Wie Teenager eigene News-Kanäle aufbauen und Tausende Nutzer via Instagram & SMS erreichen

Martin Gardt9.9.2019

Junge Nutzer ziehen ihre Informationen immer öfter aus den sozialen Plattformen – das machen sich Gleichaltrige jetzt zu Nutze

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Viele Brands haben verstanden, dass sie junge Menschen auf Instagram, Snapchat & Co. erreichen. Viele Medien tun sich da deutlich schwerer. In den USA haben deshalb mehrere Teenager einfach selbst News-Kanäle auf Instagram gestartet und liefern Gleichaltrigen die entscheidenden Neuigkeiten aus der ganzen Welt. Wie sie ihre Reichweite aufbauen, warum SMS auch ein wichtiger Kanal ist und welche News besonders viel Engagement bekommen, zeichnen wir hier nach.

„Über Nacht war alles, worüber wir sprechen konnten Politik und was in der Welt vor sich geht“, sagt die 15-jährige Olivia Seltzer gegenüber Teen Vogue – und meint damit die Nacht, in der Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Das Interesse von ihr und ihren Freunden an der Weltpolitik sei 2016 auf den Kanälen, auf denen sich die Teenager am liebsten aufhielten, nicht gestillt worden. „Traditionelle Nachrichtenquellen sind von und für eine ältere Generation geschrieben. Unglücklicherweise fehlt da oft die Verbindung zu meiner Generation“, so Seltzer. Im Februar 2017 startet sie – noch im Alter von 13 Jahren – ihre eigene News-Seite „The Cramm“

Tägliches knappes Nachrichten-Futter

The Cramm-Gründerin Olivia Seltzer

The Cramm-Gründerin Olivia Seltzer

Wer auf der Seite von The Cramm landet, kann sich entweder für einen Newsletter oder ein SMS-Format anmelden (Quick Cramms). Dann gibt’s jeden Schultag eine Mail oder SMS ins Postfach, in der die wichtigsten Nachrichten des Tages von Seltzer zusammengefasst werden. „Ich wache jeden Tag um fünf Uhr morgens auf und verbringe eine Stunde mit dem Lesen der wichtigsten Nachrichten auf verschiedenen News-Seiten“, erzählt sie NPR. „Wenn ich einen Newsletter fertig geschrieben habe, gebe ich ihn an meine Eltern. Die lesen ihn und machen Anpassungen.“ 

Wie der Name schon sagt, „stopft“ (im Englischen: to cram) Seltzer eine vielfältige Sammlung an Meldungen und Themen in ihren Newsletter. So landet am Montag, den 9. September der aufflammende Konflikt zwischen den USA und den Taliban als Hauptthema in der Mail. Dazu kommen Meldungen über Proteste in Hongkong, Pilotenstreiks, Hurrikane-Auswirkungen und Wahlen in Russland. Die Themen sind kurz gehalten und übersichtlich in Abschnitte mit passenden Überschriften aufgeteilt. „Ich schreibe The Cramm genau so, wie ich mit Freunden spreche. Und alles was ich schreibe, schreibe ich aus der Perspektive eines jungen Menschen“, sagt Seltzer. „Ich habe immer eine Top Story des Tages. Das ist nicht immer die Top Story jeder Nachrichtenseite, aber die wichtigste Geschichte in den Augen junger Menschen.“ Ihre Leser seien zwischen 13 und 30 Jahren alt und würden aus 32 Ländern kommen.

Tiefgründiger wird es doch bei den anderen

The Cramm dient am Ende nicht dazu, ein Thema komplett zu durchdringen. Der Newsletter liefert einen schnellen Überblick der aktuellen Nachrichten aus alles Welt. Seltzer setzt aber in jedem Abschnitt mehrere Links zu den typischen News-Kanälen (CNN, BBC, etc.), damit sich die Leser weiter informieren können. Noch knapper hält sie es in ihrem SMS-Format Quick Cramms. Im Postfach der Abonnenten landen nur kurze Sätze, die auch im Newsletter vorkommende Themen beschreiben. Wer sich hier für einzelne Geschichten interessiert, wird per Link auf die Webseite von The Cramm geschickt, wo es dann den Newsletter-Inhalt zum Nachlesen gibt. 

Quick Cramm

Ein Quick Cramm kommt als SMS

Olivia Seltzer hat zuletzt durch clevere PR und Interviews in der Teen Vogue und bei NPR für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Der Instagram-Account von The Cramm ist eher eine Sammlung der vergangenen Presse-Storys über das Projekt als echtes Aushängeschild. Um neue Subscriber zu gewinnen setzt Seltzer eher auf ein Botschafter-Programm. Auf der Webseite wirbt die junge Gründerin um potenzielle Mitstreiter, die The Cramm bekannter machen sollen – um bei einer „wachsenden Bewegung“ dabei zu sein. Sogenannte „Crammer“ bekämen demnach Zugang zu einem exklusiven Instagram-Account, exklusive Updates zu The Cramm und Kontakt zu anderen Crammern. Laut Seltzer gäbe es mittlerweile Botschafter für ihr Projekt auf der ganzen Welt.

Und diese sollen in Zukunft noch viel mehr „Cramm Days“ veranstalten. Dazu nehmen sich Crammer ein paar Freunde und gehen meist auf Uni-Campusse oder in Einkaufszentren und überzeugen dort ganz analog andere Jugendliche von The Cramm. Auf der Webseite finden sich sogar Anweisungen zu Farben, die Botschafter dabei tragen sollen und Vorlagen für eine Liste, in die E-Mail-Adressen oder Telefonnummern von Interessierten eingetragen werden sollen. 

Instagram-News per Screenshots

Etwas digitaler ist da Sofia Frazer mit ihrem Instagram-Kanal „dailydoseofwokeness“ unterwegs. Dem folgen mittlerweile über 31.000 Nutzer, obwohl er so gar nicht, wie ein typischer Instagram-Kanal daher kommt. Der Feed besteht ausschließlich aus Screenshots von Twitter-, Facebook oder Instagram-Posts anderer Kanäle. Die drehen sich um aktuelle Ereignisse oder kommentieren diese – und Frazer ordnet meist in einem knappen Kommentar ein, warum sie gerade dieses Bild gepostet hat. Bemerkenswert ist, dass die Nutzer die Posts meist mit sehr langen Kommentaren diskutieren. „Instagram ist ein einfacher und zugänglicher Weg für viele junge Menschen, sich mit aktuellen Entwicklungen in der Welt zu beschäftigen“, so Frazer. „Wenn wir weiter darüber sprechen wollen, wie junge Menschen das Heft in die Hand nehmen können, müssen wir verstehen, wie wir sie erreichen und ihre Aufmerksamkeit erregen.“ 

Frazer schreibt selbst auf Instagram, dass sie den Kanal durch tägliche Posts, die Verwendung passender Hashtags, dem Folgen ähnlicher Kanäle und Interaktion mit den Followern größer gemacht habe. Derzeit wirft sie Instagram aber auch vor, ihre Inhalte nicht vielen Nutzern auszuspielen (sogenanntes Shadow banning). Die starke Engagement Rate (Verhältnis von Likes und Kommentaren zur Gesamtzahl der Follower) ihres Kanals von etwa 6,8 Prozent zeigen aber, dass sie offenbar viele ihrer Follower regelmäßig erreicht. 

Mehr als nur ein Hobby von Schülern

Ein echtes Unternehmen scheint derzeit aber nur Olivia Seltzer aus The Cramm machen zu wollen. Schon jetzt hat sie ein Team aus sieben Redakteurinnen um sich geschart, die Interviews führen und bei der Recherche helfen. Sie sei gerade dabei, ein Quiz zu entwerfen, das den Teilnehmer zeigen soll, welche Partei eher zu ihm passt (der Wahlomat lässt grüßen). „Ich träume von einer 24-Stunden-Nachrichtenseite, Video-Berichten und einem Team aus Journalisten und Korrespondenten. Jeder Bericht soll von einem Teenager geschrieben sein, im typischen Stil von The Cramm“, so Seltzer. „Mein ultimatives Ziel ist eine Nachrichtenquelle im Stile von BBC, NBC und CNN, aber für junge Leute.“

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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