit zu generieren – was auf anderen Plattformen (wie Google, Facebook oder Instagram) im eher fortgeschrittenen Reifestadium ja deutlich schwieriger geworden ist.

Immer neue Hebel, um vom Algorithmus einen Push zu bekommen

Anders als auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram, sind auf TikTok Follower deutlich weniger wichtig, um Reichweite generieren zu können. Ein Großteil der Video-Views dürfte mutmaßlich über den „Für Dich“-Video-Tab generiert werden, der für den jeweiligen Nutzer personalisiert erstellt wird – je nach dessen Interessen und abhängig davon, welche Videos er sich wie lange anschaut und wie er mit diesen interagiert.

Viele TikTokker zeigen sich als äußert kreativ darin, Mittel und Wege zu finden, mit denen sie ihre Videos auf der „Für Dich“-Seite („For You Page“) platzieren können. In der Wild-West-artigen Phase, in der sich TikTok aktuell augenscheinlich noch befindet, gelingt es vielen offenbar immer wieder, die richtigen Hebel zu identifizieren, mit denen sie von TikToks Algorithmus einen Push erhalten.

Weg von den Mehrfach-Views, hin zu Shares und Profil-Klicks

Wie wir zu Anfang des Jahres in einem Artikel dokumentiert haben („Tiktok Hack: Mit diesem simplen Trick generieren manche Nutzer Millionen von Views“), haben vor wenigen Monaten noch viele TikTokker ihre Videos offenbar bewusst so gestaltet, dass diese möglichst mehrfach angesehen werden (teilweise, ohne, dass die Nutzer dies direkt merken, etwa, indem sie eine „Auflösung“ in Aussicht gestellt haben, die es im Video aber gar nicht gab).

In den vergangenen Wochen scheint sich nun der Fokus dahingehend verschoben zu haben, andere Formen des Engagements zu erzeugen – möglicherweise, weil die TikTok-Betreiber ihren Algorithmus auch immer wieder anpassen. Wie wir beobachtet haben, scheint nun das Engagement über die Schaltflächen am unteren rechten Rand der TikTok-Oberfläche wichtiger geworden zu sein, um Sichtbarkeit auf der Plattform generieren zu können.

Eine Kerze im Gefrierfach live gestreamt

Eine in den vergangenen Wochen offenbar besonders beliebte Form des „Engagement Hacks“ auf TikTok sind sogenannte „Sleep Streams“. TikTok bietet den Nutzern auch die Möglichkeit, live zu streamen. Findige Content Creator haben entdeckt, dass sie offensichtlich enorme Reichweiten damit generieren können, indem sie über Nacht mehrere Stunden ein bestimmtes Motiv abfilmen (wie auch gerade die New York Times in einem Artikel dokumentiert hat).

Bei der Auswahl des Motivs beweisen TikTokker erneut Kreativität: Nachdem viele Nutzer sich selbst beim Schlafen gefilmt haben, haben andere den Blick aus ihrem Fenster auf einen Nachtclub, eine Plastikbecher-Pyramide („Fällt sie irgendwann zusammen?“), oder ein Paar neuer Sneaker, das auf einer öffentlichen Straße deponiert wird („Wer klaut meine Vans?“), live auf TikTok gestreamt. Ein deutscher Tiktokker hat über mehrere Stunden eine Kerze in einem Gefrierfach abgefilmt.

Zwölf Millionen Views mit statischen Plastikbechern

Die Mechanik, um auf diese Weise Reichweite zu generieren, ist immer dieselbe: Die Creator erstellen ein „normales“ TikTok-Video, in dem sie auf den Livestream aufmerksam machen und den Nutzern erklären, was sie dort erwartet. Viele von ihnen zeigen in diesem Video mit dem Finger direkt auf ihr Profilbild, denn über ein Tap darauf landen die Nutzer im Livestream, so dieser aktiv ist.

Mehreren Creatorn ist es gelungen, mit solchen Livestream-Ankündigungsvideos sieben- bis achtstellige Views zu generieren. Das erfolgreichste Video von TikTokker erik_hp, in dem er für seinen Plastikbecherpyramiden-Livestream trommelte, verzeichnet zwölf Millionen Views. Wie ein Screenshot zeigt, den ein offenbar unbeteiligter User bei Twitter gepostet hat, haben zwischenzeitlich mehr als 26.000 Menschen gleichzeitig den Stream verfolgt.

11.000 US-Dollar geschenkt, für einen „Sleepstream“

Die Livestreams können für TikTokker nicht nur mit Blick auf die Reichweite attraktiv sein, sondern auch aus finanzieller Sicht. Denn in den Livestreams können die Zuschauer dem jeweiligen Streamer virtuelle Spenden zukommen lassen. In der chinesischen Schwester-App von TikTok soll ein Nutzer über seine „Sleepstreams“ einem Bericht zufolge virtuelle Geschenke im Gegenwert von 11.000 US-Dollar erhalten haben.

Eine andere, auf TikTok beliebte Methode, um Engagement zu triggern und damit die Reichweite zu steigern, ist aktuell, Videos so zu gestalten, dass die Zuschauer diese pausieren müssen, um bestimmte Elemente überhaupt sehen zu können. Denn die Ersteller des Videos blenden diese nur für Millisekunden ein, so dass sie im normalen Abspielmodus kaum zu erkennen sind.

„Pausegames“: Mit „Millisekunden-Einblendungen“ Engagement forcieren

Das Ziel dieser Methode: Die Nutzer versuchen entweder das Video mehr oder minder auf gut Glück an der richtigen Stelle zu pausieren. Wenn sie dabei aus versehen zu schnell hintereinander auf den Bildschirm ihres Smartphones tippen, geben sie dem Video ohne es wirklich zu wollen, ein Like. Eine andere Möglichkeit für die Zuschauer ist es, über Umwege zu versuchen, das Video zu verlangsamen (etwa, in dem sie es auf anderen Plattformen teilen, es herunterladen, oder ein „Duett“ mit dem Ersteller aufnehmen). So oder so: Jedes Tippen ist an TikToks Algorithmus ein weiteres Signal, dass der Zuschauer sich mit dem Video „befasst“ – und sorgt so im Idealfall für einen Push.

Angefangen hat der Trend mit eingeblendeten Schrifttafeln, auf denen innerhalb von Sekundenbruchteilen weitere Schrifttafeln erscheinen. Manche dieser Videos haben achtstellige Aufrufzahlen generiert (das oben eingebettete Beispiel verzeichnet aktuell 23,8 Millionen Views, ein weiteres Video 15,8 Millionen Views). Immer häufiger haben die Nutzer bei Videos nach diesem Muster dann die Aufschriften der verdeckten Schrifttafeln in die Kommentare gepostet.

Mit jedem Tippen auf den Share-Button gibt es einen Boost

Seit einigen Wochen sind es nun vor allen Dingen vermeintlich „peinliche“ oder „gewagte“ Fotos, die die TikTok-Nutzer nach diesem Muster nur für Millisekunden sichtbar in einem Video platzieren. Das oben eingebettete Video verzeichnet 21 Millionen Views, ein anderer Clip 6,8 Millionen. Weil die Praxis offenbar so überhand genommen hat, gibt es auf TikTok mittlerweile schon Accounts, deren Betreiber sich darauf spezialisiert haben, nur solche Videos zu reposten und das jeweilige „peinliche Foto“ für die Zuschauer sichtbar machen. Der Account „pausebot“ beispielsweise verzeichnet 150.000 Follower, 721.000 Likes und mutmaßlich sieben- bis achtstellige Gesamt-Views.

Der dritte aktuelle Trick, um mehr oder minder künstlich Engagement und damit einen Bonus gegenüber dem TikTok-Algorithmus zu generieren, ist, durch großflächige Schrifttafeln die Nutzer dazu zu bringen, das Video zu teilen. Ein aktuelles Beispiel: Der deutsche TikTokker andrew_slow fordert die Zuschauer dazu auf, ein mit schlumpfartigem Chor-Gesang unterlegtes Video bei Snapchat zu teilen, weil die Snapchat-App über eine Funktion zur Verlangsamung der Tonspur verfügt: „Geht auf Snapchat, dann auf die Schnecke – es sind vier Männer, die singen!“ Bislang hat das rund sechs Wochen alte Video 2,1 Millionen Views angesammelt.

„Probier mal, dieses Video auf Snap zu teilen – das geht nicht!“

Jedesmal, wenn ein Nutzer auf den Share-Button getippt hat, dürfte der TikTok-Algorithmus dies ebenfalls als Signal gewertet haben, dass das Video für den Nutzer relevant ist – selbst, wenn der jeweilige Nutzer das Video dann gar nicht auf der anderen Plattform gepostet hat.

Andere Tiktokker scheuen auch nicht falsche Behauptungen, um die Nutzer dazu zu bringen, auf den Share-Button zu tippen. So haben vor wenigen Tagen zwei deutsche TikTokker unabhängig voneinander in einem Video behauptet, dass der Clip, den die Zuschauer gerade sehen, nicht auf Snap geteilt werden kann – obwohl dies natürlich möglich ist. Das Ergebnis: 1,2 Millionen bzw. 902.000 Views.

Growth HackTikTok
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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