„Refugees Welcome“-Shirts verkaufen sich im Netz wie geschnitten Brot – aber kommen die Einnahmen wirklich bei Flüchtlingen an?

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Warum Hilfsorganisationen wie Pro Asyl derzeit eine große Chance verpassen

Refugees-550 Verdienen findige Online-Marketing-Macher mit dem Verkauf von „Refugees Welcome“-Shirts über das Internet ansehnliche Summen, ohne dass die Einnahmen Flüchtlingen oder entsprechenden Wohltätigkeitsorganisationen zugute kommen? Diese Vermutung legt eine Recherche von Online Marketing Rockstars nahe. Wie der Dienst Google Trends zeigt, nehmen die Suchanfragen nach den Shirts exorbitant zu – aber auf Googles Suchergebnisseite rangieren nicht Pro Asyl oder die Uno Flüchtlingshilfe ganz oben. „An uns geht da derzeit viel Geld vorbei“, so ein Pro-Asyl-Sprecher gegenüber Online Marketing Rockstars. Aber wer macht mit den Shirts Kasse? Die Wachstumskurve zeigt den in der Online-Branche so viel beschworenen „Hockeystick“: Die Suchanfragen nach dem Begriff „refugees welcome“sind bei Google innerhalb der vergangenen zwei, drei Wochen explosionsartig in die Höhe geschnellt. Besonders die Keyword-Kombination „refugees welcome shirts“ zeigt derzeit starkes Wachstum auf, so Google Trends:

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Offenbar ist es aktuell vielen Usern ein Bedürfnis, ihre Gesinnung in der derzeitigen Flüchtlingskrise nach außen zu tragen. Wer fängt diese Nachfrage auf? Wer bei Google nach entsprechenden Shirts sucht, wundert sich. Hilfsorganisationen tauchen auf der ersten Seite keine auf. Damit entgeht ihnen nicht nur wertvoller Traffic, sondern bares Geld, dass sie sonst in ihr Anliegen investieren könnten. Stattdessen verdienen offenbar viele andere Marktteilnehmer mit an dem aktuellen Boom rund um die Refugee-Shirts.

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Ganz oben in den Suchergebnissen finden sich zwei bezahlte Anzeigen, eine davon von dem E-Commerce-Marktplatz schlechthin: Amazon. Der Plattformbetreiber verkauft zwar selbst keine „Refugees Welcome“-Shirts, dafür aber diverse kleine Händler, die auf der Amazon-Plattform aktiv sind. 325 Ergebnisse listet deswegen eine entsprechende Suchanfrage bei Amazon auf. Dahinter stehen diverse kleine Händler wie „Racker-n-Roll“ aus Mainz* oder das Magdeburger Unternehmen Colorpark mit der Marke „Certified Freak“.

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Darüber, dass diese die Einnahmen aus den Verkäufen oder einen Teil davon an Flüchtlingsorganisationen spenden, lässt sich in den Produktbeschreibungen bei einer Stichproben-artigen Überprüfung nichts finden. In jedem Fall verdient Amazon auch an den Verkäufen, denn die dort aktiven Händler müssen dem Plattformbetreiber pro Verkauf eine Provision bezahlen – bei Bekleidung sind dies 15 Prozent.

Am meisten Platz nimmt bei Google „above the fold“ (also im nach dem ersten Klick sichtbaren Bereich) jedoch die T-Shirt-Plattform Spreadshirt ein. Das Leipziger Unternehmen ist mit gleich mehreren Anzeigen vertreten, darunter auch solche im Google-Shopping-Format, mit dem das Produkt sogar mit Preis und Artikelbild sichtbar ist. „Über 500.000 Motive zur Auswahl“ heißt es in einer der Anzeigen. Wer auf diese klickt, stößt auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Designs, sehr viele davon offenbar neu auf der Plattform.

Bei Spreadshirt können Designer ihre Motive hochladen; kommt eine Bestellung zustande, produziert Spreadshirt das Kleidungsstück und die Designer erhalten eine Provision. Diese kann bis zu 15 Euro betragen, liegt nach Unternehmensangaben durchschnittlich aber eher bei 2,50 Euro. Der Rest der Verkaufseinnahmen geht an den Plattformbetreiber. Auch hier ist nicht ersichtlich, ob ein Teil des Geldes gespendet wird.

Unter den unbezahlten Google-Suchergebnissen finden sich viele kleine Online-Shops aus der linken Szene, mit Namen wie „DirAction“, „Roter Shop“ oder „True Rebel Store“. Selbst hier ist nicht immer zu erkennen, ob die Einnahmen teilweise gespendet werden.

Wir haben deswegen bei Pro Asyl nachgefragt. „Es gibt immer wieder verschiedene Akteure, die T-Shirt-Aktionen durchführen und uns die Einnahmen spenden“, so Sprecher Tobias Klaus. „Von diesen Aktionen erfahren wir nur, wenn die Spende bei uns eintrifft oder wenn die entsprechenden Menschen mit uns Kontakt aufnehmen.“ Neben Aktionen vom Instrumentebauer Warwick und dem Blog Eier & Herz dürfte insbesondere die Initiative von Deichkind erfolgreich gewesen sein.

Allen, die sichergehen möchten, dass die Einnahmen aus ihrem T-Shirt-Kauf an Pro Asyl gehen, empfiehlt der Sprecher einen Blick auf die Facebook-Seite der Organisation. Dort gebe Pro Asyl offizielle Kooperationen bekannt. Ein umständliches Vorgehen, zu dem es derzeit offenbar aber keine Alternative gibt. „Wir können es uns leider nicht leisten, ein Siegel oder ähnliches zu vergeben; das wäre ein immenser Aufwand“, so Klaus.

Das derzeitige Spendenpotenzial durch eigene „Refugees Welcome“-Shirts selbst auszuschöpfen steht aktuell offenbar nicht zur Debatte. Zwar betreibt Pro Asyl auf der eigenen Website auch einen Shop, mit T-Shirts mit dem Slogan „Kein Mensch ist illegal“. „Aber selbst da kommen wir derzeit mit dem Versand nicht hinterher, obwohl wir da schon massiv aufgestockt haben.“ Derzeit seien rund 30 Leute bei Pro Asyl beschäftigt, studentische Aushilfen und 450-Euro-Kräfte schon mit eingerechnet. „Wir können nicht Ressourcen aus unserer politischen Arbeit abziehen“, so Klaus.

Wir haben Pro Asyl angeboten, den Shop und die Google-Rankings der Organisation in Zusammenarbeit mit Experten aus unserem Netzwerk zu optimieren. Vielleicht kann es uns ja gelingen, einen Teil des Geldflusses umzuleiten.

*Update, Mittwoch, 9. September, 10:27 Uhr: Die Inhaber des Shops „Racker-n-Roll“ haben uns kontaktiert und darüber informiert, dass sie mit dem „Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz“ (Mitglied der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl) zusammenarbeiten und deren Flüchtlingsprojekte mit Geldspenden aus den Erlösen der „Refeugees Welcome“ und „Kein Mensch ist illegal“ Produkte unterstützen. Die Shop-Seite sowie die Produktbeschreibungen der entsprechenden T-Shirts bei Amazon sind nach Veröffentlichung unseres Artikels um einen entsprechenden Hinweis ergänzt worden.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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