Predictions 2023: Was die Tech-Intelligentsia für dieses Jahr vorhersagt

Wir fassen für Euch die Prognosen von Scott Galloway & Co. zusammen

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Inhalt
  1. May I, AI?
  2. Die negativen Seiten des AI-Booms
  3. Rezession, Startup-Sterben, Stellenabbau und Konsolidierung
  4. Wird Social Media wieder Social?
  5. Dem Web3 steht die Triage bevor
  6. Einige mutigere oder zumindest ausgefallenere Prognosen

Es hat sich fast zu einer Art Branchensport entwickelt, mehr oder weniger gewagte Vorhersagen darüber abzugeben, was sich in der Tech- und Marketingwelt in den kommenden zwölf Monaten tun wird. Auch bei OMR ist es schon Tradition, die Vorhersagen einiger der bekanntesten Branchenvordenker zu durchforsten und für Euch zusammenzufassen. In diesem Jahr können sich nahezu alle auf ein großes Trendthema einigen.

May I, AI?

Nach dem Hype um ChatGPT, der schon vor dem Jahreswechsel seinen Anfang fand, ist es wenig erstaunlich, dass „Generative AI“, also die Erstellung von Texten, Bildern oder Filmen durch ein künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) , von nahezu allen Experten als das bestimmende Thema des Jahres 2023 gesehen wird. „So wie im vergangenen Jahr Web3 ist AI auf dem Weg, die meist gehypte Technologie des Jahres 2023 zu werden. Anders als bei Web3 ist der Hype bei AI (größtenteils) gerechtfertigt“, schreibt beispielsweise Scott Galloway in seinem „No Mercy, No Malice“-Newsletter. „Ein Zufluss von Kapital und Aufmerksamkeit wird das Wachstum der Kategorie im Jahr 2023 beschleunigen.“

Wenig erstaunlich, dass auch der KI-Chatbot ChatGPT selbst diesen Trend vorhersagt. „Ein Trend, der sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt hat, ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen im digitalen Marketing“, schreibt das Tool, wenn wir ihm eine entsprechende Frage stellen. „Dazu gehören der Einsatz von Chatbots für den Kundenservice, die Personalisierung von Werbung und Website-Inhalten auf der Grundlage von Nutzerdaten und der Einsatz von Predictive Analytics zur Vorhersage des Erfolgs von Marketingkampagnen.“

Eine "Vorhersage" von ChatGPT zu Tech- und Marketingtrends im Jahr 2023 (Screenshot)

Eine „Vorhersage“ von ChatGPT zu Tech- und Marketingtrends im Jahr 2023 (Screenshot)

„Mit ChatGPT scheint das Silicon Valley ein Stück seines Mojos zurückgewonnen zu haben“, schreibt Wired-Erfinder John Battelle in seinem Blog. Das Tool sei die „Art von technologischem Wunder, von dem die Branche vergessen zu haben schien, wie man es herstellt“. ChatGPT werde Innovationen bei digitalen Geschäftsmodellen vorantreiben: ChatGPT (bzw. das Betreiberunternehmen OpenAI) werde die Technologie an große Unternehmen lizensieren. Battelles Text stammt von Ende Dezember; wenige Tage später berichtete The Information, dass Microsoft ChatGPT in die Suchmaschine Bing und in seine Office-Software integrieren wolle. Battelle glaubt aber, dass auch Google eine ChatGPT-artige Version seiner Suchmaschine launchen wird.

Die negativen Seiten des AI-Booms

Einige Tech-Experten prognostizieren Herausforderungen, die durch den AI-Boom entstehen könnten. Der (aktuell) kostenlose Zugang zu ChatGPT werde eine Debatte über die Verwendung von künstlicher Intelligenz in Schule und Universität lostreten, schreibt beispielsweise  US-Tech-Journalist Casey Newton: „Bis zu den Frühjahrsferien werden wir im ganzen Land Kontroversen über den Einsatz von KI in der Bildung erlebt haben, und bis zum Jahresende würde es mich nicht überraschen, wenn OpenAI vor den Kongress gezerrt würde, um darüber zu sprechen.“

Der US-Gründer und Berater Greg Isenberg sagt vorher, dass die durchschnittliche Qualität der Inhalte im Netz abnehmen wird. „Das Internet wird durch den Zustrom von KI-Inhalten ganz anders aussehen und sich anders anfühlen. Sehr Fast-Food-artig. Sieht aus und fühlt sich an wie echtes Essen, ist aber nicht gut für uns.“ Die Entwicklung birgt aber auch Chancen für Kreative und Marken, die sich in ihren Ideen, Produkten und Inhalten stark vom Durchschnitt unterscheiden, glaubt Isenberg.

Rezession, Startup-Sterben, Stellenabbau und Konsolidierung

Wenig überraschend ist der Blick der Experten mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung pessimistisch: „Die Business Story des Jahres 2022 war Inflation. Im Jahr 2023 wird es Rezession sein“, so Scott Galloway. „Startups werden 2023 ein hartes Jahr haben“, schreibt Fred Wilson vom renommierten US-Wagniskapitalgeber Union Square Ventures. „Es gibt eine große Anzahl von Start-ups, die noch nicht ihren ‚Product-Market-Fit‘ gefunden haben, die keine positiven ‚Unit Economics‘ geschaffen haben und die ungelöste Probleme in ihren Gründer- und Führungsteams haben. Diese Startups werden es schwer haben, zu welchem Preis auch immer Kapital einzusammeln, und die meisten von ihnen werden scheitern.“ Untergänge und Trübsinn sieht auch US-Journalist und VC-Experte Eric Newcomer vorher: „Die Abkühlung bei Late-Stage-Finanzierungen und Börsengängen wird die Unternehmen einholen, die bis 2022 gewartet haben. Es wird zu plötzlichen Implosionen und Zombie-Unternehmen mit wenig Wachstum, aber viel Bargeld kommen.“

Darunter werden auch bei Startups und in der Tech-Branche tätige Arbeitnehmer leiden. Die bisherigen Entlassungen in der US-Techbranche seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen, glaubt Scott Galloway. Zumal die Unternehmenslenker und Investoren durch den radikalen Stellenabbau bei Twitter gesehen hätten: „Wir können den gleichen guten Geschmack (massiver Personalabbau/Kosten) mit weniger Kalorien (Einnahmeverlust) erreichen.“ Ein Hedgefonds, der Alphabet-Aktien im Wert von sechs Milliarden US-Dollar halte, habe dem CEO Sundar Pichai einen Brief geschrieben, weil das Unternehmen zu viele Mitarbeitende beschäftige.

Die großen Tech-Firmen werden wirtschaftlich gestärkt aus dieser Entwicklung hervorgehen, glauben sowohl Wilson als auch Galloway: „Die größten Technologieunternehmen werden aus diesem Abschwung schlanker und profitabler hervorgehen und langsamer wachsen. Sie werden reife Unternehmen sein, die sich wie die Blue Chips verhalten, die sie sind“, schreibt Wilson. Galloway prognostiziert Rekordgewinne für Amazon, Alphabet und sogar für Meta. Die Aktie des Social-Konzerns werde (nachdem sie im vergangenen Jahr 75 Prozent an Wert verloren hat) über dem Marktdurchschnitt wachsen, glaubt der Unternehmer und Marketingprofessor.

Wird Social Media wieder Social?

„Das nächste große Ding im Jahr 2023 wird sein, dass Social Apps wieder Social werden“, schreibt Gen-Z-Investorin Tiffany Zhong in einer Zusammenstellung von Prognosen des „Next Big Thing“-Newsletters. Keine allzu gewagte These angesichts der Entwicklung im vergangenen Jahr, als bereits Apps wie BeReal und Gas einen Hype erlebt haben. Auch US-Journalist Casey Newton sieht ein „Unbundling“ im Social-Media-Bereich. „Die Frage ist, wie schnell sich die sozialen Netzwerke nach der Entflechtung wieder zusammenschließen werden – und ob eine neue Sache aus dem Nichts auftauchen kann, um unsere Aufmerksamkeit zu dominieren, wie es TikTok vor ein paar Jahren getan hat.“

Die Journalistin Annie Goldsmith von The Information glaubt, dass der „Moment“ von BeReal bereits vorüber ist. Die App habe im vergangenen Jahr keine neuen Funktionen eingeführt, sei aber gleichzeitig von den anderen Plattformen kopiert worden. Das Unternehmen habe die Chance eines Verkaufs an einen größeren Mitbewerber verpasst.

Dem Web3 steht die Triage bevor

Die Vision der Web3-Szene wird 2023 im Rückspiegel verblassen, glaubt US-Journalist Casey Newton: „Nachdem die Ereignisse des Jahres 2022 die Krypto-Verfechter wie Idioten aussehen ließen und die drohende Rezession die Risikokapitalgeber im neuen Jahr vorsichtiger werden ließ, wird das Jahr 2023 viele Krypto-Startups zu Grabe tragen.“ Nur die hartgesottenen Fans werden sich noch für das Segment interessieren. „In der Zwischenzeit wird die anhaltende Parade von Betrügereien, Verstößen und Insolvenzen die Branche einem erhöhten Risiko aussetzen, in die Bedeutungslosigkeit reguliert zu werden.“

Auch Fred Wilson prognostiziert eine Triage im Web3-Sektor. „Im Vergleich zum allgemeinen Startup- und Technologiesektor gibt es im Web3-Bereich derzeit einen viel größeren Überhang“, so der VC. „Es gibt zwar überzeugende Werte im Web3, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass es sicher ist, wieder ins Wasser zu gehen, es sei denn, Sie haben einen sehr starken Magen und einen sehr langen Zeithorizont.“

Einige mutigere oder zumindest ausgefallenere Prognosen

Während viele der Vorhersagen mehr oder weniger erwartbar sind und sich schon angedeutet haben, lehnen sich manche der Vorhersager*innen zumindest an einigen Stellen etwas weiter aus dem Fenster. Hier einige der spannenderen, weil mutigeren Prognosen:

  • Airbnb wird 2023 neben Meta an der Börse am meisten an Wert gewinnen (Scott Galloway)

„Siebzig Prozent des Website-Traffics des Unternehmens stammt von direkten, organischen Besuchen – im Vergleich zu 40 Prozent bei Marriott und Expedia. Diese Markenstärke führt zu einer Nettomarge, die doppelt so hoch ist wie die der Konkurrenz im Gastgewerbe“, schreibt Galloway. Er glaubt, dass Airbnb die stärkste Gastgewerbemarke der jüngeren Geschichte ist. „Niemand sagt, ‚Ich habe ein Hilton in Las Vegas gebucht‘.“

Der zu Disney zurückgekehrte Bob Iger hat u.a. Marvel, Pixar und Lucasfilm aufgekauft und sei damit einer der besten Firmenkäufer der Wirtschaftsgeschichte, so Galloway. Eine Übernahme von Roblox sei zwar teuer, aber Disney habe das Geld und strategisch würde es Sinn ergeben.  „Roblox ist ein Metaverse, das funktioniert. Die Spieleplattform hat rund 60 Millionen täglich aktive Nutzer, von denen die Hälfte 13 Jahre alt oder jünger ist.“

US-Journalist Casey Newton glaubt, dass Substack bis Ende dieses Jahres ein Native-Advertising-Angebot einführen wird. Denn durch die im April 2022 eingeführte Empfehlungsfunktion (bei der Abonnent*innen eines Newsletters weitere passende Substack-Newsletter empfohlen werden) sei die Plattform sehr gut darin, Listenwachstum für Newsletter zu generieren. Aber nur wenige der nichtzahlenden Abonnent*innen könnten in zahlende umgewandelt werden. Da die Umsätze von Substack deswegen nicht schnell genug wüchsen, um eine Series-B-Runde abzuschließen, glaubt Newton, dass das Unternehmen den Zwängen nachgebe und Werbung einführt.

„Obwohl Rent the Runway (ein Miet-Service für Designer-Kleidung) im jüngsten Geschäftsbericht die Umsatzprognosen für das Gesamtjahr anhob und verschiedene Möglichkeiten zur Kostensenkung aufzeigte, schwinden die Cash-Reserven. Das deutet darauf hin, dass Rent the Runway als Teil eines größeren Unternehmens besser dran wäre“, schreibt Ann Gehan. Mit einer Marktkapitalisierung von 200 Millionen US-Dollar (der Aktienkurs ist seit dem Börsengang im Oktober 2021 um 85 Prozent gefallen) wäre Rent the Runway für Amazon kein teurer Kauf. „Das logistische Know-how des E-Commerce-Riesen könnte Rent the Runway dabei helfen, die hohen Kosten für die Auftragsabwicklung zu senken, und die Daten, die das Unternehmen über die Kunden und ihre Vorlieben sammelt, könnten Amazon auch dabei helfen, andere Produkte, wie die auf seiner Shopbop-Website, effizienter zu verkaufen.“ Mit einem Kursminus von 80 Prozent könnte auch der Curated-Shopping-Anbieter Stitch Fix ein Übernahmekandidat für Amazon sein, als Ergänzung für den „Prime Wardrobe“-Service, wie Gehan glaubt.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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