Dieser Googler verdient mit Kinderliedervideos bei Youtube mehr als in seinem Hauptjob

Patrick Proners „Sing Kinderlieder“ hat 360 Millionen Views

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Mit einer Anstellung bei Google hatte Patrick Proner eigentlich einen Job, um den ihn viele andere beneiden dürften – schließlich ist die größte Online-Marketing-Firma auch einer der beliebtesten Arbeitgeber der Welt. Trotzdem entschied sich der 40-Jährige dazu, künftig lieber als Kanalbetreiber bei Youtube sein Geld zu verdienen. Durchaus nachvollziehbar, denn sein Kanal „Sing Kinderlieder“ verzeichnet mittlerweile 360 Millionen Views und erwirtschaftet monatlich mutmaßlich fünfstellige Umsätze. „Backe backe Kuchen“, „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ oder „Bruder Jakob“ – die Lieder, mit denen Patrick Proner sich tagein, tagaus beschäftigt, kennt jeder. Der kleine Unterschied: Proner generiert mit den Klassikern des „Kinderliederkanons“ auf Youtube ansehnliche Reichweiten und Umsätze. Zu etwas mehr als 100 Kinderliedern hat Proner in seinem Kanal „Sing Kinderlieder“ Musikvideos eingestellt. Das beliebteste, „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“, vor zweieinhalb Jahren eingestellt, hat heute 21 Millionen Views. 30 der Videos von „Sing Kinderlieder“ verzeichnen jede Woche sechsstellige View-Zuwächse. „Das ist wirklich außergewöhnlich guter Evergreen-Content“, sagt Youtube-Experte Christoph Burseg von veescore, der auch ansonsten von Proners Aktivitäten sehr angetan ist: „Das ist ein klasse Kanal, der ein gutes Thema sehr professionell umsetzt.“

Umsatz zwischen 20.000 und 50.000 US-Dollar

Im Herbst 2013 eingerichtet, verzeichnet „Sing Kinderlieder“ heute 290.000 Abonnenten. Seit vergangenem Jahr rangiert der Kanal in der Top 100 der abrufstärksten deutschen Youtube Channel. Christoph Bursegs Youtube-Analytics-Software veescore schätzt den monatlichen Umsatz, der durch die Werbevermarktung der Videos zustande kommt, auf zwischen 20.000 und 50.000 US-Dollar. Videos für Kleinkinder sind für Youtube ein Riesengeschäft (wir hatten uns bereits an dieser Stelle ausführlich mit dem Thema beschäftigt).

„Sing Kinderlieder“ war von Proner eigentlich nur als Experiment gedacht. Als Account Manager für die Bildungsbranche bei Google begann er vor dreieinhalb, vier Jahren verstärkt damit, Youtube-Werbung an seine Kunden zu verkaufen. Zu der Zeit kommen zudem erstmals Multi-Channel-Networks, Schminktipp-Videos und reichweitenstarke Youtube-Influencer wie Sami Slimani auf. „Ich habe gemerkt, dass ich mich mit den Werbeformaten ganz gut auskenne, aber nur sehr wenig mit der Content- und Publishing-Seite, und wollte einfach besser verstehen, wie die Mechanismen dahinter funktionieren“, so Proner rückblickend gegenüber OMR.

Ein Kita-Musiker produziert die Musik

Auf der Suche nach einem potenziellen Thema für den eigenen Kanal, hilft Kommissar Zufall: „Irgendwann saß ich dann mit meiner damals zweieinhalbjährigen Tochter auf der Couch und hab nach ‚Alle meine Entchen’ gesucht. Ich bin dann auf ein Video gestoßen, das mir weder von der Musik, noch von der visuellen Umsetzung gefiel, aber extrem viele Aufrufe hatte. Ich dachte mir also: ‚Es muss von der Qualität her besser sein als das, dann bekommst Du einen Teil des Traffics und somit das Video vielleicht refinanziert.’“

Aber wie produziert man Musik und Zeichentrickvideos, wenn man dies noch nie getan hat? „Ich spiele kein Instrument und kann auch nicht wirklich zeichnen. Ich hatte Glück, dass ich relativ schnell die richtigen Leute gefunden habe.“ Proner erinnert sich daran, wie er in der Kita-Eingewöhnungszeit seiner kleinen Tochter einmal einen Musikpädagogen erlebt hat, der dort einmal in der Woche mit den Kindern Musik macht. „Der hat das toll gemacht und ist super mit den Kindern umgegangen. Ich habe mir also von der Kita-Leitung seine Telefonnummer geben lassen, bei ihm angerufen und gesagt, was ich vorhabe. Er wusste sofort, was ich meine, und hat gleich gesagt: ‚Ich bin dabei.’“ Der Zufallsfund erweist sich als Glücksgriff: Jan Rimkeit, heute auch als „Kalle Klang und die Flohtöne“ bekannt, ist ein Vollblutmusiker, der schon als Tontechniker gearbeitet und Werbe-Jingles produziert hat.

Zwei bis drei Stunden zusätzliche Arbeit pro Tag

Für die visuelle Seite der Produktion vermittelt ein Freund aus Kindergartentagen Proner den Kontakt zu einem Motion Designer. Der richtet ihm den Kanal ein, erstellt ihm ein Kanaldesign, produziert die ersten beiden Videos (darunter „Alle meine Entchen“) und erklärt ihm später, wie und wo er Freelancer akquirieren kann.

Bei der Auswahl der ersten Lieder hantiert Proner gar nicht erst mit irgendwelchen Keyword-Tools: „Wenn ich zwei Menschen frage, was die beliebtesten Kinderlieder sind, werden die vermutlich 90 Prozent Übereinstimmung haben. Die Klassiker sind ‚Alle meine Entchen’, ‚Backe backe Kuchen’, ‚Hoppe hoppe Reiter’, ‚Grün grün grün sind alle meine Kleider’ und ‚Drei Chinesen mit dem Kontrabaß’. Die haben wir als erstes produziert und die sind auch bis heute bei uns am beliebtesten.“

Fortan beschäftigt er sich jeden Abend nach der Arbeit mit seinem neuen Nebenprojekt. „Immer wenn die Kids im Bett waren, habe ich mich zwei bis drei Stunden hingesetzt. Das war wie ein zweiter Job.“ Proner arbeitet zuhause vom Esstisch aus, Rimkeit richtet sich in seinem Wohnzimmer ein Tonstudio ein.

Eigene Familie dient als Fokusgruppe

Die meiste Zeit nimmt die Koordination der Produktion ein: die Abstimmung mit seinem Musiker, noch mehr aber der visuelle Teil. „So eine Videoproduktion durchläuft immer mehrere Schritte: Storyboard, Character Design und zum Schluss das Motion Design. Ich bin bei jedem Schritt involviert und gebe Feedback“, so Proner.

Der Familienvater setzt dabei vor allem auf sein Bauchgefühl: „Das ist schon alles eher intuitiv. Man sieht relativ schnell, ob einen ein Video anspricht und ob es kinderfreundlich ist. Die Kinder, die sich das anschauen, sind so zwischen einem und fünf Jahren alt. Da müssen die Sachen kindgerecht gezeichnet sein, darf sich nichts zu schnell bewegen und die Schnitte nicht zu schnell hintereinander gesetzt sein.“ Seine Frau und seine beiden Kinder (eine Tochter und ein Sohn) dienen als Testpublikum. „Die machen den Qualitycheck. Meistens gefällt ihnen das Video aber auf Anhieb.“

Youtube Playbook hilft bei der Channel-Hygiene

Trotz der ambitionierten Herangehensweise kommt der Erfolg nicht sofort. „Bis der Youtube-Algorithmus von unseren Videos Notiz genommen hat und wir in den Suchergebnissen oben aufgetaucht sind, hat es schon ein wenig gedauert“, so Proner. Der erste deutliche Erfolg ist nach einem halben Jahr zu verbuchen: eine Million Views. Nach einem Jahr sind es bereits zehn Millionen Views, im April 2016 100 Millionen Views – und heute 360 Millionen.

„Mittlerweile sind wir bei den meisten Videos bei den Suchergebnissen sehr weit oben und auch alle neuen Videos tauchen sehr schnell auf Seite 1 der YouTube-Suchergebnisse auf. Wir wachsen je nach Saisonalität bis zu 30 Prozent pro Monat“, sagt Proner. Dabei helfen nach eigener Aussage keine geheimen Tricks: „Eine gescheite Description sowie ein paar Keywords und Tags einzusetzen, ist ja keine Wissenschaft. Ich habe mich da einfach an das offizielle ‚Youtube Playbook’ von Google gehalten.“ Der entscheidende Erfolgsfaktor sei seiner Ansicht nach eher die Qualität der Videos – „sowohl musikalisch als auch visuell. Man muss da natürlich die richtige Balance finden und irgendwann sagen: So ist die Qualität ausreichend.“

Playlists und Compilations als mögliche Wachstumshebel

Ein Hebel um Views zu generieren, sind in jedem Fall Playlisten. „Wir haben Kinder-, Schlaf- und Weihnachtslieder-Playlists. Die tauchen bei der Suche nach Kinderliedern ganz oben auf und sind schon ein Traffic-Bringer. Das ist aber auch kein Geheimnis, dass man den eigenen Content in Playlists organisiert, sondern gehört einfach zur Channel-Hygiene.“

Eine möglich „Geheimwaffe“, um auf Youtube Reichweite zu generieren, können laut Proner Compilations sein: „Mehrere Kinderlieder zu einem sehr langen Video zusammenzuschneiden, und die Dauer des Videos im Thumbnail zu promoten. Das haben vor allen Dingen die englischsprachigen Kanäle früh gemacht.“ Solche Videos würden vom Youtube-Algorithmus begünstigt, weil Youtube ja vor allem eine hohe Watchtime, also Sehdauer honoriert. Proner selbst hat das Mittel gar nicht eingesetzt.

Videovorschläge sind die wichtigste Traffic-Quelle

Die meisten Besucher stoßen auf die Videos von „Sing Kinderlieder“, weil Youtube ihnen diese vorschlägt: „Die ‚Suggested Videos’ sind mit rund 60 Prozent unsere wichtigste Traffic-Quelle. Je mehr Videos man im Kanal hat, desto eher werden den Nutzern andere Videos aus dem gleichen Kanal vorgeschlagen“ Die Youtube-Suche liege bei etwa 20 bis 25 Prozent, danach komme die Google-Suche und dann der Rest.

Die so erzielte Reichweite monetarisiert Proner über Youtubes eigene Werbevermarktung. Mittlerweile vermarktet er die Song-Aufnahmen auch alleine in Audioform, als Download und Stream über die gängigen Plattformen. Eine zweite CD ist gerade erschienen. „Die Audio-Vermarktung macht momentan rund zehn Prozent unseres Umsatzes aus“, so Proner.

(Vorläufiger?) Abschied von Google

Zur genauen Höhe des Umsatzes will der Kanalbetreiber keine Angaben machen. „So etwa nach zwei Jahren haben wir den Break Even geschafft, seit einem Jahr macht es richtig Spaß. Seitdem kann ich theoretisch davon leben und auch Geld in neue Projekte investieren.“ Die Anfangsinvestitionen seien demgegenüber vergleichsweise niedrig gewesen. „Ich konnte relativ bald die Produktion zu größeren Teilen aus dem Cashflow finanzieren.“

Seit Anfang des Jahres nimmt Proner eine Auszeit bei Google. Das einjährige Sabbatical bietet ihm die Option, später zu seinem Arbeitgeber zurückzukehren. „Ich hab irgendwann festgestellt, dass ich so weder dem einen noch dem anderen voll gerecht werden kann und ich mich auf eine Sache konzentrieren muss. Ich habe mich dann für das entschieden, was vielleicht ein bisschen mehr Spaß macht.“ Sein Musikpartner Jens Rimkeit hat ebenfalls den Kita-Job gekündigt.

Weitere Kanäle sind geplant

Proner war bislang als Einzelunternehmer tätig, will seine Youtube-Aktivitäten jetzt aber in eine Kapitalgesellschaft überführen. Ziel ist es, in diesem Jahr das Geschäft deutlich auszubauen, einerseits vertikal (mit dem bestehenden Content mehr Geld zu verdienen, sei es auf anderen Videoplattformen, mit DVDs, Lizensierungen oder Merchandising), aber auch horizontal, durch weitere Kanäle zum Thema Familie und Kinder.

Seine eigenen Kinder lässt er zumindest nicht unkontrolliert Youtube schauen. „Wir gucken nach dem Sandmännchen zwei, drei Videos, aber auch nicht immer, sondern nur manchmal. Oder wenn unsere Kinder extrem unruhig sind und gerade alles turbulent ist. Ich würde sie aber nicht alleine YouTube schauen lassen. Da hat aber auch jeder seinen eigenen Ansatz, und ich will niemanden medienpädagogisch erziehen.“

Offenbar stellen sich bei Proners Nachwuchs auch schon langsam Ermüdungserscheinungen ein: „Mein Sohn ist jünger, der schaut die Videos immer noch gerne. Meiner Tochter fangen sie glaube ich langsam an, etwas zu langweilen. Die hört und schaut dann lieber mal Englische Kinderlieder.“

Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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